Читать книгу TEE macht tot - Monika Clayton - Страница 5

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2. Kapitel

Heiß und drückend lastete die Sommerhitze über Starnberg. Seit drei Wochen war kaum Regen gefallen; die Luft flirrte.

Balthasar Sebastian Rohrasch ruhte mit seiner Mutter im Garten unter dem Sonnenschirm auf den hölzernen Liegestühlen, auf denen er schon in seiner Kindheit gelegen hatte. Jeden Morgen bei Sonnenschein stellte die Mutter die Stühle auf; jeden Abend klappte sie sie wieder zusammen und räumte sie ordentlich in den Schuppen. Die Belange von Haus und Garten hielt sie in ihren Händen. So war es schon gewesen, seit er denken konnte.

Die Möbel, die Balthasar Sebastian Rohrasch aus seiner Kindheit kannte, standen auch in seinem Erwachsenenalter an ihrem Platz. Unverändert. Alles wirkte sauber, gepflegt, fast neu. Selbst die Betten überzog seine Mutter Tag für Tag frisch. Im Sommer hing die Bettwäsche im Garten, im Winter im Keller. Nie hatte sie gejammert, dass ihr die Arbeit zu viel wurde, nie gab es einen Tag, an dem sie nicht die Betten frisch überzog.

Stöhnend hielt sich Mutter Rohrasch die Hand an die Stirn und klagte über die entsetzliche Schwüle.

Balthasar Sebastian Rohrasch blickte von seinem Laptop auf, der sich auf seinem Schoß befand.

Ihr sonst so hübsch frisiertes Haar klebte förmlich an ihrem Kopf. Sie wirkte blass; ihre Beine zitterten, als sie aufstand, um im Haus Schutz vor der Hitze zu suchen.

Verwundert guckte Balthasar ihr nach. Derartiges war er von ihr ganz und gar nicht gewohnt. Egal, ob es heiß oder kalt war, seine Mutter war immer damit zurechtgekommen, und falls es nicht so gewesen sein mochte, hatte sie es sich zumindest nie anmerken lassen. Doch an diesem Tag legte sie sich schon während des Nachmittags hin, um sich etwas zu erholen, wie sie sagte.

Sicherlich ist es nur ein kleiner Infekt, überlegte er. Sicherlich nichts, worüber man länger nachdenken musste. Balthasar Sebastian Rohrasch wandte sich wieder seinem Rechner zu und gab sich einigen Netzrecherchen hin.

Erst am späten Nachmittag stand Mutter Rohrasch, frisch und ausgeruht, wieder auf. Körperlich zwar voller Elan, aber doch wortkarg wanderte sie im Garten umher, zupfte hier und da etwas Unkraut und erntete einige ihrer selbst gezogenen Tomaten. Danach verschwand sie in die Küche, um das Abendessen zu richten. Gemeinsam saßen sie am Tisch.

„Hast du dir etwas eingefangen?“, fragte Balthasar seine Mutter beiläufig. „Du warst heute sehr still.“

„Ich glaube nicht“, erwiderte sie, „es ist wahrscheinlich nur das Alter.“ Tief seufzte sie auf. „In meinem Alter können einem solch heiße Tage doch sehr zusetzen.“

„Was meinst du damit? Seit wann bist du in diesem Alter?“ Gedankenverloren holte er die Wurst vom Brot und schob sie sich in den Mund. Mit alten Menschen hatte er noch nie etwas zu tun gehabt. Sein Vater war ja erst 56 Jahre gewesen, als er starb; und seine Mutter war bisher topfit gewesen, was ihn über ihren Jahrgang nie besonders hatte nachdenken lassen. Deshalb war er einigermaßen darüber verblüfft, dass seine Mutter so etwas zur Sprache brachte.

Liebevoll tätschelte sie daraufhin seine Wange. „Was glaubst du denn? Dass ich ewig jung bleibe?“

Natürlich glaubte er das nicht, es war aber auch nicht so, dass er sich bisher dafür interessiert hatte.

***

Langsam kroch die Nacht hervor, und als Balthasar Sebastian Rohrasch seinen Rechner endlich herunterfuhr, war es 23:00 Uhr. Laut gähnend legte er sich in sein frisch bezogenes und gestärktes Bett, das Mutter Rohrasch für ihn gerichtet hatte. Er glaubte, gerade erst eingeschlafen zu sein, als er durch irgendetwas geweckt wurde.

Der Vollmond tauchte das Zimmer in ein diffuses Licht, der Wind blies durch die Baumkronen, die vor seinem Fenster zu sehen waren; und gerade wie in einem Horrorfilm hörte er erneut das Geräusch, das ihn geweckt hatte. Leise knarzte das Parkett. Irgendwer oder irgendetwas näherte sich seinem Bett. Kurzzeitig hielt er den Atem an.

Durch den Schleier seiner vom Schlaf verklebten Augen nahm er eine Gestalt in weißem Gewand wahr. Eine krächzende Stimme bedeutete ihm, dass es an der Zeit wäre. Er müsse jetzt aufstehen.

„Heilige Maria Mutter Gottes!“, hauchte er und schlug ein Kreuzzeichen. Innerhalb von Sekunden fühlte er, wie sich sein Blut wie Eiswürfel durch seine Adern presste. Unfähig sich zu rühren, lag er einfach nur da. Fest kniff er die Augen zusammen. Er wollte nicht sehen, was da vor ihm stand.

„Es ist Zeit für dich. Steh auf! Du musst dich auf den Weg machen!“, krächzte die Gestalt abermals. Doch nun etwas ungehaltener.

Der Tod hat es aber eilig, dachte sich Balthasar. Vorsichtig blinzelte er unter seiner Decke hervor. Der Tod hat weißes Haar.

Eine Hand griff nach seiner Schulter und schüttelte ihn. Ein Schauer durchfuhr Sebastian Balthasar Rohrasch. So fühlte sie sich also an, die Klaue des Todes, schoss es ihm weiter durch den Kopf. Er wollte aber noch nicht sterben, nicht jetzt, nicht heute. Er spürte den Kloß in seinem Hals; Schweiß trat ihm auf die Stirn. Völlig aufgelöst, zog er sich in der Verzweiflung eines Verlorenen die Bettdecke wieder über den Kopf und wimmerte: „Nein, geh weg, bitte, bitte, ich will noch nicht sterben! Nein, nein, geh weg!“ Schluchzend rollte er sich auf die andere Seite des Bettes. Und was dann geschah, war ihm selbst vor Gevatter Tod peinlich.

Die Angst ließ den Druck auf seiner Blase unerträglich werden. Verzweifelt versuchte Balthasar zu halten, was nicht mehr zu halten war.

Ein großer nasser Fleck bildete sich unter ihm, der sich unermüdlich weitläufig auf dem Laken ausbreitete, um schließlich in der Matratze zu versickern. Ein beißender Geruch breitete sich im Zimmer aus.

„Du solltest dich was schämen!“, dröhnte plötzlich die Stimme seiner Mutter in seinen Ohren. „Was bist du nur für ein Ferkel. Man möchte meinen, du bist gerade fünf Jahre alt.“

Da realisierte Balthasar erst, dass er es nicht mit dem Tod höchstpersönlich zu tun hatte, sondern, dass die Gestalt im weißen Gewand wahrhaftig seine Mutter im Nachthemd war.

Energisch zog seine Mutter die Decke weg. Sie ermahnte ihn, jetzt endlich aufzustehen und sich für die Arbeit fertigzumachen, der Frühstückstisch sei schon gedeckt. Angesichts der nassen Bettdecke in ihren Händen schüttelte sie ihren Kopf und streifte den Bezug ab. „Nein, nein, nein, dass ich sowas nochmal erleben muss!“, seufzte sie vor sich hin.

Balthasar Sebastian Rohrasch, der nun endgültig wach war, schaute auf seine Uhr. „Mutter!“, rüffelte er los. „Es ist zwei Uhr morgens! Bist du von allen guten Geistern verlassen?“

„Pah, was du redest! Geh dich waschen, und dann komm zum Frühstück!“, schimpfte sie, drehte sich mit fliegendem Nachthemd herum und ging.

Während Balthasar Sebastian Rohrasch im Bad verschwand und sich einen frischen Schlafanzug überzog, hörte er seine Mutter mit den Kaffeetassen klimpern. Widerwillig trottete er in die Küche und nahm die Tasse Kaffee, die ihm gereicht wurde, entgegen. Müde setzte er sich an den Küchentisch und ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Fast wäre er in dieser Position eingeschlafen, als es unter ihm rumste.

Verdutzt blickte er auf und merkte, wie seine Mutter mit dem Wischmopp in der Hand den Küchenboden scheuerte. Dabei schlug sie unaufhörlich gegen sein Stuhlbein. Solange, bis er endlich aufstand, den Stuhl anhob und sie an der Stelle putzen ließ, die ihr gerade so wichtig zu sein schien. Danach lud sie wie selbstverständlich die Wäsche in die Waschmaschine.

Sprachlos sah Balthasar ihr zu.

Nachdem sie fertig war, gab sie ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn, wünschte ihm einen schönen Tag und legte sich wieder schlafen.

Bedröppelt blieb er am Tisch sitzen und überlegte sich eine Weile, was ihm an dem soeben Geschehenen seltsam vorkam. Ohne zu einem nennenswertes Ergebnis gekommen zu sein, legte er sich ebenfalls wieder hin. Er hatte immerhin noch gut dreieinhalb Stunden, bis er wirklich aufstehen musste.

Am nächsten Morgen wischte er die seltsame Nacht aus seinen Gedanken und fuhr gerädert zur Arbeit. Unendlich lange kam ihm dieser Arbeitstag vor, doch einmal würde er eine um die Ohren geschlagene Nacht schon überstehen, glaubte er.

Als er abends sein Schlafzimmer betrat, staunte er nicht schlecht. Denn weder war sein Bett frisch überzogen, noch überhaupt gemacht. So wie er es verlassen hatte, fand er es vor. Mit Knitterfalten im Laken musste er sich noch nie schlafen legen.

Sicherlich steckte seiner Mutter der Schlafmangel ebenfalls in den Knochen, suchte er eine Entschuldigung für das ungemachte Bett. Weiter kam er nicht, denn gleich darauf war er auch schon eingeschlafen.

Dass sich das Szenario der letzten Nacht jedoch wiederholen und wiederholen sollte, daran hätte er im Traum nicht gedacht.

Regelmäßig, gegen zwei Uhr, bekam er Besuch, und bereits im Morgengrauen zog der Duft von Sellerie, Knoblauch oder Zwiebeln durch das Haus. Warum nicht wenigstens Kuchen, verzweifelte er.

Unzählige Erklärungsversuche, dass es mitten in der Nacht sei, prallten auf Unverständnis. Zum ersten Mal war Balthasar Sebastian Rohrasch ratlos. All seine Analysen und Statistiken halfen ihm in diesem Fall nicht weiter, so sehr er sich auch bemühte. Über alte Menschen wusste er einfach zu wenig. Und während er sich unermüdlich von den Gewohnheiten, Krankheiten und Eigenheiten alter Menschen ein Bild zu machen versuchte, schritt die senile Bettflucht seiner Mutter unaufhaltsam voran.

Balthasar recherchierte. Tief im Netz glaubte er dann, die Lösung seines Problems endlich gefunden zu haben. Er verbot seiner Mutter sich tagsüber hinzulegen.

Vielleicht hätte es funktioniert, hätte sich nicht auch noch eine Krankheit hinzugesellt, die weitläufig als die Alzheimer-Krankheit bekannt war. Wieder fing er bei Null an und war keineswegs auf das vorbereitet, was ihn noch erwartete.

Eines Nachts, er befand sich im Tiefschlaf, traf ihn völlig unvorbereitet etwa Hartes auf den Kopf. Der Schreck und der höllische Schmerz ließen ihn aus dem Bett springen, was seine Mutter als Angriff auf ihre Person verstand. Und weil sie nicht wusste, wer er war und was er hier zu suchen hatte, holte sie erneut aus und traf ihn abermals. Sie schlug und schlug.

Balthasar Sebastian Rohrasch blieb nichts anderes übrig, als abzuhauen. Seinem alten Mütterchen hätte er diese Kraft, die sich in ihren Schlägen offenbarte, niemals zugetraut, doch von da an wusste er, dass man ein altes Mütterchen keinesfalls unterschätzen durfte. Die blauen Flecken, die er davon trug, taten ihm Tage danach noch weh.

Um ihrem nächsten Angriff vorzubeugen und um sie zu irritieren, richtete er sich ein Schlaflager in seinem Computerzimmer ein. Doch auch den Sherlock-Holmes-Instinkt eines alten Mütterchen durfte man nicht unterschätzen: Natürlich spürte sie ihn auf und briet ihm eins über. Daraufhin versteckte er ihren Besen, den sie jedoch genauso entdeckte wie ihn.

Er liebte seine Mutter wirklich, doch welche Alternativen hatte er noch?

Völlig überfordert warf er den Besen in den Kamin und ersetzte diesen durch einen Plastikfeger. Doch wenn er geglaubt hatte, dass nun ein schmerzfreies Schlafen möglich sei, irrte er sich gewaltig.

Wie gewaltig spürte er, als Mutter Rohrasch mit dem Nudelholz den vermeintlichen Eindringling aus ihrem Haus verjagte. Da jedoch Angriffe mit dem Nudelholz weit schlimmer waren und mehr Schmerzen verursachten, kaufte er ihr einen neuen Holzbesen, den er zu seinem eigenen Schutz mit Schaumstoff überzog.

TEE macht tot

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