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Der steinige Weg zur Leichtigkeit
ОглавлениеDer Anfang war hart. Als die Mutter mit ihrer bereits elfjährigen Tochter in der renommierten Klagenfurter Kunsttanzschule von Tanzmeisterin Trude Haslinger vorstellig wurde, war diese keineswegs so angetan wie die Gäste bei der Geburtstagsfeier. „Wie alt bist du? Elf? Viel zu alt“, lautete ihr Urteil, das Helga die Tränen in die Augen trieb. Als die Ballettmeisterin das sah, fragte sie: „Ja sag mal, was machst du mit den Armen, wenn du tanzt?“ Das war Helgas Chance. Mit ihren Armbewegungen wusste sie die gestrenge Ballettmeisterin zu überzeugen. Fortan stellte sich Helga jede Trainingsstunde an der Ballettstange hinter das beste Mädchen, um von diesem zu lernen, übte jede freie Minute und besah sich mit noch größerer Aufmerksamkeit alles, was sich ästhetisch zu bewegen vermochte. Denn das war das Credo von Tante Trude, wie die Mädchen ihre Ballettmeisterin liebevoll nannten: Sich die Natur ansehen und die Ästhetik der Bewegungen für sich adaptieren. Beispielsweise die von Schmetterlingen, Bienen und Blättern. „Alles tanzt“, sagt Helga Hemala-Fischer. Und in der Stimme schwingt Melodie mit.
Nach der Hauptschule besuchte die junge Helga eine Handelsschule, auf der sie sich das Rüstzeug für einen kaufmännischen Beruf aneignen sollte – das war der Wunsch des Vaters. Die Freizeit gehörte dem Ballett. Sie war 15 Jahre alt, als das Stadttheater Klagenfurt mit „Wiener Blut“ die erste Operette im Spielplan hatte. Ausgerechnet für den Kaiserwalzer suchte das Theater junge Tänzerinnen zur Verstärkung. Ballettmeisterin Liselotte Mracek, zuständige Choreographin, sah sich an der Kunsttanzschule Haslinger nach geeignetem Nachwuchs um. Nur sechs Mädchen wurden gebraucht. Helga Hemala war dabei. Was sie gemacht hätte, wenn die Wahl nicht auf sie gefallen wäre? Sie weiß es nicht. Heute wäre ihr Leben vielleicht ein völlig anderes.
Als 13-Jährige war Helga Hemala stolze Ballettschülerin der renommierten Klagenfurter Kunsttanzschule von Trude Haslinger.
Die Operette, die am 24. September 1955 Premiere feierte, war ein Erfolg. Und noch etwas anderes war bedeutend. Helga stand zum ersten Mal Adi Fischer gegenüber. Er war zehn Jahre älter, kam vom Grazer Opernhaus, war Schauspieler und wurde in Klagenfurt als Operettenbuffo verpflichtet. Sie sah in ihm den Mann ihres Lebens. Ein bildschöner, junger Mann – und ein verheirateter Familienvater mit einem kleinen Sohn, wie sie später erfuhr.
„Der 16. Geburtstag war mein schönster Geburtstag“: Adi Fischer war damals bereits in das Leben der jungen Helga getreten. Die beiden waren noch kein Paar, waren sich aber dennoch vertraut.
Obgleich Helga immer wieder ins Theater fuhr und instinktiv die Begegnung mit Adi Fischer suchte, hegte sie keinerlei weitere Absicht. Ihre Schwärmerei war die rührende Zuneigung eines unschuldigen Mädchens, das nicht im Traum daran dachte, sich in eine Ehe einmischen zu wollen. „Ich wollte immer alles, was gut für ihn und seine Familie war.“ Zwar erwiderte Adi Fischer nicht umgehend Helgas Zuneigung, jedoch hat er ihr „viel Herz“ entgegengebracht, wie sie heute sagt. „Der erste Händedruck – 14 Tage nicht Händewaschen, habe ich mir vorgenommen.“ Sie lacht.
Es war wie eine Belohnung in doppelter Hinsicht, dass Helga Hemala nach „Wiener Blut“ ein weiteres Mal als Elevin am Theater mitwirken durfte. Professor Fritz Klingenbeck, Intendant des Klagenfurter Theaters, engagierte sie für die Operette „Der Opernball“ von Richard Heuberger, deren zweiter Akt mit einem Can Can endete, bei dem die Tänzerinnen in die Arme eines Bühnenpartners fielen. Gespannt warteten die Mädchen darauf, wem es zukommen würde, sie aufzufangen. Für Helga Hemala, die wegen der Handelsschule nicht bei jeder Probe dabei sein konnte, war es eine besondere Überraschung. Sie glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen, als sie Choreographin Lilo Mracek sagen hörte: „Bei dir kommt der Adi Fischer.“ Für Helga Hemala war das wie Weihnachten und Ostern zusammen.
Während die Bühne immer mehr zu ihrem Lebensmittelpunkt wurde, neigte sich die zweijährige Handelsschule dem Ende entgegen. Zeitgleich ergab sich die Möglichkeit, eine Reifeprüfung im Fach Ballett abzulegen. Trude Haslinger gab den Anstoß dazu und bereitete ihre Mädchen intensiv darauf vor, lehrte sie nicht nur die Praxis, sondern gab ihnen auch das nötige Rüstzeug in Sachen Tanzgeschichte. Helga Hemala war begeistert und reiste mit acht Mitstreiterinnen in die Universitätsstadt Graz zur Prüfung. Schon bei der Ankunft wurde Helga fast schwindelig, als sie eine Tänzerin beim Spitzentanz beobachtete und dabei merkte, wie viel es noch zu lernen galt.
„Wir hatten unter anderem einen Walzer einstudiert. Als die Musik erklang, habe ich alles um mich herum vergessen. Meine Arme sangen und meine Beine tanzten.“ Neun Mädchen aus Klagenfurt und neun aus Graz nahmen an der Reifeprüfung teil, nur fünf bestanden. Helga war dabei! Wieder waren es insbesondere ihre Armbewegungen, die überzeugten, wie sie später erfuhr.
Die Klagenfurter Choreographin Mracek fragte Helga daraufhin, ob sie nicht Tänzerin werden wolle. Eduard Hemala, der seine Tochter gerne in einem soliden, kaufmännischen Beruf gesehen hätte, war nicht begeistert. Erst die Tatsache, dass das Theater seinem Helgele sogar die volle Tänzerinnengage – nicht die Gage einer Elevin – anbot, überzeugte auch den Kaufmann in ihm. 1300 Schilling könnte seine Tochter in einem Büro nicht verdienen. Diese Monatsgage war mit einem Mal doch eine andere Hausnummer als die 15 Schilling, die es für eine Vorstellung von „Wiener Blut“ gegeben hatte. Am 28. Juli 1956 hielt Helga Hemala schließlich den Bühnendienstvertrag in Händen und verfasste den legendären Tagebucheintrag: „Nun darf ich tanzen, tanzen, TANZEN. Menschen Freude bereiten, das will ich.“
Einzig die Reaktion von Adi Fischer war eine große Enttäuschung. Er riet ihr von einer Bühnenkarriere ab – wohl im Wissen um die Herausforderungen, die einem solch ein Beruf abverlangt. Aber Helga vertraute ihrer Intuition: Am 1. September 1956 trat sie ihr Engagement als Tänzerin im Stadttheater Klagenfurt an. „Tanzen – sich zur Musik zu bewegen – das war einfach mein Traum.“
Die erste Operette, bei der sie unter Vertrag mitwirkte, war „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár. Margarete Hemala hat ihrer Tochter damals einen kleinen Teddybären als Glücksbringer auf den Schminktisch gestellt. Helga hat diesen über Jahrzehnte zu jeder Vorstellung mitgenommen. Es gibt ihn noch heute.
Der „Opernball“ – eines von vielen prunkvoll inszenierten Stücken am Theater an der Rott. Helga Hemala-Fischer choreografierte zahlreiche Werke.
Es blieb nicht bei Klagenfurt. Intendant Professor Klingenbeck hatte mittlerweile das Angebot erhalten, das Salzburger Landestheater zu übernehmen. Er bot Helga Hemala an, mit ihm zu kommen. Trotz ihrer Zweifel, ob sie wohl mit anderen Profitänzerinnen Schritt halten könne, sagte sie zu. Nicht zuletzt weil auch Adi Fischer als Operettenbuffo für Salzburg engagiert wurde. Ab August 1957 war sie dann Tänzerin und Schauspielerin unter Vertrag.
Professor Klingenbeck sah großes Potenzial in Helga Hemala und förderte sie stetig. Adi Fischer nahm seine junge Kollegin weiterhin als sympathisches Mädchen wahr. Mehr vorerst nicht. Seine Ehe war zu diesem Zeitpunkt zwar schon ins Wanken geraten, allerdings nicht Helgas wegen. „Er hat das Leben genossen“, resümiert Helga Hemala-Fischer, die durchaus zugeben muss, dass ihr Liebster ein „Don Juan“ war. Verurteilt hat sie sein Verhalten, trotz vieler Tränen, nie. Weder damals als schwärmender Teenager noch heute als Witwe nach über 50 Jahren Ehe. „Man kann den Charakter eines Menschen nicht ändern“, sagt sie nachdenklich. Der Krieg habe ihrem Mann, Jahrgang 1930, die Jugend genommen. Er habe leben wollen, einfach nur leben: „Und er hat sich keine Gelegenheit dazu entgehen lassen.“
Das erste Balletttraining in Salzburg hat Helga Hemala-Fischer noch vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Obwohl sie ihr Bestes gab, konnte sie mit den erfahrenen Profitänzerinnen, einige kamen von der Ballettakademie in Wien, tatsächlich nicht Schritt halten. Nach der Probe nahm die Ballettmeisterin Professor Dr. Hanna Kammer sie beiseite und fragte: „Mädele, willste nicht oder kannste nicht?“ Ein Urteil, das mitten ins Herz traf. Was tun? Als die Tränen getrocknet waren, suchte Helga sich Hilfe. Bereits am nächsten Tag stand sie bei dem jugoslawischen Solotänzer Boris Tonin zum Privatunterricht an der Ballettstange. Das war nicht immer leicht. Als sie einmal schwer erkältet den Privatunterricht absagen wollte, entgegnete Boris Tonin ungerührt: „Du müssen schwitzen, du werden gesund.“ Es dauerte ein Jahr, dann hatte sie es geschafft: Nicht nur, dass sie von nun an mit den anderen Tänzerinnen mithalten konnte, sie durfte sogar immer wieder als Solistin auftreten.