Читать книгу Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner - Страница 16

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Kapitel 9

»Sie heißt Frau NicMara«, stößt Kolja hervor, »und sie schuldet mir noch einen Gefallen! Außerdem ist sie ganz schön gierig. Wenn wir sie also gut bezahlen … «

Ich nicke. »Kolja hat recht! Damals die Adoption, da hat sie auch keine Fragen gestellt. Gut, oder doch, eine. Aber mehr auch nicht. Sie war neugierig, aber der Lohn war ihr wichtiger.«

Marzenas Augen glitzern. »Sie ist käuflich?«

»Aber sowas von!« Kolja nickt eifrig. »Die schreckt vor nichts zurück, um sich ein paar Taler dazu zu verdienen.«

»Woher weißt du das?«

Adrian und die Rebellinnen starren Kolja neugierig an. Offenbar hat er ihnen nicht alles über seinen Aufenthalt in der Hauptstadt erzählt.

Ich stupse meinen Sohn an. Er erwidert meinen Blick und nickt.

»Weil er mit ihr zu tun hatte«, erkläre ich. »Als er in Annaburg war. Sie hatte ihn erkannt, ist aber zum Glück davon ausgegangen, dass er sich als Fräulein tarnt. Doch ob Frau oder Fräulein: Sich als weiblichen Mensch zu verkleiden, darauf steht die Todesstrafe. Also hat sie ihn damit erpresst.«

»Was?« Simone schüttelt den Kopf. »Wahnsinn, Mensch, wieso bist du dann nicht geflohen?«

Kolja reckt das Kinn. Einige Leute sagen, das hat er von mir.

»Ich war in Annaburg, um etwas über meinen Vater herauszufinden. Nicht, um beim kleinsten Problem aufzugeben.«

Ich spüre, wie sich ein stolzes Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet. Das ist mein Junge!

»Sie hat mich erpresst, aber ich habe verhandelt.« Kolja lächelt mir zu. »So, wie Mama es mir beigebracht hat. Ich habe mit Frau NicMara eine Vereinbarung getroffen, und so hat sie mich schließlich in Ruhe gelassen.«

»Und was war das für eine Vereinbarung?«

Ich kann es Adrian nicht verdenken, dass er das wissen möchte, aber ich muss auch meinen Sohn beschützen.

»Ist gut jetzt!«, sage ich bestimmt. »Das tut jetzt nichts zur Sache. Und wir reden auch nicht gern darüber, also lass Kolja in Ruhe damit! Wichtig ist doch, dass wir eine Bluthexe kennen, die käuflich ist und ganz allgemein wenig Skrupel hat. Perfekt also für unsere Zwecke, würde ich sagen.«

Der Anführer nickt. »Stimmt.«

»Immer vorausgesetzt«, schnarrt Gero, »dass Helena überhaupt recht hat. Bis jetzt ist das ja wohl nichts weiter als eine unbewiesene Theorie. Eine recht konfuse Theorie, wie ich anmerken möchte.« Er schaut mich herablassend an. »Ich meine, mal ernsthaft: Wie wahrscheinlich ist das, dass es daran liegt? Viel mehr vermute ich, dass unser Kolja hier irgendeinen Gendefekt oder sowas hat.«

»Vorsicht!« Ich lasse Koljas Hand los. »Ganz vorsichtig, mein Freund. Sag noch einmal etwas gegen meinen Sohn, und … «

»Und was?« Noch immer versucht Gero, einen auf starke Mackerin zu machen, weicht aber dennoch zurück, als ich vortrete.

»Das wirst du dann sehen. Oder besser gesagt, spüren.« Ich brauche keine Magie, um einem Mann seinen Platz in der Welt zu zeigen.

Der Rebell macht wieder einen Schritt vorwärts. »Ach ja? Lass mich raten: Das ist keine Drohung, sondern ein Ratschlag!«

»Nö.« Ich blecke die Zähne. »Das war sehr wohl eine Drohung! Sag noch einmal was gegen meinen Jungen und ich tue dir weh. So einfach ist das.«

»Mama!« – »Helena!«

Kolja und Adrian reden gleichzeitig auf mich ein, aber ich winke ab.

»Schon gut. Musste aber mal gesagt werden. Und jetzt, bitte, kann eine diesen Vollpfosten wegschicken, damit wir uns in Ruhe unterhalten können?«

Ich ignoriere Adrians bittenden Blick. Wir hatten dieses Thema schon mehrfach: In so einer kleinen Gruppe, deren Überleben davon abhängt, dass alle zusammenhalten, können persönliche Aversionen ein echtes Problem werden. Ich schwöre bei der Göttin, ich hab`s versucht! Sowohl mit Gero, als auch mit Corey – der immerhin einen guten Grund hat, mich zu hassen. Vor ein paar Jahren habe ich Rebellinnen an die Nordgarde verraten; beim anschließenden Kampf kam Coreys Mutter Glenna ums Leben. Nicht, dass ich Corey vorher gemocht hätte, aber ich kann ihn verstehen und lasse ihn in Ruhe. Gero dagegen hatte es sich bereits von der ersten Sekunde an mit mir verscherzt, bevor ich ihn gesehen hatte: Wer mich weckt, indem er mir eine Knarre vors Gesicht hält, muss mit meinem Unmut rechnen. Dass der feine Herr zusätzlich zu dumm war zu erkennen, dass er mir da eine ganz miserable Fälschung einer Sidana an den Kopf hielt, hatte meine Meinung über ihn nicht unbedingt positiv beeinflusst. Seitdem hat er nichts getan, was daran etwas geändert haben könnte. Dass wir nun auf derselben Seite stehen, hätte die Dinge ändern können, hat es aber nicht. Gero ist und bleibt ein Vollpfosten und da er nicht so schlau ist, mir einfach, wie Corey es tut, aus dem Weg zu gehen, geraten wir immer wieder aneinander. Mittlerweile ist es für mich auch nicht mehr vorstellbar, dass ich ihn einmal betrauert habe: Nach dem Kampf, bei dem wir Adrian und einige andere aus dem Männerturm in Annaburg befreit hatten, war Gero verletzt worden. Da so viele dabei gestorben waren, hatte ich angenommen, dass es ihn auch erwischt hatte. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass es ausgerechnet Gero schaffen würde, verwundet und auf eigene Faust durch die Wälder zu flüchten und sich bis zu einem sicheren Treffpunkt durchzuschlagen. Als ich ihn für tot hielt, habe ich aufrichtig um ihn getrauert – heute würde ich ihn mit Freude gegen jeden einzelnen der Gefallenen eintauschen. Gero weiß das, aber das macht nichts: Unsere Gefühle beruhen auf absoluter Gegenseitigkeit.

Ein beunruhigender Gedanke taucht unvermittelt in mir auf: Was, wenn ich gerade mein eigenes Todesurteil unterschrieben habe? Was, wenn ich recht habe und die Rebellinnen es nun tatsächlich schaffen, mit Frau NicMaras Hilfe auch Männern die Anwendung von Magie zu ermöglichen?

Ich habe keine Angst vor Gero, aber wenn er Magie hat und ich nicht … sieht die Sache anders aus. Ganz anders.

Wir überlegen eine Weile hin und her, doch im Grunde ist die Sache klar.

»Eine muss nach Annaburg reisen und diese Frau NicMara davon überzeugen, mitzukommen«, fasst Adrian zusammen. »Wir vereinbaren einen Treffpunkt und versuchen es dann zunächst mit einer Frau, die bereits Magie verwendet und einem Mann.« Eine Frau IST eine Person, die Magie verwendet, doch unter den Rebellen wird die Bezeichnung für jeden erwachsenen weiblichen Menschen verwendet. Ich gebe zu, das irritiert mich immer noch. »Wenn es klappt«, fährt der Anführer fort, »können wir mit anderen weiter machen.«

»Stellst du dir das nicht etwas zu einfach vor?« Marzena runzelt die Stirn. Eine Hand hat sie schützend auf ihren Bauch gelegt. »Immerhin darf die Bluthexe nichts davon mitbekommen, wieso wir die Adoptionen vornehmen möchten.«

»Das bekommen wir schon hin.«

»Und überhaupt«, mischt sich Simone ein, »warum lügen wir nicht einfach? Helena hat damals Kolja adoptiert, damit sie vor Gericht nicht über ihn aussagen muss. Wir könnten der Bluthexe gegenüber denselben Grund anführen.«

»Was uns dann aber in die Bredouille bringen könnte, was ihren Eid gegenüber der Goldenen Frau betrifft.« Adrian schüttelt den Kopf. »Die Goldene Frau führt zwar offiziell nicht den Vorsitz über das Goldene Gericht, sondern ist wie alle anderen auch an die Gesetze gebunden, aber ich will das Risiko nicht eingehen, dass Frau NicMara das anders sieht. Nein, wir bleiben dabei, dass wir ihr nichts verraten und sie einfach nur bezahlen.«

»Wir brauchen einen freiwilligen Mann und eine Frau mit Magie, die bereit ist, ihn zu adoptieren«, zählt Désirée auf. »Letzteres kann gern ich übernehmen.«

Adrian nickt. »Ich bin ebenfalls mit dabei.«

»Oh nein!«, entfährt es Marzena.

Ich stimme ihr zu. »Das kannst du nicht machen, Adrian. So lange wir nicht wissen, ob wir NicMara zumindest ein Stück weit trauen können, musst du dich zurückhalten.«

Der Anführer nickt grimmig. »Ihr habt recht. Das ist die Bürde derjenigen, die Verantwortung tragen.«

»Niemand wird dich für einen Feigling halten«, sagt Marzena leise.

Während die anderen hin und her überlegen, wie sich das Ganze in der Praxis am besten bewerkstelligen lässt, fühle ich mich zunehmend unwohl. Ich muss ganz dringend etwas mit Adrian besprechen und dies ist der beste Zeitpunkt dafür. Die meisten würden das wohl lieber unter vier Augen tun, aber ich nicht. Das könnte den Eindruck erwecken, es handele sich um eine private Angelegenheit. Doch auch wenn viele von uns miteinander befreundet sein mögen, muss das echt nicht sein. Außerdem geht es alle etwas an. Eigentlich hatte ich ja gedacht, dass die beiden mal von sich aus die Sprache darauf bringen würden. Marzena ist mittlerweile im vierten Monat und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ihr Bauch noch um ein Vielfaches dicker werden wird.

Eine Patrouille der Südgarde, die uns ein paar Mal verdammt nahe gekommen war, hatte uns in den letzten Wochen in Atem gehalten. Ich war insgeheim froh darüber gewesen, dass wir vorerst nicht in Sachen Magie weiterforschen konnten – und dass ich Zeit hatte, mich in Ruhe an die Lage zu gewöhnen. Doch irgendwann muss sich jede der Realität stellen. Da ist es das Beste, es hinter sich zu bringen, als in Angst davor zu leben.

»Was habt ihr eigentlich vor?«, unterbreche ich das Gespräch der anderen. Jeder ist klar, wen ich damit meine. »Marzena, du bist schwanger, ihr werdet Eltern! Ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber mit einem Baby auf der Flucht zu sein, stelle ich mir schwierig vor.« Genau aus diesem Grund hatte mein Bruder Richard damals seine Frau Jessica zu uns gebracht. Wie er hatte sie sich den Rebellinnen angeschlossen. Ihr erstes Kind hatte sie bei uns zur Welt gebracht. Wann genau sie in welchem Raum erneut schwanger geworden ist, will ich gar nicht so genau wissen. Das Ergebnis, meine Nichten Selym und Kire, kann sich sehen lassen. Fakt ist aber auch, dass Jessica – mein Bruder hat ja auch so eine seltsame Ansicht von wegen Gleichwertigkeit der Geschlechter – dafür ihr Leben unter den Rebellinnen aufgegeben hat. Und ihr Leben im Ganzen, leider, da es bei der zweiten Geburt Komplikationen gab.

»Was willst du damit sagen?«, unterbricht Adrian meine Gedanken.

»Dass ich mich frage, und da bin ich sicher nicht die Einzige, ob ihr überhaupt vorhabt, noch länger bei uns zu bleiben?«

An den Reaktionen der anderen erkenne ich, dass ich wieder einmal ausgesprochen habe, was sich keine sonst zu fragen traute.

Marzena senkt den Blick, legt eine Hand auf ihren Bauch und nimmt mit der anderen die ihres Gefährten. Adrian wiegt den Kopf hin und her, scheint mit sich zu ringen. Dann endlich schaut er mich an.

»Ich hätte mir denken können, dass ausgerechnet du das fragen würdest.« Irre ich mich, oder tanzen kleine Funken in seinen Augen? »Ja, wir werden ein Kind bekommen, so es die Göttin will. Und ja, unser Leben, das wir bisher geführt haben, dieses Leben können wir nicht weiter führen. Daher überlege ich schon seit geraumer Zeit … Nein, nicht nur deswegen, denkt das bitte nicht! Es geht mir nicht nur um Marzena, das Kind und mich.«

»Das würden wir dir nie unterstellen!«

Wir alle nicken, um Simones Einwand zu bekräftigen: Seit ich Adrian kenne, ist er nicht ein einziges Mal egoistisch gewesen!

»Gut. Ich wollte es zur Sprache bringen, aber es waren immer andere Dinge wichtiger. Die Südgarde, die Erforschung der Magieanwendung … Außerdem wollte ich erst … Aber das spielt keine Rolle mehr.« Er lächelt schief. »Vermutlich ist es ganz gut, dass Helena es jetzt angesprochen hat. Wir können so nicht weitermachen.« Er schaut Marzena an, die nickt. »Und das wollen wir auch gar nicht. Wir sind müde, und ihr seid es auch.«

»Woran denkst du?«

Ich weiß es, bevor er es ausspricht.

»Ich denke an Frieden.«

Hexenherz. Goldener Tod

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