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7. Kapitel

Am Donnerstagabend, als Esther Friedrichsen aus Zimmer Nr. 18 trat und zu Zimmer Nummer 11 schlurfte, hatte sich ihre Nachbarschaft schon in ihre Zimmer zurückgezogen. Ihr schmerzendes Bein zog sie hinter sich her, was sie nicht sonderlich schnell vorwärtskommen ließ.

„Hallo Maria“, begrüßte Esther die alte Dame im Bett, als sie endlich das Zimmer erreichte.

„Esther, da bist du ja endlich!“ Ein mattes Lächeln ließ die Falten in dem eingefallenem Gesicht noch tiefer werden.

„Entschuldige die Verspätung, aber du weißt ja …, meine Beine sind nicht mehr die flottesten.“

„Ist es wieder so schlimm heute?“ Langsam drehte Maria Loibl ihren Kopf in Richtung Fenster. Der Wind hatte sich gedreht und ließ die matschigen Flocken nun gegen die Scheibe klatschen. „Ja, ja, das Wetter kann einem schon ganz schön zusetzten“, fuhr sie fort. Mit müden Augen blickte sie Esther an. „Möchtest du es lieber verschieben?“

„Ach, es gab schon schlimmere Tage“, wiegelte Esther ab. „Jetzt bin ich doch hier.“

Maria Loibl sah Esther dankbar dabei zu, wie sie das Teewasser aufsetzte und sieben bis zehn Blüten der Leichenblume in eine Tasse legte. Gerade der Samen war für den Donnerstagstee sehr wichtig. Darüber ließ sie weitere Kräuter rieseln und goss diese mit dem heiß gewordenen Wasser auf. Der würzige Duft von Pfefferminz überdeckte den grasartigen Geruch der Leichenblume fast vollständig, und den bitteren Geschmack milderte Esther durch sechs Kandiszucker. Die ordentliche Gabe von Kamille, die Esther Friedrichsen ebenfalls beimengte, entspannte den Bauch, was bei einer Vergiftung durchaus von Vorteil war.

Der Aufguss war stark, das musste Esther Friedrichsen zugeben, aber dafür umso wirkungsvoller. Wie immer hatte sie, als sie um den Tee gebeten wurde, daran nichts Verwerfliches finden können. Wenn man, wie die Loibl, mit 93 Jahren des Lebens überdrüssig war und sich endlich in Frieden hinlegen wollte, konnte man doch etwas nachbarschaftliche Hilfe erwarten.

Ihr Jubiläum, zehn Jahre Altenheim, hatte die alte Dame eben nicht vor zu feiern, denn im letzten halben Jahr hatte das Alter seinen Tribut gefordert. Und so traten, trotz bester Fürsorge, unterschiedlichste Zipperlein in gehäuftem Ausmaß auf. Ihre alten Glieder wollten einfach nicht mehr, weshalb sie auch kaum das Bett verlassen konnte. Der Urinbeutel war der Loibl zutiefst peinlich, und die täglichen Waschungen ihres Körpers widerstrebten ihr. Sicherlich, es war nichts, wegen dessen man unbedingt starb, aber, und das war der entscheidende Punkt, sie konnte ihre Entscheidung noch selbst treffen. Und solange sie das noch konnte, wollte sie dies auch selbst tun. Es gab nun mal eine Zeit des Lebens und eine Zeit des Sterbens, und letztere war ihrer Meinung nach jetzt angebrochen. Dagegen konnte auch ein Rohrasch nichts unternehmen.

In kleinen Zügen trank die Loibl den von Esther zubereiteten Tee. Dankbar nahm sie einen Schluck nach dem anderen. Anschließend legte sie ihren Kopf ins Kissen zurück und wartete. Ein seltsames Hochgefühl erfasste sie. Es war getan! Nach 93 Jahren hier auf Erden, in denen sie viel gesehen, erlebt und überwunden hatte, freute sie sich jetzt auf die ihr bevorstehende Unendlichkeit.

Esther Friedrichsen setzte sich zu ihr ans Bett und hielt noch ein Pläuschchen.

„Du bist eine wahre Freundin“, ächzte die Loibl in ihren letzten Momenten.

„Ach, nicht der Rede wert!“, bedankte sich Esther für die netten Worte. „Wer, wenn nicht du, hat es verdient, in Frieden gehen zu dürfen?“ Ein schlechtes Gewissen hatte Esther Friedrichsen nicht. Für ihre Hilfsbereitschaft, die Loibl in die Hände Gottes zu übergeben, gab es keinen Grund, sich zu schämen.

Für manch einen wäre es freilich kein schöner Anblick gewesen, hatte die alte Loibl dann doch so einige Mühe mit dem Sterben gehabt. Es zwickte und zwackte etwas in ihrem Bauch, aber dank der Kamille war es nicht allzu schlimm. Als es schließlich vorbei war, lag sie fast schon lächelnd in ihrem Bett.

Fürsorglich nahm Esther Friedrichsen der Loibl die Tasse ab, schüttete den Rest in das Waschbecken, wusch sie sorgfältig aus und verstaute diese in der Tasche ihres fliederfarbenen Morgenrocks. Danach verabschiedete sie sich von der Loibl und versprach ihr, regelmäßig auf ihrem Grab Blumen abzulegen. Jeden Montag. Außer im Winter, da wuchsen bekanntlich keine Blumen auf der Wiese, aber ein Lichtlein würde sie immer anzünden.

Gemächlichen Schrittes trat Esther Friedrichsen auf den Gang hinaus und machte sich auf den Weg zurück in ihr Zimmer, um ihrer wohlverdienten Nachtruhe nachzukommen.

TEE macht tot

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