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Dienstag, 17. September 2013 – 13:15 An Bord des Fluges 8894 - kurz vor St. Malo

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Kapitän Harper hat etwas Rückenwind und dies ist durchaus in seinem Sinn, denn er hat bisher noch keinerlei Entwarnung erhalten. Harper denkt kurz an den Iren, der auf C1 sitzt. Er sitzt in der ersten Reihe und dazu noch auf der Gangseite, also praktisch hinter der Tür des Cockpits.


Der Mann mit den Narben macht ihm weniger Sorgen, denn dieser sitzt in Reihe 14 und vor allem am Fensterplatz. Erfahrungsgemäß sitzen Attentäter nicht beim Fenster, sondern direkt am Mittelgang, um schneller eingreifen zu können.

Andererseits sind sie nur mehr eine Stunde von London-Gatwick entfernt, während sie schon mehr als zwei Stunden ohne Probleme unterwegs waren. Es wird wahrscheinlich doch nur ein dummer Scherz gewesen sein.

36 Minuten später sind sie bereits über London und ändern ihren Kurs auf 163° Süd, jetzt sind es nur mehr 20 Minuten bis zur Landung. Kapitän Harper entspannt sich langsam und freut sich auf den Abend.

Seine jüngere Schwester hat ihn und seine Frau zu einer kleinen Feier eingeladen, weil sie ihr Studium erfolgreich beendet hat. Auf diese Fete freut er sich schon seit langem, denn die Schwester hat im letzten Abschnitt ganz schön gebummelt. Sie war sogar einmal knapp dran, alles hinzuschmeißen, nur weil ihr das Glück irgendwie abhandenkam. Er hat ihr dann ziemlich die Leviten gelesen, weil…


Der Höhen- und Geschwindigkeitsmesser

„Was ist das?“ schreit Harper. „Der Höhen und der Geschwindigkeitsmesser – sie flackern – und gehen aus!“

„Bei mir auch“ – ergänzt der First Officer. Harper knallt seine Faust auf die Instrumententafel, aber dies ändert leider nichts. Mitten im Sinkflug sind dies wohl zwei der dümmsten Defekte, die auftreten können. 143 Passagiere sind an Bord und dazu die Crew, das ist ein echter Alptraum.

Die letzten acht Minuten dieses Fluges lassen auch keine Alternative zur Landung zu. Der Treibstoff ist weitgehend verbraucht, die Reserven sind kalkuliertermaßen gering und auch die Flughöhe ist bereits deutlich reduziert. Selbst wenn man durchstarten würde, stünde man in ein paar Minuten vor demselben Problem. Vor allem weiß man nicht, was noch alles ausfällt. Die nächsten beiden Sätze die ihm entgleiten, sind nicht ganz jugendfrei.

Plötzlich ist die angekündigte Drohung wieder sehr präsent, obwohl Harper schon fast sicher war, dass dies nicht erst gemeint sein konnte. Offenbar doch!

Es folgt die Info an die Chefflugbegleiterin, die Info an die Passagiere über die zu erwartende Landung, die Info an den Tower und eine sehr angespannte Betriebsamkeit im Cockpit.

Nach einer extrem harten Landung um 14 Uhr 14 bringt Harper die Maschine zum Stillstand. Das Flugzeug wird evakuiert und Harper ist froh, dass er so routiniert reagiert hat.

Natürlich ist die Aufregung unter den Passagieren sehr groß, auch wenn sich niemand ernsthaft verletzt hat, von kleineren Blessuren einmal abgesehen. Der Ärger wird allerdings noch größer, weil alle Passagiere wegen der versuchten Erpressung zur polizeilichen Einvernahme müssen. Es dauert Stunden und bringt keinerlei neue Erkenntnisse. So wie es aussieht, ist der Attentäter nicht an Bord gewesen.

Die Techniker signalisieren ein paar Stunden später, dass der Ausfall der Instrumente kein normaler technischer Defekt war, sondern wahrscheinlich Sabotage. Auch der Schaden an der Maschine ist durch die harte Landung ziemlich hoch, jedenfalls ein Vielfaches der geforderten Summe.

So sehr sich alle Beteiligten über diesen sanften Ausgang der Situation freuen, so steckt ihnen doch der Schreck in den Gliedern. Fliegen steht für die nächste Zeit nicht auf ihrem Programm, umso mehr die Passagiere den Vorfall für einen technischen Defekt halten müssen. Natürlich werden sie über keine Hintergründe informiert, auch wenn sie die Vernehmung nicht bloß für Routine gehalten haben.

Die Polizei ist in dieser Phase sehr darum bemüht, keinerlei Details durchblicken zu lassen, um den oder die Täter nicht vorzuwarnen. Abgesehen davon werden in der nächsten Zeit mehrere der Flugpassagiere observiert, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen.

Der gereizte Passagier von F14, mit den Narben im Gesicht hatte jedenfalls eine gute Erklärung zu bieten. Er war vor zehn Wochen nach Marrakech gekommen um dort einen 3-wöchigen Urlaub zu verbringen.

Am zweiten Tag seines Aufenthalts war er als Fahrgast eines Taxis in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt, der viele Verletzungen und damit auch die Narben im Gesicht nach sich zog. Das Spital entsprach ohnehin keinen europäischen Standards, brachte aber auch mit sich, dass er materiell ziemlich ausgenommen wurde. Man erklärte ihm immer wieder, was man medizinisch nur gegen Kreditkartenzahlungen für ihn tun konnte. Dabei konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Aufenthalt künstlich hinausgezögert wurde.

Als es ihm zu dumm wurde, schlich er sich heimlich davon, denn er wollte nicht weiter wie eine Weihnachtsgans ausgenommen werden. Anderseits wusste er jetzt aber auch nicht, ob vielleicht die Polizei hinter ihm her war. Vielleicht würde die Polizei mit den Leuten von der Klinik zusammenarbeiten. Also musste er sich mehrere Tage verstecken, bis er einen Rückflug buchen und erreichen konnte. Auf diese Weise war er natürlich so gut wie nie an der Sonne. Daher auch seine blasse Farbe, trotz des langen Aufenthalts.

Somit waren seine Blässe und seine Narben geklärt. Unprofessionell wie die Behandlung war, wird er die Narben wohl durch sein weiteres Leben als Erinnerung mitnehmen. Seine Nervosität und Gereiztheit kamen von der Flucht vor den dortigen Behörden. Er fühlte sich erst wieder in London sicher. Eine kurze Recherche bei der Kreditkartengesellschaft bestätigte die Abbuchungen der Klinik, wodurch seine Aussagen schließlich auch bestätigt wurden.

Der nervöse, irische Staatsbürger, der auf C1, also direkt hinter der Tür des Cockpits saß, der mit seiner 10-jährige Tochter reiste, gab den Beamten eine ebenso interessante Geschichte zu Protokoll. Er lebte noch vor kurzem mit seiner Frau und seiner Tochter in der Nähe von Marseille, also in Südfrankreich. Die Ehe wurde zunehmend schwieriger und auch bei den Spekulationen mit Derivaten hatte er so manchen Misserfolg zu verzeichnen. Die Gläubiger machten ihm das Leben zunehmend schwerer und auch seine Frau drohte inzwischen mit der Scheidung. Dabei machte sie ihm unmissverständlich klar, dass er zukünftig auf seine Tochter verzichten müsste.

Da er auf Grund seiner Spekulationen nicht in der Lage sein würde, Alimente zu zahlen, sollte er mit keinerlei Besuchsrecht rechnen. In dieser Situation verkaufte er seine stillen Reserven, die er vor den Gläubigern in Sicherheit gebracht hatte und setzte sich mit der Tochter nach Marokko ab.

In seiner Verzweiflung hatte er sich auch überlegt, dass die Lebenshaltungskosten in Marokko sehr gering sein müssten, denn die Menschen dort haben auch kein großes Einkommen.

Als sie dort ankamen, fand er nach einigen Tagen einen Job in der Touristikbranche und ein Quartier, das er sich halbwegs leisten konnte. Es hatte den Anschein, dass diese Strategie erfolgreich sein würde. Für einen späteren Zeitpunkt hoffte er natürlich, dass sie sich ein besseres Quartier leisten können werden, denn das gefundene Quartier war wirklich recht bescheiden. Es bestand überhaupt nur aus einem Raum, mit notdürftiger Ausstattung.

Womit er nicht gerechnet hatte, war die Sehnsucht der Tochter nach ihrer Mutter, die von Tag zu Tag stärker wurde. Nach 5 Wochen gelang es ihm nicht mehr, seiner Tochter ausreichend Trost zu spenden und auch die Wohnsituation wurde immer ekeliger, sodass die Tränen der Tochter dann das Fass zum überlaufen brachten. Er beschloss, mit ihr nach England zu fliegen und von dort die Verhandlungen mit seiner Frau zu führen. Dabei wusste er nicht, ob ihm eine Auslieferung nach Frankreich wegen Kindesentführung drohte oder ob die Gläubiger körperliche Gewalt anwenden würden, sobald sie ihn erwischten.

Mit diesen Ängsten macht er sich dann auf den Flug nach London und er hatte wenig Hoffnung für den weiteren Verlauf seines Lebens. Dies ergab seine Stimmungslage während des Fluges. Dass er direkt hinter dem Cockpit saß, war reiner Zufall. Er hatte eine Lastminute Buchung durchgeführt, um Geld zu sparen. Die Leute, die diesen Platz ursprünglich gebucht hatten, waren offenbar verhindert, weswegen die Plätze nochmals verkauft wurden.

Da es weder eine Anzeige der Mutter gibt, noch eine Fahndung von Interpol, werden er und seine Tochter auch nach der Einvernahme nicht weiter festgehalten.

Densham erhält alle diese Informationen, aber nichts davon bringt ihn weiter. Auch die inzwischen eingetroffene DNA-Analyse der Kleider und des Bartes bringt keinen Fortschritt. Es gibt zwar Spuren auf den gefundenen Gegenständen, aber es sind weibliche DNA-Spuren. Dies deutet darauf hin, dass die Gegenstände im Mülleimer mit anderen Dingen in Kontakt kamen, sodass diese Spuren nicht weiter verwertbar sind.

Densham ist schlicht ratlos, denn das Einzige, was nach all den Bemühungen übrig bleibt, ist die Bank wegen Behinderung bei der Strafverfolgung zur Verantwortung zu ziehen. Da es sich aber um ein anderes Land handelt, ist es aussichtslos und vor allem in Bezug auf das ursprüngliche Delikt völlig sinnlos.

Das vom Botendienst überbrachte Kuvert hatte übrigens nur die Abdrücke vom Botenfahrer, von Daisy Farnsworth und von Mr. Graves.

All dies bedeutet für Densham nicht, dass sich ein dummer Scherz in Luft aufgelöst hat. Daran hätte er vielleicht noch glauben können, wenn der Airbus dieses Problem bei der Landung nicht gehabt hätte. Es waren auch verschiedentlich Personen daran beteiligt, wie der Täter in Marrakech, der Mann, der das Kuvert an den Botenfahrer ausgeliefert hatte, die Person, die das Dokument verfasste und möglichweise auch jemand, der sich in Essen auf die Ausfolgung des Geldes vorbereitet hatte.

„Nein“, denkt Densham, „dies ist kein Ende, sondern erst der Anfang. Wovon auch immer!“ Es werden jetzt unendlich viele Protokolle angefertigt werden müssen, Sicherheitsvorschriften bedürfen ebenfalls eines Checks und gegebenenfalls einer Überarbeitung. Die Fluggesellschaften, die Banken, die Sicherheitsbeauftragten, die Passstellen – es gibt einfach eine Menge Arbeit und trotzdem keinen konkreten Ansatz.

Da es weder ein Täterprofil noch eine Signatur des Täterkreises gibt, kann man eigentlich nur aufmerksam in Bereitschaft stehen. Dieses Warten auf ‚Irgendwas‘ macht Densham am meisten zu schaffen.

Es wird viele Wochen dauern bis alle Untersuchungen zu Ende gebracht sind. Irgendwann werden dann einige sicherheitstechnische Änderungen eingeführt, die zukünftigen Fällen zugute kommen sollen.


Airport 2013

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