Читать книгу Meine Tochter Amy - Mitch Winehouse - Страница 7
1 … UND DANN KAM AMY
ОглавлениеIch war von Anfang an wie vernarrt in meine Tochter, der Rest der Welt interessierte mich kaum noch. Kurz bevor Amy zur Welt kam, hatte ich meinen Job verloren – vermutlich weil ich mir für die Geburt vier Tage freinehmen wollte. Als Amy dann da war, spielte so etwas keine Rolle mehr. Obwohl ich arbeitslos war, zog ich los und kaufte eine JVC-Videokamera für fast einen Tausender. Janis war außer sich, aber das kümmerte mich nicht. Ich machte viele Stunden Filmaufnahmen von Amy und Alex; die Bänder habe ich heute noch bei mir.
Alex war großartig. Stundenlang hielt er Wache an ihrem Kinderbett. Einmal kam ich spätnachts in ihr Zimmer und fand Amy hellwach, während Alex am Boden schlief – ein toller Wächter. Ich war ein nervöser Vater und schaute oft in Amys Gitterbett, ob mit ihr alles okay war. Als sie noch ein sehr kleines Baby war, hörte ich sie einmal röcheln: „Sie atmet nicht richtig!“, schrie ich, und Janis musste mir erklären, dass alle Babys solche Geräusche machen. Ich war immer noch nicht beruhigt, also hob ich Amy hoch, und natürlich wollte sie danach nicht mehr schlafen. Aber alles in allem war sie ein braves Kind und schlief bald die Nächte durch. So fest, dass Janis sie manchmal zum Stillen wecken musste.
Badezeit für die Kinder: ein Gewirr von Armen und Beinen, und der Boden war immer tropfnass.
An ihrem ersten Geburtstag lernte Amy laufen, von da an wurde sie ein bisschen schwierig. Sie war sehr neugierig, und wenn man nicht ständig ein Auge auf sie hatte, ging sie auf Erkundungsreise. Zum Glück hatten wir Hilfe – meine Mutter, mein Stiefvater und der größte Teil meiner Familie waren fast jeden Tag da. Manchmal kam ich spät von der Arbeit, und Janis teilte mir mit, sie hätten mein Abendessen aufgegessen.
Janis war und ist eine wundervolle Mutter; Alex und Amy konnten schreiben und lesen, bevor sie zur Schule gingen, und das verdankten sie ihr. Wenn ich von der Arbeit kam, hörte ich sie oben, schlich mich rauf und stand leise vor der Tür, um sie zu betrachten. Janis las ihnen vor, die Kinder saßen eng an sie geschmiegt, mit gespanntem Blick, was wohl als Nächstes geschehen würde. Ein schönes Bild. So verbrachten sie ihre gemeinsame Zeit, und ich wünschte, ich hätte mehr dabei sein können.
Ich konnte nicht genug kriegen von den Kindern, und wenn ich abends erst um zehn oder elf heimkam, weckte ich sie manchmal auf, um Gute Nacht zu sagen. Ich ging rein, stolperte gegen das Gitterbett, „Oh, schau, sie sind wach“, und drückte sie an mich, um sie zu knuddeln. Janis machte das wahnsinnig, und zwar mit Recht.
Ich war mit Leib und Seele Vater, aber wir tobten mehr herum, als dass ich ihnen Geschichten vorlas. Alex und ich spielten im Garten Fußball, später Kricket, und Amy wollte unbedingt mitmachen – „Papa! Papa! Gib mir den Ball!“ -, aber als ich ihn ihr sachte hinstupste, griff sie fröhlich danach und warf ihn über den Zaun.
Amy tanzte für ihr Leben gern, und wie es die meisten Väter mit ihren kleinen Töchtern tun, hielt ich sie an der Hand und balancierte ihre Füße auf meinen. So schwangen wir durchs Zimmer. Am meisten gefiel es Amy jedoch, wenn ich sie herumwirbeltesie liebte es, wenn sie dabei die Orientierung verlor. Angst kannte sie nicht, sie kletterte höher, als es mir lieb war, und turnte wie wild auf einem Klettergerüst im Park herum. Aber sie spielte auch gerne zu Hause mit ihren Puppen. Sie liebte ihre Cabbage-Patch-Puppen; wir mussten sogar die „Adoptionsurkunden“ abschicken, die den Puppen beilagen, damit sie zufrieden war. Wenn Alex sie triezen wollte, fesselte er die Puppen.
Meine zwei Lieben, Alex und Amy, in der Schuluniform der Osidge Primary. Alex kümmerte sich stets um seine kleine Schwester.
Wenn ich früh genug nach Hause kam, las ich den Kindern vor: immer Noddy-Bücher von Enid Blyton. Amy und Alex waren Noddy-Experten. Amy liebte das Noddy-Ratespiel. Es war immer dasselbe und ging so:
Amy sagte: „Papi, was hatte Noddy an dem Tag an, als er Big Ears traf?“
Ich tat so, als dächte ich nach, und versuchte es: „Trug er sein rotes Hemd?“
Amy antwortete: „Nein.“
Dann sagte ich, das sei eine echt schwere Frage und ich müsse nachdenken. „Den blauen Hut mit dem Glöckchen an der Spitze?“ Wieder ein Nein von Amy. Da schnippte ich mit den Fingern und sagte: „Ich weiß es! Er hatte die kurze blaue Hose und den gelben Schal mit roten Punkten an.“
„Nein, Papi„, antwortete Amy darauf.
Ein stolzer Papa und seine geliebte Tochter. Wahrscheinlich war ich gerade von der Arbeit gekommen und hatte sie geweckt, sehr zum Missfallen von Janis.
Also musste ich aufgeben und Amy fragen, was er anhatte. Bevor sie ein Wort herausbekam, kicherte sie schon los: „Er hatte gar nichts an, er war … nackt!“
Für gewöhnlich hielt sie sich die Hand vor den Mund, um ihr hysterisches Lachen zu unterdrücken. Wie oft wir das Spiel auch spielten, es lief immer gleich.
Wir waren keine von den Familien, die einfach so den Fernseher laufen ließen. Bei uns lief immer Musik, und ich sang die ganze Zeit im Haus. Die Kinder führten kleine Shows für uns auf. Amy war damals etwa zwei, Alex fünf. Ich moderierte sie an, Janis klatschte, und dann sangen sie – na gut, singen ist vielleicht ein bisschen viel gesagt. Alex konnte nicht wirklich singen, aber er versuchte es, und Amy schien nur ein Ziel zu haben: lauter zu singen als er. Es war klar, dass sie das Rampenlicht liebte, und wenn es Alex langweilig wurde und er lieber was anderes machte, sang Amy weiter – sogar wenn wir ihr sagten, sie solle aufhören.
Sie liebte auch ein kleines Spiel, das ich gerne mit ihr spielte, oft im Auto. Ich fing ein Lied an, und sie sang das letzte Wort. Ich sang: „Fly me to the …“ und Amy sang: „MOON“. Ich sang weiter: „… and let me play amongst the …“, und sie sang: „… STARS“. So konnten wir uns endlos amüsieren.
Irgendwann bekam Amy einen kleinen Plattenspieler und spielte immer wieder dieselben Kinderlieder. Es war alles, was man aus ihrem Zimmer hörte. Dann bekam sie ein Xylofon und brachte sich – langsam und mühselig – bei, „Home On The Range“ zu spielen. Es schallte durchs ganze Haus: pling, pling, pling, und ich wünschte, sie würde die richtigen Töne treffen, im Takt – es war eine Qual, es wieder und wieder zu hören.
So süß sie auch war, der Satz, der in Amys frühen Jahren am häufigsten bei uns zu hören war, lautete: „Sei still, Amy!“ Sie wusste nie, wann es genug war. Wenn sie zu singen anfing, war sie nicht zu stoppen. Und wenn sie mal nicht im Mittelpunkt stand, ließ sie sich was einfallen – manchmal auf Kosten ihres älteren Bruders. Auf der Feier zu Alex’ sechstem Geburtstag stahl ihm Amy die Schau und lieferte den Gästen einen spontanen Auftritt als Sängerin und Tänzerin. Alex war ganz und gar nicht begeistert, und ehe wir eingreifen konnten, schüttete er ihr sein Getränk über den Latz. Amy brach in Tränen aus und rannte aus dem Zimmer. Ich brüllte Alex derart an, dass er zu Tode erschrak und ebenfalls weinend rauslief. Nach der Party saß Amy schmollend in der Küche auf dem Boden, und Alex wollte nicht mehr aus seinem Zimmer kommen.
Amy war ein entzückendes Baby, immer lächelnd und glücklich, und wenn sie mal nicht zufrieden war, wussten es alle. Wir fuhren schon früh mit ihr in Urlaub, und sie liebte den Strand.
Obwohl so etwas vorkam, waren sich Alex und Amy sehr nahe und machten viel gemeinsam. Sie gingen schwimmen und nahmen Stepptanzunterricht, vergnügten sich stundenlang. Auch als sie älter wurden und eigene Freundeskreise hatten, blieben sie sich sehr nahe, und das sollte sich nie ändern.
Amys Freundschaft zu ihrem Bruder hielt sie nicht davon ab, sich in den Mittelpunkt zu drängen – für Aufmerksamkeit tat sie alles. Sie konnte schelmisch, frech und übermütig sein. Bald nach Alex’ Geburtstagsfeier, als sie drei Jahre alt war, nahm Janis Amy mit in den Broomfield Park, nicht weit von zu Hause. Nach kurzer Zeit war Amy weg, und Janis konnte sie nicht mehr finden. In Panik rief sie mich in der Arbeit an, Amy sei fort. Ich raste in den Park, außer mir vor Sorge. Als ich ankam, war die Polizei bereits da, und ich war auf das Schlimmste gefasst – das ist meine Art, mit Dingen umzugehen; in meiner Vorstellung war sie nicht verschwunden, sondern entführt worden. Meine Mutter und Tante Lorna waren auch da - alle suchten nach Amy. Offensichtlich war Amy nicht mehr im Park, und die Polizei riet uns, heimzugehen, was wir auch taten. Janis und ich saßen da, heulten uns die Augen aus, und dann, fünf Stunden nach Amys Verschwinden, läutete das Telefon. Es war Ros, eine Freundin meiner Schwester Melody. Amy war bei ihr. Gott sei Dank.
Was passiert war, war typisch Amy. Ros war mit ihren Kindern ebenfalls im Park gewesen. Als Amy weglief, sah sie Ros und rannte zu ihr. Ros fragte sie natürlich, wo ihre Mami sei, und die freche Amy sagte, ihre Mami habe sie allein gelassen und sei nach Hause gegangen. Also nahm Ros Amy mit, aber statt uns anzurufen, rief sie meine Schwester Melody an, die Lehrerin war. Ros erreichte sie allerdings nicht, hinterließ Melody in der Schule aber die Nachricht, dass Amy bei ihr sei. Als Melody erfuhr, dass sich Ros um Amy kümmerte, dachte sie nicht groß darüber nach, weil sie ja keine Ahnung hatte, dass Amy vermisst wurde. Als sie schließlich zu Hause angekommen war und von Amys Verschwinden erfuhr, wurde ihr allerdings einiges klar. Eine Viertelstunde später stand Melody mit Amy vor der Tür, und ich umarmte sie unter Tränen.
Amy mit drei Jahren in Spanien. Sie trug nichts, was nicht rosa war.
„Nicht weinen, Papi, jetzt bin ich zu Hause“, beruhigte sie mich.
Leider lernte Amy offenbar nichts aus der Geschichte. Ein paar Monate danach fuhr ich mit den Kindern ins Brent-Cross-Einkaufszentrum im Londoner Nordwesten. Wir waren gerade im John-Lewis-Kaufhaus, und plötzlich war Amy verschwunden. Eben war sie noch da, im nächsten Augenblick war sie weg. Alex und ich durchsuchten die unmittelbare Umgebung, weit konnte sie ja nicht sein. Aber keine Spur von ihr. Ich dachte: Jetzt geht das wieder los - diesmal ist sie wirklich gekidnappt worden.
Wir weiteten unsere Suche aus, und als wir an einem Ständer mit langen Mänteln vorbeikamen, hüpfte sie hervor und rief: „Buh!„ Ich war wütend, aber je mehr ich schimpfte, desto mehr lachte sie. Ein paar Wochen später versuchte sie es wieder. Diesmal wusste ich Bescheid und lief sofort rüber zu den langen Mänteln. Da war sie nicht. Ich durchsuchte sämtliche Kleiderstangen: keine Amy. Als ich mich richtig zu sorgen begann, sagte eine Stimme über Lautsprecher: „Wir haben die kleine Amy hier, wenn Sie sie verloren haben, kommen Sie bitte zur Kundeninformation.“ Sie hatte sich woanders versteckt und wirklich verlaufen, und jemand hatte sie abgegeben. Ich schärfte ihr ein, sich nicht mehr zu verstecken oder wegzulaufen, wenn wir unterwegs waren. Sie versprach es und tat es nicht mehr. Aber ihre nächsten Streiche sollten vor einem größeren Publikum stattfinden.
Als Kind habe ich mich mal an einem Apfel verschluckt und versetzte meinen Vater damit in Panik. Als sich Alex kurz vor seinem siebten Geburtstag beim Abendessen verschluckte, geriet ich ebenso in Panik, steckte ihm die Finger in den Hals und wollte das Ding rausziehen. Ich hatte wirklich Angst. Es dauerte nicht lange, da verlegte sich Amy, des Versteckspiels überdrüssig, auf das Erstickspiel. Eines Samstagnachmittags waren wir bei Selfridges, dem Kaufhaus in der Oxford Street, und es war brechend voll. Plötzlich warf sich Amy auf den Boden, hustete und hielt sich den Hals. Ich wusste, dass sie nur spielte, aber sie machte ein solches Theater, dass ich sie schließlich auf die Schulter packte und wir aus dem Laden flohen. Danach bekam sie überall „Erstickungsanfälle": bei Freunden, im Bus, im Kino. Irgendwann ignorierten wir es einfach, und schon hörte es auf.
Ich bin zwar in Nordlondon geboren, aber ich fühlte mich immer als East-Ender, weil ich als Kind viel Zeit bei meinen Großeltern Ben und Fanny Winehouse in ihrer Wohnung über Bens Friseursalon in der Commercial Street verbrachte. Auch das Haus meiner anderen Großmutter Celie Gordon in Albert Gardens lag im Herzen des East End. Ich ging sogar im East End zur Schule. Mein Vater arbeitete als Friseur bei seinem Vater, meine Mutter war Damenfriseurin im selben Laden, und auf dem Weg zur Arbeit lieferten sie mich um die Ecke in der Schule an der Deal Street ab.
Schon als sie noch sehr jung waren, faszinierte das East End Amy und Alex, und ich fuhr oft mit ihnen hin. Sie liebten es, Geschichten über unsere Familie zu hören, und zu sehen, wo sie gelebt hatte, erweckte die Geschichten zum Leben. Amy hörte am liebsten die Geschichten über meine Wochenenden im East End, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich erzählte ihr, dass ich jeden Freitag mit Mama und Papa nach Albert Gardens kam, wo wir bis Sonntagabend blieben. Das Haus war vollgestopft bis unter das Dach. Oma Celie war da, ihre Mutter, Urgroßmutter Sarah, Celies Bruder, Großonkel Alec, die Brüder meiner Mutter, Onkel Wally und Onkel Nat, und die Zwillingsschwester meiner Mutter, Tante Lorna. Als wären das noch nicht genug Leute, wohnte im obersten Stock noch Izzi Hammer, ein Überlebender des Holocausts, der im Januar 2012 leider gestorben ist.
Die Wochenenden begannen mit dem traditionellen jüdischen Abendessen am Freitag: Hühnersuppe, Grillhähnchen, Bratkartoffeln, Erbsen und Karotten. Zum Nachtisch gab es „Lokshen“-Kugeln mit Rosinen.
Wo all diese Leute schliefen, weiß ich wirklich nicht mehr, jedenfalls waren die Wochenenden magisch, es wurde gesungen, getanzt, Karten gespielt, es gab Unmengen zu essen und trinken. Gelegentliche lautstarke Streitereien mischten sich mit dem Lachen und der Lebenslust einer großen, glücklichen jüdischen Familie. Diese Tradition behielten wir Amys Leben lang bei; es war immer etwas Besonderes und später ein Prüfstein für Amys Freundschaften – wer stand ihr nahe genug, um zum Freitagsmahl eingeladen zu werden?
Meine Eltern Cynthia und Alec 1953 in ihrer Wohnung in der Rectory Road in Stoke Newington. Amy hat Alec nie kennengelernt, er starb lange vor ihrer Geburt. Sie kannte ihn jedoch aus meinen Geschichten, und sein Stil prägte ihre Vorliebe für Retrosachen.
Amy mit ihrem größten Fan, meiner Mutter
Da ich die Woche über arbeitete, verbrachte ich mehr Zeit am Wochenende mit den Kindern. Als Alex zwei war, nahm ich ihn mit zum Fußball. Damals konnte man da noch kleine Kinder auf dem Schoß haben. Spurs gegen West Bromwich Albion, Februar 1982. Es war eiskalt, so kalt, dass ich eigentlich nicht hinwollte, aber Alex hatte sich so darauf gefreut. Janis zog ihm seinen gefütterten Schneeanzug an, in dem er doppelt so groß aussah – er konnte sich kaum rühren. Als wir dort waren, fragte ich ihn, ob alles in Ordnung sei, und er sagte Ja. Fünf Minuten nach dem Anstoß sagte er: „Papi, ich muss Kacka.“ Also brachte ich ihn aufs Klo; es war gar nicht so einfach, ihn aus dem Anzug rauszukriegen. Ich benötigte noch mal zehn Minuten, um ihn wieder einzupacken. Kaum saßen wir wieder, musste er pinkeln, also das ganze Spiel von vorne. Und in der Halbzeit sagte er: „Papi, ich mag gehen, ich will nach Hause.“
Amy nahm ich mit zum Fußball, als sie etwa sieben war. Als wir wiederkamen, fragte Janis, wie es ihr gefallen habe. Amy sagte, es sei furchtbar gewesen. Janis fragte, wieso sie nicht gesagt habe, dass sie heimmöchte, und sie sagte: „Daddy hat es gefallen, und ich wollte ihn nicht verärgern.“ Das war typisch für die kleine Amy, sie dachte immer an andere.
Zeichnungen aus Amys Schulzeit: Amy mit ihren Freundinnen Juliette und Gemma. Weshalb sie ihre Haare nicht in der richtigen Farbe zeichnete, weiß ich nicht. Die herzförmigen i-Punkte, die sie als Schülerin zeichnete, fand ich bezaubernd.
Inzwischen ging Amy zur Schule. Nach der Vorschule kam sie mit fünf auf die Osidge Primary School, wo auch Alex schon war. Dort lernte sie Juliette Ashby kennen, die ihre beste Freundin wurde. Die beiden waren unzertrennlich und blieben befreundet, solange Amy lebte. Amys zweitbeste Freundin auf der Osidge war Lauren Gilbert – Amy hatte sie bereits gekannt: Onkel Harold, der Bruder meines Vaters, war Laurens Stiefgroßvater.
Amy musste ein hellblaues Hemd mit Schlips, Pulli und einen grauen Rock tragen. Die Vorschule hatte ihr gefallen, und sie war glücklich, alt genug zu sein, um ihrem Bruder in die Schule zu folgen, aber in Osidge hatte sie von Anfang an Probleme. Jeder Tag dort konnte ihr letzter sein. Sie stellte nichts Schlimmes an, sondern störte einfach nur und suchte ständig Aufmerksamkeit, was zu regelmäßigen Beschwerden führte. Still sitzen konnte sie nicht. Sie kritzelte in ihren Büchern herum und trieb Schabernack. Einmal versteckte sie sich unter dem Lehrerpult. Als der Lehrer reinkam, fragte er die Klasse, wo Amy sei, und Amy musste so lachen, dass sie sich den Kopf anstieß und nach Hause geschickt wurde.
Mit sieben hinterließ Amy bleibenden Eindruck bei ihrer Zweitklass-lehrerin, Miss Cutter (heute Jane Worthington), die mir kurz nach Amys Tod schrieb:
Amy war ein sehr aufgewecktes Kind und wuchs zu einer schönen, begabten Frau heran. Meine bleibende Erinnerung ist die an ein Kind, das sein Herz auf der Zunge trug. Wenn sie glücklich war, erfuhr das die ganze Welt, wenn sie sich ärgerte, ebenfalls. Es war offensichtlich, dass ihre Familie Amy liebte und förderte.
Amy war ein schlaues Mädchen, und wenn sie Interesse gehabt hätte, wäre sie in der Schule gut gewesen. Irgendwie war sie aber nie so interessiert. Sie war gut in Sachen wie Mathe – aber nicht in dem Sinne, dass sie gute Noten hatte. Janis war richtig gut in Mathe, und sie brachte es den Kindern bei. Amy liebte Analysis und quadratische Gleichungen, all diese Dinge, die ich nicht kapierte - und da war sie noch in der Grundschule. Kein Wunder, dass sie sich in den Mathestunden immer langweilte.
Meine Tochter, das frühreife Talent, immer glücklich, wenn sie sich präsentieren konnte. Hier 1988 zu Hause in der Osidge Lane in Southgate
Eine Neigung, von der jeder wusste, war ihre Liebe zur Musik. Ich hatte die ganze Zeit Musik an, zu Hause, im Auto, und Amy sang alles mit. Sie liebte die Big-Band- und Jazzsongs, die ich auflegte, aber sie interessierte sich auch schon für R&B und Hip-Hop. Eine besondere Vorliebe hatten Juliette und sie damals für die US-R&B/Hip-Hop-Gruppen TLC und Salt-n-Pepa. Außerdem mochten sie die Backgroundsängerinnen von Wham!, Pepsie & Shirlie; sie kleideten sich wie sie und sangen ihre Lieder. Als Amy etwa zehn war, gründete sie mit Juliette die kurzlebige Rapgruppe Sweet ‘n‘ Sour – Juliette war Sweet, Amy Sour. Sie probten viel, zu Auftritten kam es jedoch leider nicht.
Ich liebte meine Familie rückhaltlos, aber als Amy und Alex älter wurden, veränderte sich etwas – nicht an meiner Liebe und Hingabe zu ihnen, sondern in anderer Hinsicht. Obwohl wir eine gute Ehe führten und zwei wundervolle Kinder hatten, trennten Janis und ich uns 1993.
Ein paar Jahre zuvor hatte mir ein guter Freund, der verheiratet war, gestanden, dass er sich mit einer anderen traf. Es ging mir nicht in den Kopf, wie er das tun konnte. Er hatte eine wunderbare Frau und einen fantastischen Sohn. Warum in aller Welt setzte er all das für eine Affäre aufs Spiel? Er sagte: „ Es ist nicht nur eine Affäre. Wenn du diesen besonderen Menschen findest, weißt du, dass es das Richtige ist. Wenn dir das je passiert, wirst du’s begreifen.“
Janis und ich 1975, frisch verlobt. An wen erinnert sie wohl?
Unglaublich, aber bald darauf fand ich mich in der gleichen Lage und begann meinen Freund zu verstehen. 1984 hatte ich eine neue Marketingmanagerin angestellt, Jane, und wir verstanden uns sofort. Es war nichts Romantisches: Jane hatte einen Freund, ich war glücklich verheiratet. Aber es hatte definitiv zwischen uns gefunkt. Lange Zeit passierte nichts, dann auf einmal doch. Jane besuchte mich, seit Amy achtzehn Monate alt war, und hatte Janis und die Kinder unzählige Male getroffen. Sie hielt eisern daran fest, dass sie sich nicht zwischen mich und meine Familie drängen wollte. Die Kinder mochten Jane.
Amy, stolz auf ihren Bruder Alex, bei dessen Bar-Mizwa 1992
Mein Problem war, dass ich in Jane verliebt, aber noch mit Janis verheiratet war. So etwas geht auf lange Sicht nicht gut. Es war ein schreckliches Dilemma. Ich wollte mit Janis und den Kindern leben, aber auch mit Jane zusammen sein. Ich war mit Janis nie unglücklich. Wir führten eine gute Ehe. Viele Männer, die fremdgehen, hassen ihre Frauen, aber ich liebte Janis. Man kann nicht mit ihr streiten, sie ist ein so herzensguter Mensch.
Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Ich wollte niemanden verletzen. Am Ende zog es mich mehr zu Jane.
1992 entschied ich mich, Janis zu verlassen. Ich beschloss, damit bis nach Alex’ Bar-Mizwa im Jahr darauf zu warten, und zog kurz danach aus. Das Schwierigste war, es Alex und Amy zu sagen. Ich erklärte ihnen, dass wir sie beide liebten und dass die ganze Sache nichts mit ihnen zu tun hatte, und ich hoffte, dass sie es verstehen. Alex nahm mir meinen Auszug jedoch sehr krumm – wer könnte es ihm verübeln? –, während Amy es zu akzeptieren schien.
Ich fühlte mich schrecklich, als ich auszog und zu meiner Schwester Melody nach Barnet fuhr. Sechs Monate blieb ich bei ihr, dann zog ich mit Jane zusammen. Rückblickend finde ich es feige, dass ich die Sache so lange laufen ließ, aber ich wollte einfach, dass alle glücklich sind.
Seltsamerweise sah ich die Kinder nach meinem Auszug öfter als zuvor. Selbst meine Freunde glaubten, Amy sei von der Scheidung nicht übermäßig betroffen, und als ich fragte, ob sie darüber sprechen wolle, sagte sie achselzuckend: „Du bist immer noch mein Papa, und Mama ist immer noch meine Mama. Was gibt’s da zu reden?“
Ich fühlte mich wohl schuldig und verhätschelte deshalb die Kinder. Ohne jeden Grund kaufte ich ihnen Geschenke, führte sie in teure Restaurants aus und gab ihnen Taschengeld. Manchmal ging das nicht, weil ich wegen der neuen Firma knapp bei Kasse war, dann aßen wir im Chelsea Kitchen in der King’s Road, wo man für zwei Pfund satt werden konnte; die Kinder sagten mir später, sie seien mit mir lieber dorthin gegangen als in die teuren Lokale, vor allem weil sie wussten, dass es mich nicht viel kostete.
Eines hat sich nie verändert: meine Liebe zu ihnen und ihre Liebe zu mir.
Amy ganz nachdenklich. Glückwunschkarte zu meinem Geburtstag 1992