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Kindheit: Liedertexte im Schulheft gesammelt

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Was Helga Hemala-Fischer über ihre Kindheit erzählt, ist eine Mischung einerseits aus Zuständen, die man sich heute nicht mehr vorstellen könnte, und andererseits bilderbuchähnlichen Schilderungen. Als Helga Hemala kam sie am 29. Oktober 1940 im schlesischen Bielitz zur Welt. Ihre Eltern Eduard Hemala und Margarete Hemala, geborene Pientka, hatten bereits eine dreieinhalbjährige Tochter namens Irmgard. Helga Hemala wurde in den Zweiten Weltkrieg hineingeboren. Harte Zeiten, jedoch: „Ich habe von den widrigen Umständen kaum etwas zu spüren bekommen.“

Helga Hemala wuchs auf mit der musischen Ader der Mutter und deren Leidenschaft fürs Theater und mit einem Vater, der als Kaufmann Wert auf solide Existenzgrundlagen legte, aber seinen Kindern auch Liebe zur Natur vermittelte. Insbesondere Letzteres hatte bleibenden Einfluss. Helga Hemala-Fischer, gefragt nach ihren schönsten Kindheitserinnerungen, schwärmt noch heute als Erstes von den Streifzügen mit dem Vater durch den Wald. Seien es die unbeschwerten Ausflüge ins Grüne gewesen oder die Wanderungen, um das Nötigste für den täglichen Alltag heranzuschaffen: Beeren, Pilze und säckeweise Tannenzapfen, liebevoll „Pockerl“ genannt, zum Heizen im Winter. Das Werden der Natur zu beobachten, hat Helga Hemala-Fischer bereits damals als Geschenk begriffen. Noch heute sieht sie die Bäume in ihrem Garten wie Fabelwesen, lässt sich inspirieren von der Bewegung der Blätter – die in ihren Augen alle tanzen.

Kindheit bedeutete aber auch Flüchtlingstransporte, die Enge von Baracken, die Begrenztheit der Mittel. An Bielitz hat sie nur spärliche Erinnerungen, sieht allerdings noch heute den Lastwagen vor ihrem geistigen Auge, mit dem die Familie aus Schlesien abtransportiert wurde.

Der Vater im Kriegsdienst, die Mutter mitten im Winter mit ihren zwei Töchtern auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft. Zwei Koffer als einziges Gepäck. Über Wien führte sie ihr Weg nach Brückl in Kärnten und letztlich Sekirn am Wörthersee, wo die Hemalas schließlich für einige Jahre Heimat fanden.

Für Eduard Hemala, der nach dem Kriegsdienst zurück zu seiner Familie kehrte, stand die berufliche Orientierung an erster Stelle. War er vor dem Krieg in Bielitz Eigentümer einer Kartonagenfabrik und Buchbinderei, wurde er danach als Vertreter für Farben und Lacke zu einem Handelsreisenden.

Die kleine Helga wurde in Sekirns Nachbarort Reifnitz eingeschult. Es begann eine Zeit, in der die vom Vater vermittelte Liebe zur Natur weiter aufblühen konnte. Die Schüler durften ein Beet anlegen und sich eine Pflanze aussuchen. Helga wählte Astern, um die sie sich liebevoll kümmerte. Für den sonntäglichen Besuch der berühmten Kirche Maria Wörth fertigte Mutter Margarete, eine geschickte Hobbynäherin, für ihre Töchter Kleidchen aus weißem Leinen, bestickt mit buntem Kreuzstich.

„Ich hatte immer einen Hang zum Schönen“, erinnert sich Helga Hemala-Fischer. Als Kind ist sie, ein Buch unter den Arm geklemmt, gerne in den gegenüberliegenden Wald gelaufen und zum Lesen auf den höchsten Baum geklettert. „Das habe ich unzählige Male getan.“ Auch war sie bereits im frühen Alter sehr tierlieb. Zeit ihres Lebens hat sie danach Hunde als Haustiere gehalten.

Dass sie einen künstlerischen Beruf ergreifen könnte, wäre ihr in diesem Alter nicht in den Sinn gekommen, obgleich Theater und Musik einen hohen Stellenwert bei der Mutter hatten. Viel hat sie mit ihren Kindern gesungen, ganze Schulhefte waren mit Liedtexten von Opern, Operetten und Schlagern beschrieben. Es huscht ein Lächeln über Helgas Gesicht und mitten im Gespräch fängt sie an zu singen.

Sah sie als Kind eine Bühnenaufführung – das muss noch in Bielitz gewesen sein – verblüffte Helga die Erwachsenen nicht selten mit der Gabe, im Nachhinein markante Passagen wiedergeben zu können. Bei einem ihrer Theaterbesuche, es war „Die gold’ne Meisterin“ von Edmund Eysler, verzückte sie die Zuschauer, als sie während der Pause das eben gehörte Lied „Portschunkula, Portschunkula, wie schön bist du bei Nacht…“ schmetterte. Scheu vor den Blicken anderer hatte die sonst ruhige Helga dabei nicht, im Gegenteil. Der „Sonnenschein“, wie sie damals von vielen Bekannten genannt wurde, empfand Freude daran, die Leute zu unterhalten.

Während die Schwester ein Instrument lernen durfte, blieb Helga dies verwehrt. Sie träumte von einem Akkordeon, musste aber zu jedem Weihnachtsfest den schuldbewussten Blick der Mutter ertragen, wenn diese der Tochter sagte: „Helgele, das Christkindl hatte wieder kein Geld gehabt.“

1950 übersiedelte die Familie von Sekirn nach Klagenfurt in die Getreidegasse 11. Arbeitsam hat Helga Hemala-Fischer ihre Eltern in Erinnerung. Sie sieht heute noch den Vater vor sich, wie er am Boden knieend mit Rasierklingen das Parkett abzog, um das Zimmer so schön wie möglich zu gestalten.

Helga Hemala-Fischer klappt eine Spieldose auf. Sie ist alt, aber der Klang rein: Der Kaiserwalzer. Dieses Stück sollte noch viel Bedeutung haben. Es war nach dem Umzug nach Klagenfurt, als zum 40. Geburtstag ihres Vaters ein Fest ausgerichtet wurde. Die Mutter lieh in einem Musikgeschäft Plattenspieler und Schallplatten aus und bastelte für Helga ein Tutu aus Krepppapier. Von Ballett hatte das Mädchen damals noch keine Ahnung, konnte lediglich das tun, was ihr ihr Gefühl zur Musik eingab. Als sich die Kleine zu den Takten des Kaiserwalzers zu bewegen begann, staunten die Gäste. Mehr noch. Eine Freundin der Mutter war fest überzeugt: „Die muss ins Ballett.“ Dieser Frau hat sie ihr ganzes Berufsleben zu verdanken, ist Helga Hemala-Fischer heute überzeugt.

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