Читать книгу Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner - Страница 8

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Kapitel 1

Das ist also Bürgerinnenkrieg. Oder ist es eine Revolution? Welches Wort auch benutzt wird, welche Bezeichnung auch immer am zutreffendsten sein mag – es hat begonnen.

So heimlich, still und leise, dass es fast lächerlich ist. Und doch auf eine Art blutig und grausam, dass mir der Atem stockt. Ich sehe es in all ihren Augen. Da wendet sich Tochter gegen Mutter und Schwester gegen Schwester. Ehemänner wenden sich von ihren Gattinnen ab, allein um der Macht Willen.

Ich lebe hier inmitten des Ausgangspunktes dieser stillen, blutigen Neuerungen. Mein eigener Sohn war es, der den Stein ins Rollen gebracht hat. Niemals gegen meinen Willen, so doch auch nicht auf meinen oder seinen Wunsch hin. Die Ereignisse haben uns einfach mitgerissen; seine Fluten spülen uns wie winzige Kiesel ans Ufer und erst im Nachhinein erkennen wir das Muster, dessen Teil wir geworden sind.

Mehr als 550 Jahre ist es her, dass Beatrix und Stefanie begannen, das Geheimnis des Frauentums, nämlich die in uns allen schlummernde Magie, zu teilen. Sie erweckten die Magie in hunderten Frauen und einige davon zogen aus und taten es ihnen nach. Das Hexentum breitete sich aus, bis die ganze Welt die Wahrheit kannte und die unrechtmäßige Regentinnenschaft der Männer ins Wanken geriet.

Und fiel: Jahr um Jahr, Land um Land erhoben sich die Frauen gegen ihre Unterdrücker, um jahrhundertelang begangenes Unrecht auszumerzen und sich selbst an die Spitze der Schöpfung zu stellen, wie es die Große Göttin von jeher gewollt hat.

Frauen zahlreicher Länder schlossen sich zusammen und während die feigsten, brutalsten, uneinsichtigsten Männer in die Ostlande flohen, Bündnisse mit den Chinesen, den Moldawiern, den Türken und anderen Völkern schlossen und eine Mauer bauten, hinter der sie sich verstecken konnten, formten die Frauen die neu entstandene Schwesternschaft des Goldenen Reiches. Wo die Goldenen Gesetze und die der Göttin gelten, in der ein jede so frei ist wie die Magie, die für die Dauer ihrer fruchtbaren Jahre durch ihre Adern strömt.

Doch als wäre die Geschichte nichts weiter als ein Rad, das sich dreht, zeigt dieselbe Speiche nun wieder nach oben: So wie einst Beatrix und Stefanie alle Weiber zu Frauen machten und die Magie mit ihnen allen teilen wollten, so wollen Adrian und die anderen nun das Geschenk der Göttin mit den Männern teilen.

Was soll ich davon halten? Männer mit Magie … Und zwar nicht irgendwelche Männer, nicht die klugen, tapferen, besonnenen, sondern alle!

Die Sorge, dass der schwache männliche Körper gar nicht in der Lage ist, Magie zu verkraften, konnte Kolja ihnen nehmen. Mein eigener Sohn hat als erster Mann überhaupt wochenlang Magie angewandt. Er hat mir alles erzählt und doch kommt es mir unwirklich vor. Widernatürlich.

Und jetzt sitze ich hier und bin die verdammte Beraterin eines verdammten Anführers von Aufständischen und soll ihm helfen, die ganze verdammte Welt auf den Kopf zu stellen und eine Veränderung herbeizuführen, an die ich nicht glaube und von der ich nicht weiß, ob ich sie überhaupt will. Bei den Sieben Finsterhexen, da habe ich mir ja was Schönes eingebrockt –

»Was soll das denn sein?« Wieder einmal hat es Adrian geschafft, sich unbemerkt an mich heranzuschleichen. Sollte sich mein Körper nicht langsam mal daran gewöhnt haben, dass ich keine Magie mehr habe? Ist immerhin schon drei Jahre her, dass sie mir in der Hauptstadt alles genommen haben, was mich zur Frau gemacht hat. Sollten sich nicht meine anderen Sinne schärfen, um das auszugleichen? Anscheinend nicht.

»Erschreck mich nicht immer so«, grummele ich den Anführer der Rebellinnengruppe an. »Und was soll das heißen, was soll das sein? Du wolltest doch, dass ich alles aufschreibe, was dieser Tage vor sich geht.«

Adrian lacht. »Ich habe dich gebeten, eine Art Chronik zu verfassen, ja. Aber ein Blick über deine Schultern und schon lese ich zigmal das Wort ›verdammt‹. Willst du wirklich damit in die Geschichte eingehen, dass du in so einer wichtigen Aufzeichnung ständig fluchst?«

»Ich fluche, wann und wie es mir passt«, zische ich ihn an, »Du solltest lieber dankbar sein, dass du eine Dumme für das hier gefunden hast!«

Er hebt die Hände. »Ich meine ja nur, dass für eine Beschreibung dieser, nun, geschichtsträchtigen Ereignisse vielleicht eine etwas nüchternere Wortwahl angemessener wäre.«

»Ich gebe dir gleich ›geschichtsträchtige Ereignisse‹! Da ist einer aber ganz schön von sich eingenommen!«

Wie immer, wenn sich Adrian amüsiert, tanzen goldene Funken in seinen Augen. »Es ist, wie es ist, meine liebe Helena! Aber bitte, mach du mal.«

Im Gehen dreht er sich noch einmal um.

»Und glaub nicht, dass ich das mit dem ›verdammten Anführer‹ nicht gesehen hätte!«

Kaum ist er draußen, stehe ich auf und werfe die Tür hinter ihm zu, schiebe den Riegel vor. Als er draußen an meinem Fenster vorbei geht, lacht er immer noch.

Es kommt nicht allzu häufig vor, dass wir in einem Dorf lagern. Zu gefährlich. Mangelnde Sesshaftigkeit ist unsere Stärke – und unsere Schwäche. »Unsere«, bei den Sieben Finsterhexen, jetzt sehe ich mich schon als eine von ihnen an! Aber egal, ob mir das passt oder nicht, mitgefangen, mitgehangen. Auf jeden Fall genieße ich den zusätzlichen Luxus, den mir diese Hütte hier bietet: Ein richtiges Bett. Ein ganzer, warmer Raum, und das Tag und Nacht. Eine Tür, die ich hinter mir zuknallen kann. Ein bisschen riecht es nach alter Frau hier drin, steht ja nicht umsonst leer das Ding. Aber ich habe es für Kolja und mich allein. Alle anderen sind bei den Dorfbewohnern untergebracht.

Schreiben – Göttin, ist es das, wozu ich auf dieser Welt bin? Hier dumm rumzusitzen und zuzuschauen, wie mein Hintern immer breiter wird, während all die anderen da draußen für ihre Überzeugung kämpfen? Ich könnte nur noch gegen Männer antreten und müsste dafür zu Waffen greifen. Mit dem Messer kann ich ganz gut. Nicht so gut wie Mirja, aber … Und mit einem Schwert? Werde ich wohl nie so gut wie Glenna. Tot, sie sind alle tot, und ich lebe noch, zwar ohne Magie, aber dafür voller Selbstmitleid, bei den Sieben Finsterhexen! Ich sitze hier und gehe mir selbst auf die Nerven. Kein Wunder, dass keine zu uns ins Haus wollte. Das Einzige, worauf ich mich derzeit freue, ist, dass es sicher nicht mehr allzu lange dauern wird, bis Kolja eine Frau mit nach Hause bringt. Die kann ich dann … Aber nein, natürlich nicht, ich bleibe brav. Das würde ich ihm nie antun. Er ist immer noch viel zu ernst für sein Alter. Ist ganz schön erwachsen geworden, während er in Annaburg war. Er braucht mich nicht mehr lange. Dann ist das auch wieder vorbei.

Verdammt.

Ich muss mir etwas Neues suchen.

Es klopft.

»Ja, bitte?«

Marzena kommt herein. Adrians Gefährtin und ich waren sehr lange sehr gut befreundet. Nun sind wir … immer noch Freundinnen. Aber ich kann nicht leugnen, dass es mir einen kleinen Stich gibt, wenn ich die beiden zusammen sehe. Was natürlich völliger Blödsinn ist.

»Hallo, komm rein. Was kann ich für dich tun?«

Marzena deutet auf den freien Stuhl neben mir.

»Darf ich?«

»Ja, klar!«

Sie setzt sich hin, steht aber sofort wieder auf und dreht den Stuhl so, dass wir einander schräg gegenübersitzen. Einmal Gardistin, immer Gardistin: Sie hat etwas mit mir zu besprechen.

Die Ereignisse der letzten Jahre haben ihre Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Auf ihrer Stirn zeichnen sich Falten ab, die vorher noch nicht da waren. Oder doch? Ich kann mich nicht erinnern, mir je Zeit genommen zu haben, meine Freundinnen eingehender zu betrachten. Sie waren immer da, verdammt, und mehr war nicht wichtig.

Marzena wendet den Kopf ab und starrt in das Kaminfeuer.

»Willst du etwas trinken? Ich weiß allerdings nicht, ob wir was hier haben.«

Sie lächelt, ohne mich anzuschauen.

»Als Gastgeberin taugst du echt nicht.«

»Sehe ich aus wie ein Hausväterchen?«

»Nee. Sag ich ja.«

Jetzt sieht sie mich an und ich sehe den Schalk in ihren Augen. Marzena ist – im Gegensatz zu mir – eigentlich immer gut gelaunt. Sie hat auch mal schlechte Tage, klar, doch sie hat diese optimistische Grundeinstellung: Hey, das Leben macht Spaß!

Das habe ich immer schon an ihr geliebt – und kann es Adrian nicht verübeln, dass es ihm genau so geht.

»Helena, wir müssen reden.«

Ja, da ist sie, die ernste Marzena.

»Dann mal los. Was gibt es?«

Sie mustert mich aus ruhigen, freundlichen Augen.

»Hand aufs Herz, Helena, nervt es dich, dass Adrian und ich zusammen sind?«

»Nein.« Aber ihre Frage nervt mich. »Adrian und ich sind nie zusammen gewesen. Ein Kuss, und da war ich hackendicht. Nicht, dass ich ihn sonst nicht geküsst hätte, aber … Egal. Wir waren nie ein Paar, ihr dagegen seid eins, Fall erledigt.«

»Gut.« Marzena nickt, doch ich höre ihr an, dass sie ihre Zweifel hat.

»Und jetzt du Hand aufs Herz!« Ich grinse extra breit. »Nervt es dich, dass Adrian mit mir zusammen sein wollte und ich ihn weggeschickt habe?«

»Nein.« Marzena verdreht die Augen und schnauft. »Nicht im Geringsten. Ich meine, damals kannten wir uns ja kaum. Es ist ja auch nicht so, dass ich die Zweitbesetzung oder sowas wäre, also … «

Sie zuckt mit den Schultern. Das reicht: Ich lache los.

Marzena zuckt kurz und fällt dann in mein Lachen ein.

»So viel also dazu«, erkläre ich, nachdem ich mich beruhigt habe.

Meine Freundin nickt.

»Ich fasse dann mal zusammen: Klar nervt es dich, dass wir zusammen sind. Nicht, dass du noch in ihn verknallt wärst. Aber ab und zu fragst du dich sicher, was gewesen wäre, wenn du damals Ja zu ihm gesagt hättest.«

»Und dir«, erkläre ich, »wäre es tausendmal lieber, wenn zwischen uns nie etwas gewesen wäre. Du weißt, dass er dich liebt, aber ab und zu fragst du dich sicher, ob du doch nur … «

Verlegen breche ich ab. Es ist nicht nötig, alles auszusprechen.

Marzena zuckt mit den Schultern und für einen Moment kann ich Schmerz in ihren Augen sehen. Dann wischt sie ihn jedoch beiseite und lächelt wieder, ganz so, wie es ihrer Persönlichkeit entspricht. Bei den Sieben Finsterhexen, wie gut, dass nicht jede so eine alte Grantlerin ist wie ich!

»Nachdem wir das nun geklärt haben, muss ich dir etwas sagen.«

»Aha? Jetzt bin ich neugierig. Andererseits war das für meinen Geschmack schon recht viel an Enthüllungen«, ich schüttele den Kopf, »du könntest mich ruhig in der nächsten Zeit damit verschonen. Oder besser gleich für den Rest meines Lebens. Können wir nicht einfach übers Wetter plaudern?«

»Das könnten wir tun«, lautet ihre ruhige Antwort, »aber aus diversen Gründen halte ich es für ratsam, dich vorzuwarnen.«

»Mich vorzuwarnen?« Mit einem Schlag ist mein Kopf leer. Und doch nicht: Nebelschwaden verdicken sich darin, trüben mir die Sicht und greifen kalt nach meinem Herzen. Früher, als ich noch Eismagie hatte, hat mich das immer getröstet und mir geholfen, die Fassung zu bewahren. Ohne Magie ist der Effekt von Kälte – sei sie nun echt oder eingebildet – nichtmal annähernd so gut. Vielmehr kleistert sie mir den Mund zu, verlangsamt meine Bewegungen, mein Denken.

»Mich vorzuwarnen?«, wiederhole ich krächzend. »Wieso?« In meinen Ohren rauscht es. »Ihr wollt doch nicht weggehen oder sowas, oder?« Göttin, das könnte ich nicht ertragen, nicht noch eine Veränderung!

Hexenherz. Goldener Tod

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