Читать книгу Teresa von Avila im Spiegel des Lebens und der Deutung Edith Steins - Mike Wogengletter - Страница 10
3. Exkurs: Der Wahrheitsbegriff bei Edith Stein:
ОглавлениеIn den frühen Schriften Edith Steins, wie etwa „Zum Problem der Einfühlung“ kommt der Begriff „Wahrheit“ nicht wesentlich zum Tragen. Das meint, dass der Begriff meist in einer relativ unreflektierten Variante von „in Wahrheit“[93],im Sinne von „der äußeren Realität entsprechend“, auftaucht. Dreimal ist der Begriff an „historisch“[94] gekoppelt. Dieses geschieht gegen Ende der Schrift. Daher ist es relativ schwierig, den Begriff Wahrheit zu treffen, der Edith Stein im Sommer 1921 zu eigen war. Die thomistische Schule wurde ihr erst in den darauffolgenden Jahren von Joseph Schwind nahegelegt. Daher wird im Folgenden noch auf diesen reflektierten Begriff der Wahrheit in den Jahren nach etwa 1923 eingegangen. Dieser, so wird hier vermutet, wird durch ihre philosophische Vorbildung im Sommer 1921 schon angelegt gewesen sein. In ihrem Hauptwerk „Ewiges und Endliches Sein“ ist der Wahrheitsbegriff in tieferen Reflexionsstufen ausgeprägt aufzufinden. Erst durch diese Schriften ist eine Rekonstruktion gesichert möglich.[95]
Edith Stein beschreibt mit der thomistischen Lehre „die Wahrheit [als] nur eine“[96]. Diese Wahrheit ist für das Subjekt in verschiedenen Ausprägungen „in [den] Wahrheiten“[97] erkennbar. Wird dabei eine der Wahrheiten betrachtet, so wird diese sukzessive in einer größeren Weite offenbar. Diese Weite aber führe zu einer jeweils größeren Tiefe in der Erkenntnis der einen Wahrheit.[98]
Edith Stein wagt dabei den Versuch, die Phänomenologie mit der Scholastik zu vereinen. Sie beschreibt, dass „in der Schule Edmund Husserls ihre philosophische Heimat und in der Sprache der Phänomenologie ihre philosophische Muttersprache“[99] sei. Dabei wolle sie mit der Phänomenologie versuchen, „den großen Dom der Scholastik“[100] zu erreichen. Um die Wahrheit finden zu können, sei die Philosophie eine der möglichen Geisteshaltungen. Dennoch sind der Philosophie, die sich der natürlichen Vernunft bedient, Grenzen gesetzt. Die natürliche Vernunft kann bis zum ersten Seienden vordringen. Was dieses erste Seiende sei, darüber gäben der Philosophie der Glauben und die Theologie Auskunft.[101]
„Die Vernunft würde zu Unvernunft, wenn sie sich darauf versteifen wollte, bei dem stehen zu bleiben, was sie mit ihrem eigenen Licht entdecken kann, und die Augen vor dem zu schließen, was ein höheres Licht ihr sichtbar macht.“[102]
Die Philosophie sei aber dennoch autark, da sie ihre eigenen Methoden mitbrächte. Der zu betrachtende Gegenstand sei unter anderem entscheidend für die Art des Entdeckens. Philosophie wird also nicht zur Theologie, wenn sie sich mit dem Glauben befasse. Sie gehöre zu dem Kanon der Wissenschaften als Einzelwissenschaft. Die wissenschaftliche Regel aber sei also durch das zu Betrachtende bestimmt, sodass Philosophie, die die geoffenbarte Wahrheit mit einbezieht, nicht mehr „reine und autonome Philosophie“[103] sei. Der Gegenstand lege somit diese Regeln fest. Wissenschaft an sich aber sei absolut. Sie habe ein „unabhängiges Dasein“[104], das durch spezifische Arten von Beweisen und Verfahren die Gegenstände unterscheide und aufbaue. Es gehörten aber auch „Irrtümer, Umwege und Entstellungen der Wahrheit“ [105] zu den natürlichen Anteilen der Wissenschaft. Wirklichkeitswissenschaft sei nicht zu einem Abschluss zu bringen, da das Seiende sich in Gattungs- und Artmäßigkeit unterscheide. Die natürliche Vernunft sei dabei in ihrer Erkenntnisfähigkeit limitiert, sodass sie, wie im obigen Zitat beschrieben, auf andere Bereiche der Erkenntnis zurückgreifen müsse. Wie aber kann alles Seiende nun erfasst werden?[106]
Alles Seiende, so beschreibt Edith Stein, lässt sich nur in der göttlichen Weisheit erkennen. Durch sie werde der menschliche Geist geschult, schrittweise zu deuten. Dabei sei die Schau der Moment, in dem der Geist das Göttliche und „alles Geschaffene umfaßt“[107]. Diese Schau ist im Glauben möglich, der Gott ergreift. Die Prämisse des Ergreifens sei aber ein „Ergriffen werden“[108], das nur in und durch die göttliche Gnade möglich sei. Eine Offenheit der Gnade gegenüber ist dafür wiederrum Vorrausetzung. Der Glaube jedoch sei ein „dunkles Licht“[109] was den Verstand überschreite, um ihm etwas aufzuzeigen, das ihm nicht greifbar ist. Der Glaube führe zu der einen klaren Wahrheit. „Darum steht der Glaube der göttlichen Weisheit näher als alle philosophische und selbst theologische Wissenschaft.“[110] Die natürliche Vernunft sei dabei ein kleines Licht, das auf der Suche nach den Strahlen der Wahrheit im Dunkel des Voranschreitens im Glauben hilfreich sei.[111]
Der Weg mit der natürlichen Vernunft aber öffne den Weg zum Austausch mit den ungläubigen Menschen. Der Mensch ohne Glauben könne dabei selbst entscheiden und prüfen, was seiner Vernunft gemäß das Haltbare im Glauben sei. „Aber ob die Folgerungen, die daraus gezogen werden, den Vernunftwahrheiten entsprechen oder nicht, dafür gibt es auf beiden Seiten wieder einen gemeinsamen Maßstab“[112], sodass sowohl die/der Gläubige als auch die/der ungläubige Philosoph/in das Seiende tiefer erfassen könne, wenn sie/er die Offenbarung auf der Suche nach der Wahrheit vorurteilsfrei mit einbeziehe.[113]
Was ist nun das das Seiende? Das Seiende als Grundlage der Wahrheit ist in zwei Ausprägungen vorhanden. Zum einen als endlich Seiendes, das nur in der Gegenwart existent ist, sich aber in der Dauer verliert und so zum Nicht-Sein wird. Dabei hat das Leben in den drei Dimensionen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft andere Aktualität. Es verliert diese in der Vergangenheit und in der Zukunft, da immer wieder „Potentielles aktuell wird und Aktuelles in die Potentialität zurücksinkt“[114]. Es ist also im Werden und Vergehen begriffen. Daher ist dem Sein das Werden und Vergehen Natur. Das Sein strebt aber dem wahren Sein zu und weist durch sein Streben auf das wahre Sein hin. Dieses sei aber als „Idee des wahren Seins, des vollendeten, ewig wandellosen – des reinen Aktes“[115] definiert.[116]
Der reine Akt, das ewige Sein als andere Ausprägung des Seins, sei durch den dunklen Weg des Glaubens und auf das einem menschlichen Maß angemessen transponierte Sprechen Gottes im Ich erfassbar. Das ewige Sein sei in dem „Ich bin der Ich bin“[117] für den Menschen fassbarer geworden. Dabei ist die Natur dieses Seienden die Einheit.[118]
„Dieses Sein, das aus sich selbst und notwendig, ohne Anfang und Ursache alles Anfangenden ist, muß Eines sein, denn wäre es eine Mehrheit, müßte es eine Scheidung geben zwischen dem, was das eine vom andern unterscheidet und zu diesem macht, und dem, was es mit anderen gemeinsam hat.“[119]
Die oben beschriebene Wahrheit steht in einer „Beziehung [von einem Seienden] zu einem Denken“[120] und ist somit keine transzendentale Wahrheit, sondern eine logische, da das „Denken eine Grundlage im Seienden selbst“[121] hat. Der Erkenntnisprozess folgt dem Sein nach. Die logische Wahrheit basiert also auf einer ontischen Wahrheit. Was aber bedeutet dann transzendentale Wahrheit? Diese Wahrheit ist die Wahrheit Gottes. In Seinem Wissen liegt alles von Ewigkeit zu Ewigkeit.
„Hier fallen transzendentale Wahrheit und logische Wahrheit zusammen. Sie sind im göttlichen Sein eingeschlossen. Auch die logische Wahrheit als Übereinstimmung der Dinge (nicht ihrer Urbilder) mit dem göttlichen Denken gehört unabtrennbar zu diesem göttlichen Denken selbst. Aber auf seiten der Dinge treten Sein und Wahrheit auseinander.“[122]
Edith Stein schlussfolgert schließlich, wenn die logische Wahrheit auf einer ontischen Wahrheit beruht und das erste Seiende Gott ist, fallen hier „Sein und Wahrheit zusammen.“[123] Gott ist also Wahrheit, dadurch, dass er in Identität mit dem ersten Seienden steht.
Durch diese Erkenntnis konnte der Mensch Edith Stein letztendlich auf den Weg zu einer tieferen Gotteserkenntnis gelangen. Sie konnte, gestärkt durch die Lektüre Teresa von Avilas, ihren Weg als katholische Christin bis in den Tod beschreiten. Dem Ausspruch „Das ist die Wahrheit!“[124] ging die Annahme der göttlichen Gnade voraus. Sie ist davon so ergriffen und bis in ihr tiefstes Inneres berührt, dass sie nunmehr sagt „secretum meum mihi.“[125] Die Tür in das göttliche Leben wurde ihr aber von der heiligen Teresa von Avila durch „die Kraft ihrer Sprache, die Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit ihrer Darstellung“[126] geöffnet. In tiefer Verbundenheit mit dieser geistigen Mutter geht Edith Stein den Weg seit dem Sommer 1921 durch den Orden der Karmelitinnen bis in den Tod nach Ausschwitz, weiß sie sich doch durch die Wahrheit getragen, der sie sich als Sühneseele angeboten hat. Da Edith Stein den beschriebenen Erkenntnisprozess erst durch die Inspiration und den Einfluss Teresa von Avilas durchlaufen konnte, wird an dieser Stelle der Blick auf das Leben der Heiligen notwendig.