Читать книгу Elisabeth Petznek - Michaela Lindinger - Страница 17
Séancen
ОглавлениеErzsis Boudoir ist versiegelt, die Türen sind von innen versperrt. Im Raum herrscht Dämmerlicht, gelüftet wird hier selten. Die Tüllvorhänge bleiben geschlossen. Die Lampen werden mit roten Stoffen verhängt, da die Wellenlängen des weißen Lichts übersinnliche Phänomene verhindern können. Das behaupten zumindest zahlreiche Okkultisten, auch Schrenck-Notzing bevorzugt diese Art der Beleuchtung in Anwesenheit einiger seiner Medien. Abgesehen vom roten kann auch violettes Licht bei manchen Sitzungen förderlich sein. Die weit verbreitete Ansicht, dass parapsychologische Sitzungen nur bei Nacht durchgeführt wurden, ist unrichtig. Im Gegenteil, die meisten fanden (und finden) ganz normal tagsüber statt.
Schrenck-Notzing verlangt an Technik alles, was zu seiner Zeit möglich ist: Bis zu neun Kameras, eine auch an der Decke, kommen gleichzeitig zum Einsatz. Die Medien werden verdrahtet. Sie sollen Hände und Füße nicht ohne sichtbare Impulse bewegen können. Manchmal müssen sie in Käfigen sitzen, die nicht größer sind als ein Kubikmeter. Sie tragen ein speziell gefertigtes schwarzes Sitzungstrikot mit am Rücken vernähten, am Ende plombierten Schnüren. Tüllschleier verdecken Kopf und Hände. Jede Körperöffnung wird überprüft, Achselhöhlen und Frisuren werden auf versteckte Gegenstände inspiziert. Ein Federmesser wird herangezogen, um zwischen Finger- und Zehennägeln und Fleisch verborgene Fäden etc. ausschließen zu können. Mit minutengenauen Zeitangaben werden alle Geschehnisse einer Stenotypistin diktiert, die bei Rotlicht schreiben muss, auch wenn draußen helllichter Tag herrscht. Schrenck-Notzing besitzt außerdem einen elektrischen Parlographen, in den er wie in ein Diktiergerät direkt hineinsprechen kann. Doch Illusion und Täuschung werden immer zu den Vorwürfen gehören, die bei derartigen Séancen unausweichlich sind. Katzendärme, Fischblasen, eine Plazenta samt Nabelschnur, tierisches Gekröse, sogar ein im Mastdarm verborgener Pfropfen: Das alles kann – feuchtgehalten mithilfe eines Stärkekleisters – ein Ektoplasma echt aussehen lassen. Oder es kann aus Gänsefett, Gaze, Putzwolle und Watte fabriziert werden. Die materialisierten Hände können in Wirklichkeit aufgeblasene Gummihandschuhe sein, Phantome wurden als Teile übermalter Gips- und Gliederpuppen erkannt. Okkulte Erscheinung? Oder Textil, Tüll und Pappkarton?
Schrenck-Notzing sprach Erzsi in seinen ungefähr 50 Briefen mit „Liebe und verehrte Freundin“ oder „Chère amie“ an. Die Briefe stammen aus den Jahren 1921 bis 1928, doch ist aus den ersten Briefen ersichtlich, dass sich die beiden schon mehrere Jahre kannten.
Erzsi legte Wert darauf, anerkannte Medien bei sich zu Gast zu haben, aber sie entwickelte auch den Ehrgeiz, selbst welche zu entdecken – eine Herausforderung, die ihr letztlich zum Verhängnis wurde. Die Wirkmächtigkeit eines Mediums trug dazu bei, dass sich Erzsi Ende der 1920er-Jahre zum Verkauf des von ihr so geliebten Anwesens im niederösterreichischen Schönau entschließen musste.
Noch war es aber nicht so weit. In den Jahren 1922 und 1923 fanden parapsychologische Sitzungen in großer Anzahl im Schloss Schönau statt. Solange Schrenck-Notzing Zeit für einen Urlaub bei Erzsi erübrigen konnte, wurden fast jeden Tag solche Versuche gemacht. Die Schlossherrin hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden, fix an die Existenz der Geisterwelt zu glauben. Sie wollte diese neue Energie spüren und mithilfe von Schrenck-Notzing und der Medien weiterentwickeln. Euphorie breitete sich in ihr aus, wenn sie den Eindruck hatte, ihr toter Freund sei anwesend und beantworte Fragen, die sie ihm im Leben nicht mehr zu stellen imstande gewesen war.
Die wichtigsten Medien, die Erzsi nach Schönau kommen ließ, waren die Teenager-Brüder Schneider, der gelegentlich als Betrüger entlarvte „Magier“ Karl Krauss (auch: Krauß) und die junge burgenländische Dienstmagd Wilma (auch: Vilma) Molnar.