Читать книгу Raus aus dem Rummel! - Michil Costa - Страница 13
Xenia Gastfreundschaft auf altgriechische Art
ОглавлениеAber ich liebe die Zartheit
und Eros hat für mich die Schönheit und das Licht
der Sonne erwirkt.
Sappho
Sappho war eine griechische Dichterin der Antike und auf der Insel Lesbos zu Hause. Sie weidete sich an der Schönheit der Natur und der anderen Dinge ihrer Umgebung, litt aber zugleich darunter. In ihren Versen erzählte sie kraft- und ausdrucksvoll von dieser Liebe, die ihr Qual und Lebensinhalt zugleich war, Licht und Atem, etwas, ohne das sie nicht sein konnte. Wenn in Sapphos Gedichten von Gastfreundschaft die Rede ist, dann geht es um Gaben. In diesem Sinne interessant ist auch die Passage der Odyssee, in der Odysseus nach seinen Irrfahrten zurück nach Ithaka kommt und seine Frau Penelope anspricht. Odysseus hat sich als Bettler verkleidet, damit Penelope ihn nicht erkennt. Er berichtet ihr, dass ihr Mann zurückkehren wird. Sie, die treue und weise Ehefrau, antwortet: „Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt! Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken deine Freundin.“ Ja, Gastfreundschaft ist ein Geschenk. Bei den alten Griechen hatte sie einen Namen – xenia.
Die Kunst der Gastfreundschaft geht auf die griechische Antike zurück. Der Begriff xenia kommt vom griechischen Wort xenos, Fremder, den gastfreundlich aufzunehmen ein Gebot war. Aischylos erzählt in der Tragödie Die Schutzflehenden von den Töchtern des Danaos, die vor Vergewaltigungen und den daraus resultierenden Zwangsverheiratungen aus Ägypten fliehen und in Argos um Aufnahme bitten. Pelasgos, der König von Argos, fürchtet den Zorn der Ägypter, doch dann beschließt die Stadtversammlung, dass den Frauen Gastfreundschaft gewährt werden müsse. Auch Homer bezieht sich auf die xenia, als die Phaiaken den nach einem Schiffbruch gestrandeten Odysseus gastfreundlich aufnehmen: Sie statten ihn mit einem neuen Schiff aus und ziehen sich dadurch den Zorn von Poseidon zu. Im antiken Griechenland wurde Gastfreundschaft weniger als Option denn als ethische Verpflichtung verstanden. Sie galt als Wert für sich und als Gabe, die stets zu erwidern war. Die Gastfreundschaft verband die gebenden und die empfangenden Familien. Auch symbolische Tauschobjekte spielten oft eine Rolle – ein Stück Holz oder ein zerbrochener Stein –, die von Generation zu Generation weitergereicht wurden.
lied der einfallslosigkeit
geliebtes land
aus kuhglocken gebaut &
gasthausrauferei
kind des wetters
mutter der trauben
schnaufen der winde
alpenglut
an gruenen fluessen
& zu fueßen
ein erschlagner wurm
traute gassen
buergersinn stolzer bauernmut
dem welschen feind & schlechter
als der
kind des wetters
mutter der trauben
innige doerfer
blauer schurz & stiere
autonom
heiden im rock der schuetzen
feuerwehr musik
hackbretter zithern
jodeln kann keiner
dem herzen des gottes verschworen
& ueber allem schwebt der henngeier
Norbert C. Kaser
Dieses Gedicht des radikalen Südtiroler Lyrikers Norbert C. Kaser wirft ein ganz eigenes Licht auf die heimische Gastfreundschaft. Die alten Griechen gewährten Fremden ihre Gastfreundschaft, noch ohne zu wissen, wie diese hießen und woher sie kamen: Die Basis solcher Beziehungen war und ist die Gemeinschaft, und zwar in ihrer innersten, feinsten Bedeutung. Gemeinschaft, in der echte Gastfreundschaft ausgeübt wird, ist eine menschliche Gemeinschaft. Für uns im Hotel bedeutet das zum Beispiel Menschlichkeit den Lieferanten gegenüber. Es bedeutet Gastfreundschaft der herzlichen und aufrichtigen Art gegenüber denjenigen, denen die alten Griechen und Griechinnen nie ihre xenia verweigert hätten, also Essen und Unterkunft. Erst recht nicht, wenn sie von weit her kamen. Heute gilt wie damals: Wer an unsere Tür klopft, möchte bei uns kostbare Zeit verbringen. Egal, ob er mit dem Privatjet ankommt oder mit dem Flüchtlingsboot. Wenn wir alle diese Einstellung teilen, wird sich der auswärtige Besucher bei uns nie wie ein Fremder vorkommen. Auch die Mitarbeiterin wird sich gut aufgehoben fühlen und auch ich, der Hotelier. Als Mensch unter Menschen.
Die Grundlagen, die wir dafür brauchen, sind wieder mal Wissen, Bildung, Schulung, Erziehung. Ignoranz zählt zu den großen Übeln unserer Welt. Auch für Gastfreundschaft und Tourismus werden heute Wissen und Kultur benötigt. Im Tourismus geht es darum, die Schönheit und Kultur einer Region zur Geltung zu bringen. Es kann kein echtes Leben geben ohne Kultur und ohne Kunst. Unfreiwillige Kunst eingeschlossen. Wie Gilles Clément zum Thema „unfreiwillige Kunst“ so treffend gesagt hat: Für den, der beobachten kann, ist alles Kunst. Und es ist ja keineswegs so, dass sich Kunst und Kultur in einer elitären Blase befänden, im Gegenteil – sie sind überall zu Hause, von den heruntergekommensten Vororten bis hin zu den abgelegensten Gebirgstälern. Das Problem liegt eher darin, dass wir sie häufig nicht an uns heranlassen. Dabei sind Kunst und Kultur eine mächtige Form des Widerstands gegen die Verführungskraft des Hässlichen.
Die Qualität eines Restaurantkellners bemisst sich nicht nur nach seiner Effizienz. Wirklich gut ist er erst, wenn er auch Empathie und psychologische Kenntnisse mitbringt. An der Rezeption brauchen wir Mitarbeiterinnen, die verinnerlicht haben, dass niemand eine zweite Chance bekommt, um einen (guten) ersten Eindruck zu machen. Und die wissen, dass man als gastfreundlicher Hotelmitarbeiter auch die Wandersleute freundlich grüßt, die nur mal schnell aufs Klo wollen. Wichtig ist weniger, was wir tun, sondern wie wir es tun. Ein Gästezimmer kann perfekt gereinigt, jede Oberfläche auf Hochglanz poliert sein. Doch warme Gastfreundschaft strahlt es erst dann aus, wenn der Gast spürt, dass jedes Detail bedacht wurde. Wir streuen zum Beispiel Rosenblätter in die WCs. Das steht zwar in keinem Hygiene-Handbuch, doch der Gast nimmt es wahr und fühlt sich umsorgt und umhegt. Auch in der Küche ist es mit eiserner Disziplin allein nicht getan; auch hier braucht es Empathie und ein gutes Gleichgewicht für ordentliche Ergebnisse. Am besten fangen wir einfach damit an, ein paar schlechte Angewohnheiten auszumerzen – nicht nur in der Hotelbranche, sondern im Tourismus allgemein. Gewöhnen wir uns zum Beispiel diese vulgäre, aggressive Sprache ab, die gerade so angesagt ist. Die vielen Anglizismen. Dieses Denken, in dem sich alles nur um Marketing und Verkaufszahlen dreht statt um Inhalte. Befassen wir uns stattdessen lieber mit Schönheit, denn Schönheit kann man lernen und vermitteln und sie steckt überall in unserem Alltag. Machen wir uns Sorgfalt und Achtsamkeit zu eigen, denn die brauchen wir für unsere Arbeit. Das fängt bei sorgsam ausgewählter Musik für Lounges und Lobbys an und hört bei einem echten, aufmerksam in Gang gehaltenen Kaminfeuer und einer gepflegten Teezeremonie ohne hässliche Beutelwirtschaft noch lange nicht auf. Dass die Mitarbeiter den Gästen zulächeln, gehört zum Pflichtprogramm. Jeder Gast hat ein Lächeln verdient. Auch aufmerksamer Service und Höflichkeit sind unverzichtbare Eckpfeiler. Uns muss klar sein, dass es noch lange keinen Mehrwert darstellt, einfach nur anders zu sein als die anderen. Wir müssen schon auch besser sein. Und ein Bewusstsein dafür entwickeln, was wir sind, was wir haben und was wir können. In Italien hinken wir da ein bisschen hinterher. Während etwa der Pariser Louvre selbstbewusst Partnerschaften in den USA und den Arabischen Emiraten aufbaut, sind bei uns selbst Meisterwerke wie Sammartinos Cristo velato in Neapel so versteckt, dass man als interessierter Tourist lange danach suchen muss. Ein Bewusstsein für unsere Qualitäten, für die Schönheit, die wir zu bieten haben, können und sollten wir uns aneignen; es ist eine Frage der Erziehung, vermutlich auch der Selbsterziehung. Doch weil so ein Prozess der Selbsterziehung anstrengend ist, weil er Energie kostet, Geld und Sorgfalt, sind wir ihn bisher noch nicht angegangen.