Читать книгу Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner - Страница 12

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Kapitel 5

»Adrian!«

»Ich weiß, Helena, ich bin ja jetzt hier.«

Marzena kommt mit einem Eimer Wasser und einem Becher zurück. Sie gießt etwas ein und hält Kolja den Becher hin.

»Hier, trink etwas!«

»Hm?«

Er öffnet nur halb die Augen, wirkt benommen. Gemeinsam flößen Marzena und ich ihm ein paar Schlucke ein. Wenigstens hustet er nicht wieder. Ich taste am Hals nach seinem Puls – und finde keinen. Bevor die Panik mich überrollen kann, versuche ich es an seinem Handgelenk. Da ist er ja, wenn auch beunruhigend schwach.

»Wir brauchen eine Ärztin!«

Marzena und Adrian tauschen einen verzweifelten Blick.

»Wir haben keine.«

»Dann … besorgt eine, ist mir doch scheißegal«, schreie ich. »Seht ihr denn nicht, wie schlecht es ihm geht?«

»Ist ja gut, Helena, wir finden eine Lösung!«

Er dreht sich um.

»Marzena, geh! Schick mir wen du willst, aber komm nicht wieder her. Kümmere dich um die anderen, wir müssen weg hier.«

Die Klammer um meine Brust zieht sich enger zusammen.

»Denkst du, es könnte etwas Ansteckendes sein?«

»Ich weiß es nicht.«

Schwäche, Müdigkeit, Bluthusten …

»Schwindsucht?«

Adrian schüttelt den Kopf. »Wo sollte er sich angesteckt haben?«

»Aber was ist es dann?«.

»Ich weiß es nicht. Das Naheliegendste wäre etwas mit der Lunge, denke ich.«

Meine Gedanken rasen. »Was hilft dabei?«

»Was meinst du?«

»Wir haben keine Heilmagie«, erkläre ich so ruhig ich kann. »Aber die haben andere auch nicht. Ganze verdammte Länder mit ihrem Scheiß-Magieverbot leben ja auch noch, also muss es doch irgendwelche Heilkräuter oder was-weiß-ich-was geben!«

»Salbei«, krächzt Kolja mit geschlossenen Augen. »Zitrone, Ingwer, Pfefferminze. Honig.«

»Haben wir sowas da?«

»Kann schon sein«, ich höre die Verzweiflung in Adrians Stimme, »aber ich kann jetzt keinen Tee kochen. Helena, wir müssen weg! Die Garde wird bald hier sein!«

»Soll ich meinen Sohn deswegen sterben lassen?« Ein Gedanke formt sich. »Die Südgarde hat Ärztinnen!«

»Helena, sei vernünftig!« Adrian legt mir eine Hand auf den Arm. »Sie würden euch beide einsperren!«

Ich schüttele seine Hand ab. »Soll Kolja etwa so enden wie Chris?«

Der Anführer zuckt zusammen. Vielleicht war es nicht fair, seinen Freund ins Spiel zu bringen, der sich mit der Wutkrankheit infiziert hatte und ohne heilmagische Behandlung an deren Folgen gestorben war.

»Du hast recht«, sagt er leise. »Besser so, als dass er stirbt. Ich bleibe bei euch.«

»Das wirst du nicht!«

»Ich lasse dich und den Jungen nicht im Stich!«

»Aber Marzena und das Baby?«

»Ach verdammt!«

»Ich habe hier was!« Simone kommt ins Zelt gestürmt, in der Hand eine Kette. Sie deutet auf den Anhänger: »Wir haben alles durchsucht, Helena, hier drin ist Heilmagie! Nicht viel, aber … !«

Fast hätte ich ihr das Ding aus der Hand gerissen.

»Woher… ? Ach egal! Mach schon, schnell!«

Koljas Atem ist wieder in ein leises Röcheln übergegangen. Entsetzt sehe ich, wie erneut ein dünner Blutfaden aus seinem Mundwinkel rinnt.

»Simone!«

Die Frau zögert. »Helena, ich habe so etwas noch nie gemacht! Es ist gerade mal drei Jahre her, dass meine Magie erweckt wurde. Ich bin ja froh, dass ich mit meiner eigenen Magie klarkomme!«

Ich habe jetzt keine Zeit für so einen Scheiß! »Gib her!«

Ich reiße ihr die Kette aus den Händen. Sie zerreißt, aber egal, auf den Anhänger kommt es an! Darin steckt der Magiespeicherstein, in dem sich die Heilmagie befindet.

Für einen winzigen Moment halte ich inne. Es ist fast drei Jahre her, dass ich Magie angewandt habe. Ich hätte jederzeit versuchen können, welche aus einem Speicherstein zu ziehen, doch ich hatte nie gewollt. Auf die Magie anderer Frauen angewiesen zu sein, kam mir unfassbar demütigend vor. Jetzt danke ich der Göttin und allen Rebellinnen dafür.

Es ist wie ein Nachhausekommen.

Ich greife nach der Magie in dem Stein, als würde sie vor mir liegen. Nehme sie in mir auf und verspüre ein unfassbar triumphales Gefühl. Baby, ich bin wieder da!

Süße Macht rauscht durch meine Adern. Keine Ahnung, was ich mir da alles genommen habe. Die Frauen werden darauf geachtet haben, nur miteinander verträgliche Magiearten in den Stein eingespeist zu haben. Da mache ich mir keine Sorgen. Und selbst wenn, ich hätte mir in diesem Moment alles genommen, egal, mit welchen Konsequenzen!

Kein Vergleich kann beschreiben, wie es sich anfühlt, nach all der Zeit wieder Magie zu haben! Alles verblasst und erscheint nichtig dagegen. Fast alles.

»Weg!«, sage ich und eine Magie in mir – Wind? – fegt Adrian aus dem Weg, als wäre er nicht viel mehr als ein winziges Kätzchen.

Ich brauche die Heilmagie nicht zu suchen: Mein Herz drängt nach meinem Sohn und sie folgt ihm.

Ich habe nie gelernt, wie man Heilmagie anwendet. Das macht nichts, vieles geht da intuitiv. Das Problem ist nur, dass ich die Magie nicht in Kolja aufrechterhalten kann. Was immer ich also vorfinde, muss ich irgendwie von der Magie so richten lassen, dass es hält, wenn ich sie wieder loslasse.

Aufgeregte Schreie dringen an mein Ohr. Die Garde wird bald hier sein, ich muss mich beeilen! Ich spüre mit jeder Faser meines Seins, wie sie näher kommen. Adrian hat sich wieder aufgerappelt und hält Koljas Hand. Ich liebe Marzena, aber ich werde ihn nicht noch einmal wegschicken.

Ich öffne meine Sinne und greife nach Kolja. Lasse die Heilmagie zunächst nur als winzigen Strahl in ihn hinein gleiten. Erst muss ich wissen, womit ich es zu tun habe!

Die Magie berührt ihn, dringt in ihn ein und zuckt zurück. Fast hätte ich aufgeschrien, so hastig kommt die Kraft auf meinen Befehl hin zurück zu mir.

»Adrian!«, rufe ich, »hol Désirée! Schnell!«

Er hastet weg, ohne Fragen zu stellen. Guter Mann.

Ich nehme Koljas Hand in meine Linke und den Speicherstein in meine Rechte.

»Mojserce? Bist du wach? Hörst du mich?«

Er stöhnt, seine Augen bleiben geschlossen. Verdammter Mist! Wenn er wach wäre, könnte er sich selbst heilen! Jetzt, da ich weiß, was meinen Sohn krank macht, kann ich ihm helfen. Ich muss es können!

Ich greife mit der ersten Magie aus, die ich finde: Wind. Nur wie soll ich sie benutzen, ohne dass sie Kolja berührt? Kann ich sie saugen lassen?

»Helena!« Désirée, der Göttin sei Dank! »Er hat eine Magievergiftung«, keuche ich. »Es muss alles raus! Ich kann nichts tun, kannst du?«

»Lass mich da hin!«

Désirée schubst mich weg und nimmt Koljas Hände. Ein konzentrierter Ausdruck erscheint auf ihrem Gesicht. Ich weiß, dass sie damals als Koljas Lehrerin ausgewählt worden war, weil sie über Rauchmagie verfügt. Damit ist sie in der Lage, sich und andere vor Magie zu schützen, indem sie durch abertausende Partikel fremde Magien absorbiert. Wenn sie meinem Sohn nicht helfen kann, dann …

»Ich habe was«, flüstert Désirée. Sie ist bleich und ich sehe Schweißtropfen auf ihrer Stirn. »Aber die andere, ich bekomme sie einfach nicht zu fassen. Die Magie ist zu glitschig.«

Glitschig?

»Du hast Rauch, stimmt`s?«

»Ja.«

»Hier«, ich reiche ihr den Speicherstein. »Benutz das Eis darin, um die Partikel in deinem Rauch einzufrieren. Dann rutschen sie nicht ab!«

Die Rebellin nickt. »Gute Idee!«

Was auch immer sie tut, sie macht es rasch. Farbe kehrt in Koljas Gesicht zurück und sein flacher Atem wird wieder tiefer. Er öffnet die Augen.

»Mama!«

»Sch, alles ist gut, mein Schatz!«

Adrian beginnt, ein paar Dinge in meinen Rucksack zu stopfen.

»Helena!«

»Ich weiß.«

Er schaut zu Désirée. »Kann er fliehen?«

Sie nickt. »Er schafft das, ich habe fast alles erwischt. Helena hatte recht, es ist eine Magievergiftung. Er wird wieder.«

Große Göttin, ich danke dir!

Adrian reicht den Rucksack an Désirée weiter und hilft mir, Kolja auf die Beine zu bekommen. Höchste Zeit: Das Lager ist mit Ausnahme von uns und Simone leer.

»Macht schnell«, keucht sie. »Hier entlang!«

Ohne uns abgesprochen zu haben, vereinen Simone, Désirée und ich unsere Magie und schaffen es so, Kolja neben uns her schweben zu lassen.

Adrian sprintet zu seinem Zelt, holt eine weitere Tasche und dann rennen wir, so schnell die Göttin uns lässt, in den tiefen, dunklen Wald.

Als wir den Treffpunkt Sumpfeiche, eine von außen nicht einsehbare Höhle, erreichen, sind wir alle am Ende unserer Kräfte. Hätten mir Désirée und Simone nicht geholfen, ich hätte Kolja nie hier hochbekommen. Es sind bereits einige Rebellinnen da, die nach uns Ausschau gehalten und Wachen postiert haben. Adrian schließt wortlos Marzena in die Arme, die an seiner Schulter schluchzt. Corey und ein paar andere nehmen uns Kolja am Höhleneingang ab, tragen ihn behutsam auf ein Lager aus Decken. Désirée, Simone und ich schleppen uns irgendwie ins Innere und lassen uns dann einfach irgendwo fallen. Es ist so herrlich warm hier drinnen, dass die anderen lange vor uns hier gewesen sein müssen.

»Hier, Helena, trink das!« Marzena hält mir einen Becher an die Lippen. Heißer Apfelwein.

»Ich liebe dich!«, erkläre ich der Frau und trinke einen Schluck.

Marzena lacht leise.

»Ich bin so froh, dass ihr hier seid. Und Kolja wird wieder gesund?«

Ich nicke.

»Ich schäme mich.« Sie senkt den Blick. »Ich hätte mich nicht wegschicken lassen dürfen.«

»Adrian hatte nur Angst um dich und das Baby.«

»Und?«

»Sei ihm nicht böse.«

»Bin ich nicht. Dafür bin ich viel zu erschöpft.«

Sie lächelt und faltet ihre Hände über dem Bauch.

»Dann ist ja gut.« Soll ich? Ach komm, besser jetzt, als morgen. »Und ich hätte ihn wegschicken sollen.«

»Hm. Hast du es denn versucht?«

»Ja. Nein. Ach, nicht wirklich.«

»Er wäre sowieso nicht weggegangen. Ihr gehört zu unserer Familie.«

»Stimmt.« Ich leere den Becher. »Wo ist Kolja?«

»Da hinten, tiefer in der Höhle, wo das Feuer ist.«

»Passt du auf ihn auf?«

»Das werde ich, Helena, versprochen!«

»Und weck mich, wenn was ist.«

»Mach ich. Jetzt schlaf.«

Außer den Wachen verlässt keine die Höhle. Sie ist gut genug getarnt, um die Garde in die Irre zu führen. Dank des schmalen Eingangs reicht eine Frau aus, um uns magisch abzuschirmen. Nach wie vor verlassen sich die Rebellinnen darauf, dass die Garde unmöglich das ganze Gebiet nach Leben absuchen kann. Solche Magie ist hoch anstrengend und unterscheidet zudem nicht zwischen Mensch und Tier. In der Höhle, die recht schmal, dafür aber tief ist, sind wir überdies von drei Seiten von meterdickem Stein umgeben. Da kommt keine so schnell durch. Von vorne sind wir für eine magische Wahrnehmung sozusagen hintereinander gestapelt. Das dürfte die Dinge um Einiges verkomplizieren.

Das Feuer in der Höhle wird klein gehalten, gekocht oder gebraten wird nicht. Einzige Ausnahme sind die Tees, die Marzena rund um die Uhr für Kolja zubereitet. Anfangs war ihm dieser Mehraufwand sichtlich unangenehm – auch beim Teekochen muss eine Frau dann ständig daneben stehen und die Gerüche daran hindern, die Höhle zu verlassen – doch nach und nach hatten auch die anderen Interesse an dem Heißgetränk bekundet, eine willkommene Abwechslung zu der kalten Rohkost, mit der wir Vorlieb nehmen müssen, und Koljas schwacher Protest wurde einfach ignoriert.

Wäre ich nicht so mit meinem Jungen beschäftigt gewesen, ich hätte mich wohl zu Tode gelangweilt. Kolja war noch nie ernsthaft krank, seit er bei mir ist. Mit Verblüffung stelle ich fest, wie zeitaufwendig, nervenaufreibend und kräftezehrend so eine Krankenbetreuung ist. Doch woher hätte ich das auch wissen sollen? Sowas ist Zuhause gemeinhin Männersache und auch in den Krankenhäusern sind es meist Männer, die sich neben den Ärztinnen um Kranke und Verwundete kümmern. Ich möchte aber gar nicht, dass sich wer anders um meinen Sohn kümmert. Ich bin seine Mutter, schlimm genug, dass ich mich bei seinem Befinden so fatal verschätzt habe. Bei der Göttin, ich werde es wieder gut machen!

Kolja kommt langsam wieder zu Kräften. Désirée berät sich mit einigen anderen Rebellinnen, die wie ich Erfahrung damit haben, fremde Magie aus einem Speicherstein zu ziehen. Widerwillig erlaube ich einigen, Kolja ebenfalls zu untersuchen. Wir sind uns einig, was die Magievergiftung anbelangt; was wir nicht wissen ist, wie es dazu kam.

Hexenherz. Goldener Tod

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