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Kapitel 3 - Im Januar 2004

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Eine gute Woche später lagen Sabrina, Thomas und Christian in einer Mulde aus Sand und Steinen am Strand, während die Mädchen ausgelassen am Ufer tollten.

Thomas schloss die Augen und murmelte: „Ach wie schön, einmal nur entspannen."

Da kam Kerstin angerannt und rief lachend: „Guten Morgen, Papa!“ Sie ließ das salzige Meerwasser aus der Tauchermaske über das verschlafene Gesicht ihres Vaters rinnen.

„Igitt“, schrie er, „hör auf, das ist gemein, ich habe so schön geträumt.“ Gerne wäre Thomas aufgesprungen, hätte Kerstin geschnappt und sie ins Meer geworfen, aber er war zu faul. Seufzend schaute er zu Sabrina, die ihr Buch zuklappte und herzhaft schadenfroh lachte. Kerstin trollte sich schnell davon, damit sie nicht doch im Wasser landete.

„Papa, gehst du mit uns schwimmen?“, rief Eva.

„Selbstverständlich, mein Engelsgesicht“, antwortete er lächelnd. Thomas erhob sich, er nahm seine Tochter an die Hand, dann liefen sie laut lachend über den Strand in das Wasser.

Sabrina sah derweilen über das türkisfarbene Meer, sie beobachtete die sanften Wogen mit den kleinen Schaumkronen. Der Himmel war hellblau, mit nur ganz wenigen weißen Federwolken bestückt. Von Afrika trug der Wind den feinen weißen Sand an das Land, die Brise wehte ständig, doch sie war nicht kühl, sondern von einer angenehmen wohltuenden Wärme.

Ihr Mann tobte ausgelassen mit den Mädchen im Wasser und spritzte sie nass. Thomas winkte ihr zu, er war in diesem Urlaub so völlig entspannt, gar nichts mehr war von seiner alltäglichen Übellaunigkeit zu spüren.

-

Die blonde Stewardess lächelte jedem Passagier müde mit aufgesetzter, angestrengter Freundlichkeit zu. „Auf Wiedersehen, ich hoffe Ihnen hat der Flug gefallen.“

Thomas, Sabrina und die Kinder liefen durch den ausgefahrenen Gangway-Tunnel, dann durch die Ankunftshalle, geradewegs zu den Rolltreppen, die hinunter zum Gepäckband führten. „Wollen wir hier schon einen Gepäckwagen mitnehmen?“, fragte Sabrina im Laufen.

Sie deutete auf ein paar abgestellte Wagen, Thomas grunzte nur und rannte weiter.

„Mama, schau dort im Schaufenster, die Flugzeugmodelle. Wartet doch!“, rief Christian.

„Bekomme ich ein Eis?“, bettelte Eva.

„Man merkt, dass wir wieder zu Hause sind“, seufzte Thomas, dann fügte er barsch hinzu, „jetzt holen wir erst einmal unser Gepäck, los trödelt nicht herum!“

Als das Taxi in ihrer Wohnsiedlung um die Ecke fuhr, rief Kerstin: „Da ist unser Haus, jetzt sind wir wieder daheim, darf ich gleich Pascha abholen? Hoffentlich geht es ihm gut.“

„Erst hilfst du uns die Koffer hineinzutragen“, befahl Thomas giftig, „der blöde Kater hat Zeit, überhaupt habt ihr alle dieses Vieh sowieso viel lieber als mich!“

„Tom, was ist denn das jetzt für eine Aussage?“, fragte Sabrina verwundert.

„Ist doch wahr, vor allem du verwöhnst ihn doch nur. Er kommt an erster Stelle, dann die Kinder, aber wo bleibe ich. Ich bin dir doch völlig egal.“

„Das stimmt doch gar nicht!“, rief sie entrüstet. Sabrina konnte seinen plötzlichen Gefühlsausbruch überhaupt nicht verstehen, sie wusste nicht, was Thomas zu solch einem Gedanken veranlasste.

Thomas bezahlte das Taxi, während Sabrina in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel kramte. Sie schloss die Haustür auf, sah sich zuerst im Wohnzimmer um, dann ging sie in die Küche. Auf den Küchentisch hatte die Nachbarin die Post und die Tageszeitungen gelegt.

Thomas trug wortlos das Gepäck hinein, dann lief er zu ohne eine Erklärung abzugeben zu seinem Auto und fuhr mit quietschenden Reifen weg. Die Kinder gingen zu den Nachbarn hinüber, um den Kater und die Schlüssel zu holen.

Sabrina setzte sich an den Küchentisch, schenkte Mineralwasser in ein Glas, dann sah sie sich die Post an. Die Werbung flog gleich in den Behälter für Altpapier, danach wollte Sabrina die Zeitungen ins Wohnzimmer bringen. Plötzlich hielt sie erstaunt inne, dazwischen kam eine verwelkte Rose zum Vorschein, sie hatte eine sonderbare Farbe, in frischem Zustand mochte sie einmal blau-violett gewesen sein. Dabei lag ein rosa Zettel, auf dem in blutroter Druckschrift stand: „Verlassenheit, Einsamkeit! Der kalte Mond geht auf. Du bist nicht da!“

Sabrina nahm die Blume in die Hand und betrachtete sie von allen Seiten. „Was soll denn das? Autsch, jetzt hat mich dieser blöde Dorn auch noch gepikst.“ Während sie den blutenden Finger in den Mund steckte, fragte sie sich, ob das wohl ein Scherz sein sollte, oder hatte ein Mädchen die Rose für Christian hingelegt. Das kam ihr unwahrscheinlich und altmodisch vor. Die Zeilen sahen sehr sonderbar aus, richtig merkwürdig, fast erschreckend, Sabrina bekam unwillkürlich eine Gänsehaut und schauderte.

Chris kam zurück, hängte den Ersatzschlüssel auf, gab seiner Mutter einen Kuss auf die Stirn, dann legte er Pascha auf Sabrinas Schoß. Bevor sie ihrem Sohn die Rose zeigen konnte, lief er in sein Zimmer.

Sabrina streichelte zärtlich den Kater, erneut begutachtete sie die merkwürdige Blume und den Zettel, diese Worte flößten ihr unwillkürlich eine nicht zu erklärende Furcht ein. Da stand Tom plötzlich in der Tür, er lächelte sie an, als wäre nichts gewesen. „Was ist los, was machst du für ein Gesicht?“, wollte er wissen.

Sabrina deutete wortlos auf die Rose mit dem Zettel.

„Nanu, was ist denn das? Eine Blume und ein Liebesbrief, wohl von deinem heimlichen Verehrer?“, fragte Tom grinsend.

„Eher von einem unheimlichen“, versuchte Sabrina zu scherzen, doch es gelang ihr nicht, „die Nachricht könnte auch von einer Verehrerin stammen. Vielleicht ein Geschenk für dich.“

Thomas fragte irritiert: „Wie kommst du darauf?“

„Na irgendwie sieht die Notiz nicht so aus, als hätte ein männlicher Absender sie geschrieben“, sprach sie mit zittriger Stimme, „trotzdem erzeugt sie in mir ein merkwürdiges Angstgefühl.“

„Dir macht jede Kleinigkeit Angst, du solltest mal zum Arzt gehen. Werfe den Kram doch einfach weg. Was wollen wir heute essen? Ich habe Hunger, haben wir überhaupt etwas im Haus?“, fragte er schon wieder genervt.

Sabrina versuchte sich zu beruhigen, dann bereitete sie mechanisch eine Mahlzeit zu.

-

Am Montagmorgen rief Thomas fröhlich: „Aufstehen, du kannst ins Bad.“ Er schaltete die Deckenlampe ein, und Sabrina zog sich geblendet die Bettdecke über den Kopf.

„Igitt, mach das Licht aus und sei nicht so laut.“ Thomas konnte schon früh morgens immer so unangenehm wach und lärmend sein.

Sabrina hob nur ein wenig die Decke, dann schaute sie blinzelnd auf den Wecker. „Na gut, ich komme ja schon“, seufzte sie.

Im Bad brauchte Sabrina viel kaltes Wasser, um wach zu werden, danach lief sie hinunter in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine an. Sie gab Müsli und Cornflakes in die Schüsseln, stellte Brot, Butter und Marmelade auf den Tisch. Thomas weckte inzwischen die Kinder, auch mit lauter Stimme und grellem Licht. Sabrina stellte den Kaffee auf den Tisch, da kamen sie mit verschlafenen Gesichtern herunter, um sich lustlos über das Frühstück herzumachen.

Gleich darauf ging der Trubel los: „Sabrina, denkst du daran mir einen Termin beim Zahnarzt zu machen? Wenn du einkaufen gehst, hole bitte Batterien. Was wollte ich noch, was essen wir heute?“

„Mama hast du eigentlich mein Diktat unterschrieben?“

„Ach, ich habe ja heute Sport, wo sind denn meine Turnschuhe?“

„Haben wir noch Rechenhefte, ich brauche ein neues.“

Sabrinas Blutdruck stieg merklich an. „Ich habe euch gestern Abend gesagt, ihr sollt eure Schulsachen kontrollieren. Da hättet ihr genug Zeit gehabt, alles in Ruhe zusammenzusuchen. “

Seufzend stand Sabrina auf, unterschrieb das Diktat, suchte die Turnschuhe samt dem Turnbeutel, dann holte sie für Christian das Rechenheft. Das kostete sie zehn Minuten ihrer ohnehin schon knappen Zeit.

Thomas kramte in seiner Tasche. „Wo sind denn meine Autoschlüssel?“

Ihr Kopf begann zu schmerzen. „Sind sie nicht am Schlüsselbrett?“, fragte sie zurück.

„Da sind sie nicht. Komm doch endlich mal her!“ Seine Stimme klang wütend.

Sabrina flitzte ins Wohnzimmer. In eines der Regale legte Thomas gewohnheitsmäßig alles hinein, was er in seinen Taschen hatte, sie griff in das Fach, triumphierend zog sie seine Autoschlüssel hervor. „Bitte sehr, der Herr!“, rief sie mit Wut in der Stimme.

„Ach, da sind sie ja, danke. Tschüss, vielleicht rufe ich zwischendurch einmal an.“

„Jetzt aber rasch!“ Es war bereits viertel nach sieben, in fünfzehn Minuten mussten die Kinder, gleich darauf sie selber aus dem Haus. Sabrina war noch nicht einmal angezogen, wenn sie Glück hatte, gab es keine unvorhergesehenen Zwischenfälle mehr.

-

„Guten Morgen“, rief Sabrina in das Großraumbüro.

An allen Schreibtischen war man schon am Telefonieren, Zeichnen, Diskutieren und Listen erstellen. Die meisten Kollegen und Kolleginnen drehten sich herum, um freundlich ihren Gruß zu erwidern. In der äußersten Ecke standen drei weiße Schreibtische, zwei Computer, eine schwarze Schrankwand, ein Telefon und zwei immergrüne Zimmerpflanzen. Diesen Arbeitsplatz teilte sie sich mit ihrer Kollegin und Freundin Gabi.

Gabi stand sofort auf, erfreut rief sie: „Hallo, endlich du, es wurde auch langsam Zeit!“

„Holla, ich war doch nur eine Woche weg, ich habe dich auch vermisst“, konterte Sabrina lächelnd. Sie ließ sich von Gabi erst umarmen, dann auf die Wange küssen. „Was gibt es Neues?“

Sabrina setzte sich an ihren Schreibtisch, erwartungsvoll schaute sie die Freundin an. Gabi sprudelte auch sofort los, ihr nachtschwarz gefärbtes Haar wippte bei jeder ihrer impulsiven Bewegungen in kurzen Locken, die dunklen Augen schimmerten vor Begeisterung. Sie war nicht geschminkt, doch so hübsch und natürlich mit ihren dichten Wimpern, den hohen Wangenknochen und den lustigen Grübchen. „Jede Menge gibt es, am Samstag war ich auf einer Party. Gute Musik, tolle Leute, einen netten Typen habe ich auch kennengelernt, er ist so süß!“

„Aha, wirst du ihn wiedersehen?“, fragte Sabrina lachend.

Gabi lächelte verschmitzt. „Klar, was denkst du, morgen gehen wir ins Kino. Nun zu dir, wie war euer Urlaub?“

„Schön, wir hatten tolles Wetter, die Kinder waren einigermaßen verträglich, selbst Thomas hat sich ganz gut benommen.“

„Arme alte Ehefrau“, sagte Gabi und machte einen Schmollmund.

„Nein, im Ernst, es war wirklich schön, wir lagen viel am Strand, gingen spazieren und konnten uns gut unterhalten. Ich habe die beiden Bücher von dir gelesen“, erzählte Sabrina.

„Toll, zwei so dicke Wälzer in einer Woche.“ „Erzähle mal, was war hier im Büro los?“, wollte Sabrina wissen.

„Wie kommst du nur auf so ein blödes Thema. Streberin, kannst du die Arbeit nicht einmal für ein paar Minuten vergessen?“, witzelte Gabi.

„Nun sag schon, war etwas los?“

„Nichts, nur der übliche Quatsch. Unseren neuen Mitarbeiter kennst du ja schon.“

„Den Herrn Fröhlich, ja klar, der fing doch bereits im Dezember bei uns an.“

„Friedhelm ist sein Vorname, er arbeitet in der Marketingabteilung.“ Gabi stand auf, um einen Aktenordner vom Regal zu holen, während Sabrina bei der IT-Abteilung anrief, weil sie sich nicht einloggen konnte.

Nach einer Weile bemerkte Gabi: „Ach da kommt er ja, unser lieber Friedhelm.“

„Guten Morgen, ich soll die Rechnungen hier abgeben“, sprach Friedhelm höflich. Er reichte Sabrina einen Stapel Papier, sah ihr dabei in die Augen, dann senkte er schnell den Blick. Sein Aussehen war unscheinbar, er hatte eine blasse Gesichtsfarbe, eine undefinierbare Augenfarbe, glatt gekämmtes dunkles Haar, trug einen braunen Anzug, hellbraunes Hemd, beigefarbenen Pullover und eine altmodische Brille mit dunklem Rahmen.

„Das soll ein Werbetexter sein? Diese graue Maus, komisch, so sieht der gar nicht aus“, dachte Sabrina.

Herr Fröhlich lächelte sie scheu an, während Sabrina ihm die Rechnungen aus der Hand nahm. Mit einem netten Lächeln sagte sie: „Okay, vielen Dank.“

„Sie waren letzte Woche nicht da?“, fragte er mit leiser, aber fester Stimme.

Sabrina war ein wenig verwundert über sein Interesse. „Stimmt, ich hatte Urlaub, weshalb?“

„Ach, ich gab meinen Einstand und dachte, weil Sie nicht da waren, könnten wir doch ein anderes Mal ein Glas Sekt miteinander trinken“, schlug er vor.

Sabrina schmunzelte. „Da muss ich gleich mal einen Riegel vorschieben“, dachte sie, „sonst macht der Typ sich noch falsche Hoffnungen. Das wollen wir doch nicht.“ Resolut erklärte sie ihm: „Mein lieber Herr Fröhlich, ich bin verheiratet. Das sollte ich Ihnen lieber gleich sagen, noch dazu mit einem sehr eifersüchtigen Polizisten.“

„Ach so, na ja, ist schon gut. Lassen wir doch das förmliche SIE weg, ich heiße Friedhelm.“ Man konnte ihm nicht anmerken, ob er über ihre brüske Antwort sehr enttäuscht war.

Sabrina nickte wohlwollend und reichte ihm lächelnd die Hand. „Fein, ich bin Sabrina.“ Friedhelm deutete einen Handkuss an, dann trollte er sich fort.

„Sieh an, sieh an, unsere lang verheiratete Ehefrau und Mutterglucke macht Eroberungen. Der hat dich ja mächtig verliebt angeschaut“, sagte Gabi kichernd.

Sabrina antwortete: „Hör auf, du junges Küken, komm erst mal in mein Alter, dann bist du möglicherweise auch eine Mutterglucke, aber nur vielleicht. Außerdem ist er nicht mein Typ und jetzt wahrscheinlich sowieso geheilt.“

„Nun wird was geschafft, sonst werden wir heute nicht mehr fertig“, beschloss Gabi.

Begraben liegt mein Herz

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