Читать книгу Fastenzeit - Miguel Peromingo - Страница 7

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Um mich interessanter zu machen, erzählte ich in meiner Kindheit oft die Unwahrheit. So behauptete ich beispielsweise, ich hätte einen schwarzen Gürtel in Karate. Eine Menge Mädchen, die beim Gummitwist meinen Ausführungen folgten, zeigten sich davon beeindruckt. Ich war sehr ungelenk und hatte das schon unter Beweis gestellt. Einmal hatte ich mich sogar auf die Schnauze gelegt, weil sich mein Bein im Gummi verhakte. Trotzdem glaubten mir meine Mitschülerinnen, dass ich ein Meister der asiatischen Kampfkunst sei und nickten zustimmend, wenn ich von schnellen Handkantenschlägen und mehreren Angreifern sprach, die mir gleichzeitig zusetzen wollten und die ich alle erfolgreich in die Flucht schlagen oder in die Dämmerwelt befördern konnte. Ich sehe sie heute noch vor mir, mit ihren von Papa geflochtenen Zöpfen und ihren rutschenden Brillen, wie sie mir alle glauben, dass ich ein großer Kämpfer bin. Sagenhaft. Wenn ich sie heute wiedersähe, würde ich sie alle ins Bett bekommen. Nicht alle auf einmal, dafür sind sie vermutlich zu spießig geworden, aber der Reihe nach.

***

Kai-Uwe hatte seine Ohren damals überall und offensichtlich davon gehört, dass ich mich als Karateka ausgab. Mit aufgeblasenem Brustkorb und einem fiesen Lächeln kam er an einem grauen Schulvormittag in der großen Pause auf mich zu, während ich versuchte, mich so weit wie möglich vom Gummitwist zu entfernte, um nicht auch noch zusätzlich als mädchenhaft identifiziert zu werden. Seine Lederjacke knisterte hinter mir und eh ich mich versah, schnitt er mir den Weg ab. Kai-Uwe hatte immer ein paar Paladine, die erwartungsvoll seinen Schritten folgten und sich jedes Mal sichtlich freuten, wenn er seine Schikanen vollführte. Er war kein Junge großer Worte und ging sofort dazu über, meinen Oberkörper unter martialischen Schreien zu malträtieren. Sein erster Schlag traf mich direkt auf den Brustknochen. Dort wo die Sonne sitzt, habe ich später gelernt. Die Sonne schien für mich an jenem Tag jedenfalls nicht. Ich schnappte nach Luft, aber es schien nicht genügend davon da zu sein. Ich fühlte mich, als atmete ich durch einen Strohhalm. Kai-Uwe benutzte seine Fäuste und sah dabei eher aus wie ein verblödeter Boxer als wie ein Meister der asiatischen Kampfkunst. Beinahe hätte ich ihm das damals gesagt, aber ich hatte Angst, er würde dann anfangen, mich auch noch zu treten. Stattdessen hielt ich also besser still. Das tat ich meistens, wenn er mich schlug, weil ich glaubte, er würde dann eher aufhören. Die Tränen schossen mir in die Augen und es kostete mich alle meine Kraft, nicht loszuheulen. Widerstand hielt ich für absolut sinnlos, seine Entschiedenheit lähmte mich – in der Regel schon bevor er das erste Mal schlug und meine Sonne immer wieder untergehen ließ. Als er mich einmal in der Schultoilette vollpinkelte, hielt ich auch still, während sein Urin an mein Hosenbein plätscherte.

Diesmal schien ihn meine Passivität aber noch zusätzlich anzuspornen. Vielleicht erklärte sich sein Enthusiasmus aber auch daraus, dass eine große Gruppe von Mitschülern, nicht nur seine üblichen Sklaven – sogar ein paar hämisch blickende Mädchen waren ausnahmsweise zugegen –, sich um uns versammelt hatte und dem Schauspiel gebannt folgte. Er schlug und schlug und in meinem Kopf schien nur der eine Gedanke immer schnellere Runden zu drehen: „Bitte hör auf!“

Kai-Uwe schleifte mich, nachdem die echolosen Schläge ihn zu langweilen begannen hatten, über den Schulhof, als wäre ich ein zu schwerer Sack Kartoffeln. Meine Hose riss und ich musste meiner Mutter später erklären, was damit passiert war. Ich wählte die Lüge, sie wäre beim Spielen kaputt gegangen, als ich einen Hang hinunterrutschte. So behielt ich meine Demütigung für mich und gab gleichzeitig vor, männliche Freunde zu haben, die mit mir männliche Spiele spielten – zwei Fliegen mit einer Klappe also. Ob meine Mutter mir das glaubte, weiß ich gar nicht mehr. Vielleicht glaubte sie mir keine meiner Lügen. Aber da sie es selbst mit der Wahrheit nicht so genau nahm, beunruhigten sie meine Schwindeleien nicht weiter.

***

Als Kai-Uwe mich damals zu Ende geschleift hatte und auf dem feuchten Asphalt liegen ließ, entstand in der Zuschauermenge ein kurzer Moment gesichtslosen Mitleids. Es war sehr still und keiner schien die Szene verlassen zu wollen. Ich kann nicht genau sagen, warum mir dieses letzte Detail im Gedächtnis geblieben ist, aber es nimmt in meiner Erinnerung fast genau den gleichen Raum ein wie das Geräusch des Straßenbelags, als meine Hose ihn abrieb.

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