Читать книгу Raus aus dem Rummel! - Michil Costa - Страница 15
ОглавлениеDer Tourismus ist heute nicht mehr nur ein äußerst wichtiger Wirtschaftssektor. Er hat sich längst zu etwas Höherem entwickelt, zu einer Art gesellschaftlichem Raum, der alle beeinflusst und konditioniert, die in ihm zu tun haben. Die Arbeit im Tourismus schafft Identität. Sie erhöht den Status aller Beteiligten und ist als Identitätsquelle fast ebenso wichtig wie als Wertschöpfungsquelle. Wir, die wir mit dem Tourismus zu tun haben, erfahren eine Aufwertung. Zum Erfolg des Tourismus trägt auch die Meinung bei, die sich der Gast von unserer Kultur, unserer Geschichte, unserer Welt bildet. Wer zu uns reist, lässt nicht nur Geld für seine Hotel- oder Restaurantrechnung da, er belohnt uns auch mit Anerkennung. „Wie schön ihr es habt hier in eurem Paradies!“, sagt der Gast – und erst das macht uns wirklich glücklich, stärkt unser Identitätsgefühl. Erst das verleiht unserem ganzen beruflichen Treiben, unserem Leben einen Sinn. Touristisches Marketing dient deshalb nicht ausschließlich der Bewerbung einer Destination, sondern trägt mit der Zeit auch zur Formung eines Images bei, das wiederum die Identität der Bewohner dieser Destination prägt. Die Bilder, die wir mit dem Rest der Welt teilen, formen letztlich auch uns selbst. Daher ist die Verwendung stereotyper Klischeebilder, die unsere Täler als heile, unberührte Paradiese zeigen, so schädlich: Sie produzieren falsche Vorstellungen und Erwartungen, die sich zwar gut verkaufen lassen, aber nichts mit dem zu tun haben, was wir wirklich sind oder was wir sein wollen – nämlich gastfreundlich. Wie der amerikanische Kulturkritiker David Levi Strauss schreibt: „Wie die Geschichte zeigt, verschwindet der Glaube nicht, sondern wird stattdessen auf neue Objekte übertragen: Wir glauben nicht mehr an Götter und Helden, aber wir glauben an Prominente. Wir glauben nicht mehr an Magie, sondern an Technologie. Wir glauben nicht mehr an die Wirklichkeit, sondern an Bilder.“
An dieser Stelle kommt der Regionsgedanke ins Spiel. Gastfreundschaft und Tourismus haben unmittelbar mit der Umgebung zu tun, in der sie stattfinden. Gäste fahren an bestimmte Orte, weil sie das Bedürfnis nach Bergen oder Meer oder Land oder Städten verspüren. Der Schweizer Historiker, Soziologe, Designer und Urbanist Lucius Burckhardt hat Folgendes formuliert: „Die Entwicklung unserer Städte ist heute so intensiv und von zentraler Bedeutung, dass die Städtebaubehörden und die Bevölkerung ständig Entscheidungen von großer Tragweite zu treffen haben. Wenn manche Großstädte so tun, als gäbe es keine Entscheidungen zu treffen, dann treffen sie damit sehr wohl eine: Sie entscheiden sich dafür, ihre Entwicklung ganz den Wirtschaftskräften auszuliefern. Die Verantwortung dafür, sich fürs Nichtstun entschieden zu haben, fällt trotzdem auf sie zurück, auch wenn sie womöglich nicht lange genug leben, um die Konsequenzen zu sehen. Meistens aber beschränken sich die Städte nicht darauf, nichts zu tun. Im Gegenteil, sie treffen eine große Zahl an Einzelentscheidungen, die jedoch nicht einem größeren Gesamtplan entstammen und so – jede für sich oder auch alle zusammen – Folgeerscheinungen verursachen, die die ursprüngliche Absicht in ihr Gegenteil verkehren.“
Hässliche Landschaften, hässliche Städte sind auch dann nicht einladend und gastfreundlich, wenn die Gäste dort grenzenloses Amüsement und endlose Konsummöglichkeiten vorfinden. Selbst unsere geliebten Dolomiten verwandeln sich im Monat August in etwas Tristes, Hässliches, weil dann ganze Karawanen von Autos und Motorrädern über die Passstraßen röhren und die Schönheit dieser Landschaft rücksichtslos vergewaltigen. Auf lange Sicht wird dieses grausame Schauspiel, das auf der schamlosen Ausbeutung unserer Natur basiert, böse Folgen haben. Trotzdem kann sich bei uns einfach niemand zu einer Entscheidung durchringen. Dabei ist die Lage klar: Wir müssen unsere Region um jeden Preis verteidigen, beschützen, in Sicherheit bringen. Anderenfalls können wir hier keine Gastfreundschaft anbieten, die diesen Namen verdient.
Zeitloser Charme: die Bar Verde im Albergo Posta Marcucci, Bagno Vignoni