Читать книгу Bedrohte Art. Ein Hamburg-Friedrichstadt-Krimi - Minos Efstathiadis - Страница 7

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Das Blut gefriert mir in den Adern. Noch nie, nirgendwo, habe ich jemals etwas Ähnliches gehört. Ich bleibe geschockt draußen vor dem Schuppen stehen, während Angelika dagegen langsam und ruhig vorangeht, als wäre absolut nichts passiert. Ich verfolge sie mit meinem Blick, ohne mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Die völlige Ruhe, die sich um uns ausbreitet, lässt die Erinnerung an dieses Geräusch unpassend, unheimlich erscheinen.

„Haben Sie keine Angst. Das ist Syd“, sagt mir Angelika einige Sekunden später mit entwaffnender Einfachheit.

Im Schuppen hinter einer provisorischen Holzkonstruktion läuft Syd aufgebracht hin und her, immer wieder aufgrunzend, nun etwas leiser. Angelika stellt ihn mir als das männliche Schwein vor, das Konrad Hausmann seit ein paar Jahren in Futter genommen hat. Ich kenne mich nicht mit Schweinen aus, doch dieses hier scheint mir sehr aufgeregt zu sein.

„Ist das normal, dass er sich so benimmt?“

„Meistens ist er ganz ruhig. Keine Ahnung, was heute mit ihm ist. Wahrscheinlich wühlt ihn Ihre Anwesenheit auf. Er ist sehr sensibel und hat Sie ja noch nie gesehen.“

„Lebt er ganz allein hier? Gibt es keine weiteren Schweine oder andere Tiere hier?“

„Er ist allein. Syd gehört einer Rasse an, die es nur noch sehr selten gibt. Der offizielle Name ist Husumer Protestschwein. Die Viehzucht meidet sie, weil sie eine geschützte Art ist, ohne kommerziellen Wert.“

„Die Enterbten der Natur. Weder zu kaufen noch zu verkaufen. Keine Zukunft.“

„Kon hat ihn zu sich genommen, weil er so eine kleine monatliche Zulage von dem Verein für diese seltene Tierrasse sicherstellen konnte. Es gibt den hiesigen Verein, der sich um alle verfahrenstechnischen Dinge kümmert.“

„Vielleicht hat er Hunger?“

„Er hat immer Hunger. Doch deshalb verhält er sich nicht so.“

Syd hat einen großen Körper und einen hängenden Bauch, auf den auch der fanatischste Biertrinker neidisch sein kann. Die rötliche Farbe seiner Borsten, psychedelisch kombiniert mit einem dünnen, grauen Streifen, der seine Schultern umwickelt wie ein Ring. Inzwischen hat er sich etwas beruhigt, geht in seiner Box auf und ab, und hin und wieder kommt es mir vor, als sehe er mir direkt in die Augen. Ich gebe mir Mühe, ihn zu berühren, doch jedes Mal, wenn sich meine ausgestreckte Hand nur wenige Zentimeter seiner Schnauze nähert, zieht er sich leicht zurück. Am Ende dreht er mir seine Seite zurückhaltend zu und lässt mich für zwei, drei Sekunden seinen harten, drahtbürstenartigen Rücken streicheln. Er zieht sich schnell zurück, unsicher über mich und meine Absichten.

Der Schuppen ist sonst von keinem besonderen Interesse. Elektrische Lampen gibt es nicht, deshalb erreicht uns nur das spärliche Licht von der Tür, die wir hinter uns offen gelassen haben. Verschiedene, verrostete Werkzeuge sind chaotisch auf die Erde geworfen, die so viele Male zertreten wurde, bis sie sich in einen harten Boden verwandelt hat. Die Feuchtigkeit, eine Plastiktüte mit verschimmelten Kartoffeln und Syd haben alles dafür getan, dass der Ort hier unerträglich stinkt.

Als wir zurück zum Haus gehen, läuft Angelika zwei, drei Schritte hinter mir. Sie bleibt plötzlich an ihrem Auto stehen und sieht nach Norden. Ich frage, ob sie heute Morgen irgendetwas Merkwürdiges beobachtet habe, etwas, das sie zuvor noch nie gesehen habe. Angelika schüttelt den Kopf, doch fügt nach einigen Sekunden hinzu, dass nur eine Sache anders war als sonst. „Auf Kons Bett ist alles verändert“, scheint sie sich selbst zu sagen. Wir stehen für eine Weile an derselben Stelle, müde von den Worten und der Wirklichkeit. Der Himmel, der Wind, der Horizont, sie scheinen alle aus derselben Substanz gemacht zu sein. Für einen Moment stelle ich mir vor, dass, wenn ich nach Jahren wieder hierher zurückkommen würde, ich genau dieses unveränderte Bild sehen würde.

Ich betrachte vorsichtig meine Kundin. Eine große, dürre Frau mit blonden langen Haaren, zu einem Zopf gebunden und besonders blasser Haut. In ihrer Stimme und ihrer Art nistet sich das Gefühl einer Distanz ein, die man niemals einholen kann. Als würde sie nicht mehr hier vor mir stehen. Sie hat sich bereits in ihr eigenes Zimmer zurückgezogen, diesen inneren Raum, für den es keine Tür gibt. Jeder reagiert anders auf die Gewalt des Todes. Angelika ist immer noch hier, und doch weg.

Ich frage nach ihrer Meinung, ob Konrad Feinde hatte, ob sie sich vorstellen könne, dass jemand ihm etwas Schlechtes wollte. Sie hört sich vollkommen sicher an. Nein, nein. Kon lebte allein in diesem Haus, seit seine Eltern vor einigen Jahren gestorben waren. Niemanden hat er gestört, niemand hat ihm etwas getan. War er vielleicht reich? Gab es irgendwelche finanziellen Interessen in Verbindung mit seinem Namen? Soweit sie weiß, nein, nichts. Sein einziges Vermögen war dieser Ort hier und ein Acker um die drei Hektar, die er einem hiesigen Bauern verpachtet hat. Er lebte hauptsächlich von dieser Pacht, von einem sporadischen Tagelohn und von der Zulage für Syd.

In der kurzen Zeit, in der ich hier bin, habe ich eine Menge Informationen gesammelt, doch was habe ich herausgefunden? Außer der offensichtlichen Klischees, fast nichts. Das Zeitfenster wird enger, ich werde nicht mehr von Angelika erfahren. Ich entschließe mich, ihr keine der selbstverständlichen, aber notwendigen Fragen über ihre persönliche Beziehung zu Konrad zu stellen. Diese Dinge benötigen einen anderen Ort und eine andere Zeit. Druck ist wahrscheinlich nicht sehr hilfreich, um der Wahrheit näher zu kommen, stattdessen verdrehen wir sie nur. Darüber hinaus werden die Bullen ganz sicher nicht davor zurückschrecken; in Kürze wird sie gezwungen sein, denen einen Haufen Dinge zu erklären.

Ich stelle meine letzte Frage so vorsichtig wie möglich. Wie möchte sie das Ganze von hier an nun handhaben? Ihr ratloser Blick richtet sich plötzlich auf mich. Sie versteht wahrscheinlich nicht, was ich meine. Ich erkläre ihr, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt. Sie könnte selbst die Polizei benachrichtigen oder wir könnten auch …

Sie unterbricht mich. Die Wahrheit, die Wahrheit, betont sie scharf mit einer metallisch fernen Stimme. Schließlich erledige ich den Anruf.

Der Polizeiinspektor der örtlichen Wache stellt sich mir sofort als Georg Weber vor. Dann schweigt er. Es beeindruckt mich, wie geduldig er ist, bis ich fertig bin. Vielleicht vermeide ich deshalb die meisten Beschreibungen. Wir warten hier auf ihn, damit er sich selbst ein Bild davon machen kann. „Wir kommen“, antwortet er mir.

Angelika steht an die Außenwand des Hauses gelehnt, während ihre Augen beständig am Horizont herumreisen.

„Von all dem … was Sie gesehen haben … hat Sie was am meisten beeindruckt, Herr Papas?“

Eine unerwartete Frage. Ich denke eine Weile nach. Am Ende hebe ich scheinbar gleichgültig meine Schultern und sage kein Wort. Doch höre ich immer noch das Schreien von Syd, wiederholt aus einem kaputten Lautsprecher in den Tiefen meines Kopfes.

Bedrohte Art. Ein Hamburg-Friedrichstadt-Krimi

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