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»Schwule Mädchen«

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Dem Palais Ludwig Viktors am Schwarzenbergplatz fehlte trotz luxuriöser Annehmlichkeiten ein Schwimmbad. Nora Fugger berichtet: »Und so machte es sich der Erzherzog zur Gewohnheit, zweimal wöchentlich in Gesellschaft eines Adjutanten in einer öffentlichen Badeanstalt zu erscheinen. Mir erschien die Sache eigentümlich, nicht unbedenklich.« Es war tatsächlich etwas schwer vereinbar mit der Etikette des strengsten Hofes in ganz Europa, wenn der Bruder des Kaisers »in einem öffentlichen Schwimmbassin mit n’importe qui baden durfte« (Nora Fugger). Jeder konnte es sehen, da der Hofwagen vor dem »Centralbad« in der Weihburggasse stand, wo sich die Herrensauna mit dem aufschlussreichen Namen »Kaiserbründl« noch heute befindet. »Homoerotische Aktionen als Staatsakt« – Helmut Neuhold in seinem Buch Das andere Habsburg. Für die Hofgesellschaft war es ganz und gar unvorstellbar, dass ein Erzherzog, noch dazu der Bruder des Kaisers, in eine gewöhnliche Badeanstalt ging. Auch verschwiegene Stellen an Seen oder Flüssen wären nie infrage gekommen. Der bemitleidenswerte Adjutant soll »in Furcht und Beben vor einer Entdeckung« sein Dasein gefristet haben. Was sich nun in diesem Bad abgespielt hat, ist so oft und in so vielen Variationen erzählt worden, dass es hier nur in Kurzform wiederholt werden soll. Gut möglich, dass Feinde Ludwig Viktors die heikle Angelegenheit vorbereitet hatten, um ihn gezielt in die Falle zu locken. Unbestreitbar war der Kaiser bereits in Rage wegen verschiedener Blamagen in Zusammenhang mit der toskanischen Verwandtschaft sowie mit dem Rückfallstäter Otto, der stark betrunken nackt im Sacher randaliert hatte. Seine Geduld war am Ende und die »Watsch’n«, die der badende Ludwig Viktor vor vielen Zeugen verabreicht bekam, als er eine »unvorsichtige Handbewegung« in Richtung eines ihn freundlich anlächelnden, sympathisch wirkenden jungen Mannes gemacht hat, brachte das Fass zum Überlaufen. Es wurde ihm befohlen, beim großen Bruder vorzusprechen. Genaue Zeitangaben zu dieser Unterredung, wie Datum oder Dauer, sind unbekannt, doch erfolgte im Anschluss die Verabschiedung Ludwig Viktors nach Kleßheim. Eine Intrige des Thronfolgers könnte ebenfalls Wirkung gezeigt haben. Franz Ferdinand verachtete den Onkel, der sich wiederholt dezidiert gegen die Hochzeit mit seinem »Sopherl« ausgesprochen hatte – obwohl ihn diese Frage in keiner Weise betraf und somit gar nichts anging. Aber er musste sich einmischen. Für Ludwig Viktor galt die Maxime: Wenn schon Frauen, dann nur »appartementfähige«. Und davon war die Hofdame Sophie Chotek weit entfernt. Der intolerante und rachsüchtige Franz Ferdinand dürfte die Gelegenheit beim Schopf gepackt haben und höchstwahrscheinlich mitverantwortlich für die Abschiebung des lästigen Schandmauls gewesen sein.

Franz Joseph hatte die brüderlichen Herrenbekanntschaften immer weniger gefürchtet als den Skandal und die damit verbundenen politischen Kalamitäten. Gerade in Deutschland hatte man viel damit zu tun, begann es dort ja schon mit den Nationalhelden, wie dem großen Preußenkönig Friedrich und dessen Bruder Prinz Heinrich. Viele Witze kursierten über die älteste preußische Garnison Rastenburg (Ostpreußen, heute Polen), die sowieso nur »Päd-rastenburg« genannt wurde. Es war jene Zeit, in der das Wort »homosexuell« gerade »erfunden« wurde. Der Begriff wurde vom österreichisch-ungarischen Schriftsteller Karl Maria Kertbeny (Geburtsname: Benkert) erstmals in einem Brief erwähnt (1868). Kertbeny argumentierte, dass die Sodomie-Gesetze die Menschenrechte verletzen würden. Privater und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr könne nicht Sache des Staates sein. Homosexualität sei keine Krankheit, sondern angeboren und unveränderlich. Schwule Männer seien keinesfalls »von Natur aus« weichlich, denn viele großartige (Kriegs-) Helden der Geschichte seien nachweislich homosexuell gewesen. Auch wies er darauf hin, dass Schwule aufgrund der herrschenden Gesetzeslage erpressbar seien und in den Selbstmord getrieben würden. Zur Untermauerung der Behauptung führte er Beispiele aus seinem Bekanntenkreis an. Dennoch kannte noch um 1900 kaum jemand außerhalb von Medizinerkreisen die Bedeutung des Begriffs »homosexuell«. Ein Tabu war die Veranlagung sowieso, egal wie man sie nannte. Die gebräuchlichsten Ausdrücke für Schwule waren »Päderasten« (das Wort geht auf Sitten im antiken Griechenland zurück), »Urninge« (abgleitet vom Gott Uranos, der ohne Mutter Vater der Aphrodite wurde) oder »Conträrsexuelle«. Der österreichische Volksmund sprach von den »Buseranten«, die Berliner meinten mit »Schwulität« eigentlich nur Schwierigkeit, bis das Wort im Fin de siècle – vielleicht in Zusammenhang mit der grassierenden Homophobie – einen Bedeutungswandel erlebte. Als Opposition entstanden erste Gruppierungen und Vereine höher gestellter Homosexueller. Einige Wissenschafter, Ärzte und Schriftsteller unterstützten deren Forderung nach Straffreiheit. Die große Mehrheit qualifizierte Schwule als »Verbrecher«, rief zur »Befreiung der Welt von diesen Scheusalen« auf und empfahl »deren Kastration oder Internierung in einem Narrenhause« (nach Helmut Neuhold). Als in dieser Stimmung der »Eulenburg-Skandal« das deutsche Kaiserreich erschütterte, war es auch mit Ludwig Viktors aufrecht zur Schau getragener Homosexualität vorbei, zumindest in der Residenzstadt Wien.

Philipp von Eulenburg kannte Wien gut und schätzte Österreich-Ungarn – im Gegensatz zu den meisten seiner preußischen Landsleute. In den Jahren um 1900 war er Botschafter des Deutschen Reiches in der Monarchie, ein Vertrauter Franz Josephs und Wilhelms II. Es überrascht kaum, dass er in seiner Position über eine ansehnliche Zahl an Gegnern verfügte, darunter Otto von Bismarck. Dessen Einfluss auf den Kaiser soll mit Eulenburgs Unterstützung abgestellt worden sein. Danach sei Wilhelm II. unter die Fuchtel des homoerotischen »Liebenberger Kreises« (benannt nach Eulenburgs Schloss in Brandenburg) geraten. Im Jahr 1906 begann der Journalist Maximilian Harden in der einflussreichen Zeitschrift Die Zukunft seine Artikelserie über das »verwerfliche« Milieu in der unmittelbaren Nähe des deutschen Kaisers. Unterstellungen wurden breit ausgewalzt. Hauptsächlich ging es um den angeblich durch und durch schwulen wilhelminischen Herrenklüngel, der den Staat führe, und man konnte durchaus herauslesen, dass der Kaiser und der Fürst Eulenburg einer homosexuellen Beziehung frönten. Die beiden nannten sich in Briefen »Liebchen« und »alte Philine« oder »Phili«. Es kam zu mehreren Prozessen und ständig neuen kompromittierenden Enthüllungen. Selbstmorde folgten auf dem Fuß. Philipp Eulenburg war erledigt, Wilhelm II. all seiner Freunde beraubt. Er soll nach dieser Affäre nie mehr der »Alte« gewesen sein.

Schon als Eulenburg sich in Wien angesagt hatte, eilte ihm sein Ruf voraus. Doppeldeutig konnte man Folgendes lesen: »In den Kreisen der Wiener Künstler und Schriftsteller wird er bald zu den beliebtesten und angesehensten Persönlichkeiten gehören.« Der Botschafter in spe war verärgert, beherrschte sich jedoch, als er Franz Joseph schrieb: »Das ist recht perfid, macht mir aber kein Kopfzerbrechen.« Er hätte es aufgrund der Luziwuzi-Probleme besser wissen sollen, doch wurde auch der Deutsche ein Leidtragender der moralisch nicht einwandfreien Wiener Privatschwimmbad-Szene: Ein Bademeister soll nach vollzogenem Akt 60 000 Reichsmark verlangt haben, damit er den Mund halte. Später habe Eulenburg gemeint, es sei »um eine Meinungsverschiedenheit mit einer vornehmen Dame« gegangen. Damen allerdings wurden in diesem Gesundheits-Etablissement nie gesehen, abgesehen vielleicht von »Damen in Kostüm«. Sehr wohl kannte man dort aber den Erzherzog Ludwig Viktor … Es scheint, als hätten die Bademeister, Masseure und anderes Personal ihre wohlhabende, leicht erpressbare Kundschaft nach Strich und Faden ausgebeutet.

Die Homosexualität einer Einzelperson, noch dazu aus der elitären Umgebung des Generalstabs, wurde schließlich im schlimmsten Zusammenhang von Spionage und Landesverrat der Öffentlichkeit vorgeführt. Der Fall Redl war gewissermaßen die Spitze des Eisbergs. Die Arbeiter-Zeitung witterte den Skandal und stellte die richtigen Fragen, wurde allerdings sogleich konfisziert. Niemand sonst wies auf die naheliegende Option hin, dass vielleicht viele Offiziere nur in die Armee eintraten, weil es dort so viele Männer zur Auswahl gab. Von den k. k. Offizieren hatte vermutlich ein Drittel einmal im Leben homosexuelle Erfahrungen gemacht, bei den Mannschaften rechnet man mit etwa zwanzig Prozent. Die männlichen Darsteller der weiblichen Rollen bei Fronttheatergruppen sollen sehr begehrt gewesen sein. Erpressung und Verrat wegen homosexueller Handlungen hatten in militärischen und vergleichbaren Kreisen eben nichts mit der »neuen Zeit« zu tun, sondern ganz im Gegenteil eine lange Tradition. Zu dieser gehörte eine Art »Scheintoleranz«, das heißt, Insider waren informiert, nur an die Öffentlichkeit durfte nichts dringen. Trieb es ein Kamerad zu bunt, wurde er zum Beispiel im Jahr 1890 ermahnt, »sich der Theilnahme an Liebesmahlen« und des »intimen Verkehrs mit jüngeren Offizieren« zu enthalten (nach Helmut Neuhold). Uneinsichtige wurden »aus gesundheitlichen Gründen« versetzt (etwa nach Czernowitz, nicht nach Salzburg!), pensioniert oder in eine »Ehe zum Schein« gezwungen.

So gesehen hatte es Luziwuzi noch ganz gut erwischt. Soldatenuniformen für ihn selbst, silberne Livreen für seine Dienerschaft und goldene Räder für die Equipage waren zwar gestrichen, doch wurde er trotz dieser Degradierungen mit größter Achtung und Höflichkeit behandelt. Niemand ließ sich anmerken, dass »etwas geschehen« war. Franz Joseph aber blieb unerbittlich. Rückkehrgesuche nach Wien wurden abschlägig beschieden.

Daraufhin sei der ohnehin schon schrullige ältere Mann immer wunderlicher geworden. Angrenzend an das Schloss Kleßheim befand sich die Landesheilanstalt für Geisteskranke, deren ärztlicher Leiter Ludwig Viktor wohl gesinnt war und ihn in diesem Sinn behandelte. Der ehemalige Erzherzog Leopold Wölfling schrieb in seinen Memoiren: »Ich war damals in Salzburg und sah Ludwig Viktor oft. Wenn ich ihm begegnete, lächelte er sonderbar, und seine Blicke begannen umherzuirren. Er machte auf mich den Eindruck eines Menschen, der dem Irrsinn nahe ist.« Nach und nach war der Kranke ein entmündigter Gefangener geworden, über den 1915 die Kuratel verhängt wurde. Er war dem Kaiser, der unbotmäßige Leute gern der Psychiatrie überantwortete, zu lange auf die Nerven gegangen. Auch nach Franz Josephs Tod änderte sich für den Exilierten nichts. Es war Krieg und ganz andere Dinge hatten Ende 1916 Priorität. Der Journalist Max Reversi bedauerte, dass Ludwig Viktor »nicht die Kraft Ludwigs II.« aufwenden konnte, der »seinen Peiniger Dr. Gudden wirklich erdrosselt hat«. »Nur einmal, als einer der diebischen Verwalter mit einer gestohlenen Fuhre Holz an ihm vorbeikam, ohne zu grüßen, erhob er seinen Regenschirm gegen ihn; mehr brachte er nicht fertig« (Max Reversi).

Der 76-jährige Ludwig Viktor Habsburg-Lothringen war schon lange kränklich und erlag schließlich in der Zeit der Spanischen Grippe einer Lungenentzündung. Nichte Marie Valerie, Elisabeths Lieblingstochter und unermüdlich in familiären Belangen, stand als einzige Habsburgerin am Sterbebett ihres Onkels. Als jüngster Sohn von Erzherzogin Sophie hatte er die Monarchie überlebt, um ein paar Monate. Die Tragödie eines Außenseiters aus den allerbesten Kreisen war am 18. Jänner 1919 vorüber. In der Ersten Republik hätte es ohnehin keinen Platz mehr gegeben für die künstliche, parasitäre Spezies, der der Party-Erzherzog angehört hatte.

»Ergriffen«, wie er selbst schrieb, betrat Edmund Glaise-Horstenau 1943 noch einmal die »altbekannten Räume« im Schloss Kleßheim. Er war in Begleitung des kroatischen Faschistenführers Ante Pavelić, den er in Kleßheim, nun Hitlers Gästehaus, unterzubringen hatte. Dem »armen Fürstensohn« (Edmund Glaise-Horstenau) hatte der höchstwahrscheinlich homosexuelle Militär bis zu seinem unrühmlichen Ende im Lager Nürnberg-Langwasser die Treue gehalten. Seine Zusammenkünfte mit Ludwig Viktor waren für ihn »immer eine schöne Sache« gewesen.

Der Aufsteiger-Baron Franz von Wertheim, um 1875

Für den in Krems geborenen und von Franz Joseph für besondere wirtschaftliche Verdienste geadelten Tresor- und Kassenfabrikanten Baron Franz von Wertheim war es Anfang der »goldenen« 1860er-Jahre von Bedeutung, genau gegenüber von Ludwig Viktor zu wohnen. 1879 stand er vor seinem Ferstel-Palais am Schwarzenbergplatz, um den Makart-Festzug zu Ehren des Kaiserpaars aufzuhalten. Er wollte Fotos machen. Sehr junge Schauspielerinnen debütierten im privaten Wertheim-Palasttheater, wobei das Bühnentalent wohl nicht ausschlaggebend war. Im Zweifelsfall konnte der Hausherr die Elevinnen gleich zum Nachbarn Luziwuzi hinüberschicken, wurde doch diesem eine Schwäche für Balletteusen nachgesagt – in seinen Jugendjahren. Wertheim sammelte Orden für seinen Frack wie andere Tabaksdosen, verfasste ständig Eingaben für diese oder jene Auszeichnung, von der er meinte, sie verdient zu haben und trug das viele Blech bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, was eine Menge Spott, Hohn und Arbeit für die Karikaturisten der Stadt bedeutete.

Das Palais Wertheim am Schwarzenbergplatz, Ende 1860er-Jahre

Die Platzierung des Wertheim-Palastes just gegenüber von Ludwig Viktor verzieh der darob höchst erzürnte Erzherzog dem Parvenu-Baron übrigens nie.

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