Читать книгу Die Pianistin von Wien - Mona Golabek - Страница 6
VORBEMERKUNG DER AUTORIN
ОглавлениеVor Jahren, beim Einspielen für einen Auftritt mit dem Klavierkonzert von Grieg, musste ich zurückdenken an meine geliebte Mutter Lisa. Ich dachte an das letzte Mal, das ich für sie gespielt hatte.
Wie eine Löwin hatte meine Mutter gegen die Krankheit gekämpft, war nun aber schwach und gebrechlich. Wie gern hätte sie sich noch einmal an den Flügel im Wohnzimmer gesetzt und gespielt, aber sie schaffte es nicht mehr. Sie konnte mir nur noch zuschauen und zuhören, wenn ich spielte.
Als ich die ersten Töne anschlug, war ich wieder ihr Kind, ihre Schülerin, die sie am Klavier beobachtete und sie dieselben heroischen Passagen mit einer Leidenschaft und Intensität spielen hörte, die, wie ich wohl wusste, fast unnachahmlich waren. Meine Mutter hatte eine unglaubliche Odyssee hinter sich, und alles, was sie erlebt hatte, war in ihre Musik eingeflossen: ihre Kindheit bei liebevollen Eltern in Wien vor dem Zweiten Weltkrieg, ihre Flucht nach England auf einem der legendären »Kindertransporte«, ihr aufreibendes Klavierstudium in Krieg und Bombenhagel und schließlich das Kinderwohnheim, das alte Haus in der Willesden Lane Nr. 243 in einer Londoner Vorstadt, an dem sie hing, das Asyl, wo sie als halbwüchsiger Flüchtling, getrennt von ihrer Familie, gelebt hatte.
Ich beobachtete beim Spiel die Augen meiner Mutter und dachte daran, wie sehr ich meine Klavierstunden geliebt hatte. Es war mehr gewesen als Klavierunterricht – Lebensunterricht, ein Füllhorn von Geschichten aus dem Wohnheim und von den Menschen, die sie dort gekannt hatte. Ihre Geschichten waren meine Folklore, bevölkert von einer freundlichen Mrs. Cohen, von einem geheimnisvollen Verehrer namens Aaron, der die Einleitung des Grieg-Konzerts als Erkennungsmelodie pfiff, und von einem Untergrund-Komitee, dem Gina, Günter und Paul angehörten. Als Zuhörerin am Klavier pflegte ich die Augen zu schließen und ihrer sanften Stimme zu lauschen. Dann sah ich die Welt und die Menschen, mit denen sie aufgewachsen war und die sie liebte.
Die meisten der Namen, denen der Leser in diesem Buch begegnet, sind die Namen von Freunden und Angehörigen Lisa Juras. Aarons Name ist geändert worden, weil hinter ihm mehrere Jungen stehen, die großen Einfluss auf das Leben meiner Mutter hatten. Auch Mr. Hardisty repräsentiert mehrere Mitarbeiter der Jewish Refugee Agency in Bloomsbury House, ferner ist der Name von Lisas Klavierlehrer in Wien geändert worden. Die erzählten Sachverhalte und Gespräche folgen den Erinnerungen meiner Mutter, wenn ich auch weiß, dass manche ihrer Geschichten sich im Rückblick etwas verwirrt haben. Wo es Gedächtnislücken gab, habe ich versucht, sie durch Recherchen aufzufüllen. Der Geist der Geschichte jedenfalls ist authentisch und stammt von ihr.
Als ich bei jenem letzten Mal die Finger von den Tasten nahm, nickte sie stumm und zustimmend, und ich trat an ihr Bett und setzte mich, so wie sie in meiner Kindheit sich an mein Bett gesetzt hatte. Am Ende hatte sie, glaube ich, ihren Frieden gefunden.
Meine Mutter war meine größte Lehrerin, und durch ihre Förderung sind meine Schwester Renée und ich Konzertpianistinnen geworden.
Ich weiß, dass Lisa Jura-Golabeks Geist weiterlebt, nicht nur durch mich, sondern durch alle, die sie berührt hat. Ihr Vermächtnis inspiriert meine Musik und mein Leben – tagtäglich, bis heute. Hier erzähle ich ihre Geschichte, in der Hoffnung, sie möge etwas von dem zum Klingen bringen, was jeder in sich trägt: Leidenschaft und Musik.