Читать книгу Arthur - Mikael Lindnord - Страница 8

Örnsköldsvik, 1993

Оглавление

„Nein, Mikael, du nicht. Du bist raus. Nicht gut genug.“

Ich hörte auf, mir die Schlittschuhe zuzubinden, und sah mit offenem Mund zu meinem Eishockeytrainer hoch.

„Du kannst dableiben, wenn du willst“, fuhr er fort, „aber du spielst nicht. Vielleicht packst du besser deine Sachen und verabschiedest dich.“

Er drehte sich um und ging aus der Umkleide hinaus in die Eishalle, um weiter mit den anderen Schülern zu sprechen. Drei schickte er aufs Eis und gab ihnen Anweisungen für eine neue Übung. Er sauste davon, als wüsste er überhaupt nicht, welchen Schlag er mir gerade verpasst hatte.

Es fühlte sich an, als hätte sich mein Inneres verflüssigt. Nicht. Im. Team. Ich war siebzehn, und in der Eishockeymannschaft zu sein war so ziemlich das Einzige, was ich mir immer erträumt hatte, alles, worauf ich die vergangenen fünf Jahre hingearbeitet und wofür ich trainiert hatte. Kein einziges Training hatte ich verpasst, alles, was man von mir verlangte, hatte ich getan und darüber hinaus noch mehr, sogar außerhalb der Saison und an den Ruhetagen hatte ich trainiert. Meine gesamte Energie und Zeit, einfach alles, was ich hatte, hatte ich in dieses Ziel investiert.

Noch klangen die Worte meines Trainers wie ein Echo durch die Eishalle. „Nicht gut genug.“ Ich bückte mich, um meine Sachen wieder einzupacken, sodass niemand mein Gesicht sehen konnte. Als ich alles verstaut hatte, schaute ich hoch zu meinen Schulkameraden. Damals ahnte ich es noch nicht, aber es sollte zwanzig Jahre dauern, ehe ich diesen Umkleideraum wieder betrat.

Als die anderen zum Training hinausgingen, schien für sie alles wie immer. Keiner bemerkte, dass etwas in Mikael Lindnord gerade gestorben war.

Für jemanden, der in Örnsköldsvik in Nordschweden geboren und aufgewachsen ist, ist Eishockey schlicht das Größte. Eigentlich gilt das sogar für alle Schweden. Unser Land ist da etwas eigenartig: Wenn man auf einem Gebiet mittelmäßig ist, ist das in Ordnung. Mittelmäßig ist okay. Aber wenn es eins gibt, worin man richtig, richtig gut sein muss, dann ist das Eishockey. Das ist der Sport, der einem mehr als jeder andere Respekt einbringt – mehr als Fußball, Orientierungslauf oder Skifahren.

Schon als kleiner Junge war ich beim Sport mit Herzblut dabei. Ich bin zwar nicht das geborene Talent, aber ich war schon immer sportbegeistert und wollte unbedingt gewinnen. Einmal, als ich zehn Jahre alt war, trainierten wir in der Schule Volleyball. Es war nur ein Trainingsspiel und das Ergebnis spielte keine Rolle, aber als der Lehrer auf Aus entschied, weil er den Ball an der Hallendecke gesehen hatte, ging auch ich an die Decke. Ich war mir sicher, dass der Ball noch gut gewesen war, und wollte seine Entscheidung nicht akzeptieren. In diesem Alter muss ich meine Lehrer zur Weißglut gebracht haben, aber ich wollte eben unbedingt gewinnen. Sogar beim Training.

Die Lehrer erkannten wohl meine Entschlossenheit und meinen Einsatz, aber unterm Strich sahen sie einfach zu wenig Können.

Als ich an diesem Abend meines letzten Eishockeytrainings nach Hause ging, fragte ich mich, wie ich es meinen Eltern beibringen sollte, dass ich nicht mehr in der Mannschaft war. Sie wussten, wie viel es mir bedeutete, denn meine Mutter hatte mich während der letzten zwölf Jahre ständig zum Eishockey und zu anderen Sportveranstaltungen gefahren. Es muss sie all die Jahre schrecklich gelangweilt haben, im Auto darauf zu warten, bis ich endlich mit wer weiß was für einem Training fertig war, aber gesagt hat sie nie etwas. Einmal war meine Mutter mit Abstand die Letzte, die noch wartete. Ich hatte mich bei einem Orientierungslauf verirrt und brauchte viel länger als alle anderen. Doch das hielt mich nicht davon ab, akribisch darauf zu achten, alle Stationen anzulaufen und mir meine Stempel zu holen. Ich hatte die Aufgabe, die ganze Strecke zu schaffen, also schaffte ich sie. Wie mir heute klar wird, zeichnete sich schon damals ab, dass ich keiner werden sollte, der schnell aufgibt.

Mein Vater war bei der Armee und arbeitete für die Vereinten Nationen. Damals verstand ich noch nicht, was das für ein Job war, und er erzählte auch nicht viel von seiner Arbeit. Aber ich wusste, sie war wichtig und nahm viel Zeit in Anspruch.

Das hieß auch, dass er die Möglichkeit bekam, ein Jahr im Ausland zu arbeiten. Er musste nicht, aber er wollte gern. Ich war zwölf und meine Schwester sieben, als wir mit unseren Eltern aus Schweden wegzogen und uns am anderen Ende der Welt niederließen: zunächst für sechs Monate in Damaskus und dann für weitere sechs Monate in Kairo.

Heute bin ich froh über dieses Jahr im Ausland, an so beängstigend fremden Orten. Wie bei vielen nicht ganz angenehmen Erfahrungen im Leben bemerke ich im Rückblick, dass ich dabei viele Dinge gelernt habe; Dinge, durch die ich die Welt heute ein bisschen besser verstehe.

Damals kam es mir jedoch nicht so vor. In der Schule lernte ich sogar herzlich wenig. In Damaskus musste ich die pakistanische Schule besuchen, wo ich grausame Lehrer hatte. Unser Unterricht fand auf Englisch statt, was ich damals noch nicht gut sprach. Mein schwächstes Fach war Mathe (eigentlich war ich in allem, was mit Zahlen zu tun hatte, und auch in den meisten naturwissenschaftlichen Fächern, ziemlich mittelmäßig). Man stelle sich also einen mittelmäßigen schwedischen Jungen vor, der Mathematikunterricht auf Englisch bekommt. Manchmal mussten wir bis zum nächsten Tag neue Einmaleinsreihen lernen, und wenn ich die Aufgaben dann nicht konnte, was meistens der Fall war, wurde ich übel geschlagen. Meine Mutter half mir zwar bei den Hausaufgaben, aber im Unterricht beantwortete ich eine Frage nach der anderen falsch und bekam für meine angebliche Dummheit fast immer die Ohren langgezogen. Und zwar kräftig – mit festem Griff und einem Ruck vorwärts. Erstaunlich, dass ich heute keine riesigen oder in seltsamen Winkeln abstehenden Ohren habe.

Es war eine schwere Zeit. Nicht genug, dass ich geschlagen wurde, ich hatte auch noch fürchterliches Heimweh nach Schweden und sehnte mich unheimlich nach meinem Zuhause und meinen Freunden. Schließlich wandte sich mein Vater an die Schule und machte den beiden Schulleiterinnen – zwei ziemlich furchteinflößenden Frauen – klar, dass es nicht hinnehmbar war, einen schwedischen Bürger, und sei es auch ein noch so junger, auf diese Weise zu malträtieren. Das bedeutete zwar das Ende der Schläge, doch abends war ich immer sehr müde, musste aber aufbleiben, bis ich meine Hausaufgaben erledigt hatte. Es schien mir wie eine einzige Strafe, und so soll Schule einfach nicht sein. Noch dreißig Jahre danach verfolgt mich die Erinnerung an diese Zeit.

Trotzdem gaben mir diese sechs Monate hier und die sechs Monate in Kairo etwas darüber mit, wie Menschen miteinander leben – und wie sie miteinander leben sollten. Mitzuerleben, wie sich Menschen aus verschiedenen Kulturen aneinander gewöhnen mussten, war an sich schon eine Lektion. Und weil es mir so schwerfiel, eine fremde Sprache zu lernen, werde ich wohl immer Verständnis für Leute haben, die in ein fremdes Land kommen, in dem sie auf einmal alles in einer Fremdsprache erledigen müssen.

Kurz nach unserer Rückkehr nach Schweden zogen wir nach Örnsköldsvik, wo wir immer noch leben. Es ist fantastisch hier: Man kann Ski laufen, hiken, Rad fahren, schwimmen, Ballsport treiben – und alles ist nur ein paar Minuten von zu Hause entfernt.

Die Stadt liegt an einem wunderschönen Schärenmeer in der Gegend der sogenannten Hohen Küste – der Höga Kusten. Das Land ist eine grandiose Mischung aus steilen Hügeln, kleinen Inseln und Wäldern, es sieht zu jeder Jahreszeit herrlich aus, und die Wanderwege bieten Aussichten, die zu den spektakulärsten der Welt gehören.

Wenn ich als Junge nicht Eishockey spielte, war ich Rad oder Ski fahren – als Kind hatten wir immer fantastische Skiferien – oder auch Schlittschuh laufen. Ich lief gern auf dem Eis, obwohl es mir viele Jahre nicht ganz leicht fiel. Meine Schlittschuhe passten mir nicht richtig, sie drückten fürchterlich. Wenn ich mich auf dem Eis so umsah, schienen all die anderen Leute keine Probleme mit ihren Schlittschuhen zu haben. Ich dachte, dass wohl alle diese Schmerzen hatten und man es ihnen bloß nicht ansah, auch wenn ich das nicht so recht nachvollziehen konnte. Erst Jahre später, als ich passende Schlittschuhe hatte, bemerkte ich den großen Unterschied – und jetzt, mit neununddreißig, bin ich ein besserer Schlittschuhläufer als früher, als ich noch fünf oder sechs Stunden pro Woche trainierte. Im Sommer spielte ich außerdem Fußball, aber nur zum Spaß. Bei diesem Sport wusste ich, dass mir die Technik fehlte, um wirklich erfolgreich zu sein.

Aber in diesem Sommer, dem Sommer, in dem ich nicht in die Eishockeymannschaft gekommen war, machte ich eine Entdeckung, die meine Enttäuschung ein bisschen dämpfte. Ein Mädchen namens Helena.

Es war der Sommer 1993, die Prüfungen waren vorbei, und wir konnten sorglos draußen sein, lange aufbleiben und sogar manchmal heimlich einen trinken, wenn unsere Eltern nicht aufpassten. Auf dem Gymnasium hatte ich, seit ich fünfzehn war, eine Freundin, wir waren also schon fast drei Jahre zusammen. Wie die meisten meiner Freunde hielt ich mich schon für ziemlich erwachsen, aber rückblickend war ich damals wohl nicht ganz so reif, wie mein siebzehnjähriges Ich sich das dachte. Nur weil man eine Freundin hat und viel Sport treibt, ist man eben noch nicht erwachsen.

Ein paar von uns beschlossen, den Ferienbeginn zu feiern und in der Stadt tanzen zu gehen. Wir wussten, dass Leute von mindestens zwei anderen Schulen da sein würden, also glaubten wir – vor allem meine Freunde, die noch solo waren –, dass man wahrscheinlich neue Jungen und Mädchen kennenlernen konnte. Das konnte ja nur gut sein.

Es war laut und dunkel wie so oft bei solchen Veranstaltungen, aber ich bemerkte sofort einen goldfarbenen Schimmer am anderen Ende des Raumes. Als ich mich vorsichtig näherte, entdeckte ich ein unglaublich hübsches Mädchen. Sie wirkte clever und witzig und sah umwerfend aus. Wir unterhielten uns ein bisschen, soweit das bei all dem Lärm überhaupt ging, und ich fand heraus, dass sie jünger war als ich – sechzehn – und gerne Sport trieb, vor allem Reiten. Und dass sie mit niemandem zusammen war. Aber ich hatte eine Freundin, also verabschiedete ich mich nach kurzer Zeit schon wieder von ihr.

Trotzdem wusste ich tief in mir, dass sie die einzig Wahre war und dass ich mich von meiner Freundin trennen musste, bevor ich die nächsten Schritte unternehmen konnte. Nachdem ich den schwierigen Teil erledigt hatte, war die nächste Herausforderung, mich um Helena zu bemühen. Als ich das erste Mal fragte, ob ich vorbeikommen dürfe, erklärte sie mir, dass sie nicht könne, weil sie eine Woche zu einem Reitlager fahre.

Aber dadurch ließ ich mich nicht bremsen. Das Reiten war ihr sehr wichtig, das merkte ich, und daher war ich mir sicher, dass das Lager keine Ausrede war. Außerdem wirkte sie ein bisschen aufgeregt, weshalb ich mir noch sicherer war, dass sie mich wirklich treffen wollte. Schritt für Schritt lernten wir uns kennen und verabredeten uns häufiger – wenn wir nicht gerade im Reit- oder Eishockeytraining waren, natürlich.

Später hat sie mir erzählt, sie habe sofort erkannt, dass ich „ein ganz besonderer Junge“ sei. Dazu kann ich nichts sagen, aber ich weiß, wie wunderbar es ist, dass sie nach all den Jahren noch immer glaubt, dass ich jemand Besonderes bin.

Die Liebe seines Lebens zu treffen ist schon eine Erfahrung, die einen ein Stück weit erwachsener macht, und das Gleiche gilt für den Militärdienst. Als ich achtzehn war, galt noch die Wehrpflicht – seit 2010 wird man nur noch militärisch ausgebildet, wenn man Berufssoldat werden will. Ich glaube allerdings, dass viel für die Wehrpflicht spricht. Man lernt Disziplin und bekommt eine Struktur, und man ist gezwungen, etwas über sich selbst herauszufinden. Für mich fing das Leben damit erst richtig an.

Ich verpflichtete mich freiwillig für fünfzehn Monate bei der Armee, obwohl ich nach der Sache mit der Eishockeymannschaft völlig unsicher war – ich fürchtete mich regelrecht –, ob ich das durchstehen würde.

Meine ganze Kindheit über war mir gesagt worden, ich sei schwach. Ich wusste, dass mein Vater nicht viel von mir erwartete; als wäre es gestern gewesen, erinnere ich mich, wie er mir sagte, er glaube nicht, dass ich es schaffen würde. Vielleicht hatte er, da er ja selbst beim Militär war, zu viele junge Männer an den harten Aufgaben zerbrechen sehen. Vielleicht hatte seine Vorstellung, ich sei „schwach“, auch etwas mit meiner Abscheu vor Auseinandersetzungen zu tun – die hasse ich tatsächlich. Nach jeder Auseinandersetzung geht es mir noch lange sehr schlecht. Aber schwach? Ich hatte eher den Eindruck, dass ich etwas beweisen musste, und das nicht nur mir, sondern auch ihm und allen anderen.

Nach den ersten Fitness- und Ausdauertests war ich mir mehr und mehr sicher, dass ich recht hatte und mein Vater nicht. Hier gehörte ich hin.

Zu den ersten Tests gehörte ein zermürbender Marsch, bei dem fünfundfünfzig von uns die Berge bei Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens nahe der finnischen Grenze, mit fünfzig Kilo auf dem Rücken überqueren mussten, wobei wir ganz auf unsere eigenen Kräfte angewiesen waren. Je härter der Marsch wurde, desto mehr Leute gaben auf. Man hatte erwartet, dass nicht viele bis zum Ende durchhalten würden, und so kamen von den ursprünglichen fünfundfünfzig – die alle als physisch außerordentlich fit eingestuft waren – nur zweiundzwanzig zu der Eliteeinheit der Küstenjäger.

Ich war überglücklich über den Beweis, dass ich die nötige Härte besaß, so etwas durchzustehen. Den Offizieren, die mich zuvor angeschrien und beschimpft hatten, hatte ich es gezeigt.

Als ich an der Reihe war, die Jungs anzuführen, dachte ich, ich würde sie mal von der bitteren Medizin kosten lassen, die ich hatte schlucken müssen. Den Tag werde ich nie vergessen, als ich mich vor ihnen aufbaute, um ihnen meine Ansage zu machen. Ich glaubte wohl, je lauter ich schrie und je mehr ich sie anpöbelte, desto härter würde ich wirken und desto mehr würden die Männer danach zu mir aufschauen. Ich muss wohl gedacht haben, dass ich mit zunehmender Lautstärke umso besser meine tiefliegende Unsicherheit überspielen konnte.

Es lief nicht gut. Mein Gesicht lief rot an, ich vergaß, was ich alles sagen wollte, und bei meinem ganzen Geschrei versagte mir immer wieder die Stimme. Aber trotz dieser missglückten Ansprache war ich der Überzeugung, dass ich dazu geeignet war, in der Armee Erfolg zu haben.

Danach absolvierte ich monatelang noch anspruchsvollere Manöver, denn offenbar sollten wir zu Kriegern ausgebildet werden, die überleben können und die töten, ehe sie selbst getötet werden. Das Szenario bei den meisten Übungen war eine Verteidigungsmission entlang der russischen Grenze. Kein Tag war wie der andere – wir wurden von Hunden gejagt oder von anderen Einheiten. Oft gingen uns die Vorräte aus und wir mussten uns unter Feuer an die imaginären feindlichen Linien heranschleichen. Und wie in den meisten Filmen dieser Zeit kam der „Feind“ aus dem Osten.

Je länger die Ausbildung dauerte, desto mehr erkannte ich, dass ich recht hatte – ich war stark. Nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf. Ich hatte Willenskraft. Wir konnten zwei Mann tragen, dabei rennen und trotzdem gewinnen. Ich konnte weitermachen, wenn alle anderen schon aufgegeben hatten. Ich fand heraus, dass ich enorme Durchhaltereserven hatte und so lange ohne Schlaf auskam wie kein anderer.

Darüber hinaus bemerkte ich noch etwas anderes, was mein Leben verändern sollte. Ich entdeckte in mir etwas, was auf Schwedisch wörtlich übersetzt „Truppencharme“ heißt: die Fähigkeit, die Jungs mitzunehmen. Ihnen nicht nur zu sagen, was sie tun sollen, sondern es ihnen auch zu zeigen. Ich lernte, durch gutes Beispiel zu führen. Ich brüllte und schimpfte nicht mehr, sondern ging positiv voran. Ich war der geborene Anführer.

Bei einem Manöver waren wir draußen in der Wildnis, als es unbeschreiblich kalt wurde. Taube Glieder, zusammengekniffene Hintern, eingefrorene Zehen – so kalt. Wir sahen unsere Atemwolken und merkten, wie die Wimpern bei jedem Blinzeln zusammenfroren.

Für manche war es hart an der Grenze des Erträglichen, aber ich merkte, dass mir nicht nur die Kälte und die Erschöpfung nichts ausmachten, sondern dass ich den anderen auch zeigen konnte, dass es in Ordnung war, dass wir das überstehen würden. Wenn wir einander halfen und durchhielten, würden wir es gemeinsam schaffen. Einer oder zwei mussten getragen werden, und ein anderer musste durch Herumalbern dazu ermuntert werden, den letzten Aufstieg noch durchzuhalten, obwohl er schon fast aufgegeben hatte. Irgendwie gelang es mir, uns alle ans Ziel zu bringen – gut gelaunt und Gott sei Dank alle noch am Leben.

Dann, nach einer besonders heftigen Bewährungsprobe im Gebirge – bei der unser dreißig Mann starker Trupp bei eisigen Temperaturen in zehn Tagen ein schwieriges Gelände durchquert hatte –, kamen wir gerade zurück ins Lager, nur um zu erfahren, dass es am nächsten Morgen einen weiteren Wettlauf gegen das übrige Regiment geben sollte. Wir waren alle wund, krank und entkräftet. Unvorstellbar, dass von uns erwartet wurde, bei Sonnenaufgang am nächsten Tag wieder unser Bestes zu geben. Von den dreißig fanden sechsundzwanzig einen Grund oder bekamen ein ärztliches Attest, um den Lauf nicht absolvieren zu müssen.

Obwohl ich irgendwo tief in mir hoffte, dass man nur mal sehen wollte, ob überhaupt jemand auftauchen würde, stand ich in aller Frühe auf und trat zum Dienst an. Der Befehl war ernst gemeint. Es ging um ein echtes Rennen und es gab kein Zurück. Wir traten also zum Wettkampf an, rannten wie die Wahnsinnigen und gingen kurz hinter den Siegern durchs Ziel – und das mit einer exzellenten Zeit.

Als wir die Ziellinie überquert hatten, standen wir vornübergebeugt und völlig entkräftet da, aber auch leicht euphorisch, weil wir es geschafft hatten. Der befehlshabende Offizier kam zu uns. „Okay, Leute. Gut gemacht. Ab heute seid ihr die neuen ersten Offiziere der Küstenjäger.“

Als ich mit schweißnassem Gesicht vor ihm salutierte, durchflutete mich ein Gefühl von Stolz und Befriedigung, das ich bis heute verspüre. Zum ersten Mal hatte mir jemand gesagt, dass ich der Beste war. Und ich genoss diesen Moment.

Er hatte weitreichende Folgen: War ich zuvor rot angelaufen, wenn ich vor vielen Leuten sprechen sollte, was ich deswegen hasste, konnte ich nun befreit in der Öffentlichkeit reden. Wo ich zuvor eher zurückhaltend gewesen war, übernahm ich nun das Ruder und gab den Ton an. Das Wichtigste war jedoch, dass mir klar wurde, dass ich Erfolg haben konnte, dass ich jemand war, der führen, das große Ganze sehen und Selbstvertrauen haben konnte – und der reif genug war, all das auch zu erkennen.

Ich wurde langsam erwachsen.

Arthur

Подняться наверх