Читать книгу Fastenzeit - Miguel Peromingo - Страница 4
ОглавлениеIn einem 5-Sterne-Hotel nördlich des Han-Flusses in Seoul tritt ein junger Mann in die hell erleuchtete Lobby. Auf dem schimmernden Marmorboden in der Mitte des Raums steht ein Springbrunnen, dessen Wasserstrahlen leise in verschiedenen Farben plätschern. Das Stimmengewirr an der Rezeption hebt und senkt sich wie das Summen eines Bienenschwarms.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl wird er von einem Mädchen angesprochen. Sie trägt eine Mütze und scheint sich ihre Wangenknochen plastisch behandelt haben zu lassen. Ihre Augen wirken eurasisch. Ihr Mund ist rot geschminkt und spitzt sich beim Reden. Sie wirkt unbeschwert, fragt den Mann, ob er Gesellschaft suche. Er schüttelt den Kopf, drückt auf den Knopf für die Fahrt nach oben. Ihre Stiefel sind bordeauxfarben und schlecht geputzt. Sie bleibt die ganze Nacht, wenn er das wünscht, fügt sie hinzu, Europäer nähme sie besonders gern, sagt sie, bevor sich die Fahrstuhltür vor ihr schließt. Der Mann schaut auf die Uhr. Der Lift wird während der Fahrt nach oben immer schneller. Das Signal, das die Ankunft anzeigt, ist laut und klar.
Unter der Dusche stellt er aus einer Auswahl verschiedener Hintergrundprogramme das Vogelzwitschern ein. Das Licht ist, dazu passend, hell wie Sonnenstrahlen. Ganze Schwärme gut gelaunter Vögel begleiten seine akkurate Wäsche. Er benutzt den Duschkopf in seiner Massagefunktion und lässt ihn langsam und gleichmäßig über seinen Körper gleiten. Insbesondere seine Haare, seine Achselhöhlen, die Genitalien und seine Füße braust er sorgfältig ab. Mit einem Ladyshaver entfernt er ein paar wenige Schamhaarspitzen. Dann steckt er den Duschkopf auf die dafür vorgesehene Stange und wäscht sich das Shampoo ab. Vorher stellt er die Massagefunktion aus, damit sein Haar durch den hohen Wasserdruck nicht unnötig in Mitleidenschaft gezogen wird. Mit beiden Fingern massiert er seine Kopfhaut, um die Durchblutung anzuregen.
Er steht nun vor dem viertürigen Kleiderschrank seines Zimmers im 35. Stock, Executive Floor. Sein Bademantel ist flauschig und liegt eng an. Man kann seine schlanke Figur erahnen. Sein Haar ist dunkel, fast schwarz. Die Augen ebenfalls. Sein Gesicht zeigt keinerlei Lächeln. Er gleitet mit seinen frisch eingecremten Fingern durch die Sammlung seiner zweifarbigen Designerhemden mit Manschetten. Die Creme, die er für seine Handpflege benutzt, ist schnell einziehend und deswegen kein Problem für die hochpreisige Textur seiner Hemden.
Im Fernsehen laufen Nachrichten. Kim Jon Un schüttelt die Hände chinesischer Diplomaten, untermalt vom Stampfen einer Militärkapelle.
Der junge Mann greift ein Paar blau gestreifter Boxershorts aus dem Schrank, dazu schwarze Socken und ein Hemd mit doppeltem Kragen in kräftigem Rot. Die schwere Schranktür gleitet langsam zu und gibt einen gedämpften Laut von sich, als sie sich ganz schließt.
Er legt die Kleidung vorsichtig auf das Bett. Ein Dutzend samtene Kissen liegen auf dem frisch gestärkten Laken verteilt. Er wirft mehrere davon auf den Boden, schaut auf die Uhr.
Er tritt ans Fenster und blickt herab auf ein Meer von metallenem Blau, auf Glas und grelle Leuchtreklamen in rechteckigen Lettern. Die Klimaanlage im Zimmer summt und macht ein Öffnen der Fenster überflüssig.
Als der junge Mann nach einem Glas Wasser greift, das neben seinem Laptop auf dem dunkelbraunen Schreibtisch steht, lässt ein weißer Blitz ihn vor Schreck rückwärts auf das Bett fallen. Bevor das Wasserglas sich, ohne zu zerspringen, über den dicken Teppich ergießt, hört er den Knall. So laut, dass ihm fast die Sinne schwinden.