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Sexing the Difference I: Nein heißt ja!
ОглавлениеZur Ehrenrettung der Parole »Nein heißt nein« muss man erwähnen, dass Nein lange Zeit natürlich nicht Nein hieß, sondern schlicht Ich bin weiblich. Männliche Gewalt und weibliches Sträuben waren ein integraler Teil der Konstruktion von »normaler« Sexualität im 18. und 19. Jahrhundert. »Ist [ein Weib] geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes«28, bezeugte der Begründer der Sexualwissenschaft Richard von Krafft-Ebing und erklärte sich das so: »Wäre dem nicht so, so müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein. Jedenfalls sind der Mann, welcher das Weib flieht, und das Weib, welches dem Geschlechtsgenuss nachgeht, abnorme Erscheinungen.«29 Da Frauen vermeintlich kein eigenes sexuelles Begehren hatten, war es die Aufgabe des galanten Mannes, sie zu überwältigen. Und die Frauen – die zwar nicht selber wollten, aber doch wollten, dass er wollte – stachelten ihrerseits den sexuellen Drang des Mannes durch ihre scheinbare Abwehr an, wie der Jurist Max Thal in seiner Streitschrift gegen »die sexuelle Doppelmoral« aufklärte: »(M)anch eine stammelt noch ein abwehrendes, rührend tiefes: ›Nicht doch!‹, wenn schon alles vorüber ist.«30
Damit hatte Thal die Tradition auf seiner Seite. So schrieb bereits der römische Dichter Ovid in seiner Liebeskunst: »Vielleicht wird sie zuerst dagegen ankämpfen und Unverschämter! sagen; sie wird aber im Kampf besiegt werden wollen.«31 Überhaupt geht die Idee des feurigen Mannes und der frigiden Frau auf die klassische Antike zurück,32 auf Aristoteles, der von einer größeren inneren Hitze des Mannes ausging – wortwörtlich. Das Fehlen dieses inneren Feuers führe dazu, dass die Frau in einem Stadium der Unfertigkeit verbliebe, was ihre physische, intellektuelle, aber vor allem sexuelle Potenz anginge. Schließlich sei sie noch nicht einmal in der Lage, ihre Menstruationsflüssigkeit zu kochen und damit zu Samen zu machen!33
Nachdem medizinische Erkenntnisse die Existenz eines realen Temperaturunterschieds ad absurdum geführt hatten, musste ein anderes Modell herhalten, um den imaginierten Temperamentunterschied zwischen den Geschlechtern zu erklären. Das vom Darwinismus geprägte 19. Jahrhundert fand dies in der Geschlechterordnung der Urgeschichte – nicht in der tatsächlichen Urgeschichte wohlgemerkt, sondern in einer Flintstones-Version der bürgerlichen Gesellschaft.34 Der Sexualforscher Havelock Ellis führte aus: »Die Zurückhaltung des Weibes – die in ihrer ursprünglichen Form als körperlicher, aktiver oder passiver, Widerstand gegen die Angriffe des Mannes sich darstellt – hat die Auslese gefördert, indem sie die wichtigste Eigenschaft des Mannes, Stärke, auf die Probe stellt. So kommt es, dass das Weib bei der Wahl unter Männern, die um ihre Gunst wetteifern, der Kraft den Vorzug gibt. Im Kampfe ums Dasein ist Gewalttätigkeit die erste Tugend.«35
Die sexuelle Selektion war Charles Darwins große Neuerung, und sie gestand Frauen in gewisser Form eine größere Rolle in der Fortpflanzung zu: War sie vorher komplett passiv, konnte sie jetzt auswählen, von welchem Mann sie überwältigt wurde. In Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl schrieb Darwin: »[Das Weibchen] ist spröde, und man kann oft sehen, dass es eine Zeit lang den Versuch macht, dem Männchen zu entrinnen […] Das Ausüben einer gewissen Wahl von Seiten des Weibchens scheint ein fast so allgemeines Gesetz wie die Begierde des Männchens zu sein.«36 Diese Wahl beinhaltete jedoch nicht, dass Frauen selbst nach Sexualpartnern suchten, ein solches Verhalten sei wesensfremd und würde sie für die virilen Männer unattraktiv machen.37 Wo für Männer das Überleben des Stärksten galt, schien es für Frauen das Überleben der Schwächsten und Passivsten zu sein. Wie bereits Susan Sontag bemerkte: »In unserer Kultur [ist] alles, was mit der Sexualität zusammenhängt, zu einem ›besonderen Fall‹ geworden – ein Vorgang, der zu merkwürdig widersprüchlichen Verhaltensweisen führte.«38
Die Überzeugung von der Frigidität der Frau und der heißen Begierde des Mannes durchdrang noch bis ins 20. Jahrhundert alle Bereiche: allgemeine Rollenvorstellungen, Kommunikation, gelebte und imaginierte Sexualität, so dass eine Frau, die einen Mann nicht wollte, weil sie ihn halt nicht wollte, massiv körperlich gegen ihn ankämpfen musste, da er sonst davon ausgehen konnte, dass sie einfach nur eine »echte Frau« war.
Für das deutsche Strafrecht war die Idee der nicht unwillkommenen Gewalt – das römische Konzept der vis haud ingrata – noch bis in die 1970er Jahre relevant. So wurde bei einem Strafprozess der Nachweis erwartet, dass die Frau sich nicht nur gewehrt, sondern diesen Widerstand die ganze Zeit über aufrechterhalten hatte, schließlich hätte ihre Erregung ja noch später auf verschlungenen, geheimnisvollen Wegen einsetzen können, nachdem ihr »natürlicher« sexueller Widerwille überwunden worden wäre.39
Nun hat sich inzwischen zwar die (Rechts-)Auffassung von der weiblichen »Natur« geändert, nicht aber die der männlichen. Weshalb Bestseller wie die Ratgeber von Ellen Fein und Sherrie Schneider – Die Kunst, den Mann fürs Leben zu finden: »The Rules« und Die neue Kunst, den Mann fürs Leben zu finden: The Rules II und Die Kunst, den Mann fürs Leben zu halten und so weiter – ihren Millionen von Leserinnen Passivität mühsam beibringen und ihnen erklären, dass sie, um einen Mann zu bekommen, diesen erst einmal ablehnen müssen, weil Männer von Frauen, die wissen, was sie wollen, abgestoßen seien. Ein Bewerbungstraining, das Bewerberinnen riete, sie würden einen Job nur kriegen, wenn sie bloß keine Unterlagen einschickten und sich nicht interessiert zeigten, würde sich wohl kaum verkaufen, doch Die Regeln sind so populär, dass Oprah Winfrey konstatierte: »The Rules isn’t just a book, it’s a movement, honey.«40 Und auch diesseits des Atlantiks kolportieren Frauenmagazine und Selbsthilfebücher: »Sexuelle Forderungen der Frauen törnen Männer ab. Je gradliniger eine Frau […] einfordert, was sie will, desto weniger wahrscheinlich ist, dass sie es bekommt. […] Will sie sich einen Mann ›schnappen‹, muss sie unbedingt den Eindruck erwecken, dass sie ihn nicht haben will, darf seine Anrufe nicht entgegennehmen, seine Textnachrichten nicht beantworten, muss so tun, als sei sie ›schwer zu haben‹.«41
Das führte zu der paradoxen Auffassung, dass eine Frau umso begehrenswerter sei, je weniger Lust sie habe, während eine lüsterne Frau degeneriert sei und dadurch entsexualisiert, also entweiblicht werde. Schließlich war Weiblichkeit keineswegs gleich auf alle Frauen verteilt. Im 19. Jahrhundert wurde das am Genital gemessen: Je kleiner die – vor allem inneren – Labien waren, als desto zivilisierter galt eine Frau und desto geringer sei ihr sexuelles Verlangen. Anthropologen entwickelten eine wahre Obsession für die Schamlippen der »unzivilisierten« – das heißt kolonialisierten – Frauen, die sie maßen, beschrieben, fotografierten und katalogisierten. Dabei übersahen sie geflissentlich den Widerspruch zur These, dass die Frau vermeintlich bereits in der Vor- und Frühgeschichte sexuell passiv gewesen sein sollte, während sie diese Passivität nun als Ergebnis des Zivilisationsprozesses darstellten.
Damit es bei diesen eingeschränkten Handlungsspielräumen überhaupt zum Geschlechtsverkehr kommen konnte, bedurfte es des immer bereiten Mannes. »Dem mächtigen Drange der Natur folgend, ist er aggressiv und stürmisch in seiner Liebeswerbung«42, jubelte Richard von Krafft-Ebing. Die andere Seite der Medaille war, dass Männer, die in der »Liebeswerbung« nicht erfolgreich waren, nach diesem Modell unter ständigem sexuellen Druck standen. Aber auch die Ehe hielt sexuelle Frustration für die eine Hälfte der Verheirateten bereit. Andrew Jackson Davis – dem wir den Terminus »Gesetz der Anziehung«43 verdanken – führte in Anlehnung an Aristoteles aus: »Die Frau erhält unfehlbare und regelmäßige Erleichterung durch den menstruellen Ausfluss. Die von den vitalen ehelichen Essenzen angeschwollenen Eierstöcke fließen über und werden mit jedem Mond beruhigt und abgemildert.« Der Mann dagegen: »wie viel überreichlicher und schrecklich dringend sind seine zeugungsfähigen Ressourcen.« Die körperliche Nähe einer Frau, ohne mit ihr Sex zu haben, ließe ihn »aufgeladen bis zur Auszehrung, sogar bis zum Rande der unkontrollierbaren Gewalt«44.
Jackson beschwor die Männer, sich trotzdem zurückzuhalten. Doch war das »Dampfkesselmodell« im gerichtsmedizinischen Diskurs des 18. und 19. Jahrhunderts die bevorzugte Erklärung und Rechtfertigung für Notzucht, so die damalige Bezeichnung für Vergewaltigung. Viele Ärzte betrachteten Notzucht zwar als unmoralisch, aber unausweichlich und »stets der ungesunden Onanie45 bei fehlendem Zugang zu Prostituierten vorzuziehen […], da regelmäßiger Geschlechtsverkehr ein unverzichtbares ›Remedium‹ für die Gesundheit des Mannes darstelle«46. Anfang des 20. Jahrhunderts ging der Psychoanalytiker Wilhelm Stekel gegen den Mythos der schädlichen Masturbation vor, da für ihn Samenerguss Samenerguss war und schwache Männer von dem unerträglichen Druck der verbotenen Gelüste befreite: »Die Onanie hat in diesem Sinne eine wichtige soziale Bedeutung. Sie ist gewissermaßen ein Schutz der Gesellschaft […] Würde man die Onanie vollkommen unterdrücken, die Zahl der Sittlichkeitsdelikte würde ins Unglaubliche steigen.«47
Noch in den 1970er Jahren korrelierte der renommierte Medizinhistoriker Edward Shorter die Zunahme von Vergewaltigungen in bestimmten Epochen mit dem Anstieg des Heiratsalters. Zwar seien die meisten Männer in der Lage, ihre Triebe unter Kontrolle zu halten, doch bei Individuen mit psychischen Abweichungen würde die heiße Begierde überkochen und sich in sexuellen Überschreitungen Bahn brechen.48
Als das Dampfkesselmodell aufkam, stellte es erst einmal einen Widerspruch zu der allgemeinen Auffassung dar, dass Männer das rationale Geschlecht seien. Wie konnte ihr Sexualtrieb dann dermaßen irrational sein? In der Folge wurden die Bereiche der Sexualität und Intimität Schritt für Schritt aus der Vernunftvorstellung herausgenommen, so dass die Trennung zwischen Körper und Geist noch weiter voranschritt.49 Von seiner überschießenden phallischen Energie zu Genie oder Verbrechen getrieben, eignete sich der Mann nun ebenfalls nicht mehr für seine angestammte Rolle als Vertreter der moralischen Ordnung. Wer wäre besser geeignet, diese vakante Stelle zu übernehmen, als die wegen ihrer fehlenden Leidenschaft sowieso nur selten in Versuchung geratende Frau?50 Als Hüterin der göttlichen Ordnung (Hegel) oder der moralischen Ordnung (Rousseau) erhielt sie obendrein noch die Verantwortung, die männliche Sexualität zu kontrollieren, indem sie ihre Kleidung und ihr Verhalten darauf abstimmte, seine leicht erregbare Libido nicht zu entflammen.
Die Warnung an Frauen, bloß nicht zu viel Alkohol zu trinken, wenn sie ausgehen, und Männern nicht die »falschen Signale« zu senden, ist ein Überbleibsel des Dampfkesselmodells und wird zu Recht breit kritisiert.51 So formierte sich in Toronto 2011 der erste Slutwalk als Reaktion auf den Rat des kanadischen Polizeibeamten Michael Sanguinetti, Studentinnen sollten sich nicht »wie Schlampen anziehen«, um Vergewaltigungen zu vermeiden. Dagegen sind vergleichbare Forderungen an Männer, »sich gefälligst zusammenzureißen«52, den Neandertaler in sich zu bezwingen,53 oder die Handzettel, mit denen die American College Health Association männliche Erstsemester warnt: »Ihr mögt eure Lust nicht kontrollieren können, wohl aber eure Handlungen.«54 noch immer Teil der Rhetorik, mit der wir das unerklärliche Phänomen Vergewaltigung erklären.
Doch wie konnte ein solches sexuelles Szenario überhaupt so breit anerkannt werden, angesichts tatsächlicher sexueller Beziehungen? Indem alles, was diesem Bild nicht entsprach, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als krank definiert wurde, oder, um im wissenschaftlichen Diskurs der Zeit zu bleiben: als pervers. Verwirrenderweise wurden diese Perversionen gleichzeitig als normaler Bestandteil der weiblichen Psyche deklariert: die Frau, das perverse Geschlecht.
So fuhr Krafft-Ebing, nachdem er die Asexualität der Frau etabliert hatte, fort: »Gleichwohl macht sich in dem Bewusstsein des Weibes das sexuelle Gebiet mehr geltend als in dem des Mannes. Das Bedürfniss nach Liebe ist größer als bei dem, continuierlich, nicht episodisch.«55 Männer dachten also nur an Sex, wenn sie eine Frau sahen, während Frauen die ganze Zeit heiß darauf waren, es sei denn, sie hatten tatsächlich Sex mit einem Mann?
Die Psychoanalytikerin Helene Deutsch, die in den 1940er und 50er Jahren als die Spezialistin für Die Psychologie der Frau – so der Titel ihres einflussreichsten Werkes – galt, erklärte dieses Paradox mit dem weiblichen Masochismus, der nach Deutsch nicht eine Spielart, sondern die Voraussetzung für den erotischen Genuss der Frau darstellte. Nachdem sie für die Erhellung der physischen die psychischen Vorgänge herangezogen hatte, erklärte sie die Psyche wiederum mit der Physis, genauer gesagt mit der Vagina, die nach Deutsch komplett passiv sei und nur durch den Penis erweckt werden könne.56 Daraus entstünde das tiefe weibliche Bedürfnis, überwältigt zu werden. »Die ›unentdeckte‹ Vagina wird – im normal günstigen Fall – durch einen ›Vergewaltigungsakt‹ erotisiert. […] Jene Phantasie ist nur eine psychologische Vorbereitung für einen realen, wohl milderen, jedoch dynamisch identischen Vorgang. Er drückt sich in der aggressiven Penetration von Seiten des Mannes einerseits, in der ›Überwältigung‹ der Vagina zur erogenen Zone andererseits aus!«57
Damit bezog sich Helene Deutsch auf Sigmund Freuds These, die psychosexuelle Entwicklung der Frau sei erst dann abgeschlossen, wenn ihre Erogenität von der Klitoris (die nach Freud ein verkümmertes männliches Sexualorgan und damit aktiv sei) in die Vagina (das eigentliche weibliche Sexualorgan und damit passiv) gewandert wäre. In seinen Drei Abhandlungen zur Sexualität hatte er bestimmt: »Ist die Übertragung der erogenen Reizbarkeit von der Klitoris auf den Scheideneingang gelungen, so hat damit das Weib seine für die spätere Sexualbetätigung leitende Zone gewechselt, während der Mann die Seinige von der Kindheit an beibehalten hat.« Dies barg selbstredend mannigfaltige Gefahren für Fehlentwicklungen und Regredierungen unterwegs, so dass die Voraussetzung für das »Weibwerden« gleichzeitig zur Voraussetzung wurde »für die Bevorzugung des Weibes zur Neurose, insbesondere zur Hysterie. Diese Bedingungen hängen also mit dem Wesen der Weiblichkeit innigst zusammen.«58
Doch auch ohne Neurosen war die Prognose für die weibliche Sexualität pessimistisch. Nicht nur glich der Geschlechtsakt so sehr einer Vergewaltigung, dass Kinder, die ihre Eltern beim Koitus überraschten, laut Freud meinten, eine Vergewaltigungsszene zu sehen – zumindest beim Verlust ihrer Jungfräulichkeit empfände die Frau das genauso, da »die sexuellen Geschehnisse in [der Hochzeitsnacht] oft nur auf eine Notzucht hinauslaufen«59, wie der Psychiater Leopold Loewenberg ausführte. Helene Deutsch ging noch weiter und setzte voraus, dass die Penetration dies im Kern auch bliebe. »Die häufige Angst der Frau vor dem Koitus liegt in der Tatsache begründet, dass er eine Beschädigung der Körpereinheit darstellt.«60 Sexualität – und damit ist der Koitus gemeint, jede andere Form von Sexualität galt als Regression – war demnach in letzter Instanz nicht natürlich für die Frau, so masochistisch veranlagt sie auch war.61