Читать книгу Meine Tochter Amy - Mitch Winehouse - Страница 6

PROLOG

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Gerne würde ich behaupten, das erste Mal, dass ich meine neugeborene Tochter im Arm hielt, am 14. September 1983, sei ein unvergesslicher Augenblick gewesen, aber so einfach war die Sache nicht.

Manche Tage ziehen sich, an anderen vergeht die Zeit wie im Fluge. Der besagte Tag war einer von denen, an denen scheinbar alles gleichzeitig passiert. Anders als unser dreieinhalb Jahre zuvor geborener Sohn Alex, kam unsere Tochter im Eiltempo zur Welt – wie wenn ein Korken aus der Flasche ploppt. Schon wie sie zur Welt kam, war typisch für Amy – schreiend und um sich tretend. In meinem ganzen Leben habe ich kein Baby gehört, das so laut schreien konnte. Ich würde gerne behaupten, dass es ein melodisches Schreien war, aber es war einfach nur laut. Amy war vier Tage zu spät dran, und das blieb so: Ihr Leben lang kam sie immer zu spät.

Amy wurde im Chase Farm Hospital in Enfield im Londoner Norden geboren, nicht weit von unserer Wohnung in Southgate. Und nachdem es so schnell über die Bühne gegangen war, fand sich bald ihre gesamte Familie – Großeltern, Großtanten, Onkel und Cousins - rund um Janis’ Bett ein, umden Neuankömmling zu begrüßen. Wie das bei uns zu allen Anlässen üblich ist, ob erfreulich oder nicht.

Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, vor allem wenn es um die Familie geht, und als ich Amy im Arm hielt, dachte ich: Ich bin der glücklichste Mann auf Erden. Es war so schön, eine Tochter zu haben; nach Alex’ Geburt hofften wir auf ein Mädchen, damit er eine Schwester hatte. Janis und ich wussten schon, wie sie heißen sollte. Einer jüdischen Tradition gemäß beginnen die Namen unserer Kinder mit demselben Buchstaben wie der eines verstorbenen Verwandten. Alex ist nach meinem Vater Alec benannt, der starb, als ich 16 war; hätten wir noch einen Jungen bekommen, wollte ich ihn Ames nennen - ein jazziger Name. “Amy“, sagte ich, sah sie an und dachte, das klingt nicht so jazzig. Welch ein Irrtum. Und so wurde sie Amy Jade Winehouse – Jade nach Jack, dem Vater meines Stiefvaters Larry.

Amy war wunderschön und ihrem älteren Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten. Auf Bildern der beiden im selben Alter kann ich sie kaum unterscheiden. Am Tag nach ihrer Geburt nahm ich Alex mit zu seiner kleinen Schwester. Wir machten ein paar hübsche Fotos von den beiden, auf denen er Amy knuddelt.

Ich hatte diese Fotos viele Jahre nicht gesehen, als mich Amy im Juli 2011, fast 28 Jahre danach, eines Tages anrief.

Sie rief mich am Tag vor meiner Abreise nach New York an, und ich merkte sofort, dass sie sehr aufgeregt war.

“Papa, Papa, du musst vorbeikommen“, sagte sie.

“Ich kann nicht, Liebling“, sagte ich. “Ich habe heute Abend einen Auftritt und fliege morgen früh.“

Sie blieb hartnäckig. “Papa, Papa, ich habe die Fotos gefunden, du musst vorbeikommen.“ Plötzlich wusste ich, wieso sie so aufgeregt war. Irgendwann bei Amys vielen Umzügen war eine Schachtel mit Familienfotos verschwunden, und die hatte sie nun offenbar wiedergefunden. “Du musst rüberkommen.“ Sie bestand darauf. Schließlich fuhr ich mit meinem Taxi zum Camden Square und parkte vor ihrem Haus.

“Ich schaue nur kurz rein“, sagte ich und wusste nur zu gut, wie schwer es war, ihr was abzuschlagen. “Muss gleich weiter. Du weißt, dass ich heute viel zu tun habe.“

“Oh, du gehst immer zu schnell wieder“, antwortete sie. “Papa, bleib da.“

Ich folgte ihr hinein. Sie hatte die Fotos auf einem Tisch ausgebreitet. Ich schaute mir die Bilder an. Ich hatte bessere, aber diese hier, die sie ausgegraben hatte, bedeuteten ihr offenbar viel. Da war eines, auf dem Alex die neugeborene Amy hielt, und da war Amy als Teenager – auf allen anderen war jedoch nicht sie zu sehen, sondern Familie und Freunde.

Sie nahm ein Foto von meiner Mutter. “War Omi nicht schön?“, sagte sie. Dann griff sie sich das Bild von Alex und ihr und bemerkte mit Stolz und geschwisterlicher Rivalität in der Stimme: “Oh, schau ihn an.“

Ich sah ihr zu, wie sie die Fotosammlung durchging. Eins nach dem anderen nahm sie heraus. Zu jedem Einzelnen hatte sie etwas zu sagen, und ich dachte mir: Dieses Mädchen da ist weltberühmt, hat Millionen Menschen Freude gebracht, und sie ist einfach ein normales Mädchen, das seine Familie liebt. Sie war so gar nicht auf sich fixiert, und nach allem, was sie durchgemacht hatte, war ich wirklich stolz auf sie. Sie ist großartig, meine Tochter.

An dem Tag war sie gut drauf, und es war sehr nett mit ihr. Nach ungefähr einer Stunde musste ich schließlich gehen. Wir umarmten uns zum Abschied, und als ich sie in meinen Armen hielt, spürte ich, dass sie dabei war, zu sich zu finden und wieder zu Kräften zu kommen – sie hatte sich im Haus ein Fitnessstudio eingerichtet und mit Gewichten trainiert.

“Wenn du zurück bist, gehen wir beide ins Studio und machen das Duett“, sagte sie auf dem Weg zur Tür. Wir hatten zwei Lieblingssongs, “Fly Me To The Moon“ und “Autumn Leaves“, und Amy wollte einen davon mit mir aufnehmen. “Wir werden ordentlich proben“, fügte sie hinzu.

“Das glaube ich erst, wenn ich es sehe“, lachte ich. Wir hatten dieses Gespräch über die Jahre oft geführt, aber das letzte Mal war eine Weile her. Es war schön, sie wieder so reden zu hören. Als ich wegfuhr, winkte ich aus dem Auto. Danach habe ich meine geliebte Tochter nie wieder lebend gesehen.


Freitag landete ich in New York und verbrachte einen ruhigen Abend allein. Tags darauf traf ich meinen Cousin Michael und seine Frau Alison in ihrer Wohnung in der 59. Straße – nachdem er Alison geheiratet hatte, war Michael ein paar Jahre zuvor in die USA ausgewandert. Sie hatten drei Monate alte Zwillinge, Henry und Lucy, und ich konnte es kaum erwarten, sie zu sehen. Die Kinder waren wunderbar. Henry saß auf meinem Schoß, als Michaels Vater, mein Onkel Percy, aus London anrief. Michael reichte mir den Hörer, damit ich Hallo sagen konnte. Das übliche: “Hallo Onkel, wie geht’s?“ “Hallo Mitch, wie geht’s dir? Und Amy?“ Ich antwortete ihm, ich hätte Amy vor meinem Abflug gesehen, und es gehe ihr gut.

Im selben Moment läutete mein Mobiltelefon. Auf dem Display stand “Andrew – Security“. Amy rief mich oft von Andrews Telefon an, also sagte ich zu Onkel Percy: “Ich glaube, das ist Amy“, und gab Michael den Hörer zurück. Henry saß noch auf meinem Schoß, als ich ranging.

“Hallo Liebling“, sagte ich. Es war aber nicht Amy, sondern Andrew. Ich konnte kaum verstehen, was er sagte.

Alles, was ich mitbekam, war: “Du musst heimkommen, du musst heimkommen.“

“Was? Wovon redest du?“

“Du musst nach Hause kommen“, wiederholte er.

Alles um mich herum begann zu verschwimmen. “Ist sie tot?“, fragte ich.

Und er sagte: “Ja.“

Meine Tochter Amy

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