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Die Fähre fuhr im strömenden Regen an der Mole entlang. Das Meer dahinter in Aufruhr. Die Besatzung mit hochgezogenen Schultern in neongelben Regenjacken an Deck, während sie die Trossen hinunterwarfen und die Gangway an den Kai legten.

Von Sweetlands Platz am eigenen Küchentisch aus war alles unscharf zu erkennen, Ränder und Farben durch den treibenden Regen verschleiert. Zwei Passagiere gingen von Bord, Männer in Jeansjacken und Baseballkappen, die Seesäcke dabeihatten. Sie blieben auf halbem Weg die Stufen hinunter stehen und reckten die Hälse zu den Deckarbeitern, die sich oben über das Geländer beugten. Das Wetter schien sie nicht zu stören, ihre Gesten wirkten ausladend und entspannt. Schließlich schob der hintere Mann den anderen vorwärts und sie gingen auf den Kai hinunter.

Sweetland blickte zum Kalender, der mit Reißzwecken neben dem Telefon an der Wand hing, und überlegte, seit wann die Priddle-Brüder aus Alberta zurückgekehrt waren. Irgendwann vor Weihnachten. Die zwei Männer hoben ihre Seesäcke auf und gingen zum Haus ihres Vaters, drüben auf der Church Side. Mit gesenkten Köpfen wegen des Aufstiegs und des niederprasselnden Regens.

Die Schotten dichtmachen, dachte Sweetland.

Er öffnete das Laptop, um ein wenig zu pokern, und hoffte, dass der Regen nachlassen würde, bevor er zum Schuppen hinausging. Als er drei Runden gespielt hatte, hörte er die Tür, blickte auf und sah Reet Verge durch den Anbau kommen. Sie steckte in einem engen pinkfarbenen Bench-Pulli, hatte die Ärmel gegen die Kälte über die Hände gezogen, die Kapuze auf dem Kopf. Wo er nassgeworden war, hatte sich der pinkfarbene Stoff blutrot verfärbt, auf Kopf, Schultern und ihren großen Brüsten. Sie wirkte wie eine Parodie von Gevatter Tod, der seine Runde machte.

Sie lehnte sich an den Türrahmen. » Du guckst aber nicht gerade Pornos, oder Moses? «

» Mädchen mit Mädchen «, sagte er. » Wie geht es Euer Gnaden heute Morgen? «

» Wann lässt du mich endlich mal deinen Kopf machen? «

Seit seinem letzten Haarschnitt vor acht Monaten hatte er nicht mehr mit Reet gesprochen. Sie hatte damals die Gelegenheit genutzt, um Werbung für das Paket zu machen und ihn beschimpft, weil er so gottverdammt starrköpfig war. Das war eine unlautere Methode, fand er, ihn unter dem silbernen Umhang anzugehen, die Haare zur Hälfte geschnitten. Dabei mit der Schere vor seinem Gesicht herumzufuchteln. Er schwor sich, nie wieder zu ihr zu gehen, und war mittlerweile in einem fürchterlichen Zustand. Er spielte sogar schon mit dem Gedanken, Duke an sein Haar heranzulassen, nur um dieser Frau aus dem Weg zu gehen.

» Ich lass sie wachsen «, sagte er. » Zöpfe wie Willie Nelson, habe ich mir gedacht. «

Sie betrachteten einander etwas betreten. Sweetland versuchte, ihr Alter zu schätzen. Fünfzig? Wahrscheinlich eher fünfundfünfzig. Alt genug, um mit den Reportern und Fotografen abzuhängen, die wegen der Bootsleute aus Sri Lanka auf der Insel aufgetaucht waren. Trank mit dem letzten Nachzügler der Saturday Night Pfirsichschnaps in der Fisherman’s Hall, der herausgefahren kam, um in jenem Oktober einen Bericht über die Wirkung auf die Menschen in der Gemeinde zu schreiben und wie sie damit umgegangen waren. Er war wegen eines frühen Unwetters aus Schnee und Wind, das die Fähre drei Tage in Hermitage festhielt, hier gestrandet. In der ersten Sturmnacht fiel der Strom aus und sie mussten auf Kerosinlampen zurückgreifen, auf verrauschte Arien aus batteriebetriebenen Radios. Der Reporter trank den ganzen Tag, um mit der Langeweile klarzukommen und mit der schwelenden Klaustrophobie.

Mein Gott, sagte er, das kann doch so nicht weitergehen, oder?

Hier draußen, sagte Reet, ist ein Schneesturm so wie eine Haut bekommen. Man weiß nie, wie viele Zentimeter es werden. Oder wie lange es dauert.

Sie war ein schwieriger Fall, Rita. Hatte alleine zwei Jungs aufgezogen, nachdem ihr Mann für Arbeit nach Westen gezogen und sich mit einer Frau aus Catalina eingelassen hatte. Beide Kinder hatten die Schule beendet und waren schon lange auf dem kanadischen Festland. Ihr halbes Einkommen verdiente sie mit Haareschneiden in ihrer Küche. Gründete das Museum mit einem Beschäftigungszuschuss von der Regierung. Sie war seit drei Jahren Bürgermeisterin der Gemeinde, eine Position, die sie nicht wollte und nur durch Zuruf innehatte, seit Glad Vatcher nicht mehr die Verantwortung übernehmen wollte. Alle Verhandlungen über die Umsiedlung der Gemeinde liefen über sie. Sie hatte es geschafft, Sweetlands Widerspenstigkeit als Druckmittel einzusetzen, damit die Regierung ihr Angebot verdoppelte, und das zusätzliche Geld reichte, damit von den letzten Ausharrenden die meisten nachgaben – eine Ironie, die Sweetland bewusst war, obwohl Reet klug genug war, es in seiner Gegenwart nicht anzusprechen.

» Du weißt, dass ich lieber bleiben würde «, sagte sie schließlich. » Wenn es nach mir ginge. «

» Der Wille der Masse «, sagte er.

» Ach, leck mich doch. «

»Vorsicht, Reet «, sagte er. » Ich bin schon ganz heiß, nachdem ich den Porno hier gesehen habe. «

» Da braucht es wohl etwas mehr als nur ein bisschen Porno «, sagte sie, » um einen alten Arsch wie dich heiß zu machen. «

Da hätte er sie fast gefragt, ob sie sich nicht setzen wolle. Er hatte nie mehr Zeit mit ihr allein verbracht als die Dauer eines Haarschnitts, doch er hatte das Widerborstige an ihr immer genossen – ihr wortreiches vulgäres Mundwerk, ihre Entschlossenheit, ihr kluges Köpfchen. Sie kam rüber zum Tisch und setzte sich, bevor er es angeboten hatte, ließ aber die durchnässte Kapuze auf.

» Man hat mich gewählt, um mit dir zu reden «, sagte sie.

» Wen hast du für diesen Job ausgestochen? «

» Durch Zuruf «, sagte sie mit reumütigem Lächeln.

» Gelebte Demokratie. « Sweetland spreizte die Hände auf der Tischplatte.

» Du weißt, dass Loveless nachgeben wird «, sagte sie. » Früher oder später. «

Er zuckte mit den Schultern und sah weg. » Da ist noch immer Queenie «, sagte er.

» Sie hat sich nie in der Hall blicken lassen, um zu sagen, dass sie dagegen ist. Und Hayward hat die Papiere unterzeichnet. Also liegt jetzt alles bei dir, Moses. «

Er spreizte die Hände erneut, um zu sagen: So sei es denn.

» Die Frage, auf die ich eine Antwort bekommen soll, lautet: Was braucht es, um dich an Bord zu holen? «

» Ihr habt nichts, was mich interessiert. «

» Nein «, sagte sie und schob einen Finger aus dem Ärmel ihres Hoodies, mit dem sie auf ihn zeigte. » Nein, verdammte Scheiße. Das kannst du wegen deiner christlichen Gefühle nicht durchziehen, Moses. Jetzt sagst du deinen Preis und ich werde sehen, was ich tun kann, damit er bezahlt wird. «

» Nicht zu verkaufen «, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf. » Oh, Gott «, sagte sie. » Du glaubst, du tust hier Gottes Werk, ist es das? «

Sweetland lächelte leicht, und dachte, sie machte nur einen Scherz.

» Ich kann mir nicht vorstellen, was dir sonst durch den Kopf geht «, sagte sie. » Der ganzen gottverdammten Gemeinde so viel Kummer zu bereiten und dabei noch schlafen zu können. «

Sie würde nicht gehen, ohne Krach zu schlagen, das erkannte er jetzt und stand auf, ging an ihr vorbei und nahm seine Jacke von einem Nagel im Anbau.

» Du denkst wohl, das geht schon vorbei, wenn du es nur lange genug ignorierst «, sagte sie. » Doch das wird es nicht. «

» Ist das eine Drohung? «

» Das ist eine schlichte Tatsache. Für die Leute steht zu viel auf dem Spiel, um es sausen zu lassen. «

» Also, das klingt jetzt aber nach einer Drohung. «

Sie schüttelte erneut den Kopf, drehte sich aber nicht zu ihm um. Ihr Gesicht war von der Kapuze verdeckt. » Irgendjemand wird am Ende verletzt werden «, sagte sie. » Und du kannst niemandem die Schuld geben, als Gott und dir selbst. Merk dir meine Worte. «

Er ging zur Tür hinaus und schlug sie hinter sich zu, versteckte sich draußen im Schuppen, bis er sicher war, dass Reet gegangen war. Er machte ein Feuer an und öffnete die Türen, die Luft roch nach feuchtem Heu und Holzfeuer. Er verbrachte den Großteil des Tages damit, im Schuppen zu arbeiten, ersetzte den Boden des Anhängers, den er vor zwanzig Jahren für das Quad gebaut hatte. Währenddessen ging ihm die ganze Zeit Reets Anklage durch den Kopf. Gottes Werk hatte sie gesagt und versucht, ihn zum Reden zu bringen. Jeder außer Duke war hinter Sweetland her, damit er sich erklärte, eine Begründung lieferte, warum er sich weigerte zu gehen. Er hatte eine Weile versucht, sich ein Argument zurechtzulegen, doch jeder Versuch, zu benennen, woran er sich festhielt, klang belanglos, fast lächerlich.

Ruthie hatte immer gesagt, dass jede Frau, die verrückt genug war, um Sweetland zu heiraten, ihn schließlich erschießen würde. Damit meinte sie seine Verschlossenheit, seine starrköpfige Zurückhaltung. Er musste zugeben, dass er oft gar nicht wusste, warum er bestimmte Dinge empfand. Je stärker das Gefühl, desto weniger war er in der Lage, es auf verständliche Kategorien herunterzubrechen, auf Ursache und Wirkung. Doch war er es nicht gewohnt, für diesen Mangel angegangen zu werden, das führte nur dazu, dass er immer verschwiegener und starrköpfiger wurde. Seine Haltung wurde immer fester, während von den anderen Verweigerern immer mehr nachgaben, als wollte er diesen Verlust durch blinde Entschlossenheit kompensieren.

Er merkte, dass er es fast ein wenig genoss, der verbliebene Knoten zu sein, den sie nicht aufbekamen. Auszuharren wie der grimmige Tod, halbwegs gestärkt von der Anstrengung. Völlig verdreht, pflegte Ruthie über ihn zu sagen, und Sweetland konnte ihr Urteil nicht widerlegen. Oder seine Gewohnheiten ändern.

Am Nachmittag beendete er seine Arbeit, wusch sich an der Küchenspüle und ging zu Dukes Laden. Es goss in Strömen. Wince Pilgrim saß neben dem Schachbrett, Duke ihm gegenüber auf dem Frisierstuhl, ein Insektenbein über die Armlehne gehängt.

» Sieh mal an, was der Wind hereingeblasen hat «, sagte Duke.

Pilgrim hob sein Gesicht zur Decke und horchte. Die blinden Augen mattgrün, trüb wie ein Nebel. » Das ist Moses, oder? «

» Höchstpersönlich. «

» Ist Jesse nicht bei euch? «, fragte Sweetland.

» Clara hat ihm gesagt, dass er zu Hause seine Schularbeiten machen soll «, sagte Pilgrim.

Jesse pflegte jeden Tag nach der Schule eine Stunde im Friseurladen zu verbringen, doch Clara schien bemüht, ihn von seinen Inselgewohnheiten abzubringen. Oder wollte sie damit vielleicht Sweetland bestrafen? Er war runtergekommen, weil er mit dem Jungen gerechnet hatte, und jetzt tat es ihm fast leid, dass er gekommen war. Er mühte sich aus seiner feuchten Jacke, schüttelte sie zweimal aus, bevor er sie an den Garderobenständer hängte. Er ging rüber und stellte sich in die Wärme des Ofens, Pilgrims Kopf drehte sich, um seinen Schritten zu folgen. Auf dem Boden neben der Holzkiste stand ein Kessel und Sweetland füllte ihn am Waschbecken in der Ecke.

Eine Gestalt huschte am Fenster vorbei, dann wurde die Tür aufgedrückt, das Wetter drängte am Reverend vorbei in den Laden. Er drehte sich schnell um und schlug die Tür zu, lehnte sich dann dagegen, als wollte er ein tollwütiges Tier draußen halten. » Erbarmen «, sagte er.

» Sind Sie das, Reverend? «, fragte Pilgrim.

» Das ist vielleicht ein Wetter da draußen «, sagte der Reverend.

Duke kletterte abschnittsweise vom Stuhl und wischte mit einem Lappen über das abgewetzte Leder. » Setzen Sie sich «, sagte er. » Moses hat gerade den Kessel auf den Herd gestellt. «

» Ich setze mich ans Brett. «

» Nicht nötig «, sagte Duke. » Für Sie den Ehrenplatz. «

» Die Ersten werden die Letzten sein «, sagte der Reverend. » Die Letzten werden die Ersten sein. Ihr wisst doch, wie das geht. « Und er setzte sich auf den Holzstuhl ans Schachbrett, Pilgrim gegenüber.

» Ich dachte, Sie hätten sich aus dem Geschäft zurückgezogen, sagte Sweetland.

Der Reverend lachte. » Ein Mann Gottes «, sagte er, » ob mit oder ohne Amt. «

Er trug eine schwarze Hose, schwarze Anzugjacke und darunter ein weißes Hemd, das bis zum Hals zugeknöpft war. Er setzte sich und faltete die Hände im Schoß, war frisch rasiert und hatte das weiße Haar eingeölt und nach hinten gekämmt. Er sah aus wie jemand, der bei einer Totenwache Beistand leistete. Der Beruf des Mannes war wie ein Fleck, keine Chance ihn zu entfernen, so fest saß er.

» Wollen Sie eine Tasse? «, fragte Duke.

» Ich würde nicht nein sagen. «

Der Reverend kam ursprünglich aus Wales und war als Student nach Kanada gezogen. Mit Anfang zwanzig hatte man ihm eine Gemeinde in Neufundland zugewiesen, wo er heiratete und während der folgenden fünfundvierzig Jahre mit seiner Frau in einem halben Dutzend Gemeinden die Kirchen betreute. In den Siebzigern war er nach Sweetland gekommen und hatte seine Einsetzung zwei oder drei Mal verlängert, obwohl seine Frau mit der Zeit öffentlich dagegen wetterte. Der Reverend ging schließlich mit gebrochenem Herzen, wie jedermann bemerkt hatte.

Sweetland sagte: » Womit habe ich es da zu tun? «

Der Reverend spähte hinunter auf das Schachbrett. Er spielte nie mit, doch es gefiel ihm, den Spielverlauf zu beobachten, und er gab Ratschläge und Hinweise.

» Alle außer Moses haben ihre Verantwortung dafür abgegeben «, sagte Duke. » Sie haben es auf mich abgesehen, um eine neue Partie zu beginnen. «

» Ich denke noch drüber nach «, sagte Sweetland.

» Ich hätte nicht übel Lust, es dir in Rechnung zu stellen. «

» Ich könnte ein Gebet für Sie sprechen «, bot der Reverend an.

» Sparen Sie sich das für die No Chance Cove «, sagte Duke.

Sweetland wollte etwas erwidern, besann sich aber, der Gesellschaft zuliebe.

Die Kirche an der Landzunge war verschlossen, als der Reverend vor sieben Jahren verwitwet und im Ruhestand nach Sweetland zurückgekehrt war. Er kaufte sich ein leeres Haus hinter der Kirche und verbrachte die Zeit hauptsächlich damit, zu lesen und über die Inselpfade zu wandern. Niemand wusste so recht, was man von seiner Rückkehr halten oder wie man mit ihm umgehen sollte. In den ersten Monaten machte er es sich zur Gewohnheit, werktags an den Vormittagen bei Sweetlands Schuppen zu halten. Er setzte sich an die Wand auf einen der rissigen Plastik-Küchenstühle und verschwendete Stunden von Sweetlands Zeit, hörte sich die Sendung mit Höreranrufen aus dem Kofferradio über der Werkbank an und kommentierte das eine oder andere Thema.

Sweetland erwartete, dass der Mann seinen Mut sammelte, um nach Ruthie zu fragen, wie es ihr am Ende ergangen war und ob sie irgendwas gesagt hatte, was er dem Reverend ausrichten sollte. Deshalb geriet Sweetland in Panik, wenn der Mann seinen Kopf durch die Tür steckte, da sein Beruf und sein Benehmen es unmöglich machten, ihn einfach wegzuschicken. Sweetland verlegte sich darauf, ein Feuer im Holzofen anzumachen, die Lüftungsschlitze zu öffnen, und solange im Feuer zu stochern, bis es ganz stickig im Schuppen war. Der Reverend zog sich dann bis aufs Hemd aus, ging aber nicht soweit, davon auch nur den obersten Knopf zu öffnen, sondern saß mit Schweißtropfen auf der Stirn da.

Sie stört die Hitze nicht.

Ich mag es warm, sagte Sweetland. Man sagt, es sei gut für die Gelenke. Wollen Sie eine Tasse Tee?

Gott, nein.

Der Reverend war nach einer halben Stunde gezwungen, die feurige Grube zu verlassen, und gab schließlich seine Besuche ganz auf. Sweetland hatte in jenen Monaten eine Menge gutes Holz verloren, doch er betrachtete es als lohnende Ausgabe.

In jenem ersten Herbst arbeitete der Reverend freiwillig in der Schule, wo er sich als sein Herzensprojekt um Jesse kümmerte und Maßnahmen erarbeitete, die es dem Jungen erleichterten, seine Rechenaufgaben zu machen und seine Ausbrüche und Anfälle von stumpfsinnigem Schaukeln und Singen zu reduzieren. Der Reverend hatte auch den Arzt gefunden, den der Junge in St. John’s aufsuchte, und er war derjenige, der die Termine vereinbarte. Er stellte Clara Pilgrim an, um an zwei Vormittagen in der Woche in seinem Haus den Boden zu wischen und seine drei Wechselgarnituren identischer Kleidung zu waschen. Er konnte dazu überredet werden, die alte Kirche zu öffnen, um die gelegentlichen Hochzeiten oder Taufen oder Beerdigungen abzuhalten, doch er weigerte sich, über regelmäßige Sonntagsgottesdienste nachzudenken. Allem Anschein nach hatte er sich niedergelassen, um den Rest seiner Tage als halbprivater Bürger auf der Insel zu leben, bevor die Rede auf die Umsiedlung kam.

Der Reverend wandte sich an Sweetland. » Hat Jesse über den Besuch beim Doktor irgendwas zu Ihnen gesagt? «

» Nein, nicht direkt. «

Sweetland hatte den Eindruck, einen winzigen Moment der Skepsis oder Verärgerung über das Gesicht des Geistlichen huschen zu sehen. Doch sie verschwand so schnell, dass er es sich vielleicht auch nur eingebildet hatte.

» Sie meinen, je mehr Struktur wir ihm geben können, desto besser ist es «, sagte der Reverend. » Ich hatte überlegt, ihn während des Sommers zeitweise zu mir kommen zu lassen. Drei Mal die Woche oder so. «

» Das würde für Jesse wie Schule klingen. «

» Das findet Clara auch «, sagte er. Er hob die freie Hand und glättete das silberne Haar an seinen Ohren, als würde er eine Frage herausmassieren, die sich dort befand. Er sagte: » Glauben Sie, Sie könnten mit ihm darüber reden? «

Sweetland lächelte unbehaglich. » Ich würde mich lieber aus dieser Sache raushalten, wenn es Ihnen recht ist. «

» Er hält eine Menge von Ihrer Meinung. «

» Jedenfalls mehr als seine Mutter, verdammt noch mal. «

» Jetzt mal unter uns «, sagte der Reverend, » es war Claras Idee, Sie bei dieser Sache um Hilfe zu bitten. «

» War es ihre Idee, dass Sie mich fragen? «

» Das war meine Idee «, sagte Pilgrim. Er schaute verlegen zur Seite.

» Ich habe mich freiwillig gemeldet «, sagte der Reverend, » um die Sache bei Ihnen anzusprechen. «

Sweetland verlagerte im Stehen sein Gewicht. Plötzlich fühlte er sich erschöpft und wünschte, in Ruhe gelassen zu werden. Er konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, ihnen zu sagen, dass sie ihn am Arsch lecken sollten.

» Es würde Clara viel bedeuten «, sagte der Reverend. » Und mir auch. «

» Ich muss da ein bisschen drüber nachdenken «, sagte Sweetland und der Reverend hob seine Tasse, um zu zeigen, dass das alles war, worum er ihn bat.

Die Männer stichelten noch eine Weile hin und her, dann ging es um die Priddle-Brüder, die am Morgen mit der Fähre angekommen waren, um die Hockey-Play-offs und das Wetter, sie unterhielten sich auf die höfliche, gekünstelte Art von sich nahestehenden Fremden. Nachdem der Reverend seinen Tee ausgetrunken hatte, machte er sich auf den Weg.

» Ich habe immer das Gefühl, dass dieser Schwanzlutscher uns ausspioniert «, sagte Duke, nachdem die Tür zugezogen war.

» Er ist nur einsam «, sagte Pilgrim.

» Wenn er nicht einsam sein will, hätte er irgendwo nach St. John’s gehen sollen. In ein Heim für pensionierte Geistliche. «

» So was gibt es doch gar nicht, oder? «

» Mein Gott, Moses «, sagte Duke. » Würdest du ihm bitte mal etwas Verstand einbläuen. «

» Klappt nicht. Der liebe Gott weiß, dass ich es versucht habe. «

Pilgrim stand auf und stellte seine Tasse auf den Sitz hinter sich. » So eine Behandlung kann ich auch zu Hause bekommen «, sagte er. An der Tür blieb er stehen. » Wirst du mit Jesse reden, wie er dich gebeten hat? «

» Geh verdammt noch mal nach Hause «, sagte Sweetland.

Duke stand am Fenster und beobachtete, wie Pilgrim im strömenden Regen blind seinen Weg den Hügel hinaufging, wartete, bis er ihn durch seine Haustür verschwinden sah. Wandte sich zurück zum Raum. » Er hat ein unnatürliches Interesse an diesem Jungen «, sagte er.

» Wer? «, fragte Sweetland, obwohl er von Duke schon mehr als hundert Mal diese Anklage gehört hatte.

» Der Reverend. «

» Verdammt, Duke. «

» Das ist nicht normal, mehr will ich gar nicht sagen. Versucht jetzt, ihn den ganzen Sommer allein in sein Haus zu bekommen. «

» Ich glaube, er denkt, dass er Gottes Werk tut. «

Duke schüttelte den Kopf. » Wie-heißt-er-noch-gleich? Bin Laden hat auch gedacht, dass er so was tut, verdammt noch mal. «

Am Abend war es draußen zu unangenehm, um rauszugehen, und Sweetland versuchte, die Zeit mit einer Partie Poker rumzubringen. Er goss sich ein Glas Rye ein, rührte es aber nicht an, und blickte kaum zu den aufleuchtenden Karten, sodass er innerhalb einer Stunde seinen Einsatz verloren hatte. Er saß da und schob das Glas in Kreisen über den Tisch. Das alte Haus knarrte bei jedem Windstoß, der Wind warf den Regen eimerweise gegen die Fensterscheiben. Im Wohnzimmer zog sich eins der letzten Hockeyspiele der Saison hin, der Lärm der Zuschauer an- und abschwellend wie ein eigenes Unwetter. Fast rechnete er damit, dass die Priddle-Jungs auftauchen, besoffen ins Haus stürmen und einen Drink verlangen würden, um sich dann über die Lebenshaltungskosten in Fort Mac auszulassen, das Geld, das sie mit Überstunden verdienten, das nackte Fleisch, das man in den Bars da oben bekommen konnte.

Die Priddles waren sogenannte irische Zwillinge, der zweite war zehn Monate nach dem ersten auf die Welt gekommen, und sie hatten ihr Leben lang nie etwas ohne den anderen getan. Sie schwammen und angelten und machten Feuer, sie tranken und wilderten Elche und zockten gemeinsam. Zusammen besaßen sie ein Boot und übernahmen für ein paar Jahre die Krabbenlizenz ihres Vaters, bis sie sich dazu entschlossen, auf dem Festland zu arbeiten. Während der Bausaison verschwanden sie sechs oder acht Monate lang nach Nova Scotia oder Ontario, verbrachten dann die Wintermonate zu Hause, strichen Arbeitslosengeld ein und nervten die anderen. In Burin wurden sie wegen Drogenbesitz und -handelsabsichten verhaftet, plädierten auf einfachen Besitz und eine viermonatige Haftstrafe im staatlichen Gefängnis von St. John’s. Sie waren jetzt über vierzig und keiner der beiden hatte geheiratet oder auch nur die kleinste Neigung gezeigt sich niederzulassen. Sie waren zähe Burschen und die Gesellschaft des anderen schien sie dazu zu bringen, noch zäher und rücksichtsloser zu sein, als sie es ohnehin schon waren.

Ned Priddle hatte es nie ganz verwunden, dass Effie bei der Geburt von Keith starb. Ned sagte es nicht, doch er benahm sich so, als würde er den beiden kleinen Jungs den Verlust seiner Frau vorwerfen, und nahm ihnen ihre Ansprüche an ihn übel. Als sie älter wurden, blieben sie sich selbst überlassen, vor allem, nachdem ihr Vater wieder heiratete. Sie verbrachten den Großteil ihrer Zeit auf dem Wasser oder im Wald. Sie bauten sich einen drei mal drei Meter großen Schuppen im Tal auf der anderen Seite von Sweetland, die Holzstämme mit Moos verstopft, ein einziges winziges Fenster, das sie aus einem alten Steuerhaus gerettet hatten. Dort lebten sie mehr oder weniger und verwilderten wie Katzen in einem verlassenen Stall. Über die Jahre hatten die Jungen die Hütte schrittweise gebaut und immer wieder umgebaut, wobei sie das Baumaterial mit dem Quad heranschafften. Sie meinten, sie würden dorthin gehen, wenn sie von allem genug hatten und das Leben in Chance Cove für ihren Geschmack zu hektisch wurde.

Als die Priddles aufwuchsen, waren sie den meisten Leuten zu wild, um sie zu ertragen. Sweetland war einer der wenigen, der sie über die Schwelle ließ, und während ihrer Teenagerjahre sah er sie öfter als ihr eigener Vater. Er lebte allein und besaß nichts, was nicht geklebt werden konnte, falls es zu Bruch ging. Und er hatte das Gefühl, bei Effie etwas gutzumachen, wenn er sich um die Jungs kümmerte. Obwohl er nicht genau bestimmen oder benennen konnte, was es war.

Nach der Schule kamen sie vorbei und guckten sich, wenig altersgemäß, Die Glücksbärchis oder Die Schlümpfe an. An Sonntagabenden kamen sie für das Fernseh-Wrestling und er gab ihnen ein Glas selbst gebrautes Bier zu trinken. Sie gaben sich selbst Wrestlingnamen – Tidal Wave und Rip Tide –, und in den Werbepausen schlugen sich die Brüder wie Verrückte. Sweetland nannte sie Pancake und Over Easy, die Goldenen Priddles, eine Andeutung, die sie nicht mitbekamen, aber trotzdem beleidigt waren. Keith war der größere und Sweetland musste sich gelegentlich ins Getümmel stürzen, um Barry vor dem Schlimmsten zu bewahren. Dann warfen sie sich eine Weile von ihren gegenüberliegenden Stühlen aus Schimpfwörter zu, wobei Heulsuse und Schwanzlutscher ihre liebsten waren.

Hin und wieder brachten ihm die Brüder ein paar Kaninchen mit und halfen im Herbst beim Einsäen der Kartoffeln. Sie begleiteten ihn beim Holzholen und waren ganz wild auf die Arbeit, sie hackten und sägten und schleppten mit derselben fröhlichen Hingabe, die er bei ihnen sah, wenn sie sich auf dem Boden seines Wohnzimmers gegenseitig Piledriver und Sleeper Holds verabreichten. Er bezahlte sie für ihre Hilfe mit einem Dutzend Bier und ein paar Pornoheften, und sie empfanden das als angemessene Bezahlung.

Seit sechs Jahren arbeiteten sie jetzt schon in Fort McMurray, drei oder vier Wochen Arbeit, dann hatten sie zwei Wochen frei, um nach Hause zu fliegen und ihr ganzes Geld zu vertrinken, zu verrauchen und durch die Nase zu ziehen. Es war ein Lebensstil, der nicht gerade dazu beitrug, dass sie weniger Ärger verursachten. Sie entschieden sich für Kokain als ihre bevorzugte Entspannungsdroge, und das manische Hoch gab ihrer Rücksichtslosigkeit einen unangenehmen Beigeschmack. So verlor Barry an dem Nachmittag die Spitze seines Zeigefingers, als sie abwechselnd ein angezündetes Streichholz aus dreißig Schritten Entfernung mit einem Zwanzigkaliber auszuschießen versuchten, indem einer die kleine Flamme auf Armlänge von sich hielt. Barry war so high, dass er den Schmerz gar nicht richtig spürte. Er wickelte den Finger in ein Taschentuch und schoss dann noch einmal auf das Streichholz seines Bruders.

Mit der Zeit tauchten sie immer seltener bei Sweetland auf und bevorzugten Orte mit leichterem Zugang zu Drogen und Frauen. Doch alle waren nervös, wenn sie nach Hause kamen. Als würde man ein paar wilde Hunde in einem Hotelzimmer lassen. Der Ort war nicht halb so groß wie nötig noch besonders geeignet für das Leben, das sie führen wollten, und es gab immer irgendwelche Schäden in ihrem Kielwasser. Sweetland versuchte ebenfalls, Abstand zu halten, obwohl es unmöglich war, ihnen ganz aus dem Weg zu gehen.

Er hob das Glas Rye an den Mund, probierte es aber nicht. Das Wetter war selbst für die Priddles zu schlecht, nahm er an. Als das letzte Tageslicht endlich verschwunden war, ging er ins Wohnzimmer, um den Fernseher auszustellen.

Sweetland wachte vor Tagesanbruch auf und wälzte sich schwerfällig im Bett. Döste noch ungefähr eine weitere Stunde. Es war fast acht, als er schließlich aufstand und in Unterhose und Unterhemd zum Badezimmer ging. Er ließ das Wasser laufen, während er die unverletzte Seite seines Gesichts rasierte, wo die Barthaare noch wuchsen. Ließ sich dann im brühendheißen Wasser einweichen, solange er das Nichtstun ertragen konnte. Er nahm seine » gute Garderobe « aus dem Kleiderschrank im Schlafzimmer, eine dreißig Jahre alte Anzughose und ein weißes Hemd, das er für die Beerdigung seiner Mutter gekauft hatte. Fuhr sich mit einem Kamm durch das ölige Haar, bevor er die Treppe nach unten ging.

Am Sonntag unterließ er jede Art von Arbeit. Er hackte kein Holz, noch ging er fischen oder jätete im Garten oder überprüfte die Fallen. Er ging nicht einmal hinaus in den Schuppen, um an den Dutzend Sachen herumzuwerkeln, die erst zur Hälfte fertig waren. Er setzte sich am Morgen ins Wohnzimmer, um sich für eine Stunde oder zwei die Fernsehprediger anzusehen, eine Gewohnheit, die er von seiner Mutter in ihren letzten Jahren übernommen hatte. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne? donnerten sie, bevor sie die Kranken und Gelähmten baten, ihnen ihre mageren Ersparnisse und Behindertenrenten zu überschreiben. Seine Mutter stellte jede Woche einen Scheck über fünfundzwanzig Dollar aus, den sie Sweetland zum Versand anvertraute. Er verbrannte jeden einzelnen im Ofen, da er wusste, dass sie nicht mehr auf ihr Bankkonto gesehen hatte, seit sie ihre Alterspension erhielt.

Sweetland achtete nicht besonders darauf, worüber sich die Prediger ausließen, doch er genoss es zuzusehen, wie sie herumgingen und die Arme um sich warfen und aus dem Mund schäumten. Sie wirkten wie professionelle Wrestler, die versuchten, einer Zuschauermenge in Maple Leaf Gardens eine Reaktion zu entlocken. Er sah sich die Sendungen wegen der Kirchenlieder an, die die Chöre zwischen den Lesungen und Predigten sangen. Er selbst war nie besonders gut im Singen gewesen, doch er kannte die Melodien und summte sie leise mit.

Er aß ein zeitiges Mittagessen aus Thunfisch auf Weißbrot und einer Dose Pfirsiche als Nachtisch, dann verbrachte er die erste Hälfte des Nachmittags mit Online-Poker. Selbst dabei empfand er ein stechendes Schuldgefühl. Glücksspiele waren Teufelswerk, sagte seine Mutter, und hatte sonntags nicht mehr als eine Partie Hundertzwanziger erlaubt, als sie noch jung waren. Sie saßen in ihrer besten Sonntagskleidung herum und horchten auf die Wanduhr, die die endlosen Sekunden wegtickte. Onkel Clar schlief aufrecht auf seinem Stuhl. Man durfte Essen kochen und Geschirr spülen, doch der restliche Tag war Ruhe und Besinnlichkeit gewidmet, was für Sweetland immer eine Form von Folter war.

In seinen Jahren auf dem Leuchtturm gab es Pflichten, die man nicht vernachlässigen durfte, und er polierte die Spiegel und beobachtete den Horizont, um die Schiffe zu sehen, die vorbeifuhren, machte Einträge im Protokoll des Leuchtturmwärters über Wetter und Wind, überprüfte die Notstromgeneratoren oder strich den Leuchtturm neu oder pflegte den Garten, als wäre es irgendein anderer Wochentag. Er dachte, der Job hätte ihn womöglich von der Sabbatgewohnheit geheilt, doch der war er wieder ausgesetzt, als er zurück nach Chance Cove zog. Als wäre es nicht seine Mutter gewesen, sondern das Haus selbst, das auf Einhaltung des Rituals bestand.

Vor dem Abendessen drehte er eine Runde durch die Bucht, die Wolken in Fetzen über seinem Kopf. Er ging an Loveless’ Haus vorbei und nahm den Pfad zum Stall, rief dann nach Loveless, als er unter seinem Wohnzimmerfenster vorbeikam. Die Kuh stand auf dem winzigen Streifen Feld neben dem schiefen Stall, kaute am Gras, das sie bereits bis zur Erde heruntergerupft hatte. Sweetland legte eine Hand an ihren erhitzten Bauch und die Kuh schüttelte den Kopf, ohne das Maul vom Boden zu nehmen. Sie sah aus, als wäre sie bereit, ihr Kalb da zu werfen, wo sie stand.

» Sie wird platzen, wenn sie das Kalb nicht bald bekommt «, sagte Loveless, der dahinter hervorkam.

» Du hast kein bisschen Heu, um es für sie auszulegen? «, fragte Sweetland. » Das ist nicht mal genug Gras, um ein Kaninchen zu füttern. «

» Sie hat das ganze Heu gefressen, das ich über den Winter beiseite getan hatte. «

» Und, kannst du nichts von Glad bekommen? «

Loveless blickte einen Moment weg und kaute an seiner unangezündeten Pfeife. » Er will mir die Kuh wegnehmen, Glad Vatcher. «

» Gott, Loveless. Warum sollte er dir die Kuh wegnehmen wollen? «

» Hat versucht, sie mir abzukaufen, als ich sie letzten Herbst zum Bullen gebracht hatte. Hat mein Nein fast nicht akzeptiert. «

» Er hat nur versucht, das alte Mädchen davor zu bewahren, vor Hunger zu sterben. «

» Sie hat genug «, sagte Loveless.

» Du solltest ihn herkommen lassen, dass er nach ihr sieht. «

» Wen, Glad? «

» Ja, den verdammten Glad. Nur mal einen Blick drauf werfen. Bevor das Kalb kommt. «

» Sie hat nichts «, sagte Loveless und sah sich um, nestelte mit einer Hand an seinem Hosenbein. Er kam nah genug heran, um eine Hand an die Flanke der Kuh zu legen. » Er war hinter mir her, damit ich das Paket unterschreibe, Moses. «

» Na ja, lass ihn einfach reden «, sagte Sweetland. » Kümmere dich nicht drum. «

» Er war sehr eindringlich. Er hat Dinge gesagt. «

» Was für Dinge? «

» So was hätte er nicht zu Sara gesagt. «

Sweetland betrachtete den Mann einen Augenblick. Er sagte: » Du hast keine Zettel bekommen, oder? «

» Zettel? «

» Erpresserbriefe, so was. Mit Buchstaben aus der Zeitung. «

Loveless starrte Sweetland an, als würde der einen Scherz machen.

» Vergiss es «, sagte Sweetland. » Kümmere dich um die Kuh. «

Loveless klapste auf die Flanke des Tiers. » Ihr geht es gut, der hier «, sagte er. » Sie wird schon klarkommen. «

Am Abend war Sweetland zurück an den virtuellen Spiel­tischen, als das Skype-Symbol um seine Aufmerksamkeit bat und zu hüpfen begann. Er klickte es an, um den Anruf zu beantworten, Jesse am Schreibtisch in seinem Zimmer, unten hinter dem Hügel. Sein blasses Gesicht leuchtete weiß von dem Licht des Bildschirms.

» Was machst du so, Jesse? «

» Hausaufgaben «, sagte er.

» Braver Mann. «

» Was machst du? « Das Bild des Jungen war verwackelt, die Stimme leicht asynchron zu seinem Mund. Da war etwas Unheimliches an den Unterbrechungen, dachte Sweetland. Das hatte er immer an Skype gehasst, sprach lieber am Telefon. Obwohl er für das Telefon auch nichts übrig hatte.

» Nicht viel «, sagte Sweetland. » Spiel ein bisschen Poker. «

» Gewinnen oder verlieren? «

» Was denkst du? «

» Verlieren. «

» Ach leck mich doch «, sagte er.

Sweetland war nie in der Nähe eines Computers gewesen, bevor Queenies jüngste Tochter vor fünf Jahren ihre Sachen gepackt und nach Edmonton gezogen war. Er war mit seiner Schubkarre zu ihrem Haus getrottet, um den Schreibtisch abzuholen, den er ihr abgekauft hatte, und kam mit dem Computer im Arm heraus. Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert, hatte Sandra gesagt. Er legte den Plastikturm in die Wanne seiner Schubkarre und kehrte für den Monitor nochmal zurück. Mach dir keine Sorgen, hatte er gesagt, ich will es mir nur mal ansehen.

Sweetland hatte nie vorgehabt, das Ding selbst anzurühren. Er hatte es für Jesse gekauft, dachte, dass er damit den Jungen beschäftigen könnte und sich die endlosen Befragungen ersparen, die er bei seinen Besuchen machte. Clara kam an jenem Abend mit Jesse, um ihm beim Aufbau des Geräts zu helfen, wobei der Junge Sweetland dabei jede einzelne Komponente erklärte.

Das ist eine Maus, sagte Jesse, zeigte auf das Dingsbums aus Plastik neben der Tastatur. Das nimmst du, um den Cursor zu bewegen.

Den was?

Dieses Ding, sagte Jesse, zeigte auf etwas, was Sweetland auf dem Bildschirm erkennen konnte. Mach mal, sagte er, beweg die Maus.

Und Sweetland hatte mit dem Zeigefinger dagegen gestoßen, als würde er ein schlafendes Tier anstupsen.

Sie wird dich schon nicht beißen, Moses, sagte Clara, halt sie fest.

Jesus liebt die unschuldigen Kinder, seufzte er.

Jesse verbrachte die nächsten Wochen damit, ihn durch die Grundlagen zu führen, und er ergab sich der Beharrlichkeit des Jungen, dachte, es wäre weniger stressig, als sich zu wehren. Vor seiner ersten Reise mit Duke im Jahre 1962 auf das Festland hatte Sweetland kein Telefon benutzt, und niemand auf der Insel hatte einen Telefonanschluss, bevor in den frühen Siebzigerjahren die Elektrizität auf die Insel kam. Jetzt schien es wie ein kleines Wunder, dass er sich in seinem Geburtshaus wiederfand und mit einem Zwölfjährigen skypte. Er hörte eine Stimme aus dem Off und Jesse beugte sich nah an den Bildschirm. » Check mal dein Facebook-Konto «, sagte er, bevor das Quadrat schwarz wurde.

Sweetland hatte den Regierungsmann angelogen, als er behauptete, dass er nicht auf Facebook sei. Jesse hatte ihn dazu gedrängt, dort mitzumachen, doch Sweetland hatte nur einen Freund. Er meldete sich an und klickte auf den Link, den Jesse ihm geschickt hatte. Auf Youtube begann ein Video zu laden und er öffnete es als Vollbild. Ein zweiminütiger Clip von Jesse » The Body « Ventura, der mit einer Reihe unglücklicher Gegner im Ring Piledriver veranstaltete. Es war, als wüsste der Junge, was Sweetland über seinen Namen dachte, und würde daran arbeiten, seine Meinung zu ändern.

Sweetland hatte den professionellen Wrestler ganz vergessen und war überrascht, ihn in seinen besten Jahren im Internet zu sehen. Das Web war wie der Ozean, dachte Sweetland, man wusste nicht, was in seinen trüben Tiefen lebte. Er überlegte, dass man vielleicht sogar alles, was er in seinem Leben gekannt und seitdem vergessen hatte, irgendwo dort in einem unscharfen zweiminütigen Clip finden könnte, wenn man nur wüsste, wo und wie man nachsieht.

Er klickte, um das Video noch einmal abzuspielen, stellte die Lautstärke höher. Der Boden des Rings bebte von der Wucht der massigen Körper, die Menge war aufgesprungen. Man sagte, das Wrestling sei gar nicht echt, dass es nur ein Schauspiel aus Scheingefechten sei, wie Schattenboxen. Jesse Ventura warf sich von der Höhe der Eckseile über die Brust seines Gegners, rammte den Mann mit seinem ganzen Gewicht rückwärts auf die Matte. Jeder Idiot konnte sehen, dass es choreografiert war, dass das Ergebnis eine vorherbestimmte Entscheidung war. Doch nach Sweetlands Ansicht sah das Umfallen echt genug aus.

Das Wetter war am Morgen noch immer bedrohlich, an den Hügeln niedriger, durchwachsener Nebel. Fast zu feucht, um auf die Marsch hinaufzugehen, doch er war seit zwei Tagen nicht mehr oben gewesen, um die Fallen zu überprüfen. Er packte ein Sandwich ein, seine Zweiundzwanziger, die Regenausrüstung. Jesse beobachtete ihn wahrscheinlich aus dem Fenster, und Sweetland würde nicht in seine Richtung schauen, wenn er nach draußen ging. Ein einziger Blick reichte dem Jungen als Einladung. Er fuhr mit dem Geländefahrzeug hinter seinem Grundstück los und kletterte langsam aus der Bucht.

Er hatte den Hang erklommen und wollte um Vatcher’s Meadow herum, als er die Quads auf sich zurasen sah. Er fuhr an die Seite und wartete. Die Priddles sausten in ihrer Tarnkleidung und ihren Baseballcaps an ihm vorbei und wirbelten dann herum, um zu ihm zurückzukehren. Blieben mit ihren Maschinen neben ihm stehen – einer auf jeder Seite –, sodass Sweetland den Kopf von einer Schulter zur anderen drehen musste, um zuerst den einen und dann den anderen anzusehen. Es war noch früh für die beiden, obwohl man nicht genau sagen konnte, welches ihre Zeiten waren, wenn sie gerade auf Sauftour waren. » Jungs «, sagte er.

» Wie geht’s Mr Sweetland «, sagte Barry.

Er spähte rüber zu Keith und nickte. » Die Goldenen Priddles «, sagte er. » Hab euch seit Urzeiten nicht gesehen. «

» Haben die meiste freie Zeit in St. John’s verbracht. «

» Was ist denn da so Wichtiges los in St. John’s? «

» Nur das Leben «, sagte Barry. » Sie sollten auch mal reingucken. «

» Schickt mir eine Broschüre, okay? «

» Wohin um diese Tageszeit? «

» Hab ein paar Kaninchenfallen draußen hinter dem Wärterhaus «, sagte Sweetland.

Barry lehnte sich auf seinem Sitz zurück. » Korrigier mich, wenn ich falsch liege «, sagte er zu seinem Bruder, » doch ich glaube, dass Mr Sweetland mit Wilderei beschäftigt ist. «

» Der Mistkerl gehört ins Gefängnis «, sagte Keith.

» Vielleicht sollten wir mal den Forstbeamten anrufen. «

» Ach, leckt mich doch am Arsch «, sagte Sweetland, was mit einem Lachen der Brüder honoriert wurde.

Keith beugte sich vor und stupste Sweetlands Arm mit dem Zeigefinger an. Er sagte: » Vater sagt, dass du noch immer nicht für das Paket unterschrieben hast. «

» Kann ich nicht leugnen. «

Keith schüttelte ernst den Kopf. » Der alte Mann sagt, er wird dir die Nüsse mit einem Fischermesser abschneiden, wenn du nicht unterschreibst. «

» Tatsächlich? «, sagte Sweetland.

» Ich habe gesagt, dass ich es gern für ihn tun würde, wenn es dazu kommt. «

» Mein Gott, Keith «, sagte Barry. » Hör nicht auf Keith «, sagte er zu Sweetland. » Er redet nur wie ein Arschloch. «

» Ich rede nur wie ein Arschloch «, bestätigte Keith. Die beiden Männer grinsten und genossen den Augenblick. Denn sie galten beide als Anwohner der Insel und hatten für den Umzug gestimmt.

Barry startete sein Quad. » Wir kommen mal abends auf einen Drink vorbei, bevor wir wieder fahren. «

» Wie ihr wollt «, sagte Sweetland, gab Gas und fuhr über das Feld aus Sumpfgras und Moos davon.

Am Leuchtturm nahm er den Rucksack und die Zweiundzwanziger vom Quad, ohne zum Wärterhaus aufzublicken. Die Küstenwache hatte es gerade renoviert, ein Jahr vor der Stilllegung. Hatte ein kleines Vermögen dafür ausgegeben, das Dach zu decken und es streichen zu lassen, hatte eine Einfassung um das Fundament installiert, um die 1000-Liter-Zisterne zu umschließen, die das Regenwasser in einem Zwischenraum unter dem Boden sammelte. Das Haus war mit neuen Möbeln und Haushaltsgeräten, Geschirr, Besteck, eingerichtet. Damals hatte Sweetland allein da draußen gewohnt und die meisten der Verbesserungen abzulehnen versucht. Doch es hatte ein gewisses Budget gegeben und das Geld musste vor Ende des Steuerjahres ausgegeben werden.

Die Leute in Chance Cove warteten, bis die Schindeln auf der Meerseite vom Wind abgerissen wurden, und das Wetter durch die nackten Bretter sickerte, bevor sie es anrührten. Danach ging alles Nützliche raus – Kühlschrank und Ofen, Betten, Toilette und Badewanne, Hängeschränke, Kommoden und Schränke – das Gebäude war wie ein gestrandetes Schiff, das zur Bergung geleert wurde. Sweetland hielt sich von der Plünderung fern, da er befürchtete, seine winzige Pension zu verlieren, außerdem missgönnte er niemandem, was sie zur Verwendung nehmen konnten.

Er ging den Weg nach Norden. Es war ein knapper Kilometer bis dort, wo er seine Kaninchenfallen angebracht hatte, und es sah schon bald aus, als hätte er die Reise umsonst gemacht. Das erste halbe Dutzend Fallen war leer, obwohl ein Tier wohl erwischt worden war, sich aber befreien konnte. Er hätte alle Fallen mitgenommen, ohne dass Jesse ihm Gesellschaft leistete, wenn nicht Claras Selbstgerechtigkeit gewesen wäre. Deshalb spannte er die Drahtschlinge aus purer Boshaftigkeit, und legte die frisch geschnittenen Fichtenzweige ordentlich an beide Seiten des Pfads. Der Tag wurde heller und Sweetland zog seine Regenjacke aus und stopfte sie in seinen Rucksack. Trank einen Schluck Wasser aus dem Einmachglas. Ging zur nächsten Falle.

Beim ersten Blick dachte er, dass sich ein Fuchs oder Wiesel über das Tier in der Falle hergemacht hatte, irgendeine wilde Kreatur, die rücksichtslos gefressen und ein blutiges Massaker angerichtet hatte. Kurz kam ihm sogar der Gedanke, Loveless’ kleinem Schoßhund die Schuld dafür zu geben. Dass er womöglich auf den Welpen schießen musste, damit der von seinen Fallen wegblieb.

Er schob die Mütze hoch und kniete sich hin, um das zerfetzte Tier vom Weg zu nehmen. Erstarrte auf den Knien. Das Tier war geköpft, die Eingeweide mit einem Messerstich in den Bauch herausgezogen. Die Hinterläufe abgeschnitten. Er wandte den Blick ab und sah in die toten Augen des Kaninchens, die ihn anstarrten. Der Kopf hing in den Zweigen über der Falle, an einem braunen Ohr an den Stamm genagelt.

Er stellte die Zweiundzwanziger auf den Kolben und stemmte sich auf die Beine. » Verdammte Scheiße «, sagte er. Er nahm seinen Rucksack und ging den Weg fünfzehn Meter zurück, um sich an einen Felsen zu setzen. Für das Mittagessen war es noch zu früh, doch er holte das Sandwich heraus, kaute auf dem geschmacklosen Brot herum und spülte es mit Wasser herunter. Es begann zu schauern und er blickte in den Himmel, um abzuschätzen, wie lange der Regen anhalten würde. Dann zog er seine Regenjacke an und ging zurück zur Falle. Er nahm den Einkaufsbeutel, in dem er sein Sandwich mitgebracht hatte, und legte das zerstörte Tier hinein. Die Schmiere der zerrissenen Eingeweide schimmerte dunkel durch das weiße Plastik. Er löste das Kaninchenohr vom Nagel und tat den Kopf ebenfalls in die Tüte.

Es gab noch zwei weitere gefangene Kaninchen, beide ähnlich geschändet. Er suchte in den nahestehenden Bäumen nach den Köpfen, fand aber nichts. Er füllte die Plastiktüte mit den Kadavern, band sie zu und nahm sie mit. Seine Fallen nahm er ebenfalls mit, während er zurück zum Quad ging. Er befestigte die Zweiundzwanziger am Rahmen und ging zu Fuß den Weg hinunter am Wärterhaus vorbei zum Hubschrauberplatz. Es hatte sich eingeregnet und Wind war aufgekommen, seine Regenjacke raschelte bei jeder Böe. Er ging zum hinteren Ende der Plattform und warf den schmutzigen Beutel ins Meer.

Die Priddles kamen erst an ihrem letzten Abend auf der Insel vorbei. Er hatte schon gedacht, dass sie überhaupt nicht mehr auftauchen würden. Selbst in ihren besten Zeiten waren sie nur sehr unbeholfen miteinander ausgekommen, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sich das, was sie in derselben Umlaufbahn hielt, abnutzen würde. Im Verhältnis der beiden zu ihm hatte es schon immer eine gewisse unterschwellige Animosität gegeben, als ob sie ihm verübelten, dass er der Einzige war, an den sie sich in ihrer Kindheit wenden konnten. Und in irgendeinem kleinen Winkel seines Herzens argwöhnte er, dass die Brüder die Tiere in seinen Fallen verstümmelt hatten, um ihn zu ärgern. Bei ihrem verdrehten Sinn für Spaß und Unterhaltung war das gut möglich. Und für Sweetland wäre es eine Erleichterung gewesen, wenn das die Wahrheit wäre.

Er hörte sie den Pfad entlangkommen, wie sie sich anschrien und lauthals über irgendwelche Albernheiten lachten. Der Abend war so ruhig, dass sie wie ein Karnevalsumzug klangen, der durch die Stadt zog, eine Wagenladung besoffener Clowns mit Megafonen. Sweetland fiel auf, was das für ein ungewohnter Lärm war, Menschen draußen zum Vergnügen, die aus reinem Übermut einen Aufstand machten. Fast war ihm etwas nostalgisch zumute in der einen Minute oder zwei, die sie brauchten, bis sie durch die Tür stürmten.

Für den kleinen Raum mit der niedrigen Decke waren sie viel zu laut. Sie riefen nach Selbstgebrautem und Keith ging in die Küche, um sich selbst zu bedienen. Man hörte sie noch auf halber Strecke nach Church Side, dachte Sweetland. Keith kehrte mit den Bierflaschen zwischen den Fingern zurück. Die Kronkorken hoben die Worte H*O*P*E und F*E*A*R auf seinen Knöcheln hervor. Meine Gefängnistattoos, wie Keith es Sweetland erklärt hatte, als er sie das erste Mal sah, nachdem sie aus dem Gefängnis in St. John’s entlassen wurden.

Wo sind deine?, hatte Sweetland Barry gefragt.

Er hat ein Herz mit dem Wort MUTTER auf dem Arsch, sagte Keith.

Keith schnippte die Kronkorken mit der Rückseite eines Bic-Feuerzeugs von den Flaschen, während Sweetland Gläser aus dem Schrank holte und sich daran machte, jedem einzuschenken. Keith nahm einen Schluck und schüttelte den Kopf wie ein Hund, der aus einem Tümpel klettert. » Gott «, sagte er. » Das ist noch immer das schlimmste Bier, das ich je getrunken habe. Erinnerst du dich noch, wie wir es immer genannt haben, Barr? «

» Pisse und Stiefel. «

» Pisse und Stiefel «, wiederholte Keith und sie fielen vor Lachen fast um. Beide waren stoned bis in die Haarspitzen, ihre Augen so glasig wie Murmeln.

» Wir könnten mit diesem Zeug in Alberta ein Vermögen machen «, sagte Barry. » Wie nennen sie es noch mal? Craftbier? Das ist jetzt da oben schwer in Mode. «

» Aber es schmeckt wie Scheiße. «

» Sie schmecken alle wie Scheiße, Keith. Es ist nur eine Frage des Marketings. «

» Na ja, niemand würde etwas kaufen, das Pisse und Stiefel heißt. «

» Wir könnten es Scarface nennen. Das würde sich verkaufen. Scarface Lager. «

» Das ist ein Ale «, bemerkte Sweetland überflüssigerweise.

» Ist doch scheißegal «, sagte Barry. » Scarface Ale. Scarface Pilsner. «

» Scarface Dark «, sagte Keith.

» Scheiße, ja. Scarface Dark. Schädel und gekreuzte Knochen auf dem Etikett. «

» Das bringt Geld, das ist es «, sagte Keith. » Hey, erzähl Moses mal von der Buchtidee. «

» Was ist das für eine Idee? «, fragte Sweetland, während Barry abwinkte.

» Komm schon «, sagte Keith. » Spuck’s aus. « Er drehte sich zu Sweetland. » Da geht es um echtes Geld, worüber wir jetzt reden «, sagte er. » Wir könnten ein Riesengeschäft machen. «

» Ich bin ganz Ohr. «

» Nun «, sagte Barry, » die Idee ist, dass wir die Bucht kaufen, wenn alle wegziehen. «

» Ich ziehe nirgendwohin. «

» Nur mal angenommen, Scarface «, rief Keith. » Wir stellen es uns doch nur vor. «

» Na gut «, sagte Sweetland.

» Also, Häuser und Schuppen und Kai und was nicht noch alles. Ich denke, wir könnten das alles für zehn- oder fünfzehntausend bekommen. «

» Nur angenommen «, sagte Sweetland, » wird dieser Ort nicht zurückverwandelt in Staatsbesitz, wenn die Leute weg sind? «

» Also pachten wir es oder so etwas. Darüber sollen sich die Anwälte streiten. Dann kommen wir her und reißen all die Kunststoffverkleidungen runter. «

» Machen das alles weg «, sagte Keith mit ausufernden Armkreisen.

» Streichen dann alles mit Ocker und Tünche, setzen ein paar Dorys hinter die Mole. Und dann verkaufen wir Pauschaltouren zu einem traditionellen Neufundländer Außenposten. Es wäre wie eins dieser Pionierdörfer auf dem Festland. Nur, du weißt schon … «

» Authentisch «, sagte Keith.

» Genauso ist es. Das einzig Wahre. Wir könnten hier draußen Leute in Ölzeug haben, die Touristen zum Angeln schicken und ihnen zeigen, wie man Kabeljau zerteilt und pökelt. «

» Keiner weiß mehr, wie man Kabeljau richtig pökelt «, sagte Sweetland.

» Halt den Mund, I-Aah «, sagte Keith.

» Ist doch scheißegal «, sagte Barry. » Gib ihnen ein bisschen traditionelles Essen, ein Jigg’s Dinner. Besorg jemanden, der Akkordeon spielt, mach einen Tanz. «

» Wir könnten Wochenendpakete anbieten «, sagte Keith. » Oder eine Woche, zehn Tage. Die Leute würden dafür ein Vermögen bezahlen. «

Wenn sie high waren, dann jagten sie immer hinter dem Geld her. Sweetland hatte sie schon tausend Pläne für den schnellen Reichtum schmieden hören, jeder unwahrscheinlicher als der vorherige. Alkohol aus St. Pierre schmuggeln, Drogen mit dem Segelboot aus Mexiko holen. Robbenpenisse als Aphrodisiakum für die Chinesen verschiffen.

» Ich habe mir die Werbung für diese Sache schon genau überlegt «, sagte Barry und hob beide Hände, als würde er ein Banner zeigen. » Erlebe den Alltag in Sweetland. «

» Nein, nein «, sagte Keith. » Erlebe den süßen Alltag in Sweetland. «

» Das ist eine gottverdammte Goldmine «, sagte Barry. Er zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger über den Tisch. » Wir müssen nur diesen alten Scheißer hier loswerden. «

» So wie ich gehört habe «, sagte Keith, » wird sich wahrscheinlich jemand anders darum kümmern. «

Sweetland richtete sich auf seinem Stuhl auf. » Was hast du da gehört? «

» Wäre eine Schande, ihn zu verlieren, wenn du mich fragst «, sagte Keith. » Wir könnten ihm eine Ölhaut überziehen und ihn für die Touristen ausstellen. «

» Der letzte Sweetlander, so was in der Art? «

» Das Original. «

» Jesus im Garten «, flüsterte Sweetland.

Der Rest des Abends verlief in derselben kokainverdorbenen Stimmung, die Brüder schwadronierten über alle möglichen Dinge. Sweetland wollte sie mehrmals danach fragen, was genau sie über ihn gehört hatten und von wem. Doch er wusste, es käme nur ein nutzloses Durcheinander dabei heraus, die Hälfte übertrieben oder falsch erinnert, die andere Hälfte ausgedacht, und er ließ sie auf ihre Weise fortfahren. Keith erzählte von einer Frau, die er in Fort Mac gevögelt hatte, wie er in den Nachttisch griff, um die Gleitcreme aus der Schublade zu holen, und stattdessen versehentlich die Muskelcreme nahm. » Dieser A535-Scheiß «, sagte er, die Arme lachend vor dem Bauch. » Hab sie damit ordentlich eingeseift und dann ging das Brennen los. Und sie begann zu schreien, Was zum Teufel hast du mit mir gemacht? Was zum Teufel hast du gemacht? Hab mit ihr die halbe Nacht auf der Notaufnahme verbracht. «

» Nur Keith kann eine Frau so heiß machen «, sagte Barry.

» Scheiße, Barr, erzähl Moses von der Neunundsechziger-­Sache. «

» Leck mich doch, er will nichts davon hören. «

» Ich will nichts davon hören «, bestätigte Sweetland.

» Er weiß nicht einmal, was Neunundsechzig bedeutet «, sagte Barry.

» Er hat doch Internet, erzähl schon die gottverdammte Geschichte. «

» Ach, Scheiße «, sagte Barry. Er richtete sich auf seinem Stuhl auf und zog die Jeansjacke an der Taille tiefer, wie jemand, der eine Erklärung vor Gericht abgibt. » Ich war mit diesem Mädchen «, sagte er. » Nettes Mädchen, ich habe sie gemocht. Und wir haben, du weißt schon, neunundsechzig gemacht. Und es war verdammt glitschig da unten. Jedenfalls, ich bin mit dem Gesicht und den Augen in ihrer … «

» Er hat sie wirklich gemocht «, sagte Keith.

» Ich habe tatsächlich praktisch einen Schnorchel gebraucht, um zu atmen. Und ich bin gerade kurz davor, abzugehen, da rammt sie mir einen Finger in den Arsch. Und ich schnappe nach Luft, weißt du, einfach ganz automatisch. Und ich habe sie eingeatmet, ihre … ihre … «, sagte er und kämpfte damit, das Lachen zurückzuhalten oder das Wort zu finden, das er suchte. » Ihre Schamlippen «, sagte er.

» Scheiße «, sagte Keith und schlug bereits auf den Tisch. » Moses weiß doch gar nicht, was Schamlippen bedeutet. «

» Fotzenlippen «, schrie Barry. » Rauf bis in die Nasenlöcher. Und sie klammert ihre Beine um meine Ohren. Und scheiße, wenn ich nicht zu lachen anfange. Und ich würge und komme und lache wie ein gottverdammter Idiot. «

» Fotzenlippen in der Nase «, grölte Keith. Das Gesicht kirschrot, die Augen hervorgetreten.

» Ich wäre fast ertrunken, verdammt «, sagte Barry.

» Mann an Schamlippen erstickt «, sagte Keith, was beiden Männer erneut einen hilflosen Lachkrampf bescherte.

» Bester Fick seit Jahren «, sagte Barry, als er sich schließlich wieder beruhigt hatte.

Sweetland hatte kein Problem damit, wenn die Priddles gelegentlich bei ihm auftauchten, das stimmte. Doch er war jetzt viel zu alt für ihren Blödsinn, diese unbarmherzige, sinnlose Flutwelle. Es war, als stünde man draußen in einem Sturm, der zu stark war, um es bis zum Unterstand zu schaffen, weshalb man sich dem Wind stellen und es aushalten musste. Er schlürfte aus seinem Glas das warme Selbstgebraute und wartete darauf, dass das Sperrfeuer zu Ende ging.

» Wir halten dich nur auf «, sagte Barry eine Stunde später, » wir sollten besser gehen. Wollen die Fähre morgen nehmen. «

» Geht es zurück nach Alberta? «

» St. John’s «, sagte Keith und schlug Barry auf die Schulter. » Hab für den Fickfrosch hier einen Termin bei dem Psycho gemacht, mit dem Jesse redet. Wollen mal sehen, ob wir ihn nicht wieder in Ordnung bringen können. «

Barry drehte seinem Bruder das Hinterteil entgegen und klatschte sich auf die Arschbacke. » Gib deiner Mutter einen Gute­nachtkuss «, sagte er.

Sie verbrachten weitere fünfzehn Minuten damit, aufeinander einzureden, bevor sie schließlich zur Tür hinaus waren und Sweetland, nachdem er sie verriegelt hatte, dastand und horchte, wie sie den Pfad entlanggingen. Es war nicht unbedingt schlecht, dachte er, dass ihre Mutter nicht mehr da war und sah, wie sie als erwachsene Männer lebten.

Sweetland

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