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Kapitel 2 - Ende Dezember 2003

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Am letzten Adventswochenende gingen Tom und Sabrina mit den Kindern zu dem Weihnachtsmarkt in der Innenstadt. Es lag ein Aroma von gebrannten Mandeln, Popcorn, Fleischspießen und gegrillter Bratwurst in der Luft, und der große Weihnachtsbaum auf dem Römerberg strahlte noch viel schöner als der vom Vorjahr. Von den Ständen her duftete es nach Plätzchen, Räuchermännchen, Duftkerzen, Glühwein, Kinderpunsch, Gewürzen und Adventstee.

Eva machte große Augen, als der Weihnachtsmann sie ansprach.

Kerstin grinste, ganz leise flüsterte sie Christian zu: „Unsere kleine Schwester glaubt noch an den Weihnachtsmann, wie niedlich.“

Chris nickte zustimmend und fragte: „Mama, wir möchten eine Bratwurst essen, ja?“

Thomas schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ihr wollt doch bestimmt lieber ein Knoblauchbrot, das riecht so gut?“

„Papa, du weißt, dass wir keinen Knoblauch mögen“, murrten Kerstin und Christian im Gleichklang.

„Das ist viel gesünder“, entschied Thomas, ohne auf die Worte der Kinder einzugehen, „keine Diskussionen!“

„Ich mag aber nicht“, sagte Christian leise und duckte sich unwillkürlich.

„Jetzt passe dich endlich an die Familie an!“, donnerte Thomas wütend los. Er hob seine rechte Hand zum Schlag, ließ sie wieder sinken, stattdessen drückte er mit einem zornigen Blick kräftig Christians Oberarm. Sein Sohn verzog vor Schmerz das Gesicht, sagte jedoch nichts, weil er wusste, dass er gegen den Vater nicht ankam.

„Lass ihn doch, er kann den Geschmack von Knoblauch eben nun mal nicht leiden“, sprach Sabrina mit fester Stimme.

„Du halt dich da raus, Chris muss endlich lernen sich wie ein großer Junge zu benehmen!“, schrie Thomas aufgebracht.

„Stell dir vor, es gibt auch Erwachsene, die keinen Knoblauch und keine Zwiebeln mögen“, gab Sabrina heftig zur Antwort.

Thomas wollte nicht mehr zuhören, wütend ging er einfach wortlos weiter. „Immer fällt sie mir in den Rücken und verzärtelt die Kinder“, murmelte er bitter vor sich hin.

Da klopfte ihm jemand freundschaftlich auf die Schulter. „Hallo Tom, hallo Sabrina, wie geht es euch?“ Es waren ihre Freunde Simone und Michael.

Simone war eine zierliche impulsive Person, sie trug das blonde Haar ganz kurz geschnitten und kleidete sich stets nach der neuesten Mode. Michael glich eher einem Bären, statt einem Mann, sein großer, kräftiger Körper steckte in abgetragenen Cordhosen und kariertem Hemd, sein brauner Bart wucherte wild über das Gesicht.

„Hallo, uns geht es gut und euch?“, sagte Sabrina.

„Sehr gut, wir wollen noch Christbaumschmuck kaufen. Michael hat dieses Jahr einen so großen Baum geschlagen, dass der Schmuck vom vorigen Jahr nicht reicht. Ich glaube, wir müssen ein Loch durch die Decke bohren, sonst haben wir keinen Platz für die Baumspitze“, erklärte Simone lachend und Michael stimmte fröhlich ein.

Sabrina lächelte etwas gequält. „Wie nett“, murmelte sie.

„Es war schön, euch zu sehen, aber wir müssen jetzt nach Hause“, erklärte Thomas etwas freundlicher, jedoch immer noch abweisend. „Frohe Weihnachten.“ Er schüttelte Michael die Hand und gab Simone einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Stürmisch umarmte sie Thomas, sah ihm dabei liebevoll in die Augen, dann glitt ihre Hand zärtlich über seinen Kopf. Tom wandte sich irritiert ab, er schaute seinen Freund fragend an, doch zu seinem Erstaunen schien dieser sich nicht an dem Verhalten seiner Frau zu stören.

„Einen guten Rutsch, falls wir uns nicht mehr sehen“, wünschte Simone mit einem koketten Augenaufschlag.

Michael reichte Thomas die Rechte, danach gab er Sabrina einen freundschaftlichen Kuss auf den Mund. Als Thomas das sah, blieb er wie angewurzelt stehen, drehte sich wortlos um, um mit schnellen Schritten voraus zu marschieren. Von ihm kam kein einziges Wort mehr, weder auf dem Weg noch im Auto.

Als sie zu Hause ankamen, war Tom immer noch schweigsam.

„Soll ich Kaffee kochen oder wollen wir einen Glühwein trinken?“, fragte Sabrina, während sie ihren Mantel an die Garderobe hängte.

„Mach, was du willst“, brummte Thomas unwirsch.

„Was ist los, was möchtest du haben?“, fragte sie irritiert.

„Lass mich doch in Ruhe, mir ist alles egal“, knurrte er.

Die Kinder verzogen sich leise in ihre Zimmer, und Sabrina setzte sich neben Thomas auf das Sofa. Verwundert sah sie ihn an, aber er schaute nur mit glanzlosen Augen an ihr vorbei.

„Kann ich mit dir reden?“, fragte sie ihn zaghaft.

„Was gibt es da zu reden?“

„Warum bist du so sauer?“

Thomas gab ihr keine Antwort, stattdessen schaute er auf einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Wand.

„Wir sollten die Kinder nicht zwingen, etwas zu essen, was sie gar nicht wollen“, versuchte Sabrina das Gespräch in Gang zu bringen, doch er winkte ärgerlich ab. „Komm sei ruhig, lass mich in Ruhe.“

Thomas nahm demonstrativ die Zeitung in die Hand, er wollte nicht mit seiner Frau sprechen, dafür war er einfach viel zu wütend.

„Nein Tom, wir müssen darüber reden, so kann das nicht mehr weitergehen“, sagte Sabrina mit zittriger Stimme.

„Rede doch mit den Männern darüber, von denen du dich küssen lässt“, fuhr Tom sie hart an. Seine Stimme klang grimmig hinter der Zeitung.

Sabrina fragte: „Was soll das? Was meinst du damit?“ „

Was das soll?“ Thomas ließ die Zeitung sinken. „Du hast dich von Michael küssen lassen, in aller Öffentlichkeit, vor mir und vor den Augen der Kinder“, wies er sie verächtlich zurecht.

„Tom, du hast Simone auch geküsst. Das ist doch nicht schlimm, da ist doch nichts dabei“, verteidigte sich Sabrina.

„Nein, woher willst du wissen, was der Mann sich dabei denkt, bist du eine Hellseherin?“ Seine Stimme überschlug sich, das Gesicht wurde bedenklich rot und sein Herz raste wie verrückt.

Sabrina flehte: „Thomas höre bitte auf, Michael hat sich gar nichts dabei gedacht, sie wollten uns nur ein frohes Fest wünschen.“

Heftig schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Das ist mir egal, ich will nichts mehr davon hören, in Zukunft wünsche ich, dass du etwas dagegen unternimmst.“

„Was hätte ich denn tun sollen, ihm eine Ohrfeige verpassen“, erwiderte sie verzweifelt, „der denkt doch, ich habe sie nicht mehr alle.“

„Mache was du willst. Sorge nur dafür, dass dies nicht mehr passiert, klar!“ Tom packte sie heftig am Handgelenk, brutal bohrte er seine Fingernägel in ihr Fleisch und brüllte: „Sabrina, du lehnst dich ständig gegen mich auf.“

Sie sah ihn entsetzt an. Thomas ließ sie los, ihren Blick missachtend nahm er die Zeitung wieder in die Hand. Sabrina wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen, sie presste die Finger auf den Mund, um nicht laut aufzuschreien.

Weinend lief sie in die Küche. In diesem Moment hasste sie ihren Mann aus tiefstem Herzen, seine aufbrausende brutale Art und sein gemeines Verhalten. Ihr Mund formte sich zu einem wilden Aufschrei, doch es kam kein Laut über ihre Lippen.

Wie in Trance füllte Sabrina den Wasserbehälter des Kaffeeautomaten auf und drückte auf den Knopf für zwei Tassen. Das Aroma von frisch gemahlenen Bohnen stieg ihr in die Nase.

Plötzlich gab es einen lauten Schlag am Küchenfenster. Sie zuckte zusammen, drehte sich so heftig herum, dass sie dabei das Geschirr von der Arbeitsplatte fegte, das scharfe Brotmesser fuhr ihr über den Unterarm. Bevor sie die Scherben aufsammelte, sah sie aus dem Fenster, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen.

Thomas rief ärgerlich: „Was war das, wer macht denn da so einen Lärm?“

Nichts“, antwortete Sabrina, „es ist sicher nur ein Ast gegen das Fenster geflogen. Kein Wunder bei dem Sturm.“ „Wir haben gar keinen Sturm, noch nicht mal heftigen Wind.“ Von ihrem Handgelenk tropfte Blut auf die weißen Fliesen des Küchenbodens.

-

Am Heiligen Abend schmückte Sabrina mit den Kindern den Tannenbaum. Es ging zwar wie jedes Jahr ein wenig hektisch zu, doch sie hatten ihren traditionellen Spaß bei der Sache. „Mama, darf ich den Stern auf die Spitze stecken?“, fragte Eva mit zuckersüßem Lächeln.

Sabrina gab ihr den Stern in die Hand und hob sie hoch. „Du bist ganz schön schwer geworden, meine Kleine.“

Eva erwiderte vorwitzig: „Ich bin ja auch nicht mehr klein, ich bin schon fast so groß wie Kerstin, bald schon so groß wie Christian.“

„Feiern wir jetzt Bescherung?“, wollte Kerstin wissen.

„Holst du jetzt die Geschenke?“, fragte Christian neugierig.

"Gleich. Ihr seid wohl schon ganz aufgeregt. Wir warten noch, bis es dunkel ist, dann leuchten die Kerzen viel schöner“, antwortete Sabrina schmunzelnd.

Endlich war es soweit, es gab ein wildes Durcheinander, bis die Päckchen unter dem Baum lagen, die Kerzen angezündet und die Flöten und Notenbücher zurechtgelegt waren. Alle liefen nach oben, um sich feierlich zu kleiden.

Thomas stand schon mit der Kamera bereit, da kamen die Kinder die Treppe herunter, die Mädchen in schwarzen Seidenröcken und weißen Blusen, Christian in einem Anzug mit Weste und Fliege. Der Kater hatte eine goldene Schleife am Hals, mit seinen Pfötchen versuchte er das störende Ding abzustreifen, doch es gelang ihm nicht. Sabrina ging hinter ihnen her, sie trug ein enganliegendes glänzendes Abendkleid mit langem Rückenausschnitt, hatte ein dezentes Make-up aufgelegt und die Wimpern schwarz getuscht.

Thomas sah sie bewundernd an. „Sie sieht wunderschön aus, mein Engelsgesicht, und sie gehört mir, mir ganz alleine! Wenn sie nur nicht immer so emanzipiert wäre“, dachte er.

Nachdem die Weihnachtslieder gesungen und alle guten Wünsche ausgesprochen waren, durften die Kinder endlich mit dem Auspacken beginnen. Das Geschenkpapier flog durch die Luft, Spiele und Bücher wurden bewundert und Pullover und Mützen achtlos auf die Seite gelegt.

„Gut“, murmelte Christian, „aber?“

„Was aber?“, fragte Thomas grinsend. „Ach nichts“, antwortete Christian, er schien ein wenig enttäuscht.

„Es ist wohl kein so großes Geschenk dabei gewesen, wie du es erwartet hast“, zog Thomas ihn mit betont ernstem Gesicht auf, „vielleicht hast du es nicht verdient.“

Sabrina sah ihn an, während sie das letzte Päckchen öffnete, zum Vorschein kam eine kleine Flasche ihres Lieblingsparfüms, dann fragte sie herausfordernd: „Tom, du verheimlichst uns doch nichts?“

Er zog grinsend einen Briefumschlag aus der Tasche und reichte ihn seiner Frau. „Das ist mein Weihnachtsgeschenk für meine liebe Familie.“

Sie öffnete den Umschlag und zog eine Buchungsbestätigung hervor. „Nach Fuerteventura“, jubelte sie und fiel Thomas um den Hals, „so eine Überraschung!“

„Ans Meer, jetzt im Winter, super“, freute sich Kerstin. „Kann man denn da ins Wasser, ist es dort nicht auch schrecklich kalt?“, fragte Eva aufgeregt.

„Nein, Dummerchen“, erklärte Thomas, „dort ist es jetzt so warm, dass man sogar baden gehen kann, jedenfalls im Pool, vielleicht auch im Meer.“

Eva hüpfte vor Aufregung von einem Bein auf das andere und jubelte: „Hurra, wo ist mein neuer Badeanzug? Mama packe ihn gleich ein!“ Voller Freude tanzte die Kleine im Zimmer herum.

Nachdem alles wieder aufgeräumt war, öffnete Thomas den Wein, währenddessen ging Sabrina in die Küche, um das Dressing über die vorbereiteten Salate zu geben. Ihre Augen schimmerten vor Freude. „Manchmal ist er doch ein lieber Kerl“, dachte sie glücklich.

Lächelnd knipste Sabrina die Weihnachtsbeleuchtung am Küchenfenster an, da hatte sie plötzlich das merkwürdige Gefühl beobachtet zu werden. Sie schaute angestrengt aus dem Fenster, unter dem Kirschbaum glaubte sie einen Schatten zu sehen, da schloss sie schaudernd den Fensterladen.

„Ich glaube, ich spinne wirklich, wer soll uns denn beobachten, wir wohnen doch in einer ganz harmlosen netten Wohnsiedlung. Vielleicht ein Einbrecher“, überlegte sie nervös, „möglich, doch eher unwahrscheinlich, aber wer schaut dann durch unsere Fenster? Keiner, ich bilde mir das bloß ein.“

Begraben liegt mein Herz

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