Читать книгу Die Farben des Mörders - Miriam Rademacher - Страница 7
Maigrün
Оглавление»Warum eigentlich immer du?«, wollte Jasper wissen.
»Das ist eine berechtigte Frage. Warum hat schon wieder der Tanzlehrer das Opfer gefunden?«
Colin saß auf einer der Bänke, die das Gartenhäuschen umstanden, und versuchte, nicht mehr zu zittern. Auch er stellte sich genau die gleiche Frage, die Jasper und Sergeant Dieber ihm gerade stellten. Warum schon wieder er? Sein ganzes Leben hatte er in der Großstadt London zugebracht und nie war ihm dort eine Leiche untergekommen. Doch kaum zog er sich auf das ruhige und beschauliche Land zurück, fielen ihm Leichen vor die Füße.
In einiger Entfernung konnte er Waldemar erkennen, der vor der Fensterfront des Gymnastikraumes stand und unschlüssig eine dicke rote Kerze in seinen Händen hin- und herdrehte. Schließlich stellte der Alte die Kerze dort, wo er gerade stand, in den Rasen und zündete sie an. Colin musste unwillkürlich schlucken und spürte, wie der Schock, der ihn seit dem Fund der Leiche in regelmäßigen Abständen immer wieder schüttelte, etwas abflaute.
Sergeant Dieber, ein großer pickliger Junge, den Colin bereits vor einigen Monaten kennengelernt hatte, stand neben dem besorgt wirkenden Jasper und machte ein strenges Gesicht. »Wenn man bedenkt, wie viele Morde wir hier hatten, seitdem du hier bist, Duffot, dann lässt das eigentlich nur den einen Schluss zu: Du musst der Mörder sein.«
»Bravo. Hervorragend kombiniert, Mike. Du wirst es noch weit bringen«, spottete Jasper.
Colin hingegen hob alarmiert den Kopf. »Mord? Ist das sicher? Schon wieder?«
»Natürlich ist das sicher. Oder glaubst du, die Arme ist freiwillig unter die Gartenabfälle gekrochen?«, fragte Dieber säuerlich.
Colin antwortet in resigniertem Tonfall: »Eigentlich hatte ich so etwas gehofft, ja.«
Er sah zu seinem Freund hinüber. Dort entdeckte er dieses gewisse Glitzern in den Augen des Pfarrers. Dieses absolut unchristliche Glitzern, das ihm noch so vertraut war. Jasper witterte ein neues Abenteuer. Und schon begann er zu bohren: »Könnte es nicht auch ein Unfall gewesen sein, Mike?«
Dieber schüttelte energisch den Kopf. »Ausgeschlossen. Ich muss nicht zur fSpurensicherung gehören, um das jetzt schon mit Sicherheit sagen zu können. Selbst wenn die arme Frau in geistig verwirrtem Zustand die Böschung heruntergestürzt ist und irgendein Komiker unter den Gärtnern ohne zu gucken seinen Müll auf ihr abgeladen hat, gestorben ist sie durch die Hand ihres Mörders.«
»Wie kannst du dir denn da jetzt schon so sicher sein?«, fragte Jasper den Sergeant, während Colin erleichtert Mr Simms mit einem Tablett voller Kaffeetassen herannahen sah. Kaffee war genau das, was er jetzt dringend brauchte.
Doch Dieber beugte sich mit Verschwörermiene zu Jasper vor und nahm Colin die Sicht auf den freundlichen Portier. »Weil die Frau, und wir sind uns ziemlich sicher, dass es eine Frau ist, auch wenn sie schon ziemlich lange hier draußen gelegen hat …«, Colin spürte sofort wieder einen Brechreiz in seiner Kehle, »… Glück hat, dass ihr nicht der Kopf von den Schultern gerollt ist. Da hat ihr jemand ziemlich brutal die Luft abgedrückt. Ich tippe auf einen Draht als Mordwerkzeug.«
Colin kämpfte seinen Mageninhalt energisch dahin zurück, wo er hingehörte, und streckte Mr Simms wie ein Ertrinkender die Arme entgegen. Als seine Hände sich um die heiße Kaffeetasse schlossen und der vertraute Geruch ihm in die Nase stieg, ließ der Brechreiz endlich nach.
»Sie ist also erwürgt worden«, stellte Jasper sachlich fest. »Nun, das schließt Unfall sowie Selbstmord selbstverständlich aus. Es sei denn, jemand wollte ihren Selbstmord vertuschen und hat sie vom Fensterkreuz geschnitten, mit dem sie sich verdrahtet hatte, und hier verscharrt. Weiß man schon, wer die Tote ist?«
Colin konnte die Neugier in Jaspers Stimme deutlich hören. »Bitte nicht. Nicht schon wieder auf Mörderjagd gehen«, jammerte er.
Doch Dieber antwortete Jasper erneut im Flüsterton: »Noch nicht. Aber mein Chef spricht gerade mit der Heimleitung. Wir erhoffen uns davon Aufschluss bezüglich ihrer Identität.«
Colin spähte am Hosenbein des vor ihm stehenden Mr Simms vorbei und entdeckte eine aufgelöst wirkende Rose Halligan, deren Absätze sich in den Rasen bohrten, neben einem vierschrötigen Herrn in einem zu engen Anzug.
»Wenn ich dazu eine Vermutung äußern dürfte?«, meldete sich Mr Simms zu Wort. Die Aufmerksamkeit aller Umstehenden richtete sich augenblicklich auf ihn. Der immer etwas hektisch wirkende Mann tippelte nervös von einem Fuß auf den anderen und der Kaffee in den Tassen auf seinem Tablett schwappte bedrohlich. Mr Simms, den Kopf weit vorgereckt wie ein Huhn, glaubte zweifellos, etwas Wichtiges zu wissen. Dieber machte eine auffordernde Geste in seine Richtung und Simms plapperte los: »Vor einer ganzen Weile ist uns eine Dame abhandengekommen. Wir haben sie natürlich sofort als vermisst gemeldet, so gehört es sich ja wohl, und es wurde auch eifrig nach ihr gesucht, aber bisher hat man sie nicht gefunden.«
»Eine Bewohnerin des Heims? Wann war das?«, fragte Dieber und zog Block und Kugelschreiber aus der Brusttasche seiner Jacke.
»Im Mai. Sie verschwand über Nacht. Beim Abendessen war sie noch im Speisesaal gewesen und am nächsten Morgen war sie fort. Wir haben sie sogar über das Radio suchen lassen, aber es gab keinen Hinweis und niemand, der sie gesehen hatte.«
»Wie hieß die Frau?«, fragte Dieber und kritzelte eifrig mit.
»Christine Humblebee.«
Dieber ließ den Stift sinken. »Das ist doch wohl ein Scherz. Kein Mensch heißt ernsthaft Humblebee.«
»Das war ihr Name. Christine Humblebee«, beteuerte Mr Simms und nickte wie ein Wackeldackel auf einer Schotterpiste.
»Na schön. Christine Humblebee«, notierte Dieber missmutig. Er schien den albern klingenden Namen der Vermissten persönlich zu nehmen. Colin vermutete, dass er sich nach Diebers Meinung nicht gut im Protokoll einer Mordermittlung machte.
»Und sie ist einfach aus dem Heim verschwunden und nie wieder aufgetaucht? Was hat denn ihre Familie dazu gesagt?«, wollte Jasper wissen.
»War sie dement oder so etwas?«, ergänzte Colin.
Mr Simms versuchte, alle Fragen gleichzeitig zu beantworten, was ihn offenbar in schwere Verwirrung stürzte. Eine Weile stotterte er zusammenhanglos vor sich hin. Dann sammelte er sich unter heftigem Atmen und formulierte sehr konzentriert: »Eine Familie hatte Mrs Humblebee nicht. Sie hat keine Angehörigen bei ihrem Einzug hier angegeben. Und dement war sie ganz sicher nicht. Sie war noch relativ jung. Zu jung für ein Seniorenheim, wenn Sie mich fragen. Sehen Sie, die meisten hier sind bereits in ihren Achtzigern oder Neunzigern. Mrs Humblebee war erst Anfang siebzig. Sie war agil und lebhaft und sah sehr gut aus.«
»Sie besaß nicht zufällig einen grünen Bademantel? Danach sieht es nämlich aus, was die Leiche dort drüben trägt«, erkundigte sich Dieber, den Blick auf seine Notizen geheftet.
»Alle hier im Hause besitzen einen grünen Bademantel. Der wird vom Haus gestellt.«
»Schade«, sagte Dieber und schloss den Notizblock. Dann öffnete er ihn wieder. »Nochmal fürs Protokoll«, sagte er streng und sah Jasper dabei an. »In den Malkurs, den Jasper seltsamerweise hier abhält, kam eine ältere Dame gestolpert, die eigentlich tanzen wollte. Doch im Gymnastikraum, in dem der nicht minder seltsame Tanzkurs stattfinden sollte, hatte sie niemanden angetroffen und durch die geöffnete Verandatür hatte die Dame einen Schrei gehört.«
»Das war ich«, warf Colin ein.
Dieber machte sich eine Notiz, während Jasper nur bestätigend nickte. »Daraufhin ließ der Pfarrer seine Schäfchen oder vielmehr Pinseläffchen im Stich, um seinem Freund zu Hilfe zu eilen, den er hier unterhalb der Böschung neben einer stark verwesten Leiche fand. Alles sehr interessant.«
Jasper ergänzte: »Ich habe dann mit meinem Handy die Polizei angerufen. Seit den Ereignissen vor ein paar Monaten trage ich immer ein Handy bei mir. Schließlich weiß man nie, wie es kommt. Apropos vor ein paar Monaten: Wie konnte es geschehen, dass die Dame hier monatelang direkt an der Grundstücksgrenze lag?« Er warf Mr Simms einen fragenden Blick zu.
»Wir hatten doch keinen Grund, hier zu suchen«, antwortete dieser hastig. »Christine war eine gesunde und temperamentvolle Dame. Eine Böschung wieder hinaufzuklettern, wäre für sie kein Problem gewesen. Wir haben sie in ganz England suchen lassen, aber wer rechnet denn damit, dass sie quasi direkt vor der Haustür liegt?«
Jeder, dachte Colin und nahm einen langen Schluck des vorzüglich schmeckenden Kaffees. So ziemlich jeder, möchte man meinen. Ich zumindest würde das denken.
»Und der Geruch? Haben Sie den ganzen Sommer hindurch nichts gerochen?«, fragte Jasper eindringlich. Colin spürte, wie sein Magen erneut rebellierte.
Auch Mr Simms sah jetzt etwas angeekelt drein und schüttelte den Kopf. »Wenn mal die Gartenabfälle müffeln, denkt doch niemand an eine verscharrte Leiche. Was hätten wir denn unter dem Rasenschnitt vermuten sollen?«
»Mir reicht’s«, sagte Dieber und klappte seine Notizen erneut zu. »Kommt ihr klar?«, fragte er Jasper und deutete dabei mit dem Daumen auf Colin, der vermutete, dass er immer noch sehr käsig aussah.
Jasper nickte nur knapp, woraufhin Dieber die drei Männer neben dem Gartenhäuschen ohne ein weiteres Wort stehenließ und strammen Schrittes zu seinem Vorgesetzten eilte. Colin sah ihm nach, wie er über die Liegewiese marschierte. Mit Missbilligung in der Stimme hörte er Jasper sagen: »Mir hat dieser Ton unseres Sergeants gar nicht gefallen.«
»Mir auch nicht. Aber dies hier ist eine Mordermittlung und nicht der Lost Anchor, wo er sich von uns auf ein Bier hätte einladen lassen. Hier muss er seinem Boss imponieren«, antwortete Colin und beobachtete Dieber, der gerade sein Ziel erreicht hatte. Seine Körperhaltung sprach Bände. Colin musste unweigerlich grinsen. »Da ist jetzt jemand aber bitter enttäuscht worden. Anscheinend konnte unser Freund mit seinen Informationen nicht mehr punkten.«
Mr Simms nickte schon wieder eifrig. »Sicher hat auch Mrs Halligan schon von der armen, vermissten Christine erzählt. Wer außer ihr könnte hier draußen schon in einem Bademantel des Heims liegen?«
»Ihnen gehen also nicht öfter alte Damen verloren?«, fragte Jasper.
»Natürlich nicht! Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich habe Verpflichtungen.« Mit den huschenden Bewegungen eines verängstigten Kaninchens verließ nun auch Mr Simms die Runde. Vermutlich fühlte er sich hinter seinem Empfangstresen am sichersten.
Jasper sah betreten aus. »Jetzt habe ich möglicherweise seine Gefühle verletzt. Dass solch einem ordentlichen und diensteifrigen Menschen wie Mr Simms auch so eine ärgerliche Sache passieren muss. Dabei ist es sogar nachvollziehbar, dass hier niemand etwas gerochen hat.« Jasper deutete auf die zahllosen Zigarettenkippen zu seinen Füßen. »Diese Hütte hier scheint der Treffpunkt aller Nikotinabhängigen von Hodge House zu sein. Wer sich hier aufhält, riecht vermutlich nur Rauch.«
Colin schnüffelte und musste Jasper recht geben. Der offenen Hüttentür entströmte der hartnäckige Geruch kalten Zigarettenrauchs und der Boden rund um die Hütte war vom Orange der Filter gesprenkelt. »Im Moment bin ich eigentlich recht dankbar für diese penetrante Duftnote. Sie duldet keine anderen Gerüche neben sich«, antwortete Colin und deutete in Richtung Böschung, wo die Spurensicherung noch immer ihren Job tat.
»Lass uns gehen. Oder wackeln dir die Knie noch?«, fragte Jasper.
Colin schüttelte den Kopf und erhob sich. Nein, es wackelte nichts mehr. Als er vorhin versucht hatte, die Böschung wieder hinaufzuklettern, hatte das Adrenalin seine Hände und Füße stakkatoartig zittern lassen. Doch das war nun vorbei. Er war wieder fit. Nun, vielleicht nicht fit, aber betriebsbereit. Langsam gingen Jasper und er über die Liegewiese, wo sie vor der Terrassentür des Gymnastikraumes bereits von einer Gruppe älterer Herrschaften erwartet wurden.
Ein Herr mit verfilztem Toupet rief ihnen entgegen: »Dann wird es heute wohl nichts mehr mit den Kursen, hm?«
Colin umfasste seinen Kaffeebecher fester und antwortete so ruhig wie möglich: »Nein, tut mir leid. Ich habe da so ein Problem, wissen Sie? Man nennt es Pietät.«
»Ach, das hatte ich auch mal, das legt sich«, antwortete eine ältere Dame in einem geblümten Seidenkleid und nickte mitfühlend mit dem Kopf. Der Toupetträger murmelte »Halleluja« und verschwand im Innern des Heims. Er gehörte zweifellos nicht zu den freiwilligen Teilnehmern der Freizeitangebote. Waldemar, der Althippie mit der Schleife im Bart, sortierte einige Gänseblümchen rund um seine noch immer brennende Stumpenkerze und summte dabei eine Melodie. Zwei Damen begannen ein Gespräch über die Spätfolgen von Pietät.
Jasper gab Colin einen Stoß mit dem Ellenbogen und flüsterte: »Lass uns verschwinden.«
»Keine Seelsorge, Herr Pfarrer? Sie werden hier womöglich noch gebraucht«, flüsterte Colin in spöttischem Unterton zurück.
Doch Jasper machte keine Anstalten, noch länger verweilen zu wollen, und steuerte auf die Glastür zum Gymnastikraum zu. »Mich gruselt es gerade ein bisschen. Hier sieht keiner wirklich betroffen aus. Dabei wurde gerade eine Leiche am Rande ihrer Liegewiese entdeckt. Lass uns lieber verschwinden, bevor wir auch so werden wie die. Kennst du diesen Film mit den Körperfressern? Vielleicht waren die schon hier.«
»Vielleicht ist der Tod in einem Altenheim auch nicht ganz so schockierend und überraschend«, gab Colin zu bedenken.
»Aber diese Frau wurde ermordet«, antwortete Jasper. »Das muss doch einen Unterschied machen.«
Jasper und Colin betraten die verwaiste Gymnastikhalle, wo Colin seine Utensilien zusammenraffte. Sie waren schon fast in der Tür, als sie hinter sich die hohe Stimme Sergeant Diebers vernahmen.
»Wer hat euch denn erlaubt zu gehen?«
»Du bist zuerst gegangen, schon vergessen? Und falls du oder dein Boss noch Fragen haben, weißt du ja, wo man uns findet«, rief Jasper über seine Schulter zurück und marschierte zur Tür hinaus.
Colin folgte ihm. Sie gingen schnellen Schrittes und ohne sich noch einmal umzusehen zum Parkplatz, stiegen in Mrs Greys Wagen und Colin fuhr los. Er saß aus reiner Gewohnheit hinter dem Steuer und spürte, dass ihm das Lenkrad in seinen Händen ein gutes Gefühl gab. Er war wieder Herr der Lage. Er hatte die Kontrolle. Zumindest über diesen Wagen.
Eine Weile sprachen sie kein Wort. Dann überlegte Jasper laut: »Wenn die Leiche mehrere Monate unter dem Abfall gelegen hat, dann könnte sie zur gleichen Zeit gestorben sein, wie die Opfer unseres letzten Mordfalls. Lässt sich da ein Zusammenhang herstellen?«
Colin warf ihm einen schrägen Blick zu. »Wie sollte das zugehen? Nicht, dass ich es dir nicht zutraue, diese Christine in einen abgeschlossenen Fall hineinzukonstruieren, aber es wird mir arg schwerfallen, dir zu glauben.«
»Ist es nicht ebenso unwahrscheinlich, dass in einem Landstrich jahrelang überhaupt nichts passiert und dann gleichzeitig mehrere Menschen unabhängig voneinander ermordet werden?«
»Vielleicht war was im Wasser«, erwiderte Colin im Scherz und konzentrierte sich auf die schmale Straße vor seiner Motorhaube.
»Das ist es!« Jasper schlug sich begeistert auf die Schenkel. »Genial, Colin! Es muss eine Droge im Trinkwasser gewesen sein!«
»Jasper …«
»Sie hat bei allen Einwohnern der Region Aggressionen freigesetzt! Halt, nein. Dafür haben wir zu wenig Leichen hier herumliegen. Ich hab’s! Nur wenige Menschen werden zu Mördern! Die mit der Blutgruppe Null zum Beispiel!«
»Jasper? Was liest du eigentlich so, sobald du die Bibel zugeklappt hast? Groschenromane?«
Jasper grinste breit. »Zu weit hergeholt? Gib mir eine bessere Theorie.«
»Wenn es sein muss, bitte: Diese Christine hatte ein unerkanntes Herzleiden und erlitt beim Wildblumen pflücken einen tödlichen Anfall. Sie stürzte in den Rasenschnitt, wälzte sich im Todeskampf unter das Grün … Voilà!«
»Und um die Polizei zu beschäftigen, hat sie sich vorher noch mit einem Draht Würgemale beigebracht und ihn, nachdem sie sich erwürgt hatte, verschwinden lassen? Das war läppisch, Colin. Hast du nichts Besseres für mich?«
»Na gut.« Colin dachte einen Augenblick lang angestrengt nach. »Diese Christine hatte ein gewaltiges Vermögen zu vererben, das jetzt an ihren bösartigen Enkel fällt. Besagter Enkel verhalf ihr bei seinem letzten Besuch höchstpersönlich ins Jenseits.« Colin konnte nicht verhindern, dass so etwas wie Stolz in seiner Stimme mitschwang.
Jasper schwieg einen Augenblick. Dann murmelte er: »Nicht schlecht, Colin. Nicht schlecht. Das erschwert es natürlich für uns. Sieht man einmal davon ab, dass Mr Simms bereits erwähnte, dass das Opfer keine Familie hatte.«
»Hä?«, machte Colin ein wenig ratlos und übersah ein Schlagloch im Weg.
Ein heftiger Ruck schüttelte ihn und Jasper durch, der ungerührt weiter philosophierte: »Nun, du hast natürlich recht damit, dass Christines Mörder in ihrem früheren Umfeld zu finden sein könnte. Das ist höchst ungünstig für uns. Wie sollen wir etwas über ihre Vergangenheit erfahren?«
»Wieso sollten wir das wollen?«, erwiderte Colin grimmig, obwohl er die Antwort ahnte.
»Wenn der Mörder nicht im Heim lebt, müssen wir unseren Fahndungskreis erweitern und mir ist nicht ganz klar, wie wir das hinkriegen sollen.«
»Fahndungskreis?«, fragte Colin gedehnt.
»Tanzstunden in Hodge House gibst du ja schon, aber wie kriegen wir dich und deine Beobachtungsgabe in das ehemalige Umfeld dieser Christine? Von einem Tanz auf dem Grab habe ich als Beerdigungsritual noch nie gehört.«
Colin stöhnte auf. »Es wird weder auf noch um das Grab getanzt, verstanden? Und ich habe überhaupt keine besonderen Fähigkeiten! Letztes Mal haben wird den Mörder doch auch nur durch Zufall erwischt.«
»Du hast den Mörder erwischt. Und das nur durch bloßes Hinsehen.«
»Bei genauer Betrachtung der Fakten würde ich das nicht so nennen!«
»Egal. Dieses Mal sind wir zu zweit. Ich mit meinem Malkurs und du mit deinem Tanzkurs. Ich kann den Menschen zwar weit weniger an der Nasenspitze ansehen als du, aber ich werde mir Mühe geben. Doch wie stellen wir es an, dass wir möglichst viele verdächtige Teilnehmer haben? Und wer sind die Verdächtigen? Das ist alles etwas verzwickter als das letzte Mal.«
»Und deswegen wird es auch kein zweites Mal geben«, stellte Colin entschieden fest.
»Wir müssen mit Dieber sprechen. Wenn die Polizei etwas über Christines Familie in Erfahrung bringt, müssen wir davon erfahren«, sagte Jasper, Colins Einwand ignorierend.
»Jasper …« Colin gab seiner Stimme einen drohenden Unterton und fuhr mit voller Absicht durch das nächste Schlagloch. Jasper knallte ans Wagendach des Seat, schien es aber gar nicht zu bemerken.
»Wir machen einen Deal mit ihm. So nennt man das doch. Wir versorgen Dieber exklusiv mit Nachrichten aus dem Heim, und er lässt eben mal eine seiner Notizen so rumliegen, dass wir sie lesen können. Dafür kann sein Chef ihn doch nicht belangen, oder?«
»Jasper!« Colin steigerte Lautstärke und Tonfall und knallte in das nächste Schlagloch. Jasper hüpfte auf dem Beifahrersitz auf und ab und lächelte selig. Colin spürte seinen Einfluss auf die Geschehnisse der nächsten Wochen dahinschwinden. Er hatte offenbar doch nicht die Kontrolle. Doch noch gab er nicht auf. »Eben waren dir die alten Leute im Heim doch noch regelrecht unheimlich.«
»Alles eine Frage der Einstellung. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben. Schon nach wenigen Besuchen wird mich kein noch so seltsamer Kommentar und kein seltsames Verhalten mehr abschrecken. Meinst du, es gibt Medikamente gegen Pietät?«
Colin schnaufte gegen seinen Willen belustigt und das nächste Schlagloch war wieder ein Versehen.