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Kapitel 5

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Die Dienstbotenkammer war zauberhaft. Genauso zauberhaft wie das wundervolle Kostüm, das Nigel ihr vor ihrer Abfahrt mitgegeben hatte. Zärtlich strich Miranda über den dunkelblauen Stoff mit den grünen Applikationen und probierte die Federmaske auf.

Nigel wollte sie in einen Pfau verwandeln, dessen Rad am Rücken des Kleides durch echte kreisförmig abstehende Pfauenfedern dargestellt wurde.

Miranda war verliebt in ihr Kostüm und mehr denn je verliebt in Nigel. Er war so einfühlsam und so lieb zu ihr, er musste einfach so empfinden wie sie. So gern hätte sie ihm ihre Liebe wortwörtlich gestanden, aber Laute wollten noch immer nicht über ihre Lippen kommen.

Sie stellte sich vor den Spiegel zwischen Tür und Kleiderschrank. Langsam formten ihre Lippen das Wort ›ich‹.

Es sah gut aus. Doch als sie versuchte, zu sprechen, wurde nur eine Art Fauchen hörbar.

»Hng«, brachte sie heraus, meinte diesmal jedoch nicht die Ente, sondern hatte schlichtweg versucht, ihre Situation zu verfluchen.

Würde sie jemals wieder sprechen können?

Ein Blick aus dem Fenster erinnerte sie daran, dass sie ja einen Spaziergang geplant hatte. Natürlich würde sie Hng mit hinausnehmen, die stubenreine Ente hatte schließlich eine lange Autofahrt hinter sich.

In Gedanken noch immer bei Nigel und dem bevorstehenden Ball lief Miranda mit der Ente auf dem Arm durch Hidden Manor. Sie folgte ihrem Bauchgefühl, verlief sich aber mehrfach, bevor sie endlich an einer Hintertür ankam, die direkt in den Garten der Burg führte, an dessen Ende die Klippen auf unvorsichtige Spaziergänger warteten. Dort würde sie sich nicht hinbegeben. Das Tosen des Meeres tief unten war gut hörbar, sie schmeckte sogar das Salz in der Luft.

Wer konnte schon sagen, wie vertrauenerweckend der Boden am Rande des Abgrunds war? Nein, sie würde kein Risiko eingehen und sich entlang der bewachsenen Mauer bewegen, die den Garten einfasste.

Wind und Wetter prägten die Bepflanzung der Beete. Miranda bewunderte diverse Spätblüher und strich über Moos und Flechten, die die groben Steine der Mauer verzierten. Ganz besonders gefiel ihr ein wahres Gebirge aus Rhododendronblättern, das zur richtigen Jahreszeit bestimmt prächtig blühte. Die Büsche reichten ihr bis über den Kopf und mussten schon viele Jahre alt sein.

Da bemerkte Miranda einen steinernen Torbogen, der zunächst durch das Blattwerk verborgen gewesen war. Er schien in einen abgelegenen Teil des Gartens zu führen.

Während Miranda noch überlegte, ob sie hindurchgehen sollte, war Hng schon vorausgewatschelt. Schnatternd verschwand sie im hohen Gras und war kaum mehr zu sehen, als Miranda den Durchlass passiert hatte und ein tiefer gelegenes Areal betrat, das ebenfalls von hohen Mauern eingefasst wurde.

Etwas windschiefe Steine, die wie einzelne Zähne in einem Kiefer aus der Wildwiese herausragten, verrieten ihr augenblicklich, dass Hng und sie soeben einen Friedhof betreten hatten, der vermutlich drauf und dran war, in Vergessenheit zu geraten. Gräser und Farn wucherten wild zwischen den mit Flechten bedeckten Grabsteinen. Nur an wenigen Stellen erahnte sie noch die Überreste gekiester Wege.

Langsam folgte Miranda der Spur der Ente, die eine schmale Schneise ins Grün geschlagen hatte, und versuchte, einen der Namen auf dem am nächsten gelegenen Grabmal zu entziffern. Es gelang ihr nicht.

Wer immer hier die letzte Ruhe gefunden hatte, war von der Welt längst vergessen worden. Flechten und Moos hatten ganze Arbeit geleistet. Ebenso der stetige Wind von den Klippen her, der auch vor einer Friedhofsmauer nicht haltmachte.

Nachdem sie eine Weile die Ruhe und den Frieden dieses Ortes genossen hatte, beschloss Miranda, dass es an der Zeit war, zurückzukehren. Also ging sie auf Entenjagd und fand ihr Haustier friedlich dösend auf einem im Gras liegenden zersprungenen Grabstein, ein wenig abseits der anderen Ruhestätten.

Als sie sich bückte, um Hng sacht aufzuheben, bemerkte sie, dass die Inschrift lediglich aus wenigen Zeichen bestand. Neugierig geworden fuhr sie mit den Fingerkuppen die Linien im Stein nach. Zweimal der Buchstabe X und drei senkrechte Striche.

Miranda stutzte, war überzeugt, sich irren zu müssen, und begann, das Moos vom Stein zu reiben.

Doch es blieb dabei. Zwei geheimnisvolle Buchstaben und ein paar Striche. Kein Name, kein Datum, kein letzter Gruß.

War hier etwa ein namenloser Reisender begraben worden?

Miranda richtete sich auf und drückte die schläfrige Ente fest an sich. Sie verspürte so etwas wie Traurigkeit, auch wenn sie den Toten nicht gekannt hatte. So nahm sie sich vor, noch vor ihrer Abreise einen bunten Strauß Herbstblumen zu pflücken, um ihn an diesem Ort niederzulegen.

Von dem Gedanken an den Strauß halbwegs getröstet, trat Miranda erneut durch den steinernen Torbogen und kehrte zurück in den Garten, dessen guter Zustand ihr jetzt noch viel mehr auffiel. Wer immer den Garten in Schuss hielt, schien den kleinen Friedhof absichtlich verkommen zu lassen. Eigentlich eine Schande.

Hidden Manor warf seinen Schatten über die Beete und erinnerte Miranda daran, dass sie sich auf ihrem Rückweg befand, als sie den Pavillon entdeckte. Er musste einmal weiß gewesen sein, doch im Laufe der Zeit hatten ihn Ranken und Winden in eine grüne Höhle verwandelt, einen verwunschenen Ort, in dem sie eine kleine Bank erahnen konnte. Ein zauberhaftes Fleckchen, wie geschaffen für einen ersten Kuss, fand sie und musste augenblicklich an Nigel denken.

Sie setzte die Ente ins Gras und schritt voran, um das Bauwerk genauer in Augenschein zu nehmen. Sicher würde es der perfekte Platz sein, wenn man am heutigen Abend dem Lärm der Party für einen Moment entfliehen wollte.

Ein romantischer Mann wie Nigel würde hier vielleicht den Mut finden und sagen, was sie selbst nicht aussprechen konnte. Gab es einen besseren Ort, um einander die Liebe zu gestehen, als diesen?

Während Hng zurückblieb, um Gräser zu zupfen, erklomm Miranda die wenigen Stufen und fand sich gleich darauf von Blättern und Blüten umgeben, die ihr die Sicht auf den Garten größtenteils nahmen.

Sie hatte sich nicht geirrt. Hier stand eine Bank. Eine weiße Bank aus Metall mit verschnörkelten Beinen und verspielten Ornamenten in der Rückenlehne. Sie wirkte fast neu, ihr romantischer Stil hätte allerdings auch vor mehr als hundert Jahren Anklang gefunden.

Vorsichtig nahm Miranda darauf Platz und lehnte sich zurück.

Vor dem Pavillon begann Hng aufgeregt zu schnattern, Miranda achtete nicht darauf. Sie schloss die Augen, dachte an Nigel und an den kommenden Abend. Vor lauter Glückseligkeit drehte sich alles in ihrem Kopf.

Einen Augenblick später begriff sie, dass dieser Schwindel überhaupt nichts mit ihren Gefühlen für Nigel zu tun hatte. Sie drehte sich wirklich. Der Pavillon drehte sich und er nahm an Geschwindigkeit zu. Längst machte er einem Karussell auf dem Jahrmarkt alle Ehre.

Miranda hielt sich, so gut sie konnte, an der Bank fest, doch die wurde von der Fliehkraft von ihrem Platz geschoben und schoss mit hohem Tempo auf die bewachsenen Streben zu. Miranda hätte gern geschrien, aber es kam kein Ton über ihre Lippen.

Schon sah sie sich mit einer Klematis kollidieren, die sich um einen Pfosten des Pavillons rankte. Kurz vor dem Aufprall hatte sie das merkwürdige Gefühl, aus sich herauszutreten. Und plötzlich stand die Welt still.

Harrowmore Souls (Band 2):

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