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2.2 Tiefen der Seele in Kindheit und Jugend

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Edith Stein ist das jüngste Kind und so muss sie an den Sederabenden immer ihren ältesten Bruder nach der besonderen Rolle des Abends fragen, wie es die Liturgie vorsieht. In dieser ersten Stufe ihres Glaubenslebens ist sie dessen schnell überdrüssig und äußert sich zu den Bräuchen wie folgt: „Später, als ich schon ‚aufgeklärt‘ war, begrüßte ich es, daß Neffen und Nichten da waren, die mich ablösten.“[19] In diesem Kommentar zeigt sich in Anfängen, dass Edith Stein dem Judentum als Religion fast nur die Liebe zum Versöhnungsfest abgewinnen kann, obwohl sie sich immer mit dem jüdischen Volk verbunden weiß. Es scheint sie vor allem gestört zu haben, wie ihre älteren Geschwister mit der Liturgie umgehen. „Wenn der ältere nicht da war und der jüngere die Rolle des Hausherrn übernehmen mußte, ließ er sogar manchmal merken, daß er sich innerlich über all dies lustig machte.“[20] Das Versöhnungsfest, an dem ein Sühneopfer für die Vergehen des Volkes Israel gegen Gott gebracht wird, weiß sie sehr zu schätzen. Das wird deutlich wenn sie von dem vorbereitenden Fasten berichtet: „Obwohl ich die Leckerbissen der anderen Feste keineswegs verschmähte, hat es mich doch immer besonders angezogen, daß man an diesem Fest 24 Stunden und länger keinen Bissen und keinen Schluck zu sich nahm, und ich liebte es mehr als alle anderen.“[21] Allerdings hatte der Versöhnungstag für Edith Stein noch eine weitere Bedeutung. Sie ist am Versöhnungstag geboren worden und so sah ihre Mutter diesen Tag als ihren eigentlichen Geburtstag an. In diesem Zusammenhang sieht Edith Stein ein auf besondere Weise verflochtenes Schicksal mit ihrer Mutter.[22]

Dass Edith Stein schon von früher Kindheit an den Vorgängen der Seele Interesse hat, zeigt sich in ihren Kinderspielen. Die Erlebnisse von eigener Gewissenhaftigkeit und Tiefe drücken sich bei ihr in dem Spiel „3 Fragen auf Ehre und Gewissen“[23] durch das

„Verlangen, in die Geheimnisse des menschlichen Herzens einzudringen [aus], das sich in diesem kindlichen Spiel geltend machte, und wenn die Antwort auf solche Fragen manchmal sehr schwer fiel, so fühlte man sich doch auch merkwürdig erhoben bei diesem Hinabsteigen in die eigenen Tiefen“[24].

Edith Stein profitiert, da sie von einem ungeheuren Wissensdurst geprägt ist, von dem Bestreben der Mutter, ihren Kindern eine gute Bildung zukommen zu lassen. So ist Edith Steins Leben zunächst von den drei Polen Familie, Schule und Holzplatz geprägt, dennoch erfährt sie die Schule als den Ort, an dem sie am meisten ernst genommen wird. An den jüdischen Festtagen genießt Edith Stein es immer lesen zu können. Um die jüdischen Vorschriften nicht zu verletzen, besorgt sie sich ihre Literatur schon am Vortag. Ihre Lieblingsfächer in der Schule sind Deutsch und Geschichte und die Lektüren dazu verschlingt sie immer schon, sobald diese am Schuljahresanfang bekanntgegeben werden.[25]

Aufenthalte bei ihrer ältesten Schwester Else in Hamburg bleiben Edith Stein in besonderer Erinnerung. Die Älteste sehnt sich nach den kleinen Geschwistern und ist Kindern von Natur her zugewandt. Sie wird Lehrerin, was in dieser Zeit eine der wenigen möglichen akademischen Laufbahnen für Frauen ist. Ostern 1906 verlässt Edith Stein die Schule und bricht zu einer längeren Reise zu dieser Schwester nach Hamburg auf, um dort „Hauswirtschaft und Kinderpflege zu erlernen“[26]. Sie bleibt dort für die folgenden zehn Monate. In etwa dieser Zeit beginnt Edith Stein sich als „selbständiger Mensch“[27] zu begreifen und ihren „Kinderglauben“[28] zu verlieren. Sie schreibt, dass sie sich „das Beten ganz bewußt und aus freiem Entschluß abgewöhnt“[29] habe. Dazu mag auch das religionsfreie Klima in dem Haus ihres Schwagers Max und der Schwester Else beigetragen haben. An dieser Stelle beginnt die zweite Stufe in ihrem Leben: Sie wird Atheistin.[30]

Um die Schulform wechseln und auf das Gymnasium gehen zu können, lässt sich Edith Stein durch Hauslehrer schulen, die alle von ihrem Ehrgeiz und ihrer Wissbegierde begeistert sind. Für sie selbst ist diese intensive Arbeitsphase sehr beglückend. Sie wird unter anderem in dieser Zeit von dem späteren Mathematiker und Vetter Richard Courant unterrichtet. Als sie nun zu den Prüfungen zugelassen wird, begeht sie diese mit zwei Mitstreiterinnen; sie wird aber als einzige zur Obersekunda zugelassen.[31]

An der Universität lernt Edith Stein durch das Medizinstudium ihrer älteren Schwester Erna Hans Biberstein kennen. Er gefällt Edith Stein „gleich sehr gut“[32] und Hans Biberstein entwickelt zunächst auch Gefühle für sie. Die beiden lernen oft zusammen für Edith Steins Abitur, tanzen danach zur Musik, die Erna auf dem Klavier spielt und spielen Tennis. Dennoch kommt es anders, denn mit der Zeit finden die Schwester Erna Stein und Hans Biberstein immer mehr zusammen, da sie im gemeinsamen Studium verbunden sind. Beide heiraten später und siedeln in den Jahren der Nazidiktatur nach Amerika über. Das Abitur besteht Edith Stein sehr gut. Sie möchte nun Philosophie und Literatur studieren, hält sich aber mit Ankündigungen diesbezüglich zurück. Die beiden Fächer werden zu sehr als brotlose Kunst angesehen.[33]

In diesem ersten Abschnitt ihres Lebens wird deutlich, dass sie dem jüdischen Glauben wenig Sakrales abgewinnen kann, sodass sie sich für ein Leben ohne Glauben entscheidet. Diese beiden Phasen als Jüdin und dem Judentum als Kinderglauben sowie Jüdin ohne Glauben sind aber dennoch von der Suche nach innerer Tiefe und Wahrheit geprägt. Dieses spiegelt sich später in der Studienzeit in einem starken Interesse an Psychologie und Philosophie sowie immer stärker werdendem Interesse an Glaubensgegenständen wider. Sie ist später deutlich auf der Suche nach der einen Wahrheit. Diese Suche wird im Verlauf der Arbeit noch näher beleuchtet

Teresa von Avila im Spiegel des Lebens und der Deutung Edith Steins

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