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Kapitel 2

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HEUTE:

Ich habe nicht nur ihn getötet. Es folgten noch weitere. Ich habe damit mein Schicksal endgültig besiegelt. Vielleicht sogar Gottes Plan durchkreuzt. Einen eigenen Willen soll er ja angeblich jedem Menschen mitgeben. Das ist interessant, wenn dieser Mensch nie eine Chance hatte. Ad absurdum.

Ich tötete.

Löschte viele Lichter aus.

Und damit starben alle geheimen verbliebenen Träume und Hoffnungen – die Verführungen dieses beschissenen Lebens. Die Gedanken, es könne irgendwann eine Wiedergutmachung geben, eine faire Chance, einen Lohn für all das.

Sie sind Geschichte.

Ich glaube nicht mehr daran. Es ist vorbei, ich spiele nicht mehr mit. Pech für das Schicksal.

Meine Taten sind lediglich das Ergebnis einer unzähligen Anzahl von Bösartigkeiten der Menschen, die mich von Anfang an begleiteten. Er selbst, seine Taten allein hätten es nicht geschafft, mich dahin zu treiben, wo ich jetzt stehe. Hätte ich je echte reine Liebe erfahren, hätte ich meine Grundrechte leben dürfen – schon als Kleinkind – und wäre nicht als ein unliebsamer Unfall gehandelt worden, wäre all das nicht geschehen.

Ich wäre stark gewesen, selbstbewusst, hätte vertrauensvoll auf Fürsorge und Hilfe der Familie zählen dürfen. Nie hätte ich mich einem solchen Menschen hingegeben, auch nicht den anderen kranken Typen zuvor. Ich wäre nie so überzeugt gewesen, keine Liebe zu verdienen und dankbar alles hinzunehmen, nur damit sich jemand zu mir bekennt. Mir seine Liebe vorgaukelt, eine Illusion, die ich brauchte – mehr noch als die Luft zum Atmen.

Das alles sind Fakten. Ohne Emotionen.

Ich empfinde kein Mitleid, weder für mich noch für andere.

Es ist eine einfache logische Schlussfolgerung eines von anderen geprägten und verpfuschten Lebens.

Ich erschoss an jenem Tag also nicht nur ihn und die anderen, sondern damit auch meine Mutter, meinen Vater, die Stellvertretermutter, den ersten Ehemann und seine gesamte Sippe, den zweiten Betrüger, alle Lügner. Ich erschoss damit jeden, der mich je gedemütigt hatte. Ich erschoss dieses Dasein, die Armut, der Dreck, meine eigene Unfähigkeit mich zu befreien.

Von ihm.

Er röchelte übrigens noch eine Zeit lang, nachdem ich ihn die tödlichen Kugeln verpasst hatte. Eine mitten in sein feistes Gesicht, die andere in die Brust. Links.

Meine Tiere erschoss ich einen nach dem anderen. Allen Hunden war eines gemeinsam: sie liebten mich ohne jedes Misstrauen und liefen freudig auf mich zu, leckten mich begeistert ab. Es war schwierig, jedem von ihnen eine gut platzierte Kugel zu verpassen, bei Jack traf ich daneben und musste noch zweimal abdrücken, bis er endlich zusammenbrach. Sie hatten alle diesen verstörten Blick, sie verstanden nicht, was da geschah. Die letzten beiden flüchteten, versuchten zu entkommen, doch alle Türen waren zu. Es waren die kleinsten. Sie jaulten, hatten Angst. Wuselten umher.

Danach waren sie endlich ruhig.

Die Katzen waren geflüchtet, meine beiden Lieblingskater Charlie und Brikett erwischte ich dennoch. Ich musste nur etwas warten und mit der leeren Futterdose locken. Fünf zutrauliche Schweine, die ich aufgezogen hatte – auch sie mussten sterben.

Aber es würde ihnen tot besser ergehen. Die Tiere waren abgemagert, viel zu dünn.

Ich hatte kein Geld mehr für Futtermittel. Und keine Zeit, um sie ins Tierheim zu schaffen. Die Pferde waren gut genährt und würden schnell neue Besitzer finden. Die Nachbarn waren verliebt in sie. Ein Zettel auf dem Küchentisch musste genügen.

Die Knallerei lockte den halben Ort heran.

Es war typisch, viele Rentner, Arbeitslose und andererseits Menschen mit so viel Geld, dass sie nicht arbeiten gehen mussten. Sie alle hatten die Gemeinsamkeit, fast vor Langeweile sterben zu müssen.

In diesem kleinen Ort gab es nichts bis auf zwei Bushaltestellen. Kein Laden, keine Kirche. Aber es gab einen Friedhof mit Kapelle immerhin. Keine Schule oder andere Einrichtungen. Das einzige Cafe machte sporadisch auf, wenn einer der Ehrenamtler dafür Lust und Zeit hatte. Im Grunde genommen war dieser Ort zu nichts gut.

Idyllisch, aber reizlos.

Ich hatte mich immer gewundert, warum niemand auf die Idee gekommen war, hier ein Altenheim, ein Heim für schwer erziehbare oder straffällige Jugendliche oder eine Irrenanstalt zu errichten. Oder auch ein Frauenhaus.

Solche Orte sind prädestiniert dafür. Aber offenbar ist dieses Dorf so unscheinbar, dass man es ständig übersieht, sobald sich die Frage nach einer geeigneten geographischen Lage für ein solches Projekt stellt.

Glück für all jene, die hier ihre Scheinwelt leben. Die meisten sind Einzelgänger, es gibt nur wenig freundschaftliche Kontakte. Man pflegt dennoch die Dorfgemeinschaft mit kleinen traditionellen Feiern. Allerdings sind diese qualitativ immer schlechter geworden und wurden zuletzt nur noch vom „harten Kern“ besucht.

Zugezogene beeilten sich in der Regel nach ein paar Jahren wieder weiterzuziehen, denn dieses Dorf hatte zu meiner Zeit zumindest die Eigenart, dass man sich nicht wirklich heimisch fühlen konnte. Man konnte hier nicht sesshaft werden, es gab zwar eine Gemeinschaft, doch die wiederum schloss die Neuen aus. Natürlich durfte man an den Feierlichkeiten teilnehmen, auch wurde oft das „Du“ angeboten aber darüber hinaus ging nichts. Echte Nachbarschaftshilfe beispielsweise war sehr selten. Selbst bei denen, die schon Jahrzehnte hier wohnten. Würde ihnen das Haus abbrennen, würden die alteingesessenen Nachbarn allenfalls die Feuerwehr rufen, aber keinesfalls selbst Hand anlegen, sondern abwarten und zuschauen. Gemeinschaftliches Grillen war außerhalb einer entsprechenden ausgerufenen Feierlichkeit ebenfalls etwas, was den Dorfbewohnern nicht behagte.

Jegliche Nähe, die über reine Förmlichkeiten hinausging, war jedenfalls zu meiner Zeit einfach nicht möglich.

Wollte man hier tatsächlich leben, musste man eine dicke Mauer um sein Anwesen ziehen und sein Zuhause abgrenzen. Und Freunde von außerhalb einladen.

Das alles kannte ich vorher nicht. Wo ich gewohnt hatte, war das anders gewesen.

Es gab gute Nachbarn und es war üblich, gemeinsam zu grillen, sich Gefälligkeiten zu erweisen und darauf zu vertrauen, dass im Notfall jemand da war, der auf das Haus achten oder die Tiere versorgen würde.

In der Regel wusste der eine vom anderen, wenn etwas wichtiges anstand. Eine Hand wäscht die andere. Und Nachbarn sind immer da, man sollte sich also gut mit ihnen stellen. Das hatten alle beherzigt, die ich kannte.

Noch heute frage ich mich, warum ich ausgerechnet dort gelandet bin – in einem Dorf ohne Seele und Herzlichkeit.

Aber eigentlich passend zu meinem restlichen Leben.

Ich hatte noch genug Munition. Die zwei Kleinkinder zuerst. Ihre entsetzt dreinschauende Mutter hielt den kleinen Jungen auf dem Arm, das etwas ältere Mädchen, vielleicht war sie vier, stand neben ihr fest an der Hand gehalten. Unsere Blicke trafen sich und die Kleine schien genau zu spüren was vorging – und was noch kommen würde. Denn plötzlich schrie sie wie am Spieß, riss sich los und umklammerte das Bein ihrer Mutter wie eine Ertrinkende.

„Komm weg, Mama, komm!“ Ich wusste, beide Kinder hatten genau wie ich früher keine Chance, sie lebten bei Alkoholikern. Sie würden später ebenfalls ein gequältes Leben führen und ihrerseits Opfer finden.

Besser, diesen Kreislauf zu beenden.

Mädchen, Junge, ihre Erzeugerin.

Erledigt mit nur drei Schüssen.

Als wäre ich dafür geboren.

Zum Glück war auch die Weiberclique vollständig, die sich gegen mich verschworen hatte und so gern über mich tuschelte.

Sie alle waren mir stets mit der größtmöglichen Arroganz begegnet. Sie definierten sich ausschließlich über ihre reichen Gatten und ihr sorgloses und gut situiertes Leben. Das nun jäh endete – immerhin würdig und schnell.

Das hätte nicht sein müssen.

Aber Arroganz ist eine von mir meist gehassten Eigenschaften.

Gepaart mit Dummheit eine Pest. Diese vier Frauen waren eine Ausgeburt der primitiven Arroganz.

Die wichtigsten Personen waren eliminiert.

Der Rest von ihnen – das mochte deren Schicksal entscheiden. Eine faire Chance.

Also schoss ich blind in die Menge.

Die Dörfler sind tatsächlich langsamer im Denken. Ich konnte noch ein Magazin nachladen und erwischte noch sechs weitere, die meisten mitten in ihre unglaublich erstarrten Gesichter.

Jetzt bin ich frei, bar jeder Hoffnung und Illusion. Reue empfinde ich keinen Moment. Mein Raum ist wie eine Zelle klein, wenige persönliche Dinge sind drin, keinerlei Erinnerungsstücke. Ich will es so. Alles ist sauber, der Tag überschaubar.

In meinem alten Leben würde ich wahrscheinlich irgendwelche Dinge im Haus reparieren oder schlicht Scheiße wegwischen, mich um die Tiere kümmern, ohne wirklich Zeit für sie zu haben, wieder einmal Bittbriefe oder Bewerbungen schreiben und Absagen lesen. Ich würde auf dem Schreibtisch Rechnungen sehen, die ich nicht bezahlen kann.

Ein paar Geldstücke für die nächsten Tage. Kein Essen da haben. Das bisschen, was da ist den Tieren zubereiten. Ich würde bangen, ob der Strom noch funktioniert, die Heizung läuft, das Internet und Telefon ebenso, oder ob das Wasser steigt und den Stall mal wieder überflutet.

Ich würde ein Drecksloch sehen, wenn ich mich umschaue. Ich schlafe darin.

Ich würde zerstörte Dinge notdürftig reparieren.

Ich wäre unendlich müde.

Hier ist es anders. Freie Kost und Logis. Alles sauber.

Ich brauche kein Geld, also arbeite ich nicht. Ich lasse die Tage vergehen.

Gedanken an mein Schicksal sind das einzige, sie sind geprägt von einer unbändigen Wut.

Ich erhalte diese Wut in mir, ich versöhne mich nicht. Ich will mit dieser Wut sterben und sie ihm vor die Füße werfen. Gott. Wenn es ihn denn gibt.

Ich habe ein paar seiner Glückskinder platt gemacht. Es war Zeit für sie zu gehen und ich habe das bestimmt. Genug Glück gesehen, meine Lieben. Genug auf meine Kosten amüsiert.

Genug gedemütigt.

Ab in die Gruft.

Diese arroganten hirnlosen Weiber....

Bestimmt liegt für die eine schon ein Tennisdress und teurer Schmuck bereit. Für die andere das neue Gesicht und die Figur eines Topmodells, das sie so sehr bewundert. Die dritte freut sich vermutlich über eine Villa mit todschicken Möbeln. Und die andere ganz schlicht über ein paar Millionen auf dem Konto

nur für sich allein.

Ob man im Jenseits shoppen gehen kann?

Wieso nicht – sie hatten doch schon den Himmel auf Erden.

Wenn es überhaupt jemanden gibt, der mein Schicksal lenkt, tatsächlich einen Gott, so kann ich nur sagen, dass er eine Ausgeburt der Perversion ist.

Ein Komödiant und doch eine traurige Gestalt. Das war´s.

Mehr habe ich nicht zu sagen.

Claire Nolan

PS.

Ich will bestraft werden. Trotz aller Wut weiß ich , nichts und niemand verdient was ich getan habe. Es gibt keine wirkliche Entschuldigung. Ich nehme meine Schuld an.

C.N.

Ich richte dich!

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