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Kapitel 2

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Es wurde ein nebliger Tag, tief in den weiten Urwäldern hinter Clénairville, dem Provinz-Städtchen nahe der Grenze zu Sarkar. Die bewaldeten Täler dampften ihre Feuchtigkeit im Lichte der über Puntirjan aufsteigenden Sonne aus. Das Gezwitscher der Tierwelt ertönte, und im Dschungel herrschte reges Treiben.

Auch Gugay Fiscaux zwitscherte und gurrte wie betrunken vor Freude. Heute, im ersten Tag des neuen Sommers, würde er mit seiner Leidenschaft wieder voll zur Geltung kommen, wenn er am Sommeranfangs-Feiertag gegen Mittag mit der Familie zur Reptilienjagd ausfliegen würde. Er war ein Abenteurer, ein Egomane, groß geworden unter wilden Nomaden am Rande des Urwalds, und nun würde wieder prahlen können vor seiner Schwester. Er würde Tüngör, diesen ängstlichen, verwöhnten Weichling, mal zeigen können, was eine Reptiljagd ist! Tüngör – jetzt zu seinem Urlaub in Clénairville angekündigt – war irgendwie sein familiärer Rivale, sein jüngster Stiefbruder. Er buhlte seit einiger Zeit mit Gugay um die Gunst seiner Schwester Fisca, zu der er in Bewunderung und Zuneigung aufsah. Gugay hingegen machte einfach sein Ding, den „kleinen“ Tüngör tolerierte er und nahm ihn kaum für voll.

Tüngör hingegen hatte auf einen ruhigen Urlaub gehofft.

„Warum tue ich mir das eigentlich alles an?“, dachte er. „Schließlich habe ich einen Haufen von Ingenieurs-Lehrgängen besucht, habe das Tüfteln gelernt und bin in Großvater Dschersis Fußstapfen getreten.“ (Sein Großvater war der Erfinder des „Ionotrons“. Ionotrone waren spezielle Magnetfeld-Generatoren, die in der Raumfahrttechnik der Puntirjaner in Plasmablasen-Synthesizern eingesetzt wurden. Sie konnten die Raumsiedler außerhalb der Atmosphären vor der tödlichen, kosmischen Strahlung zu schützen. Ionotrone waren eine der Lebensgrundlagen auf den puntirjanischen Raumstationen geworden. Entsprechend hoch war das Ansehen des Clans, dem Dschersi und Tüngör entstammten).

Tüngör schaute genervt weg. Gugay jedoch gab keine Ruhe.

„Nicht wahr, Tüngör, du kommst doch mit, du machst doch mit!? Nicht wahr, Tüngör, dieses Mal sichern wir uns den Erzfund, und zur Belohnung jagen wir dann eine große Flugechse! Und wenn wir sie bis nach Sarkugratt verfolgen müssen!"

Fisca erschrak.

„Gugay Fiscaux!“, sagte sie ärgerlich, und immer wenn sie „Gugay Fiscaux!“ sagte, war sie verärgert. „Du weißt doch genau, dass Sarkugatt hinter der Grenze liegt! Wir dürfen doch in Sarkar nicht einfach Lithium-Erz abbauen! Und im Naturschutzgebiet schon garnicht! Gugay Fiscaux! Trink nicht so viel!“

„Ach was, und wenn wir bis zum Hauptquartier des Gouverneurs von Westsarkar müssen, wir fliegen in den Echsenwald, uns das Lithiumerz holen, nicht wahr, Tüngör? Und wenn ich den Sarkariern ihr Erz vor den Augen ihres blöden Anführers einlade, diesem Quallenfresser! Nein, das lassen wir uns nicht nehmen, nicht wahr, Tüngör!?“

„Hah, tja klar, Bruder, wir gehen graben!“, gab Tüngör von sich, um seine Ruhe zu haben.

„Tüngör! Ich bitte dich! ...“

Ängstlich sah Fisca von ihrem älteren Bruder weg zu Tüngör. Hatte sie einen ironischen Unterton überhört? Malte er sich nun aus, im Dschungel seine Ruhe zu haben?

Plötzlich sah der junge Tüngör seinen großen Siefbruder zustimmender an, fast begeistert. Gugay redete weiter auf ihn ein. Er schwärmte von den Mineralien im Boden der Urwälder Sarkars, von den Flugechsen, den leckeren Lurchen und Beutetieren darin. Fisca wollte unbedingt verhindern, dass er sich auf diese leichtsinnige Idee Gugays einließ, nur um ihr zu imponieren oder um sich von den unangenehmen Zeremonien in Monastair zu erholen.

„Aber Fiskalein, ich sach’ doch jarnisch‘ von Grenzverletzung. Wir brauchen ja nicht über den Sarfluss zu fliegen, wir können ja in unserem Wäldchen bleiben. Selbst wenn wir mal aus Versehen d‘rüberfliegen, was macht das schon?“

„Bist du wahnsinnig? Tüngör! Die Grenze überfliegen?“

Fiscas Stimme klang hysterisch. „Im Interfunk haben sie davor gewarnt! Der Großkaiser von Sarkar will diesen sarkarischen Staatenbund gründen, sagen sie. Die Grenzen werden dicht gemacht – auch für Erzsucher! Tüngör! Wenn euch nun der Reichsgrenzschutz fasst? Oh, Tüngör, fliegt nicht, ich bitte euch, fliegt in unser Wäldchen, aber fliegt nicht rüber!“ Fisca verschluckte sich, rang nach Luft. „Tüngör!“, wetterte sie plötzlich, „dass das klar ist, ich flieg da nicht mit! Tüngör!"

Doch die besten Ermahnungen halfen nun auch nichts mehr. Gugay war aufgestanden, hatte seinen jungen Stiefbruder, die Ausrüstung und den Schlüssel zum Minishuttle gepackt und stand schon an der Tür.

„Fisca! Reg’ dich doch nicht so auf, kriegst auch noch'n schönen Großlurch zum Abendessen! Komm, Tüngör, komm, wir fliegen!“

Fisca sah noch ihre Schwanzfedern. Dann hörte sie ein Flügelrauschen, und weg waren sie. Nur noch die leere Flasche stand da, aus der Gugay eben noch munter Krøg getrunken hatte – das cisnairsche Nationalgetränk, das so schrecklich viele Alkohole enthielt. Gugay war halt nicht nur Händler, er war auch ein leidenschaftlicher Sammler und Jäger in den Wäldern jenseits der Grenze – auch jenseits der Grenze zum Erlaubten. Bei jeder Gelegenheit war er hinter Mineralien, Schätzen und Flugechsen her, und er liebte es, wenn die Leute ihm neue Funde und Schwärme meldeten. An der Küste von Cisnair gab es viele, die einen Mineraliensammler und Jäger wie ihn gerne mit Positionsmeldungen unterstützten, denn Flugechsen fraßen viele Obst- und Ravrokylplantagen kahl. Und das konnten die Siedler nun mal überhaupt nicht leiden. So waren sie Freunde der Erzsucher, deren Abbau- und Jagdmethoden die Echsen für immer vertreiben konnten.

Fernab, jenseits der Grenze des Bekannten, gab es eine Raumsonde der I.P.O. Erstmals drang sie in ein fremdes Planetensystem vor, an der Spitze eines ganzen Schwarmes von Raumsonden. Zwei Generationen lang war sie auf das Altakolsystem zugerast, mit fast unvorstellbarer Geschwindigkeit. Jahrzehntelang waren sie beschleunigt worden, chemisch, nuklear, mit Sonnensegeln und einem Xenon-Ionentriebwerk, am Ende auch mit Hilfe von Antimaterie. Nun aber, fast noch ein Lichtjahr vom Altakolsystem entfernt, hatten die Sonden eine Wolke aus einigen Hundert Milliarden Kometen-, Gesteins-, Staub und Eiskörpern erreicht. Zunächst gab es etwas interstellaren Staub und hin und wieder einige Eisbrocken und Kometenkerne, die in den kalten, dunklen Weiten des Weltalls vorbeizogen. Beim Abbremsvorgang der Sonden rasten sie noch immer mit einigen Promille der Lichtgeschwindigkeit vorüber. Dann aber lockerte sich ein Schräubchen an einer der Sonden und das Verhängnis nahm seinen Lauf. Ein Sendemodul löste sich. Es driftete mit der Schraube ab und gelangte auf einen der Kometenkerne. Und eines fernen Tages brachte es den Raumfahrern den sicheren Tod.

DER AUFBRUCH

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