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Triggerwarnung

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Wann immer ich Vorträge zu dem Thema dieses Buches halte, werde ich von den Veranstalter*innen gebeten, eine Triggerwarnung für das Programm zu schreiben, wenn sie das nicht direkt für mich erledigen.

Deshalb also hier die obligatorische Triggerwarnung:

Achtung, dies ist ein Buch über Vergewaltigung. Es gibt darin zwar keine drastischen Beschreibungen von brutalen Details, allerdings werden Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt und die dahinterstehenden Konzepte eingehend diskutiert.

Das Ziel solcher Warnungen ist, Traumatisierte vor Retraumatisierungen zu schützen. Das finde ich wichtig. Gleichzeitig fühle ich mich aber unwohl damit, Menschen, die Opfer eines Verbrechens geworden sind, so zu behandeln, als würden sie dadurch auch die Fähigkeit zu lesen verlieren. Der Titel dieses Buches (und meiner Vorträge) ist Vergewaltigung. Sicherlich erkennen sie – noch vor Menschen, für die Vergewaltigung ein weniger aufgeladenes Thema ist –, dass es hier um … Vergewaltigung geht.

Doch ist genau das das Problem, dass Vergewaltigung für uns alle ein aufgeladenes Thema ist und weitaus mehr Auswirkungen auf unser Leben hat als andere Verbrechen. Es gestaltet unsere inneren Stadtpläne und bestimmt, an welchen Orten wir uns zu welchen Zeiten aufhalten oder eben nicht aufhalten.1 Die Informationen, die wir über Vergewaltigung bekommen, sind nicht nur Informationen über Vergewaltigung, sondern immer auch über unser Geschlecht, das Verhältnis der Geschlechter zueinander und sogar über Sexualität.2 Und keine dieser Informationen ist erfreulich.

Da so viele Menschen so lange und so hart darum kämpfen mussten, dass sexuelle Übergriffe als Verbrechen anerkannt wurden und nicht als Kavaliersdelikt, dass sich der Umgang mit Opfern (zumindest) bei (vielen) Gerichtsverfahren geändert hat und dass nicht mehr nur Überfälle von Fremden unter Anwendung von außerordentlicher Gewalt als Vergewaltigung wahrgenommen werden, birgt jedes Hinterfragen der politischen Überzeugungen, die zu diesen Errungenschaften geführt haben, die Gefahr, denjenigen in die Hände zu spielen, die sexualisierte Gewalt relativieren wollen. Doch Wissen ist nicht absolut, sondern immer abhängig von den Umständen. Was vor 40 Jahren richtig und wichtig war, mag sich verändert haben, deshalb ist es notwendig, unsere Ansichten immer wieder mit den neuen Gegebenheiten abzugleichen. Sprich: Was unter bestimmten Umständen nützlich und notwendig ist, um eine Sensibilisierung für das Problem zu erzeugen und Gesetze durchzusetzen, kann unter anderen Umständen (wie ich an dem Beispiel der Heilung ausführen werde) auch in das Gegenteil umschlagen.

Darüber hinaus bedeutet etwas in Frage zu stellen ja noch lange nicht, dessen Gegenteil zu propagieren: »Es ist das Ziel von Kritik, unsichtbare Strukturen oder Aspekte eines bestimmten Diskurses ans Licht zu holen, und nicht etwa die ›Wahrheit‹ zu enthüllen. Die Verheißung von Kritik ist nicht Objektivität, sondern ein neuer Blickwinkel«3, konstatieren die Politik- und Rechtswissenschaftlerinnen Wendy Brown und Janet Halley.

Diesem Ansatz entsprechend soll und kann dieses Buch keine umfassende Kulturgeschichte von der ersten dokumentierten Vergewaltigung bis heute sein, sondern der Versuch, Narrative nachzuzeichnen und Verbindungslinien sichtbar zu machen. Mir geht es darum, einige der zu gültigen Wahrheiten geronnenen Grundüberzeugungen (ich sage mit Absicht nicht Vergewaltigungsmythen, da damit etwas sehr konkretes Anderes gemeint ist, wie ich in dem Kapitel »Sexing the Difference III: Nein heißt nein!« zeigen werde) unter die Lupe zu nehmen und zu testen, ob sie heute noch hilfreich sind.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Denn Vergewaltigung ist ein veritables Spiegelkabinett von Erwartungen und Diskursen, und jeder Satz zieht zehn ungesagte nach sich. Hier handelt es sich um einen Kulturell Wunden Punkt, der – ebenso wie wunde Punkte am Körper – darauf hinweist, dass da etwas ist, das unserer Aufmerksamkeit bedarf. Der aber auch genauso Berührungsängste auslöst, so dass dieses Buch während seiner Entstehung mit deutlich mehr Widerständen kämpfen musste als jeder andere meiner Texte: Von Seiten meines ersten Verlages, der sich nicht an dieses heiße Thema heranwagen wollte, aber auch von mir selbst, weil bei keinem anderen Thema die Schere im Kopf so scharf und die Knoten im Gehirn so festgezurrt waren, so dass es deutlich länger dauerte, es fertigzustellen, als ich ursprünglich geplant hatte. Was mir damals als Weltuntergang erschien, hatte den immensen Vorteil, dass vieles mit einfließen konnte, was in der öffentlichen Auseinandersetzung gerade in den letzten Jahren wieder passiert ist: »Nein heißt nein« und die Reform des §177 StGB, die Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 in Köln, #ausnahmslos, Gina-Lisa Lohfink, neue Diskussionen und auch neue/alte Feindbilder wie die Angst vor dem muslimischen Vergewaltiger. All das werde ich behandeln und vieles mehr.

Und ganz vieles eben auch nicht. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit – das wäre auch größenwahnsinnig bei einem Buch von dieser Länge –, aber ich kann einen Überblick über die Debatten geben, die bestimmen, warum wir über Vergewaltigung denken, wie wir darüber denken, und die Geschichte dieser Haltungen sichtbar machen. Neben deutschen Diskursen beziehe ich mich schwerpunktmäßig auf den angelsächsischen Sprachraum, da dies die Debatte mit dem größten Einfluss auf uns ist. Dabei gehe ich nicht – oder nicht vordringlich – chronologisch vor, sondern versuche, Zusammenhänge und Kontinuitäten sichtbar zu machen, damit es möglich wird, über die daraus resultierenden Überzeugungen informiert zu reden und sie zu hinterfragen. Nicht, um sie abzuschaffen, sondern um Vergewaltigung nicht weiter als eine in Granit gehauene Realität zu behandeln. Mit den Worten der Historikerin Joanna Bourke: »Vergewaltigung ist eine Form von sozialer Performance: Sie ist hochritualisiert. Sie variiert von Land zu Land und zwischen unterschiedlichen Zeiten. An Vergewaltigung ist nichts Zeitloses oder Zufälliges. Ganz im Gegenteil sind Vergewaltigung und sexuelle Gewalt tief in konkreten politischen, ökonomischen und kulturellen Umständen verwurzelt.«4

Es sollte überflüssig sein zu sagen, dass nicht jede*r meine Einschätzungen teilen muss – selbstverständlich erwarte ich das nicht! –, doch Vergewaltigung ist ein Thema, bei dem überhaupt nichts selbstverständlich ist. Deshalb gebe ich es Ihnen hiermit schriftlich: Machen Sie mit diesem Buch, was Sie wollen: Verschenken Sie es an Ihre*n beste*n Freund*in, benutzen Sie es als Untersetzer für Ihre Kaffeetasse, schmeißen Sie es gegen die Wand – nur lassen Sie sich bitte nicht davon einreden, dass Ihre eigene Wahrnehmung falsch sei.

Ganz entgegen der Angst, Traumata zu triggern, bekam ich bei meinen Vorträgen jedoch häufig das genaue Gegenteil zu spüren: eine Erleichterung im Publikum, als würde ein Damm brechen, persönliche Geschichten, die mir Zuhörer*innen während des Vortrages und vor allem danach erzählten, und das überwältigende Gefühl, dass hier ein Thema war, das nur darauf wartete, aus der Schublade geholt, ausgeschüttelt und neu betrachtet zu werden. Schließlich – auch das fiel mir an diesem Punkt erst auf – war das eine Sache, über die ich bisher mit Freundinnen kaum gesprochen hatte. Also, natürlich sprachen wir darüber, aber nur abstrakt und theoretisch, wenn wieder einmal prominente Fälle durch die Medien gingen – doch den Bezug zu unserem eigenen Leben ließen wir wohlweislich außen vor (außer eben der nächtlichen Angst vor dunklen Straßen).

So ein Fehlen von Sprache wird allgemein als Scham gedeutet, dass es sich hier um Erlebnisse handelt, die zu schmerzhaft und peinlich sind, um sie außerhalb von geschützten Räumen zu teilen. (Mehr zu Scham in dem Kapitel »Ehre III: Scham«) Wieso kamen dann aber nach jedem Vortrag wildfremde Frauen und Männer auf mich zu und erzählten mir, was ich mit meinen Freundinnen nicht teilen konnte? (Mehr zu Männern in dem Kapitel »Sex Wars II: The Second Sexism«) Wer Spaß an doppelten Botschaften hat, ist beim Thema Vergewaltigung an der richtigen Adresse. Wo sonst soll man sich vor etwas fürchten, das als Gefahr hinter jeder Ecke lauert, während es gleichzeitig der Ausnahmefall sein soll – wie vom Blitz getroffen zu werden –, der in unserem Alltag nahezu nicht thematisiert wird? Wo tummeln sich noch so viele krude und anachronistische Menschenbilder, die mit unseren sonstigen Lebenserfahrungen herzlich wenig zu tun haben? Intimste Bereiche kollidieren mit politischen Konzepten, und die allgemeine Unsicherheit ist nur zu verständlich, angesichts der ganzen Doppelbotschaften, die sich um dieses Thema ranken, als gäbe es hinter der Dornenhecke ein Schloss mit einer idealen schlafenden Jungfrau.

Mein erstes Buch, über die Kulturgeschichte der Vulva, war eine Wiederaneignung, ein Wohlfühlbuch, das noch dazu politisch war. Was kann man mehr verlangen?

Ein Buch über Vergewaltigung ist notgedrungen weniger gut gelaunt, das liegt in der Natur der Sache. Aber muss es das wirklich sein?

Ich habe mein Bestes gegeben, dieses Thema ebenfalls zu einem befreienden Leseerlebnis zu machen, schließlich ist es ja auch eine Wiederaneignung: von Denk- und Handlungsoptionen. Denn, davon bin ich überzeugt, die Art, wie wir uns etwas vorstellen, beeinflusst die Art, wie es Macht über uns hat, und sogar die Art, wie es in der Welt ist.5

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen!

Vergewaltigung

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