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»Kennen Sie Mansfeld? Fräulein Antonie Mansfeld?«

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Frauen waren bis in die 1860er-Jahre vom »Brettl« ausgeschlossen. Offiziell durften sie erst ab 1871 in Volkssängergesellschaften auftreten. Man sagte ihnen vieles nach, beileibe nicht nur musikalische Künste. Der Ort ihres Wirkens, das »Brettl« oder die »Pawlatschenbühne«, wurde ursprünglich unter freiem Himmel oder eben in den Vorstadt-Wirtshäusern errichtet, aus Holzresten oder Fässern. Das Podium war leicht auf- und abzubauen und gut transportierbar. Die »Pawlatsche« leitet sich vermutlich vom tschechischen Wort »pavlač« (= offener Gang) ab. Da die Vorschrift des Frauenverbotes nicht übermäßig rigoros befolgt wurde, waren etliche Sängerinnen schon früher erfolgreich und populär. Das Hineinschmuggeln von Frauen gehörte überhaupt zu den beliebtesten Vortragsnummern. Stimmungsmacherinnen wie Antonie Mansfeld stiegen in dieser früheren Männerdomäne zu richtigen Primadonnen auf. Volkssänger und Volkssängerinnen waren vielseitig begabte Unterhaltungsprofis. Singen zu können allein reichte bei Weitem nicht aus. Sie waren Schauspieler, Gesangskomiker und Kabarettisten in einer Person, oft noch mit einer zusätzlichen »Spezialität«, wie Pfeifen oder Jodeln. Sie lasen auch Zeitungen, um mit den Ereignissen in Wien und der Welt vertraut zu sein, denn viele Liedinhalte waren tagesaktuell und wurden ständig angepasst. Die Konkurrenz war enorm. Man kämpfte ohne Unterlass um die Gunst des Publikums, das in Wien aus einem sehr reichhaltigen Angebot wählen konnte. Veranstalter schalteten teure Zeitungsinserate mit Superlativen wie »sensationelles, kolossales Programm«. Das für Werbung ausgegebene Geld musste allnächtlich wieder erwirtschaftet werden. Theodor Herzl, damals als Journalist tätig, stellte die korrekte Frage: »Das Erlangen der allgemeinen Gunst ist immer etwas Zufälliges, Unberechenbares. Wie lange findet das Publikum Gefallen an der Maske, die es hervorgerufen hat?«

Der Pechfabrikant Haberlandter war in Wien als Talentsucher unterwegs. Er verstand sich als Volkssänger-Mäzen und gab in seinem großen Haus in der Matzleinsdorferstraße Soireen, in deren Rahmen er junge Künstlerinnen präsentierte. Viele spätere Berühmtheiten gaben dort ihr Debüt. Nach dem Vortrag ging Haberlandter mit einem Küchensieb herum und sammelte die Spenden ein. Seine Abende erhielten viel Zuspruch und auch der Stern der Antonie Mansfeld ging dort auf. Sie wurde die erste bedeutende Wiener Volkssängerin. »Lokalsängerin«, wie sie sich selbst nannte, denn das klang viel nobler. Auf der Straße zu singen war verboten. Als Volkssänger musste man registriert sein, also eine Lizenz besitzen, die dazu berechtigte, diesen Beruf als Haupterwerb auszuüben. Aus diesem Grund war der in der ganzen Monarchie bekannte Josef Bratfisch kein Volkssänger, denn er war als Fiaker zugelassen. Da er aber so ausgezeichnet sang und pfiff, nannten er und seinesgleichen sich »Natursänger«.

Als junge Künstlerin konnte man der Charakteristik des eigenen Auftritts nicht genug Aufmerksamkeit widmen. Es war wichtig, sich von den anderen abzuheben, etwas Eigenes darzustellen, unverwechselbar zu sein. Ein Markenzeichen bzw. ein »Alleinstellungsmerkmal« zu haben war das Um und Auf. Antonie Mansfeld gab die Melancholische. Mit ihrem züchtigen Äußeren, aber frivolem Repertoire begeisterte sie sogar die vornehme Gesellschaft. Aristokraten und Geldmagnaten kamen zu ihren Aufführungen. Zum Cancan sang sie Zoten in eindeutig-zweideutiger Textierung, auf dem Klavier begleitet von ihrem Freund Ferdinand Mansfeld, der ihr die Lieder auf den Leib schrieb. Das Wort Zote war damals im alltäglichen Sprachgebrauch, auch Sigmund Freud beschäftigte sich im Rahmen seiner Forschungen über Witze damit. Der Kontrast zwischen dem seriös-schüchternen Auftreten der Mansfeld, stets in einem schwarzen, hochgeschlossenen Seidenkleid, und ihrem Vortrag derber obszöner Späße und Pikanterien, die durchaus gegen den »guten Geschmack« verstießen, war reizvoll und machte sie berühmt. Sie trug nie Schmuck und wirkte wie die personifizierte strengste Sittsamkeit, eine »pikante Erscheinung«, meinten die Bewunderer. Zu ihrem raffinierten Programm gehörten zum Beispiel eine gesungene Bearbeitung von Verhaltensregeln, wie sie in den Empfangssalons der Wiener Puffs aushingen, oder die Preislisten der Angebote von Straßenhuren. Ihre Gebärdensprache, laszive Mimik und Ausdruckskraft taten das Übrige. Antonie Mansfeld stieg kometenhaft auf. In kurzer Zeit war sie eine Garantin für volle Säle. Die Zuhörer jubelten. Natürlich sang sie auch die von Kronprinzessin Stephanie so despektierlich erwähnten »sentimental-ordinären Schlager«, also impertinente Gassenhauer, die jeder Straßenbub mitsingen konnte. Auch andere Volkssänger und -sängerinnen setzten die Zote gegen die Hochkultur, entlarvten in der erotischen Rede die gängige bürgerliche Doppelmoral. Ihre Sprache unterschied sich deutlich von der der Wiener Gesellschaft. Viele Lieder und Couplets identifizierten den angeblich so großen Unterschied zwischen »reiner Liebe« und »schmutzigem Sex« als Heuchelei und führten die Männer als Nutznießer und die Frauen als Opfer der bourgeoisen Scheinwelt vor.

Stadtbekannt war, dass der Liederdichter und Komponist Ferdinand Mansfeld der Geliebte der Mansfeld war, doch sie gab ihn als Bruder aus. In Wirklichkeit hieß sie Antonie Montag, hatte keinen musikalischen Bruder und war auch nicht verheiratet. Ihre Mutter war tatsächlich ein Wäschermädel gewesen und auch sie selbst entsprach dem Klischee, hatte sie doch den Beruf der Näherin erlernt und in einer Seidenfabrik am Schottenfeld gearbeitet. Wie so viele Mädchen der Unterklasse träumte sie von einer Bühnenkarriere. Sie sang passabel und wurde als Choristin an diversen Wiener Theatern engagiert, zum Beispiel am Meidlinger Theater, am Theater in der Josefstadt und im Neulerchenfelder Theater (Thalia Theater). 1868 gab sie ihre Premiere als Solistin. Friedrich Schlögl, ein bekannter Feuilletonist, sah ihre Auftritte und schrieb überzeugt: »Sie hat Talent!« Er betonte auch, dass ihr Publikum nicht nur aus den »ordinären, bierduseligen« Vorstadtproleten bestehe: »Die Anhänger der Künstlerin kommen selten zu Fuß, eine ganze Wagenburg von Fiakern hält vor jenen Etablissements, und aus den Fiakern springen alte und junge Herren in tadelloser Toilette, mit den allerweißesten Manschetten.« Es umwehte sie nicht nur der Rauch aus den »trivialen Tabakspfeifen«, sondern Wohlgeruch aus »kostbaren Milares, Londres, Regalias«, also wertvollen Zigarren. Und das war noch nicht alles: Beim Applaudieren gab es zerrissene Glacéhandschuhe und »Freudentränen perlten in edle Weine«. Als in Salzburg einmal Kaiser Napoleon III. von Frankreich einer ihrer Soireen beiwohnte, nutzte sie dieses einmalige Ereignis zum Vorteil ihrer Popularität weidlich aus. Ihre Persönlichkeit war so interessant, dass sogar die »wilde« Josefine Gallmeyer sich herabließ, die Mansfeld in einer Posse zu parodieren.

Die jahrelangen Strapazen gingen nicht wirkungslos an der jungen Frau vorüber. Fünf Jahre nur währte ihr Ruhm, sie verausgabte sich zu sehr. Ihr Mezzosopran bekam bald ein raues Timbre. Die bildhübschen »Brettl«-Damen wurden von ihren männlichen Verehrern bis zum Überdruss angehimmelt, mit Wagen und Brillanten überhäuft, doch Glanz und Gloria entpuppten sich als flüchtig. Die unvermeidlichen Einbußen an Kraft, Stimme und apartem Äußeren verursachten den vormals gefeierten, nun alternden Stars unüberwindliche Schwierigkeiten. Der Fall kam unverhofft, war tief und unsanft. Zuerst wurde man aus den besseren Spielstätten komplimentiert, musste auf einfachere Lokale ausweichen und irgendwann hatte man leere Sitzreihen vor sich. Man war vergessen. Es gab keinerlei soziale Absicherung für die Schaustellerinnen, denn als nichts anderes wurden sie gesehen. Ihr Lebensabend war düster und elend. Der letzte Akt begann bei Antonie Mansfeld mit dem Tod ihres Liebhabers. Als 1869 ihr ständiger Klavier- und Lebensbegleiter Ferdinand Mansfeld nach langer Krankheit starb, musste sie mit übler Nachrede fertig werden. In der Todesanzeige hatte sie zwar, wie eine anständige trauernde Witwe, den »unersetzlichen Verlust« beklagt, aber eben nicht nur das. Da sie sich die Ausgaben für eine zweite Anzeige sparen wollte, teilte sie innerhalb der Parte gleich mit, dass sie in drei Tagen wieder aufzutreten gedenke und zwar mit »ganz neuen Liedern«, offenbar aus dem Nachlass des Verstorbenen. Für die damalige Zeit galt das als skandalös, da die Trauerzeit für Witwen sehr ernst genommen wurde und mindestens zwei Jahre umfasste, in denen man praktisch nicht aus dem Haus ging. Im ersten Jahr der »tiefen Trauer« war nur schwarz zu tragen, dann ging man ein halbes Jahr in »Halbtrauer« (schwarz, grau und weiß) und anschließend sechs Monate in »Austrauer« mit den erlaubten Kleiderfarben schwarz, grau, weiß und mauve. Und diese Sängerin, zwar keine richtige Witwe, da sie nie verheiratet war – aber in so einem Fall hätte es der Anstand erst recht verlangt, den Schein zu wahren – trat drei Tage nach dem Ableben des Gefährten wieder vor Publikum und sang zotige Lieder. Die pietätlose Reklame wurde als Geschmacklosigkeit schwer gerügt, doch die geschäftstüchtige Antonie Mansfeld war um Widerworte nicht verlegen: »Das macht ihn a nimmer lebendig, und so geht’s eben in an Aufwaschn«, soll sie gesagt haben. Außerdem war sie gezwungen, weiterhin ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ein neuer »Bruder« musste her. Er fand sich in Gestalt des jungen gesellschaftskritischen Johann Sioly. Der Violinspieler und Pianist war fünf Jahre jünger als die Mansfeld, schuf über tausend (Heurigen-)Lieder (darunter Des hat ka Goethe gschriebn) und führte den signifikanten Beinamen »Strauß des Brettls«. Er trat die Nachfolge des Ferdinand Mansfeld an und begleitete Antonie am Klavier und ins Bett. Die Nummern, die er für sie schrieb, waren etwas gemäßigter im Ausdruck, doch beinahe ebenso erfolgreich wie ihr Standardrepertoire. Sie schaffte es, auch damit gut anzukommen und punktete weiterhin bei Kritik und Publikum. Die Volkssängerin plante »ehrbar« zu werden und wollte Sioly heiraten. Doch sie erkrankte, veränderte sich stark im Wesen und begann das Geld zum Fenster hinauszuwerfen, obwohl sie früher die Sparsamkeit in Person gewesen war. Sogar ein eigenes Haus hatte sie sich kaufen können. Ihr Geist verwirrte sich. Am 1. Mai 1873, als in Wien die große Weltausstellung mit der Rotunde im Zentrum eröffnet wurde, musste sie in die »Privatirrenanstalt« in Lainz eingeliefert werden. Sie lebte dort noch zwei Jahre und starb mit 39 Jahren in geistiger Umnachtung. Das Illustrirte Wiener Extrablatt hatte noch geschrieben: »Selbst im gegenwärtigen Zustande des Irrsinns singt und jodelt sie wilde Wahnsinnslieder. Reminiszenzen an entschwundene Tage, die hin und wieder aus der Nacht des Geistes wie ein Wetterleuchten hervorbrechen.«

Wie seine Musik war auch Johann Sioly selbst nur vordergründig »lustig«. Während seine Verleger mit seinen Kompositionen ein Vermögen verdienten, bekam er selbst für ein Stück nur 2 bis 4 Gulden. Von Natur aus ein verschlossener Mann, vergrämten ihn die diversen Enttäuschungen immer mehr, bis er 1911 in bitterer Armut starb.

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