Читать книгу Die Farben des Mörders - Miriam Rademacher - Страница 8
Butterblumengelb
Оглавление»Sag Huey, er soll von meinen Füßen runtergehen. Vielleicht hört er ja auf dich«, sagte Colin.
»Er spürt, dass du seinen Trost und seine ganze Zuneigung brauchst. Deswegen weicht er nicht von deiner Seite. Außerdem sind alle anderen Füße bereits besetzt«, war Lucys Antwort, während sie gleichzeitig dem Wirt des Lost Anchor ein Zeichen gab, ihr Weinglas nachzufüllen.
Es stimmte. Huey, Dewey und Louie, allesamt Cockerspaniels, die eines der Mordopfer aus Colins letztem Abenteuer verwaist zurückgelassen hatte, lagen unterm Tisch und sabberten liebevoll auf die Socken der Anwesenden. Alles Wesentliche spielte sich oberhalb der Tischplatte ab. Jasper und Colin vernichteten zur Wiederherstellung ihres seelischen Gleichgewichts jeder einen Berg Bratkartoffeln. Sie hatten nicht viel Zeit verschwendet, seit sie Hodge House verlassen hatten, und waren umgehend in ihrer Stammkneipe, einem altmodischen Pub mit zusammengewürfeltem Mobiliar der letzten Jahrzehnte, eingekehrt. Norma und Lucy waren nur einen Anruf später zu ihnen gestoßen und erörterten bereits ihre kriminalistischen Möglichkeiten im Fall Christine Humblebee.
»Ich habe einige ehemalige Patientinnen in Hodge House. Zum Beispiel die reizende Lani Soundso. Ich kann mir einfach keine indischen Nachnamen merken, aber sie ist wirklich eine ganz reizende Dame. Seit einem Beinbruch ist sie in ihren Bewegungen eingeschränkt und deshalb nach Hodge House gezogen. Die Hausarbeit wurde ihr zu viel. Ich kann sie besuchen und sie bei der Gelegenheit ganz zwanglos ausfragen. Vielleicht weiß Lani mehr über diese Christine«, meinte Norma.
Norma, eine Krankenschwester von so geringer Körpergröße, dass es bereits an Kleinwuchs grenzte, hatte eine Schwäche für knallige Farben. Ihr vor kurzem noch rosafarbenes Haar war jetzt butterblumengelb und wurde von violetten Haarspangen aus dem Gesicht gehalten. Colin war sehr dankbar dafür, dass sie ihn noch nicht nach seiner Meinung zu ihrer neuen Haarfarbe gefragt hatte.
Jasper nahm den Faden auf. »Lani? Der Name stand heute auf meiner Liste. Ich kann mir übrigens auch keine indischen Nachnamen merken. Die Dame hat bei mir heute im Malkurs gesessen. Naja, etwa zwei Minuten lang. Dann musste ich unserem Helden hier zu Hilfe eilen.« Jasper grinste und schlug Colin auf die Schulter. »Der Vorteil bei uns Männern ist doch, dass man dem Freund beim Kotzen nicht die Haare zurückhalten muss.«
»Ich habe nicht gekotzt. Du übertreibst schon wieder, Jasper«, erwiderte Colin ärgerlich.
»Das ist wahr. Ich übertreibe. Aber er war kurz davor, das könnt ihr mir glauben. Dieses dezente Hellgrün zwischen Kinn und Nasenwurzel gepaart mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck, nein, da hat nicht viel gefehlt. Dafür brauchte ich nicht einmal seine Beobachtungsgabe.«
Colin gab ein Knurren von sich.
»Mit den Bewohnern sprechen klingt gut«, wechselte Lucy energisch das Thema. »Ich wünschte, ich könnte euch auch eine Hilfe bei den Ermittlungen sein. Das letzte Mal habe ich ja das meiste versäumt. Dieses Mal wäre ich gern von Anfang an dabei. Könnte ich nicht auch irgendeine ehrenamtliche Aufgabe in Hodge House übernehmen?«
»Es gibt keine Ermittlungen unsererseits. Ich bin Tanzlehrer und kein Detektiv«, hörte Colin sich selbst zum soundsovielten Male sagen. »Wir überlassen dieses Mal einfach alles der Polizei.«
Jasper widersprach ihm entschieden: »Natürlich gibt es Ermittlungen! Wie könnten wir nicht ermitteln, wo du doch schon wieder über eine Leiche gestolpert bist? Du hast Dieber doch gehört: Rein objektiv betrachtet bist du der Hauptverdächtige, denn Leichen pflastern deinen Weg. Wir müssen dich von diesem Verdacht reinwaschen.«
»Ach, die Masche zieht doch nicht mehr, Jasper. Niemand, der seine Sinne beisammenhat, würde mich für den Mörder halten. Die Tote lag schon monatelang unter dem Rasenschnitt. Und ich habe beim Fall des Bratenthermometermörders den Dorfbewohnern doch wohl hinlänglich bewiesen, dass ich zu den Guten gehöre.«
»Auch die Guten können zu Mördern werden. Es kommt nur auf das Motiv an«, orakelte Jasper.
»Wenn ich dir sage, dass ich dich für den Mörder halte, ermitteln wir dann?«, fragte Lucy und klimperte aufreizend mit den Wimpern.
Colin spürte, dass die Entscheidung seiner Freunde längst gefallen war und er gegen Windmühlen kämpfte. Er stöhnte ein letztes Mal theatralisch auf und ließ die Gabel sinken. »Also schön. Ermitteln wir ein bisschen. Aber wenn wir nicht weiterkommen, dann geben wir auf. Was haben wir bisher?«
»Hurra! Gute Entscheidung, mein Freund!«, rief Jasper und prostete ihm zu. »Wir haben einen Namen. Christine Humblebee. Und deine Beobachtungen am Tatort.«
Colin schüttelte sich bei der Erinnerung an die Hand, deren faulende Finger er für Wurzeln gehalten hatte.
»Das ist ein sehr ungewöhnlicher Name. Ich könnte im Internet recherchieren, ob ich etwas über sie herausfinde«, schlug Lucy vor.
»Das klingt gut«, antwortete Colin schnell. Wenn er wirklich wieder auf Mörderjagd gehen würde, wäre es das Beste, seine zarte Lucy sicher hinter einem Schreibtisch zu wissen.
»Colin, versuch dich genau zu erinnern. Gab es irgendetwas Auffälliges an der Toten?«, fragte Jasper und stieß seine Gabel in eine Bratkartoffel.
Sich genau zu erinnern, war so ziemlich das Letzte, was Colin wollte. Doch er tat Jasper den Gefallen. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Da war nichts. Ihre Finger waren braun und krumm. Ich habe sie für interessant geformte Wurzeln gehalten. Der Arm daran sah aus wie der einer Moorleiche. Den Bademantel hätte ich persönlich für Moos gehalten. Nur am Ärmelaufschlag habe ich erkannt, was es wirklich war. Und mehr habe ich auch nicht gesehen. Ehrlich, das hat auch schon gereicht.«
»Kein Ring? Keine Armbanduhr? Nichts?«, hakte Jasper nach und aß fleißig weiter, während Norma und Lucy sich bei Colins Worten angeekelt zurückgelehnt hatten.
»Mit welcher Hand hast du sie angefasst?«, wollte Lucy wissen.
»Verrate ich nicht.«
»Ich wette, es war die rechte. Streichele mich heute bitte nur noch mit links.«
»Das ist doch seltsam«, mischte sich Norma in das Geplänkel ein, »dass eine Frau keinen Schmuck an der Hand trägt, oder? Nicht einen einzigen Ring.«
»Ich trage auch keinen«, gab Lucy mit der Spur eines Vorwurfs in der Stimme zu bedenken. »Und außerdem trug die Frau einen Bademantel. Vielleicht hat sie ihre Ringe auf der Waschbeckenablage zurückgelassen.«
»Um im Bademantel über das Gelände zu geistern und sich dann erdrosseln zu lassen?«, Jasper legte die Stirn in Dackelfalten. »Klingt das logisch für euch?«
»Nein.« Norma schüttelte den Kopf. »Vermutlich wurde sie woanders ermordet und nur hinter der Böschung entsorgt. Sie könnte in ihrem Zimmer gestorben sein.«
»Dann hätte sie jemand bis zur Böschung bringen müssen«, gab Jasper zu bedenken. »Sehr unwahrscheinlich, dass der Mörder sein Opfer über die Flure und eine Liegewiese schleift. Jederzeit kann sich eine Zimmertür öffnen oder eines der alten Leutchen über die Wiese flanieren. Am Tage wäre es völlig unmöglich gewesen. Er müsste es bei Nacht getan haben. Aber, ob so etwas ohne Zeugen an einem Ort wie Hodge House überhaupt zu irgendeiner Tageszeit möglich ist? Alte Leute schlafen schlecht, sagt man. Selbst nachts ist dort vermutlich immer jemand wach.«
»Außerdem verfügt Hodge House über Personal und einen Nachtdienst«, ergänzte Norma.
»Na? Schon wieder dabei, meine Arbeit zu erledigen?«, hörte Colin hinter sich plötzlich eine helle Jungenstimme. Sergeant Dieber hatte das Pub und damit die Bühne betreten.
Colin drehte sich auf seinem Stuhl um und schenkte Dieber ein genervtes Lächeln. »An mir liegt’s nicht. Ich könnte mich problemlos raushalten. Aber ich fürchte, man lässt mich nicht.«
Dieber, ein schlaksiger Kerl, der den Stimmbruch verpasst hatte und zudem als schwuler Polizist vom Dorf auch noch einer absoluten Minderheit angehörte, konnte darüber gar nicht lachen. »Meinem Boss wird es nicht gefallen, wenn ihm Amateure ins Handwerk pfuschen«, antwortete er und versuchte, so etwas wie Strenge durchklingen zu lassen.
Jasper schenkte dem jungen Polizisten sein freundlichstes Lächeln. »Aber dein Boss mag es bestimmt, wenn man ihm den Mörder auf dem Silbertablett serviert, oder nicht? Wie wär’s Sergeant? Steig bei uns ein, dann wirst du derjenige sein, der dieses Silbertablett in sein Büro balanciert. Uns kratzen Ruhm und Ehre nicht. Kannst du alles behalten. Wir wollen nur den Spaß und die Spannung.« Jasper unterstrich seine Worte mit einer einladenden Handbewegung.
Dieber gab ein Seufzen von sich, zog einen Stuhl von einem leeren Tisch zu sich heran und ließ sich darauf fallen. »Habt ihr schon einmal in Erwägung gezogen, dass es nicht spaßig werden könnte? Mordermittlungen sind nämlich selten spaßig. Manchmal sind sie sogar sehr langweilig. Denn leider habe ich bei dieser Ermittlung den schlechtesten Job abgekriegt. Ich soll möglichst viel über diese Christine Humblebee in Erfahrung bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Haufen Amateure mir dabei eine Hilfe sein könnte.«
»Aber das ist doch großartig!« Jasper klatschte in die Hände. »Verlier nicht das große Ganze aus den Augen! Während du dich mit Polizeimethoden durch die Vergangenheit dieser Dame wälzt, füttern wir dich mit zusätzlichen Informationen aus Hodge House. Niemand kann besser mit den alten Leuten umgehen als Colin!« Colins Miene sprach bei diesen Worten vermutlich Bände, doch Jasper fuhr einfach fort. »Lass uns nur machen. In kürzester Zeit liefern wir dir viele in Klatsch und Tratsch verpackte Fakten über diese Christine. Und zum Austausch für unsere Informationen lässt du uns an den offiziellen Erkenntnissen teilhaben!« Jasper lächelte selig. Colin erkannte ungläubig, dass dies genau das Szenario war, das Jasper sich gewünscht hatte. Einen Deal mit Dieber machen, so hatte er es während ihrer Heimfahrt genannt.
Colin schielte über sein Bierglas zu dem jungen Sergeant hinüber. Mike Dieber, das wusste Colin, träumte von der großen Karriere. Von einer Chance, dem Landleben den Rücken zu kehren und als Ermittler in der großen Metropole London Fuß fassen zu können. Eine gute Aufklärungsbilanz und die eine oder andere lobende Erwähnung an richtiger Stelle konnten ihm dabei nur hilfreich sein. Colin studierte das Gesicht des Polizisten und wusste, noch bevor dieser den Mund aufmachte, dass er angebissen hatte.
»Ich darf natürlich offiziell keine Informationen herausgeben«, sagte Dieber so langsam, dass es schon fast lächerlich wirkte.
»Aber wenn dir mal eine Notiz aus der Tasche fällt, kurz bevor du dringend die hervorragenden sanitären Einrichtungen des Lost Anchor aufsuchen musst, und ich sie natürlich für dich aufhebe und auf ihren Platz zurücklege … tja, solche Dinge passieren, nicht wahr?« Jasper strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
»Ich sehe, ihr versteht euch«, murmelte Colin ein wenig enttäuscht. Dieber war seine letzte Hoffnung gewesen. Alles, was er sich vom nahenden Herbst erträumt hatte, waren Ruhe, wallender Nebel und ein gutes Buch gewesen. Stattdessen würde er einen Mörder in einem Altenheim suchen. Das Beste, was ihm jetzt noch passieren konnte, war ein möglichst schneller Erfolg in diesem Fall. Umso eher konnte er sich wieder mit Huey in einen Sessel kuscheln und Dickens lesen, während draußen die Herbststürme brausten.
»Ich verstehe das nicht«, fauchte Lucy und hämmerte auf der Tastatur des Laptops herum. Eines Laptops, das Colin an diesem Abend zum ersten Mal auf seinem Esstisch stehen sah.
»Ich verstehe das auch nicht. Wo hast du denn jetzt plötzlich ein Laptop her?«
»Von Mrs Grey«, antwortete Lucy und schob die Zungenspitze zwischen die Lippen, während ihre Nase gleichzeitig dem Bildschirm immer näherkam.
»Und warum laufe ich immer zu Jasper, wenn ich ins Internet will?«
Lucy zuckte die Achseln und klimperte mit den Wimpern. Sie war reizend. Das entzückendste Wesen, das je in seinem Leben die Regie übernommen hatte, fand Colin. Warum konnte sie sich nicht auf seinem Bettüberwurf räkeln, anstatt das Internet zu durchforsten?
»Mrs Grey hat also ein Laptop? Erstaunlich.«
»Sie hat auch ein Auto und eine Kaffeemaschine. Sie ist einfach göttlich. Ich verstehe gar nicht, warum ich mich in dich und nicht in sie verliebt habe«, erwiderte Lucy. »Und das hier verstehe ich wirklich absolut nicht.« Sie deutete auf den Monitor.
Colin zuckte die Achseln und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. Huey kletterte träge auf seinen Schoß. »Frag mich bloß nicht nach irgendwelchen technischen Raffinessen. Ich bin froh, wenn sich so ein Ding von mir einschalten lässt.«
»Das kann jeder. Auch du. Du willst nur nicht. Mit dem richtigen Programm könntest du deine zerkratzten CDs verschrotten und deine Tanzmusik vom Computer abspielen. Das ist gar nicht so schwer. Das Rätsel ist ja auch gar nicht das Laptop als solches, sondern die Informationen, die es mir über Christine Humblebee liefert.«
»Welche Informationen denn?«, fragte Colin interessiert und lehnte sich im Sessel vor.
»Gar keine. Das ist es ja.«
Colin sank zurück in den Sessel. Dieser Tag schien für ihn kein Ende nehmen zu wollen. Erst die Leiche im Kompost, dann die Diskussionsrunde im Lost Anchor und nun verfolgte ihn diese Geschichte auch noch bis in seinen Sessel. Lucy würde sich an ihrer Aufgabe festbeißen und noch Stunden vor dem Bildschirm zubringen. Was für ein Abend für einen Tag wie diesen. Um wie viel besser wäre jetzt menschliche Nähe und traute Zweisamkeit. Aber das stand wohl nicht zur Debatte. »Dann hat Christine Humblebee eben keine Spuren im Internet hinterlassen. Die Frau war über siebzig! Gut zwanzig Jahre älter als ich. Ich wette, mich kann man auch nicht googeln. Wie sollte ich dort auch hineingekommen sein?«
Statt einer Antwort tippte Lucy rasch eine Reihe Buchstaben in die Tastatur und nur Sekunden später strahlte sie ihn über das Laptop hinweg an. »Ihre Suche nach Colin Duffot ergab siebzehn Einträge. Du hast mal in Blackpool ein Turnier getanzt? Wie aufregend.«
»Fast jeder Engländer, der zwei Beine sein eigen nennt, hat mal in Blackpool ein Turnier getanzt. Was steht denn da noch so über mich?«
»Deine letzte Telefonnummer in London, die Namen einiger Londoner Tanzschulen, die mir nichts sagen, eben das Übliche. Und das ist es ja eben, was mich stutzig macht. Christine Humblebee hat nicht einmal diese Art von Spuren hinterlassen. Es taucht keine Adresse auf, keine Telefonnummer gar nichts.«
»Vielleicht hatte sie eine Geheimnummer.«
»Und sie war auch in keinem Sportverein, hat nirgendwo gearbeitet und sich auch sonst nirgendwo engagiert? Wer war diese Frau? Eine Unsichtbare?«
»Wenn du in diesem Wunderwerk der modernen Technik nichts über Christine Humblebee findest, gehen wir auf altbewährte Weise vor und fragen die alten Leute in Hodge House aus. Komm, lass uns ins Bett gehen. Mein Tag war fürchterlich. Nur du kannst ihn noch retten.«
»Aber du hast erst Freitag wieder Tanzkurs dort! So lange können wir unmöglich warten!«, fauchte Lucy und hackte wütend auf die Tastatur ein. »Die Informationen sind irgendwo hier drinnen und ich werde sie finden.«
Colin erhob sich schwerfällig aus dem Sessel und stellte sich dicht hinter Lucy. Sanft blies er ihr seinen warmen Atem in den Nacken. »Lass es gut sein, Lucy. Ich verspreche dir auch, dass ich gleich morgen früh bei Mrs Halligan anrufe und ihr anbiete, die ausgefallene Stunde am Abend nachzuholen. Aber bitte mach jetzt Schluss damit. Ich kann nicht mehr.«
Sein Flehen wurde erhört. Lucy klappte den Deckel des Laptops zu, doch sie blieb nachdenklich und wortkarg. Colin beobachtete sie dabei, wie sie ihre Ohrringe abnahm und in den Kühlschrank legte. Er sagte nichts. Er freute sich nur jetzt schon auf ihr überraschtes Gesicht, wenn sie morgen ihren Ohrschmuck neben der Butter fände.
Erst als sie gemeinsam in dem viel zu schmalen Bett lagen, fand Lucy ihre Sprache wieder. »Mein Vater hat uns für Sonntag zum Tee eingeladen. Er will dich endlich kennenlernen.«
Lucys Familie war das einzig wirklich Unattraktive an ihr. Ihre Brüder waren unangenehme Zeitgenossen, die sich zur Leibgarde ihrer kleinen Schwester aufgeschwungen hatten. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte Colin einiges einstecken müssen. Erst seit die Brüder in dem Glauben lebten, Lucy erwarte ein Kind von Colin, sahen sie von Handgreiflichkeiten ihm gegenüber ab. Über den Vater dieser reizenden Bande wusste Colin so gut wie nichts, einem Besuch war er aber in den letzten Monaten konsequent aus dem Wege gegangen. Ewig ließ sich das nun aber wohl nicht mehr aufschieben.
»Du sagst ja gar nichts.«
Colin räusperte sich. »Werden deine Brüder auch dort sein?«
»Möglich. Du hast doch nicht etwa Angst vor ihnen?«
»Ich weiß noch nicht. Denken sie noch immer, dass du schwanger bist?«
»Ach ja, richtig!« Lucy schlug sich vor die Stirn. »Ich sollte unser Scheinbaby vielleicht mal so langsam verlieren, sonst muss ich noch mit einem Sofakissen unter der Bluse durch den Winter laufen.«
»Schade eigentlich. Ich hatte mich an das Kind gewöhnt.« Auch wenn er Lucys Lüge zunächst abgelehnt hatte, so hatte sie doch ihren Zweck erfüllt.
»Wir erfinden eine neue Schwangerschaft für sie. Dieses Mal vielleicht ein Mädchen. Das weckt ihre Beschützerinstinkte. Und im nächsten Sommer servieren wir ihnen Zwillinge. Vielleicht kann ich mir irgendwo ein Ultraschallfoto leihen. Das könnten wir noch eine ganze Weile durchhalten«, erklärte Lucy gähnend. Wenige Minuten später war sie in seinen Armen eingeschlafen. Colin allerdings starrte, beeindruckt von ihrer Skrupellosigkeit, noch lange schlaflos in die Dunkelheit und fragte sich, wann sein Leben eigentlich so kompliziert geworden war.