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Kapitel 1 - Anfang Dezember 2003

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Es regnete schon den ganzen Tag. In einer Frankfurter Vorstadt saß Sabrina in dem frisch renovieren Reihenhaus am Fenster und streichelte mechanisch den Kater Pascha, der auf ihrem Schoß lag. Sabrina nahm ihn hoch, schaute in seine grünbraunen Augen, dann küsste sie ihn liebevoll auf das Näschen, dankbar schnurrte der Kater und legte seine Pfote auf ihren Arm.

Sie fühlte sich so müde und kraftlos, feine Tränen liefen über ihre Wangen, als sie an das letzte Gespräch mit ihrem Mann dachte. Er hatte sie angebrüllt. „Verdammt, ständig machen die Kinder hier alles kaputt, ich habe es echt dick. Ich kann es nicht mehr ertragen, wie ihr alle euch benehmt, dumm, tollpatschig und achtlos. Es wird hier nichts mehr angeschafft, auch alle anderen Ideen könnt ihr euch in Zukunft aus dem Kopf schlagen! Die Kinder sind schließlich keine Babys mehr, ich verlange, dass sie ordentlicher werden, sorge gefälligst dafür!“

Sabrina konnte diese Aussagen nicht mehr hören, verzweifelt hatte sie ihren Mann angeschrien: „Lass uns doch in Ruhe, du hättest ja keine Familie gründen müssen, wenn du glaubst als Single glücklicher zu sein.“

Ihr Sohn Christian war dreizehn, Kerstin zwei Jahre jünger und das Nesthäkchen Eva sieben Jahre alt. Die Art, wie ihr Mann Thomas sie immer beschuldigte und für alles verantwortlich machte, wie er wegen jeder Kleinigkeit aus der Haut fuhr, machte sie nervlich total fertig. Sabrina wischte sich die Tränen mit einem Papiertaschentuch fort.

Sie schaute aus dem Fenster in den Garten. Die Bäume waren blattlos und sorgfältig zurückgeschnitten, die Rosen gegen den Frost mit Zweigen bedeckt, sie hatte das Laub beseitigt und die Erde umgegraben. Alles sah sehr ordentlich, aber auch so kalt und unfreundlich aus.

„Ach, es könnte schon wieder Frühling werden. Ich hasse den Winter mit seinen ekligen dunklen Tagen“, flüsterte Sabrina dem Kater ins Ohr. Sie war einfach völlig platt, die Belastungen in der Vorweihnachtszeit häuften sich und stressten die dreifache Mutter immens. So viele zusätzliche Termine mussten in den normalen Wochenablauf einfügt werden. Von Montag bis Freitag arbeitete Sabrina täglich fünf Stunden als Buchhalterin in einer großen Werbeagentur. Thomas wollte und konnte ihr nicht helfen, in seinem Job bei der Polizei war er täglich zehn Stunden im Einsatz, danach so kaputt und frustriert, dass er abends müde auf das Sofa fiel.

Von nebenan hörte man lautes Geschrei und Gepolter. Sabrina schoss erschrocken von ihrem Stuhl hoch. Pascha machte einen Satz, landete auf dem Boden und miaute empört.

Die drei Kinder lagen im Wohnzimmer zwischen der Ledercouch und dem Schrank, sie rauften und schrien. Christians Fuß stieß dabei so heftig gegen den Glastisch, dass dieser verdächtig klirrte. Auf dem Boden lagen die Teile eines Brettspieles verstreut.

„Wollt ihr wohl sofort aufhören“, schrie Sabrina wütend und Christian brüllte zurück: „Die Kerstin kann nicht verlieren.“

„Aber“, kam es von Kerstin, „der Christian hat sowieso geschummelt.“

„Stimmt ja gar nicht“, mischte sich Eva ein, „die Kerstin bescheißt.“

Kerstin stemmte ihre Hände in die Hüften, unflätig rief sie aus: „Fick dich!“

Sabrina eilte mit hochrotem Kopf zu ihrer Tochter, zog sie hoch und schaute ihr mit ärgerlichem Blick in ihre braunen Augen. Ihre Stimme überschlug sich, als sie brüllte: „Jetzt reicht es, benimm dich gefälligst und pass auf, was du sagst. Ich will hier solche Worte nicht hören, verstanden? Verschwindet alle auf eure Zimmer, aber sofort!“

Sabrina ging ins Bad, sie drehte den Hahn auf, um warmes Wasser in die Wanne zu füllen, ließ einen duftigen Badezusatz in das Wasser tröpfeln, dann zog sie sich aus. Kritisch prüfend stand sie vor dem großen Spiegel, sie hatte schon wieder ein Pfund zugenommen, aber besaß noch eine tolle Figur, eine schmale Taille, lange Beine, ein kleines festes Gesäß. Nur die Brust hatte ein wenig unter den Schwangerschaften und den langen Stillzeiten gelitten.

Mit flinken Fingern steckte sie das lange, lockige dunkelbraune Haar auf, danach betrachtete sie eingehend ihr Gesicht. Die großen blauen Augen waren gerötet, der Teint vor Aufregung fleckig, die schmale Nase zierte ein Mitesser, und an den Augenwinkeln zeigten sich Fältchen.

„Hässlich“, sagte sie laut, „wenn sich die Seele im Angesicht widerspiegelt. Wo habe ich das gelesen? Ich weiß es nicht, vergessen.“ Seufzend stieg sie in die Wanne. Der Schaum streichelte ihre Arme, und ihre kalten Füße kribbelten im heißen Wasser. Sie schloss die Augen, fuhr sich mit sanften Bewegungen über die Schultern und den Hals, nahe bei der Halsschlagader. Sie dachte an ihren Mann, er war in den letzten Jahren dicker geworden, hatte einen Bierbauch bekommen, auch sein Haar war schon ziemlich grau. Dies störte Sabrina nicht so sehr wie die fehlende Bereitschaft, einmal etwas Ungewöhnliches zu tun.

Sanft streichelte sie ihre Brust, nahm das Duschgel und wusch sich mit langsamen kreisenden Bewegungen die Füße, die Beine und ihre Schenkel. Mit geschlossenen Augen stellte sie sich liebevolle schmale Männerhände und einen zärtlichen Blick aus graublauen Augen vor. Gefühlvolle Lippen küssten ihren Mund und ihren Hals.

Da schellte das Telefon.

„Mama!“, rief Christian hektisch.

„Ich bin in der Wanne, dann geh halt dran.“

Sabrina seifte sich mit hastigen Bewegungen fertig ein, dann duschte sie eiskalt, stieg aus der Badewanne und rubbelte ihre Haut und das Haar trocken.

Christian betrat das Badezimmer, wie einen ekligen Gegenstand hielt er das Telefon zwischen Daumen und Zeigefinger. Sabrina sah ihn fragend an.

„Keine Ahnung, wer das war“, sagte er irritiert, „nur ein Rauschen und ein Seufzen, irgendwie unheimlich. Die Nummer kann ich auch nicht sehen, unterdrückt.“

-

Zur gleichen Zeit fuhr ihr Mann Thomas viel zu schnell durch die Innenstadt. Sein Partner Ralf sah dabei gelangweilt aus dem Fenster. Gedehnt schlug er vor: „Hör mal, Tom, gehen wir uns eine Rindswurst holen. Ich habe Hunger, heute ist ohnehin nichts los.“ Ralf war ein kleiner, drahtiger Typ mit hellem Bürstenhaarschnitt, dicker Hornbrille, rötlichem Dreitagebart und einer Knubbel-Nase.

„Gebongt“, sagte Tom, „fahren wir. Da kann Sabrina heute mal alleine mit den Kindern essen, aber ich muss sie anrufen und es ihr sagen, sonst wartet sie umsonst.“

Ralf sprach grinsend: „Ach du armer Mensch, bin ich froh keiner Frau Rechenschaft ablegen zu müssen.“

Da knatterte die Funkanlage. „An alle Streifenwagen, Messerstecherei!“

Ralf schaltete sofort das Martinshorn und das Blaulicht ein.

Tom trat augenblicklich so scharf auf die Bremse, dass die Reifen quietschten, er zog schnell den Polizeiwagen auf die Gegenfahrbahn, dann raste er in die andere Richtung los. Seine Nerven waren bis zum äußersten angespannt, und sein Puls schnellte in die Höhe.

Es war nicht sehr weit bis zum Tatort. Noch bevor Thomas den Wagen zum Stehen bringen konnte, sahen sie vier junge Leute an der Straßenbahnhaltestelle. Sie bildeten einen Kreis, schlugen und traten brutal nach einer Person, die bereits am Boden lag. Als einer von ihnen den Polizeiwagen wahrnahm, liefen sie los.

Tom hielt den Streifenwagen an, beim Aussteigen zogen er und Ralf gleichzeitig ihre Waffen aus dem Halfter.

„Sofort stehenbleiben, Polizei!“, rief Ralf mit kraftvoller Stimme.

Doch die Kerle waren bereits in alle Richtungen davon gestoben, nur einen konnte Tom gerade noch am Kragen packen. Auf dem Boden lag ein junger blonder Mann, er war bei Bewusstsein, aber er stöhnte laut und starrte mit irrem Blick zu den Beamten. Sein Gesicht war blutüberströmt, und um ihn bildete sich bereits eine dunkelrote Blutlache. Mit seiner rechten Hand griff er sich ächzend unter die blaue Jacke, auch dort sah man Blut hervorquellen, offenbar hatten ihn mehrere Messerstiche im Brustkorb verletzt.

Ralf beugte sich über ihn. „Okay, ganz ruhig, gleich kommt Hilfe“, sprach er beruhigend.

In der Zwischenzeit hatte Tom dem gefassten Jungen Handschellen angelegt, er zerrte ihn mit an den Wagen, dann las er ihm mit zornbebender Stimme seine Rechte vor. Währenddessen versuchte Ralf das Opfer zu beruhigen, doch der Mann starrte ihn nur an, schrie immer lauter, dabei schoss ihm ein Blutschwall aus dem Mund. „Der Mann muss sofort versorgt werden, er wurde mit einem Messer schwer verletzt!“, rief Ralf seinem Kollegen zu.

Da fuhren auch schon der Krankenwagen wie auch zwei weitere Streifenwagen vor. Schnell betteten die Sanitäter den Verletzten auf die Trage und eilten mit ihm los.

„He du, Bulle, das wollten wir nicht, es war nur ein Versehen, ein Missverständnis!“, schrie der jugendliche Täter, doch seine Stimme klang nicht nach Reue, sondern hasserfüllt.

Tom wurde es plötzlich kalt, er zitterte am ganzen Körper und hatte das irre Gefühl, als wäre ein eisiger schwerer Stein in seinem Magen. Er brüllte wutentbrannt: „Versehen, du Arschloch, das glaub ich ja nicht. Wieso lauft ihr miesen Typen überhaupt mit einem Messer herum?“ Voller Zorn schlug er dem Jungen so heftig mitten ins Gesicht, dass dem Kerl das bösartige Grinsen verging, das Blut schoss ihm aus der Nase und seine Lippe wurde dick.

„Hör auf Tom, bist du verrückt geworden“, zischte Ralf, „wenn du dich nicht beherrschst, bekommst du wegen so einem verdammten Mistkerl noch ein Verfahren an den Hals. Das ist er doch nicht wert, wir bringen ihn sofort auf die Wache, dann klären wir das.“

Tom nahm den Arm herunter, resignierend sprach er: „Dem Vogel passiert doch sowieso nichts. Wo sind überhaupt die anderen Schläger?“

Die Polizisten aus den beiden nachkommenden Streifenwagen hatten die Verfolgung sofort aufgenommen, doch sie kamen erfolglos zurück.

„Okay Freunde, alles klar“, sagte der Gefangene mit nasaler Stimme, als er sah, dass außer ihm keiner gefasst worden war, „dass ihr es wisst, ich war es sowieso nicht! Die anderen Jungs kenne ich gar nicht, ich habe auch kein Messer, bitte sehr! Der Bulle hat mich ja schon gefilzt. Ich bin nur zufällig vorbeigekommen und habe versucht zu helfen, beinahe wäre ich sogar selbst noch fies verletzt worden. Hier, seht her!“ Mit einem schiefen Grinsen entblößte er seinen mit einem Totenkopf tätowierten Unterarm, eine schmale mindestens schon zwei Tage alte Kratzspur war darauf zu sehen.

„Halt bloß dein dreckiges Maul!“, rief Tom, dann schubste er ihn unsanft in den Streifenwagen.

Mit zusammengekniffenen Augen drohte der Typ: „Der Schlag wird dir noch leidtun, verdammtes Bullenschwein!“

„Welcher Schlag, kein Mensch hat hier geschlagen, keiner hat so etwas gesehen.“

„Wir treffen uns, wenn du es am wenigsten erwartest. Pass auf dich auf!“

Ralf setzte sich seufzend ans Steuer, um auf die Wache zu fahren. Tom hätte den Täter am liebsten so lange grün und blau geprügelt, bis er ehrliche Reue zeigte. Doch Ralf hatte recht, am Ende würde die Geschichte so ausgehen, dass er mit einer Anklage rechnen müsste, während der Kerl möglicherweise aus der Sache fein raus käme.

Begraben liegt mein Herz

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