Читать книгу Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner - Страница 18

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Kapitel 11

Es dauert ewig, alles zu arrangieren. Ich weiß, wieso ich mich da rausgehalten habe: Allein schon die Eckpunkte von Adrians Forderungen und Zugeständnissen festzulegen, dauert Wochen. Die Briefe, die uns im Namen der Goldenen Frau freies Geleit zusichern sollen, müssen von unseren Botinnen abgeholt und dann quer durchs ganze Land transportiert werden, damit sie nicht zu uns verfolgt werden können. Marzenas Bauch wird immer runder und die Stimmung immer hitziger. Bis Adrian endlich ein Machtwort spricht. Mal ehrlich: Wenn er jede mitreden lässt, ist es doch kein Wunder, dass nichts zustande kommt! Die richtigen Leute sollten eine Stimme haben und der Rest soll sich heraushalten. Dazu muss es immer eine geben, die das Sagen hat, auch wenn alle anderen anderer Meinung sind. Das ist die einzig funktionierende Form jedweder Regentinnenschaft.

»Glaubst du das wirklich?«, hatte mich der Anführer gefragt.

»Aber natürlich. Weitschweifige Diskussionen sind nichts für Krisensituationen. Schlimm genug, wenn einer sowas den Alltag versaut. Das müsstest du aber eigentlich auch wissen! Mal ehrlich, was willst du denn machen, wenn wir angegriffen werden? Erstmal groß rumdebattieren, oder Befehle geben, denen jede nachkommt?«

Mal ganz davon abgesehen, wie absurd es ist, überhaupt als Mann erwachsenen Personen Befehle zu erteilen.

Adrian hatte genickt.

»Ob du es glaubst oder nicht, ich habe meinen Entschluss, die anderen mit einzubeziehen, bereits mehr als einmal bereut. Andererseits: mit welchem Recht soll ich allein entscheiden?«

»Mit dem Recht eines Anführers.«

»Und wer hat mir das gegeben?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Du selbst? Die Leute? Die Umstände? Was weiß ich. Aber Fakt ist, dass du die Verantwortung trägst.«

»Und wer die hat, darf entscheiden?«

»Ja.«

»So einfach ist das?«

»Ja natürlich.«

»Na dann ist ja gut.«

Er hatte mir noch einen amüsierten Blick zugeworfen und mir dann den Rücken gekehrt. Ehrlich, ich weiß nicht, wieso sich einige Menschen das Leben so unbedingt schwer machen müssen. Als ich noch Zweite der Ostgarde war, war jedenfalls alles klar gewesen: Erst kam Frau Helmich, die Obere, dann ich, und die anderen hatten zu gehorchen. Ob Offizierin oder einfache Gardistin, sie alle unterstanden Frau Helmichs und danach meinem Befehl. So etwas gibt Sicherheit. Wäre meine Obere damals im Lager gewesen, wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Diese blöde Kuh Alexandra hätte sich dann einen Scheiß getraut und mich nie im Leben des Hochverrats bezichtigt. Oder Frau Helmich hätte ihr ganz schnell ihren Platz gezeigt. Nie hätte meine Obere zugelassen, dass mir eine Gardeschwester mit einer Intrige das Leben versaut.

Sei es, wie es sei.

Botinnen wurden ausgesandt, noch und nöcher. Immer unter strengster Geheimhaltung, immer darauf bedacht, dass keine Garde unseren Aufenthaltsort aus ihnen herauspressen könnte. Wir waren ständig in Bewegung und uns folgte wie ein unendlich langer Rattenschwanz Adrians Perlenschnur der Wachposten. Die natürlich ebenfalls mit Lebensmitteln versorgt werden mussten.

»Ich glaube, wir werden nie aufbrechen«, beschwere ich mich eines abends bei Marzena. Adrian wuselt noch irgendwo herum, während alle anderen längst ihr Tagesgeschäft beendet haben. Der heutige Marsch war so anstrengend gewesen, dass nicht mal mehr eine an einem Stück Holz herum schnitzt oder eine Geschichte erzählt.

»Doch, werdet ihr. Du musst Geduld haben.«

Ich schnaube. »Ja klar, Helena Rinasdother von Smaleberg ist ja auch im ganzen Goldenen Reich für ihre Geduld bekannt!«

Die ehemalige Gardistin schmunzelt.

»Was soll ich denn sagen? Es dauert neun sagenhafte Monate bis zur Geburt. Neun Monate ohne Magie, wie ich hinzufügen möchte.«

Mich schaudert. »Ehrlich, Marzena – wieso?«

»Wieso nicht?« In ihrem Blick liegen Lachen und Mitleid. »Mal ehrlich, liebe Helena, was dachtest du denn, wo die Babys herkommen? Dass sie auf Bäumen wachsen?«

»Nein, aber … Ist ja deine Sache. Meins wäre es nicht.«

Sie nickt. Etwas Netteres kann ich mir beim besten Willen nicht abringen. Wieso tut sich eine Frau, noch dazu so eine begabte wie Marzena, so etwas freiwillig an?

Kinder gibt es wie Sand am Meer, vor allem mit passendem Mann dazu: Die Kämpfe mit anderen, gewalttätigen Rebellinnentruppen sowie dem Großen Moldawischen Reich fordern ihren Tribut. Jede Garde hinterlässt regelmäßig alleinerziehende Männer. Ein bisschen so wie reife Äpfel auf einer Streuwiese: Eine müsste nur hingehen und sich einen pflücken.

Allein die Vorstellung, neun Monate so hilflos zu sein … nein!

Mir kommt ein neuer Gedanke.

»Hast du Angst?«

»Wovor jetzt genau?«

»Vor der Geburt und allem.«

»Nö«, bekennt Marzena freimütig. »Das haben Millionen Frauen vor mir geschafft, also werde ich das wohl auch hinbekommen.«

»Das ist so ziemlich das Dümmste, was ich je gehört habe«, knurre ich, »das ist doch kein Argument! Nur weil es schon viele vor dir gemacht haben. Mal ehrlich: das gilt auch fürs Sterben!«

Marzena lacht aus vollem Hals. Unerschütterlich, die Gute. Neben ihr komme ich mir vor wie eine missmutige, grantelige alte Meckertante. Kein Wunder, dass Adrian sich in sie verliebt hat. Wo ich nur Schatten, Schmerz und Angst sehe, ist Marzena voller Vorfreude und gespannter Erwartung. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie sie das macht.

»Alle mal herhören!«

Die Gespräche verstummen. Alle Köpfe drehen sich zu Adrian. Es muss etwas passiert sein: Sein Gesichtsausdruck ist verkniffen, seine Hände zu Fäusten geballt.

»Soeben ist Daniel zurückgekommen. Ich hatte ihn losgeschickt, unsere nächste Etappe auszukundschaften. Dabei traf er Sascha.« Der Anführer winkt einen Mann heran. Er scheint um die dreißig zu sein, ist dem Bart nach zu urteilen verheiratet und wirkt müde und ausgezehrt.

»Hallo.« Er hebt zur Begrüßung eine Hand. Daniel gesellt sich ebenfalls dazu. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er wieder da ist, aber bei dem ständigen Strom an Menschen, die kommen und gehen, ist das ja auch kein Wunder. Ich freue mich, ihn zu sehen, gehört er doch mit seiner aufmerksamen, bescheidenen Art eindeutig zu den angenehmeren Personen.

»Sascha gehört zu Martinas Leuten und hat beunruhigende Neuigkeiten. Sascha?«

Der Mann tritt vor. »Hallo allerseits. Martina schickt mich, euch zu warnen.« Martina leitet ebenfalls eine Rebellinnentruppe, wie ich weiß. Ich kenne sie nicht persönlich, habe aber durch Adrian schon einiges über sie erfahren. Wie er ist auch sie nicht auf Kampf aus, sondern zieht es vor, für ihre Überzeugung von einer Gleichwertigkeit der Geschlechter mit friedlichen Mitteln einzutreten. Soweit ich weiß, war es damals sogar ihre Idee, ihre Tochter Leonie mit Kolja in die Hauptstadt zu schicken, um ihn bei seiner Mission zu unterstützen und gleichzeitig für die Rebellinnen Nutzen daraus zu ziehen.

Ich konzentriere mich wieder auf Sascha. »Wie ihr vielleicht wisst, halten wir uns normalerweise weit im Westen auf. Doch in den letzten Jahren haben wir immer mehr an Boden verloren. Ohne dass uns das so recht bewusst war, hat uns die Garde vor sich her Richtung Reichsmitte getrieben. Immer ein Stückchen, bis wir Karlas Gebiet erreicht hatten.« Wer ist Karla? »Aber das ist nicht das Einzige! Ganz langsam, nach und nach, ist die Westgarde größer geworden.« Aha? »Wir haben es anfangs nicht bemerkt, ihr wisst ja, wie so ein Leben auf der Flucht ist.« Er zuckt mit den Schultern. »Irgendwann wurde es dann aber doch auffällig. Früher kamen jedes Jahr etwa zwanzig, dreißig neue Gardistinnen pro Untereinheit hinzu, während andere dafür aus dem Dienst schwanden.« Das sind Zahlen, von denen wir bei der Ostgarde nur träumen konnten. Die Westgarde war immer schon bei denjenigen beliebt gewesen, die Langweile einem anständigen Kampf vorzogen. Im Westen ist das Meer, keine Grenze, die gegen einen Feind verteidigt werden muss. Nicht umsonst hat die Westgarde einen eher schluffigen Ruf. »Doch im Laufe der Zeit wurde das immer mehr. Jetzt kamen auf einmal jeden Monat neue Gardistinnen an. Wir begannen, Listen zu führen.« Er atmet tief durch. »Und kamen zu erschreckenden Ergebnissen: Die Garde rüstet ganz erheblich auf!«

»Seit wann?«, fragt eine Rebellin.

»Seit mindestens einem Jahr, eher anderthalb. Wie gesagt, ist es uns zunächst nicht aufgefallen.«

Daraus kann ihnen kaum eine einen Vorwurf machen. Im Gegenteil bin ich eher erstaunt, wie gut Martinas Gruppe informiert ist. Ich könnte mittlerweile nichts mehr über Größe und Stärke der Ostgarde sagen. Wie denn auch, wenn wir immer flüchten, noch bevor sie uns sehen?

Der Zeitpunkt passt auf jeden Fall; vor knapp drei Jahren ist der Goldenen Frau endgültig klar geworden, dass die Rebellinnen mit einer gefährlichen Macht experimentieren: den Magiespeichersteinen. So mächtig die Goldene Frau auch ist, von heute auf morgen kann sie nichts ändern. Wohl aber im Laufe der Zeit mehr Frauen für die Gardeakademien rekrutieren. Weiß die Geierin, wie sie das gemacht hat. Das Niveau des Einstellungstests oder der Abschlussprüfungen gesenkt, den Gardelohn erhöht oder Dorf- und Stadtobere »gebeten«, mehr Frauen zu schicken … Es macht Sinn, dass sie die Garden verstärkt. Großen Sinn sogar. Und wenn die Westgarde zumindest teilweise so weit hier rübergekommen ist, dann …

»Sie ziehen sich wie ein Netz zusammen«, sagt Adrian düster. »Finn und Corey waren bei der Ostgarde. Dort sieht es genau so aus.« Er schüttelt den Kopf. »Ich habe mir so viel auf unser Frühwarnsystem eingebildet – und genau das haben sie ausgenutzt. Sie konnten ja quasi machen, was sie wollten. Da wir die Ostgarde immer nur von Weitem im Auge behalten haben, ist uns nichts aufgefallen.«

»Wie viele?«

»Sie jetzt sind? Gute Frage, Bernd. Gesehen haben die beiden sicher nur die Spitze des Eisbergs.« Er fährt sich mit den Händen durch die Haare. »Aber so viel, dass klar ist, was hier vor sich geht. Wir hätten etwas ahnen sollen. Es war schon auffällig, dass sie immer öfter Zweiertrupps losgeschickt haben. Wenn sie so weitermachen … « Er breitet in einer hilflosen Geste die Arme aus.

»Dann haben sie uns bald«, spricht Gero aus, was wir alle denken. »Denn wir sind die Fische in ihrem Netz.«

Der Anführer ballt erneut die Hände zu Fäusten.

»Kein Wunder, dass sie den Verhandlungen zugestimmt haben: Wieder etwas mehr Zeit, während der wir die Augen vor dem verschließen, was direkt vor unserer Nase passiert.«

»Heißt das, die Friedensverhandlungen sind vom Tisch?«, will Simone wissen.

»Nein. Aber ich werde nicht zulassen, dass sie uns nochmal an der Nase herumführen. Ihr«, Adrian deutet auf Kolja, Marzena und mich, die wir nebeneinander sitzen, »werdet wie besprochen nach Annaburg reisen und die Verhandlungen mit der Goldenen Frau beginnen. Doch in der Zwischenzeit werden wir uns bereit machen.« Adrians Augen funkeln wild, als er sich umdreht und jede einzelne Rebellin der Reihe nach fest ansieht. »Wir werden hier nicht stumm und still sitzen bleiben, während die sich zum Kampf rüsten. Sie wollen uns vernichten, darauf müssen wir gefasst sein. Ja, ich habe gesagt, dass ich endlich Frieden will. Mag sein, dass der Zeitpunkt doch nicht so gut war, wie ich gedacht hatte, und Annaburg tatsächlich verhandeln möchte. Es mag ebenso sein, dass sie nicht im Traum an einen Friedensvertrag denken und sich ins Fäustchen lachen, weil wir es tun. So oder so, wir werden bereit sein. Ihr alle werdet doppelt und dreimal so hart arbeiten wie bisher.« Ich schaue mich um, sehe die Wut und Enttäuschung auf den Gesichtern der Rebellinnen, aber auch Entschlossenheit und Zustimmung. Keine hier wird sich kampflos unterkriegen lassen.

»Ich werde noch heute einige von euch losschicken. Wir müssen noch schneller und noch mehr Speichersteine abbauen und mit Magie füllen. Eleganz ist jetzt nicht mehr gefragt. Schluss mit aufwendigen Tarnungen, Schluss mit Schmuck! Jetzt geht es nicht mehr um eine Revolution, die so lange wie möglich im Verborgenen bleibt, jetzt geht es um offenen Krieg.« Adrian hebt seine Stimme. »Geht in eure Heimatdörfer. Werbt an, wen immer ihr finden könnt. Frauen, aber auch Männer, Fräulein und Großmütter. Erzählt ihnen, dass wir sie mit etwas ausstatten werden, was sie kampffähig macht. Sagt gegenüber Uneingeweihten noch kein Wort von der gespeicherten Magie – noch nicht.« Jetzt fällt sein Blick auf mich. »Noch wahren wir das Geheimnis, noch geben wir die Hoffnung nicht auf, dass die Goldene Frau zur Besinnung kommt und mit ihren Hexen endlich die Gesellschaft errichtet, die uns allen als Kindern der Göttin angemessen ist. Und wenn nicht«, seine Augen glitzern, »werden wir bereit sein.«

Hexenherz. Goldener Tod

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