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3 WENN DIE LIEBE ZUSCHLÄGT

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Es erwies sich als günstig, dass Sylvia Young nach Amys Abgang von ihrer Schule mit ihr in Kontakt blieb. Sylvia war es nämlich, die Amys Karriere ungewollt eine neue Richtung gab.

Ende 1999, als Amy 16 war, rief Sylvia Bill Ashton an, den Gründer, Geschäftsführer und Präsidenten des National Youth Jazz Orchestra, um Amy einen Termin zum Vorsingen zu verschaffen. „Schick sie einfach vorbei“, sagte er. „Sie kann einsteigen, wenn sie will.“

Amy schaute also vorbei und durfte schon nach ein paar Wochen einen Song mit dem Orchester singen. Eines Sonntagmorgens, etwa einen Monat später, bat man sie, am selben Abend vier Lieder mitzusingen, weil eine der Sängerinnen ausgefallen war. Es kümmerte sie herzlich wenig, dass sie die Songs nicht besonders gut kannte – so etwas ließ Amy kalt. Eine kurze Probe, und sie hatte sie alle drauf.

Amy sang eine ganze Weile mit dem NYJO und machte eine ihrer ersten echten Aufnahmen mit ihnen. Das NYJO stellte eine CD zusammen, und Amy übernahm den Gesangspart; als Jane und ich sie hörten, fiel ich fast in Ohnmacht – unglaublich, wie fantastisch sie klang. Mein Lieblingssong auf der Platte war immer „The Nearness of You“. Ich habe gehört, wie Sinatra ihn sang, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, Billie Holiday, Dinah Washington und Tony Bennett. Aber nie habe ich ihn so gehört, wie Amy ihn sang. Er klang damals wunderschön, und so wird er mir auch immer in Erinnerung bleiben.

Zweifellos verbesserten sich Amys stimmliche Fähigkeiten durch das NYJO und ihre eigenen Auftritte, aber erst durch einen Freund – Amys besten Freund Tyler James – kam die Sache so richtig ins Rollen. Amy und Tyler hatten sich auf der Sylvia-Young-Schule kennengelernt und blieben ihr Leben lang beste Freunde. Amy war in der Schule eine Klasse unter Tyler, im „normalen“ Unterricht waren sie daher nie zusammen. An den „Sing- und Tanztagen“ waren sie jedoch im selben Kurs, weil Amy eine Klasse übersprungen hatte; sie probten zusammen und gingen gemeinsam zu Castings. Kennengelernt hatten sie sich, als ihr Gesangslehrer Ray Lamb vier Schüler bat, für seine Großmutter zum Geburtstag „Happy Birthday“ auf Band zu singen. Tyler war von den Socken, als er das kleine Mädchen hörte, das „wie eine Jazz-Queen“ „Happy Birthday“ sang. Tyler war noch nicht im Stimmbruch und sang wie der junge Michael Jackson. Was für ein Mensch Amy war, erinnert sich Tyler, habe er schnell erkannt, als er ihre gepiercte Nase sah und erfuhr, dass sie das selbst gemacht hatte – mit einem Eiswürfel zur Betäubung der Schmerzen.

Als Amy Sylvia Young und ihre Schule verlassen hatte, vertiefte sich ihre Freundschaft. Tyler war oft dabei, wenn sie Juliette und ihre anderen Freundinnen traf. Tyler und Amy sprachen viel über den Frust, den fast alle Teenager erleben. Jeden Freitagabend telefonierten sie, und am Ende sang Amy Tyler immer ein Lied vor, oder er ihr. Obwohl sie sich unglaublich nahestanden, waren Tyler und Amy kein Liebespaar – eher wie Bruder und Schwester. Er war einer der wenigen Männer, die Amy je freitags zum Abendessen bei meiner Mutter mitnahm.

Nachdem er die Sylvia-Young-Schule verlassen hatte, wurde Tyler Soulsänger. Während Amy beim NYJO sang, trat er in Kneipen, Clubs und Bars auf. Er arbeitete mit Nick Shymansky von der PR-Agentur Brilliant! zusammen. Tyler war Nicks erster Künstler, und es dauerte nicht lang, da belagerte Tyler Amy, sie solle ihm eine Aufnahme von ihr geben, die er Nick vorspielen könne. Irgendwann schaffte es Amy, Tyler ein Band zu schicken, auf dem sie mit dem NYJO Jazzstandards sang. Er war hingerissen und ermunterte sie, noch ein paar Nummern aufzunehmen, bevor er das Band an Nick Shymansky weitergab.

Tyler hatte Nick seit Monaten von Amy vorgeschwärmt. Nick, der ein paar Jahre älter als Tyler und an Lobeshymnen auf Sänger gewöhnt war, erwartete nichts, was die Welt aus den Angeln hob. Aber genau das bekam er.

Amy schickte ihm ihr Band in einem Beutel voller Aufkleber mit Herzen und Sternen. Anfangs dachte er, Amy habe nur eine alte Platte von jemand anderem aufgenommen, weil die Stimme sich nicht nach einer Sechzehnjährigen anhörte. Aber die Produktion war so mies, dass das nicht sein konnte. Die Aufnahme hatte Amys Musiklehrer Ray in der Sylvia-Young-Schule gemacht. Tyler gab Nick Amys Nummer, aber als er anrief, war sie kein bisschen beeindruckt. Er versuchte es immer wieder, und schließlich willigte sie ein, ihn in einem Pub bei der Hanger Lane in Westlondon zu treffen, wo sie mit dem NYJO auftrat.

Es war Sonntag um neun Uhr morgens – offenbar konnte Amy früh aufstehen, wenn sie wirklich wollte (damals hatte sie einen Wochenendjob und verkaufte Fetischkleidung an einem Stand auf dem Camden Market in Nordlondon). Als sich Nick dem Club näherte, hörte er eine „Big Band“ – wie man sie um neun Uhr morgens nicht oft aus einer Kneipe hört. Er ging rein, und was er dort sah, machte ihn sprachlos: eine Band von 60- bis 70-jährigen Männern mit einem 16 oder 17 Jahre alten Mädchen, das unglaublich gut sang. Nick verstand sich sofort bestens mit Amy. Sie rauchte rote Marlboro, während die meisten Jugendlichen damals „Light“-Zigaretten rauchten – da, sagt er, habe er sofort begriffen, dass Amy immer einen Schritt weiter gehen musste.

Während sich Nick und Amy auf dem Parkplatz des Pubs unterhielten, setzte ein Auto zurück, und Amy schrie, der Wagen sei ihr über den Fuß gefahren. Nick war geschockt und untersuchte mitfühlend ihren Fuß. Tatsächlich hatte Amy die Szene nur vorgespielt, um ihn auf die Probe zu stellen. Mal wieder das alte Erstickspiel – sie hat diese Sachen nie ganz abgelegt. Keine Ahnung, was sie mit dem Test erreichen wollte, aber von da an verstand sie sich prächtig mit Nick, der ihr Leben lang ein enger Freund blieb.

Nick stellte Amy seinem Boss bei Brilliant! vor, Nick Godwyn, der ihr einen Vertrag anbot. Nick Godwyn lud Janis, Amy und mich zum Essen ein.

Sie trug eine Pudelmütze, Cargohose und Zöpfe. Amy nahm die ganze Sache offensichtlich locker, ich konnte dagegen kaum still sitzen.

Nick erklärte uns, für wie talentiert er Amy als Komponistin und Sängerin hielt. Mir war klar, wie gut Amy sang, aber es war toll, das mal von einem Profi aus der Musikindustrie zu hören. Und ich wusste, dass sie Songs schrieb, hatte aber keine Ahnung, ob sie was taugten, weil ich nie was davon gehört hatte. Auf dem Weg zurück zu Janis, wo ich Amy und sie absetzen wollte, versuchte ich die Sache realistisch zu sehen – weil aus solchen Deals oft nichts wird – und sagte zu Amy: „Ich würde gerne mal deine Songs hören, Schatz.“


Amys alljährliche Glückwunschkarten brachten mich immer zum Lachen.

Ich war mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt hörte.

„Okay, Papa“, war alles, was sie antwortete. Natürlich bekam ich dennoch keinen von den Songs zu hören, zumindest vorläufig nicht.

Da Amy erst 17 war, durfte sie keinen Vertrag unterschreiben. Also erledigten das Janis und ich und gründeten – zusammen mit Amy – eine Firma, die sie in rechtlichen Angelegenheiten vertreten sollte. Die Firma gehörte zu 100 Prozent Amy, aber für sie war es selbstverständlich, uns zu bitten, an ihrer Karriere mitzuwirken. Als Familie hatten wir in solchen Sachen immer zusammengehalten; mein Stiefvater hatte in meiner Doppelglasfirma gearbeitet und war in London herumgefahren, um die Formulare einzusammeln, die wir jeden Tag in der Hauptverwaltung brauchten. Als er starb, übernahm meine Mutter den Job.

Amy hatte mittlerweile auch einen richtigen Job. Sie schrieb ShowbizStorys für WENN (World Entertainment News Network), eine Online-Medienagentur. Den Job hatte ihr Juliette verschafft – ihr Vater Jonathan Ashby war Gründer und Mitinhaber der Firma. Bei WENN lernte Amy Chris Taylor kennen, der dort als Journalist arbeitete. Amy fing an, sich mit Chris zu verabreden, und bald waren sie unzertrennlich. Ich bemerkte, wie sie sich dadurch veränderte – sie wirkte beschwingt und war offensichtlich sehr glücklich. Aber es war klar, wer in der Beziehung der „Boss“ war: Amy. Das war wohl der Grund, wieso es nicht lange funktionierte. Amy mochte starke Männer, und Chris war zwar ein lieber Kerl, aber in diese Kategorie fiel er nicht.

Es war ihre erste feste Beziehung, und sie hat ihr viel bedeutet. Aber sie ging nicht lange gut. Nach etwa neun Monaten trennten sie sich, und Amy litt sehr darunter. So schmerzhaft die Trennung war, die Beziehung mit Chris gab ihr einen kreativen Schub und lieferte letztlich die Grundlage für die Texte auf ihrem ersten Album Frank.


So begeistert Amy über ihren Managementvertrag auch gewesen war, es dauerte nicht lange, da schlug die Realität des Musikgeschäfts knallhart zu: Nur ein paar Monate nach dem ersten Treffen mit Amy machte die Firma Brilliant! dicht. Alle Acts flogen raus, was normalerweise für einen Künstler ein schlechtes Omen ist, aber Amy hatte Glück. Simon Fuller, der Gründer der Managementfirma 19, der unter anderem die Spice Girls betreute, übernahm einen Teil von Brilliant!, auch Nick Shymansky und Nick Godwyn.

Amy war noch immer keine 18, deshalb unterschrieben erneut Janis und ich den Vertrag mit der Firma 19 in Amys Namen. Zu meiner Überraschung zahlte ihr die Firma 250 Pfund die Woche. Das Geld sollte zwar mit zukünftigen Einnahmen verrechnet werden, aber es gab Amy die Möglichkeit, sich auf ihre Musik zu konzentrieren, ohne sich um Geld zu sorgen. Es war ein ziemlich gewöhnlicher Managementvertrag; 19 bekam 20 Prozent von Amys Einnahmen. Ich dachte: Nun ja, sieht so aus, als würde Amy ein Album rausbringen – das war großartig, aber ich fragte mich, wer es kaufen sollte. Immer noch wusste ich nicht, wie sich ihre Musik anhörte. Obwohl ich sie deswegen ständig nervte, hatte sie mir nie einen Song von sich vorgespielt. Ich sah ein, dass sie mich nichts davon hören lassen wollte, bevor es fertig war, also gab ich es auf. Es schien Amy Freude zu bereiten. Das genügte mir.

Neben dem Managementvertrag trat Amy regelmäßig im Cobden Club in Westlondon auf und sang Jazzstandards. Sie bekam um die 50 Pfund pro Show; ihre stimmlichen Qualitäten sprachen sich schnell herum, und bald kamen Leute aus der Musikindustrie, um sie zu sehen. Es war immer drückend heiß im Cobden Club, und an einem außergewöhnlich heißen Abend im August 2002 hielt ich es nicht mehr aus und wollte gerade gehen, als ich Annie Lennox reinkommen sah, die Amy hören wollte. Wir unterhielten uns, und sie meinte: „Deine Tochter wird ein ganz großer Star werden.“

So etwas von einer so berühmten Künstlerin wie Annie Lennox zu hören war Wahnsinn. Als Amy von der Bühne kam, winkte ich sie her und machte die beiden miteinander bekannt. Amy verstand sich gut mit Annie, und zum ersten Mal fiel mir auf, wie natürlich sie mit großen Stars umging. Als gehörte sie schon dazu, dachte ich.

Nicht nur die Leute im Cobden Club waren beeindruckt von Amy. Nachdem 19 sie unter Vertrag genommen hatte, sagte Nick Godwyn Janis und mir, es gebe jede Menge Anfragen von Leuten, die Amys Songs vermarkten wollten, und von Plattenfirmen, die ihre Gesangskarriere betreuen wollten. Das war in der Industrie so üblich, und Nick empfahl uns Verträge mit zwei separaten Firmen, „damit keine der beiden ein Monopol auf Amy hat“. Also machten wir das so.

Amy unterschrieb einen Vertrag mit der EMI, wo der A&R-Vorstand Guy Moot für sie verantwortlich war. Guy brachte sie dann mit den Produzenten Commissioner Gordon und Salaam Remi zusammen.

Am Tag der Vertragsunterzeichnung gab es ein Treffen mit Guy Moot und den Leuten von der EMI. Ein erstes Treffen hatte Amy verpasst – wahrscheinlich hatte sie mal wieder verschlafen –, also war es verschoben worden. Nick rief Amy an und erklärte ihr, dass sie an diesem Treffen teilnehmen müsse. Aber Amy war mies gelaunt. Er holte sie ab und war stinksauer, weil sie wie üblich nicht fertig war und sie zu spät kommen würden.

„Ich habe die Nase voll“, zürnte er, und sie hatten einen wüsten Streit.

Schließlich liefen sie die Charing Cross Road runter zu den EMI-Büros, als Amy plötzlich stehen blieb und sagte: „Ich gehe nicht zu dem Scheißtreffen.“

Nick antwortete: „Du hast schon eines platzen lassen, es steht zu viel auf dem Spiel, um ein zweites sausen zu lassen.“

Amy blaffte zurück: „Ich habe keine Lust, in einem Zimmer voller Anzugtypen rumzuhocken.“ Die geschäftliche Seite der Dinge hat sie nie richtig interessiert.

„Ich setze dich in diese Mülltonne, bis du mitgehst“, sagte er. Amy lachte, weil sie nie im Leben geglaubt hätte, dass Nick das tun würde. Nick packte Amy, steckte sie in die Mülltonne, schloss den Deckel und rief: „Ich lasse dich erst raus, wenn du sagst, du gehst mit zu diesem Treffen.“

Sie schlug gegen die Wand der Tonne und schrie sich die Lunge aus dem Leib. Aber erst als sie schließlich einwilligte mitzugehen, ließ Nick sie raus.

Sofort begann sie, verwirrten Passanten entgegenzubrüllen: „Entführung! … Vergewaltigung! …“ Als sie zu dem Treffen kamen, stritten sie immer noch, und Amy war schmutzig und voller Dreck aus der Tonne.

„Sorry, dass wir spät dran sind“, sagte Nick, aber bevor er mehr dazu sagen konnte, fuhr Amy dazwischen: „Ja, weil Nick gerade versucht hat, mich zu vergewaltigen.“

Meine Tochter Amy

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