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Prolog

AN DEN SCHEIDEWEGEN DES LEBENS

STEHEN KEINE WEGWEISER.

CHARLIE CHAPLIN

Bedächtig ging sie, ohne sich umzudrehen, in Richtung Haustür. Ihre Hand auf der Türklinke hielt sie zögernd inne. Unzählige Male war sie schon durch diese Tür hinausgetreten, doch nun, mit dem Wissen, nie wieder hierher zurückzukehren, fiel es ihr schwer, sich auf den Weg zu machen. Nachdenklich hielt sie ihren Kopf zur Seite geneigt. Sollte sie sich noch ein einziges Mal umdrehen? Einen letzten Blick wagen?

Es war der winzige Moment, in dem sie die Küchenjalousie erblickte, bevor ihr Blick weiter wanderte, doch dieser Moment hatte ausgereicht, um sie entschlossen kehrt machen zu lassen. Letztlich hätte es ihr egal sein können, ob diese Jalousie oben oder unten war. Es war einfach die Gewohnheit, die sie hatte umkehren lassen. Nie war sie außer Haus gegangen, ohne dieses klemmende Ding halb herunterzulassen, und stets hatte sie sich darüber geärgert. Als sie nun an dem Seil zog, glitt die Jalousie mühelos herunter.

Esther Friedrichsen musste schmunzeln. Manche Dinge erforderten einfach ein bisschen Abstand, um reibungslos zu funktionieren.

„Ach herrje!“, murmelte sie vor sich hin. „Da muss ich erst 50 Jahre hier wohnen, um darauf zu kommen.“

Von unten hörte sie das bestellte Taxi hupen.

„Ich komme ja gleich!“, grummelte Esther, zog einen Stuhl unter dem Esstisch hervor und ließ sich darauf nieder. Leicht strich ihre Hand über den Tisch. Wie oft hatte sie an diesem dunklen Holztisch, der stets mit einem Strauß Wiesenblumen geschmückt war, gesessen? Ohne die Blumen und vor allem ohne ihren Karli wirkte er jetzt jedoch seltsam fremd.

Erneut hupte das Taxi. Esther stand auf und schob den Stuhl wieder ordentlich unter den Tisch.

Prüfend warf sie im Vorbeigehen noch einen Blick in einen der Küchenschränke. Sie musste sich auf Zehenspitzen stellen, um ganz hineinsehen zu können. Der Schrank war leer. Nicht ein Teller war übriggeblieben.

Alles, was etwas wert gewesen war, hatte sie verschenkt. Wie auf einem Flohmarkt war ihre Nachbarschaft in ihrer Wohnung umhergestreift, hatte in Schränken gestöbert und eingepackt, was sie glaubten, gebrauchen zu können, oder von dem sie meinten, daraus Geld machen zu können. Esther Friedrichsen hatte das nicht gestört. Ihre Erinnerungen bewahrte sie schließlich in ihrem Kopf auf und nicht in Schränken.

Dort, wo sie nun hinging, brauchte sie von all den Dingen ohnehin nichts mehr, und das, was sie benötigte, hatte sie in zwei Koffern verstaut. In einem befanden sich, fein säuberlich verpackt, ihre Kräuter, in dem anderen ihre Kleidung.

Wehmütig schlenderte sie endgültig zur Wohnungstür und zog sie hinter sich zu. Den Schlüssel, den sie sonst so sorgfältig in ihre Tasche packte, warf sie heute in den Briefkasten.

Unwillig sah der Taxifahrer sie an, als sie endlich auf der Rückbank Platz nahm.

„Wo soll´s hingehen?“, fragte er mürrisch. Unendlich genervt, mit welcher Ruhe sie im Leben umhertrabte.

„St. Benedikta, das liegt beim …“, antwortete Esther leise.

„Ich weiß, am Starnberger See. Meine Mutter war auch dort.“ Der Blick des Fahrers wurde freundlicher. „Ihr Umzug nach St. Benedikta?“

Mit wässrigen Augen nickte Esther Friedrichsen. Ja, das sei die letzte Station ihres Lebens, meinte sie. Melancholisch guckte Esther noch einmal zurück. Zurück auf ihr altes Leben, zurück auf ihren alten Wohnblock in ihrem alten Wohnviertel. Dann atmete sie tief durch, versuchte mit aller Kraft, die trüben Gedanken wegzuwischen und wandte sich wieder dem Fahrer zu, der sie in ihr neues Leben befördern sollte.

TEE macht tot

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