Читать книгу Fastenzeit - Miguel Peromingo - Страница 6
ОглавлениеJahre später sieht mein Leben übrigens schon viel besser aus. Ich arbeite heute in Brüssel als erfolgreicher Entwicklungshelfer. Die Entwicklungshilfe mit der ich zu tun habe, ist aber nur eine Lightversion davon. Ich bin Projektleiter im Capacity Development, reise also nicht in Länder, die voller Malaria und stinkender Straßen sind, sondern in solche, die schon ein paar Dollar Bruttoinlandprodukt auf der hohen Kante haben und nur noch einige freundschaftliche Schubser von den modernen Kolonialstaaten brauchen, um auf der globalen Bühne mitmischen zu können. Das ist hochsensibel und gut bezahlt.
An Geld mangelt es mir nicht und das ist gut so, denn ich sehe nicht ein, warum ich ein bescheideneres Leben führen sollte. Ich habe Brüssel gewählt, weil es nicht so teuer ist wie London oder New York und eine höhere Anzahl an gut aussehenden Frauen bietet. Die Belgierinnen selbst sehen mit ihren ungeschminkten, sauberen Gesichtern und großen Brüsten schon lecker aus, werden allerdings mit der Zeit immer fetter und grimmiger. Der besondere Reiz jedoch entsteht durch die Mischung der ausländischen Frauen aus Europa und dem Rest der Welt. Da die meisten bei irgendwelchen unbedeutenden internationalen Organisationen für eine überschaubare Zeit arbeiten, verhalten sie sich alle, als seien sie mit einem ERASMUS-Stipendium im Auslandssemester. Für mich ist das die optimale Manövriermasse.
Ich bin nicht überarbeitet, weil mein Büro den Kleinkram übernimmt. Ich muss abends nicht zu Frau und Kind, sodass ich mich voll auf meine wesentlichen Interessen konzentrieren kann: Geselligkeit und Frauen.
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Jetzt gehe ich zu Charlotte, oder eigentlich kann sie auch Catherine oder Carine heißen. Interessanterweise haben die flämischen Angehörigen der belgischen Kleinstaaterei ja trotzdem französisch klingende Namen, obwohl sie ihre wallonischen Ko-Patrioten ja am liebsten in der Hölle würden schmoren sehen – und umgekehrt. Jemand, der mit Nachnamen Verbruggen heißt, kann also durchaus aus Namur kommen, Rotwein trinken und, so erzählen es sich die Flamen, den ganzen Tag auf den Eingang seines Arbeitslosengeldes warten, während jemand der Lepont im Pass stehen hat, aus Gent stammen kann und sich pflichtbewusst den Allerwertesten abarbeitet, um das Land nach vorne zu bringen. Charlotte ist Flämin und wird dafür sogar bezahlt. Sie wohnt in St. Catherine, oder Sint-Katelijne, in der Brüsseler Innenstadt und erhält von der flämischen Gemeindeverwaltung, die diesen Stadtteil gern in den Händen des alten bildungsbürgerlichen und fleißigen Flamen wähnen würde, einen Zuschuss zu ihrer Miete. Ein Wallone oder, Gott bewahre, ein Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit in Belgien, würde auf die Zuschussanfrage lediglich einen Tritt in die Eier bekommen.
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Ich gehe über den ehemaligen Fischmarkt, der heute von Restaurants bevölkert wird, die ihre überteuerten Moules Frites anbieten. Die Häuser, in denen sie untergebracht sind, biegen sich in alle möglichen Richtungen. Die abgeblätterte Farbe der Fassaden leuchtet – Gelb und Blau und ab und zu ein wenig Rot. Die Farben des guten Wetters, das man hier fast nie zu Gesicht bekommt. Ist für mich kein Problem, diese Restaurantpreise zu bezahlen. Für den subventionierten Flamen, der hier, auch bei kaltem Wetter, gern unter dem Heizpilz sitzt, ebenfalls nicht. An einer Ecke werden frische Krabben und kalter Weißwein serviert. Die zwergwüchsige und rotgesichtige Nachbarschaft steht Schlange.
Meine heutige Sexpartnerin wohnt hinter der Kirche. Sie will, der Gegend angemessen, einen Sushi-Abend mit mir veranstalten. Auf die Implikationen, die das mit sich bringt, freue ich mich schon.
Ich habe in wenigen Jahren mit über hundert Frauen – über die genaue Zahl verfüge ich nicht –, deren Alter von 18 bis 50plus reichte und die aus allen möglichen Flecken dieser Erde stammten, geschlafen. Mit dunkelhäutigen Frauen konnte ich mich nie richtig anfreunden. Mit Asiatinnen und Osteuropäerinnen dafür umso mehr. Lateinamerikanerinnen zeigen kein Interesse an mir, wahrscheinlich, weil ich nicht gut tanzen kann. Nordamerikanerinnen sind mir zu fett. Aber eine ordentliche Belgierin passt zwischendurch immer rein.
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„Salut, Jorge. Schön vorsichtig mit der Treppe, die Stufen sind sehr wacklig“, warnt sie mich, als ich in ihre Wohnung im obersten Stock eintrete. „Tut mir leid wegen des Geruchs im Treppenhaus“, entschuldigt sie sich weiter. „Es ist wirklich alles sehr alt.“ In der Tat ist die Wohnung auf den ersten Blick zweitklassig. Nachdem man die letzten Stufen, die bereits Teil der Wohnung sind, erklommen hat, starrt man auf eine verschimmelte Wand. Links und rechts setzt sich die Wohnung schlauchförmig fort. Wenige Türen sind sichtbar. An keiner Stelle scheint die Wohnung breiter als zwei Meter zu sein. „Mach dir keine Sorgen“, werfe ich mit warmer Stimme ein, während ich meine Schuhe ausziehe, „ich bin ja wegen dir gekommen.“ Der Satz könnte missverstanden werden, denke ich. Aber ich will gleich das Thema auf die Beziehung zwischen mir und ihr bringen. Und zwar auf die rein sexuelle Natur, die ich diese Beziehung annehmen lassen möchte. „Das ist süß von dir“, sagt sie. „Gib mir den Wein, ich stelle ihn in den Kühlschrank. Oh. Elsässer. Schön. Die Schuhe lass ruhig an. Ist ja nicht so warm.“ Ihre Entschuldigungen nerven mich, aber vielleicht entspannt sie sich nach ein paar Schlucken Wein. Während der Messe für Demokratiehilfe im Maghreb, auf der ich sie kennen gelernt habe, schien sie mir jedenfalls ziemlich versaut zu sein. „Danke, kein Problem. Zuhause ziehe ich die Schuhe ja auch aus. Ist gemütlicher.“ Außerdem habe ich mir nicht umsonst meine teuren und garantiert geruchsfreien Burlington-Socken übergestreift, denke ich weiter. Sie murmelt etwas Bestätigendes aus der Küche, die ebenfalls winzig klein zu sein scheint. Es läuft irgendwo ein Radio mit Pure FM. Good music makes good people. Neben meine Lederschuhe stelle ich meine Herrenhandtasche. Darin habe ich Unterwäsche zum Wechseln, Charlotte soll schließlich nicht sofort merken, dass ich vorhabe, hier zu übernachten. Und Herrenhandtaschen sind in Brüssel kein Ding, weil sowieso alle Männer schwul aussehen. Halstücher, ständiges gegenseitiges Abknutschen und Slim Cut so weit das Auge reicht, schaffen ein Setting, in dem ich meine metrosexuellen Talente voll zum Einsatz bringen kann. Darauf stehen nun mal wirklich die meisten europäischen Frauen. Und wenn es eine geile Niederländerin oder Polin doch mal klassisch männlich braucht, dann habe ich das nötige Repertoire dafür mindestens verbal drauf.
Charlotte hat einen Rock angezogen, der ihren Hintern vorteilhaft betont. Sie steht am Herd und hantiert mit einem verbeulten Topf. Die Luft riecht nach Soja und Moder. Sie hat blau schimmernde, hochhackige Schuhe an, in denen sie immer noch viel kleiner ist als ich. „Der Reis ist fast abgekühlt, dann können wir gleich ...“ „Du hast eine tolle Figur“, unterbreche ich. Sie dreht sich um und ich schaue ohne zu zögern erst auf ihre Brüste und ihr dann in die Augen. Sie lächelt ohne rot zu werden. „Dankeschön. Du auch.“ Am Kochlöffel klebt Reis. „Magst du ein Glas Wein?“, fragt sie. „Dann geht das Rollen leichter.“ Ich lache frech. Sie holt eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. „Ohne Schuhe lässt es sich auch leichter rollen“, werfe ich ein, während ich die Flasche entkorke. „Warum ziehst du nicht auch deine Schuhe aus?“ Eine kurze Pause entsteht. „Gefallen sie dir nicht? Ich habe sie extra für dich ausgewählt.“ „Sie gefallen mir sogar sehr. Du kannst sie ja später wieder anziehen.“
Sie schlüpft erst aus der einen Schlaufe, dann aus der anderen, alles in einer einzigen, fließenden Bewegung, und schaut mir dabei ohne Unterbrechung in die Augen. Mit ihren Schuhen in der einen Hand und der Weinflasche in der anderen steuere ich auf die Couch zu.
Wir sitzen auf dem kühlen Leder und prosten uns zu. Der Wein ist nicht so gut wie der, den ich mitgebracht habe, aber auch nicht schlecht. Sie hat keine Strumpfhose an, ihre Beine sehen samtweich aus. Ihre Haut schimmert warm, obwohl keine einzige Kerze brennt.
„Kannst du denn überhaupt Sushi rollen?“, versucht sie einen kesseren Tonfall. Mir fällt trotzdem auf, dass ihr Atem ein wenig unregelmäßiger geht. Ich habe mein letztes Sushi in Tokyo gerollt, will ich weltmännisch von mir geben, stimmen würde es, entscheide mich aber für: „Ich kann immer noch dazulernen.“ Dabei spiele ich immer noch mit dem Verschluss ihres rechten Schuhs, der neben der Couch steht. Auf dem Tisch fällt mein Blick auf eine Vase mit hautfarbenen Schnittblumen.
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Dann geht alles plötzlich schneller. Ich schneide mit einem scharfen Küchenmesser durch das feuchte Nori-Blatt der ersten Rolle, als sie mir von hinten an die Hüften greift. Ihre Brust legt sich warm auf meine Wirbelsäule. Ich kann spüren, wie sie schwitzt. Ich dringe langsam durch die Reisschicht und lege die erste Rolle auf einen Teller mit verblichenem Apfelmuster, der so aussieht, als wäre er zu oft gewaschen worden. Das macht jetzt aber nichts. Charlotte küsst gut. Sie öffnet den Mund nicht zu weit und ihr Gesicht riecht frisch. Sie atmet jetzt ungeniert. Ihr Unterleib drängt sich gegen mich und bewegt sich hin und her. Ich löse mich aus dem Kuss und lege ein neues Stück Thunfisch auf die Holzplatte. „Hast du Hunger?“, fragt sie. Ich teile das Fischstück in zwei Hälften. „Ja, nach dir“, antworte ich schnell genug, um das Messer wegzulegen, bevor sie sich auf die Arbeitsplatte setzt. Sie nimmt meinen Kopf in ihre beiden Hände. „Ich liebe dein dunkles Haar“, stöhnt sie und küsst mich auf den Mund. Eine Holzschale mit lauwarmem Wasser und ein paar verlorenen Reiskörnern poltert zu Boden. Sie spreizt ihre Beine und bedeutet mir, mich zwischen sie zu stellen. Wir küssen weiter. Sie versucht, so nah wie möglich an mich heran zu kommen. Ich halte sie an ihren Hüften fest und beginne ihren Hals zu lecken.
„Darf ich deinen Busen sehen“, flüstere ich ihr gespielt verhalten ins Ohr.
„Ja klar“, entgegnet sie. „Hier“, sie zupft ungeduldig an dem BH unter ihrem Top. „Mach was du willst mit ihnen.“
Sie hat einen großen Busen. Ich tropfe ein wenig ungezuckerte Sojasoße darauf, damit nicht alles gleich so klebrig wird und nehme die herunter fließende Flüssigkeit langsam mit meiner Zunge auf, indem ich ihren Busen von unten nach oben ablecke wie ein Vanilleeis im Hochsommer. Sie legt ihren Kopf zurück. Ich nehme ein Stück Sushi mit Avocado und stecke es ihr in den Mund. Sie beißt genüsslich auf den eingerollten Reis. „Und jetzt ...“, lacht sie kokett, streift geübt ihren Slip ab und wirft ihn in die Spüle. Ihr Blick öffnet Welten. Ich muss mein Hemd ausziehen, bevor ich weitermache, jetzt ist mir doch warm geworden.