Читать книгу Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner - Страница 10

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Kapitel 3

Die nächsten Tage verlaufen eintönig und auch wieder nicht. Wir marschieren am Tag und schlafen in der Nacht. Ich hasse es, dieses Herumgereise ohne festes Ziel. Zu viel Zeit, nachzudenken. Zu viel Zeit, zu grübeln. Ich weiß, dass im Hintergrund zig Dinge ablaufen. Da wäre zunächst einmal Kolja, der gemeinsam mit Désirée anderen Nicht-Frauen beibringt, wie sie Magie aus den Speichersteinen ziehen und anwenden können. Dafür ist natürlich notwendig, dass uns ein stetiger Strom an Speichersteinen erreicht. Woher Adrian sie bekommt und von wem sie abgebaut werden, weiß ich nicht, es spielt auch keine Rolle. Die Steine, die bei uns ankommen, werden dann von einigen Rebellinnen mit Magie in vorgefertigte Schmuckstücke eingesetzt. Auch diese Schmuckstücke – Ringe, Ketten mit Anhängern, Armbänder, Ohrringe – kommen von irgendwoher. Und all das will bezahlt werden: Adrian schickt Leute aus, damit sie Geld oder Sachspenden einsammeln. Hier treibt er seine Leute unentwegt an, zu jagen, wann immer es sich ergibt, nachts Fallen aufzustellen und nach anderen, verkaufsfähigen Dingen wie besonders schmackhaften Kräutern Ausschau zu halten. Der Geruch frisch gegerbter Felle durchströmt unser Lager, kaum dass wir es aufgeschlagen haben. Unentwegt wird irgendwo geschnitzt, gesammelt, angefertigt. Je mehr Tiere wir unterwegs erlegen, desto größere Vorsicht müssen wir walten lassen: Es ist nur Anwohnerinnen erlaubt, in den Wäldern zu jagen. Umherziehende, wie wir es sind, sind unerwünscht und jeder unachtsam verstaute Tierkadaver kann eine Garde auf unsere Spur bringen. Ich muss es wissen, ich bin selbst früher so vorgegangen.

Hier rächt sich nun, dass so wenige der Rebellinnen über Magie verfügen. Immerhin ist die ein oder andere Erweckungsverweigerin mittlerweile unter der Last der Arbeiten eingeknickt. Nichts täte ich lieber, als mich ebenfalls auf handwerkliche Weise nützlich zu machen. Doch ich habe nie wirklich gelernt, dies ohne Magie zu tun.

Wurde eine ausreichende Menge Magiespeichersteine in Schmuckstücken getarnt, müssen die wiederum zu anderen Rebellinnen oder Adrian wohlgesonnenen Frauen gebracht werden, die ihre Magie dann einspeisen. All dies führt zu einem ständigen Strom an Menschen, die kommen, Dinge und Nachrichten bringen, andere Dinge wieder mitnehmen und das Lager wieder verlassen. Dabei sind wir ständig unterwegs. Adrian benutzt nur die nötigsten Wegmarkierungen; er traut den regimetreuen Hexen nicht, befürchtet, einer seiner Leute könnte ihnen in die Hände fallen und sie könnten durch Magie die Bedeutung der Zeichen aus ihr herauspressen. Auch diese Furcht ist begründet, auch das habe ich selbst schon während meiner Zeit bei der Ostgarde getan, beziehungsweise angeordnet. Also müssen wieder Menschen ausziehen, die an Treffpunkten ausharren, und Ankömmlinge dann zum nächsten Treffpunkt schicken. Wie Perlen auf einer Schnur hat Adrian seine Leute über ein riesiges Gebiet verteilt. Und ein jede kennt nur die jeweils nächste Stelle. Das minimiert das Risiko, das dennoch bleibt.

Die Südgarde kommt uns ein paar Mal gefährlich nahe. Deren Obere scheint eine neue Taktik zu haben, um unliebsame Personen aufzuspüren: Sie setzt vermehrt auf schlagkräftige Zweiergruppen, die sie auch über mehrere Tage hinweg allein die Wälder durchstreifen lässt. Lästig sind sie, diese Patrouillen, da auf diese Weise zahlreiche Trupps unterwegs sind. Keiner von ihnen darf auffallen, dass wir uns in ihrem Gebiet aufhalten. Sonst schlagen sie Alarm und ziehen ihr tödliches Netz um uns zusammen. Wir hätten nicht den Hauch einer Chance.

Überhaupt finde ich es fast schon bewundernswert, worauf sich Adrian alles einlässt. Über die Hälfte seiner Anhängerinnenschaft besteht aus Menschen ohne anwendbare Magie, also aus Fräulein, Erweckungsverweigerinnen, auch der ein oder anderen Großmutter, und Männern. Als ich das erste Mal bei Adrians Truppe gelandet war, hatten sich auch die meisten Frauen geweigert, im Alltag Magie zu benutzen. So drückten sie ihre seltsame Ansicht darüber aus, wie gleichgestellt wir alle doch sein sollten. Das hat sich mittlerweile geändert, wie ich nicht ohne Schadenfreude feststelle; die Frauen unter den Rebellinnen wirken ob des Arbeitspensums abgehärmt und müde.

Während meiner Zeit bei der Ostgarde hatten die Rebellinnen ganz anders agiert: Fallen für die Garden wurden aufgestellt und trickreiche Manöver erdacht, uns um Lebensmittel und andere Dinge zu erleichtern. Wege wurden uns versperrt oder unsere Späherinnen kunstvoll in die Irre geführt. Zu Kämpfen kam es zugegeben nur, wenn wir Rebellinnen gestellt hatten, von sich aus hatten sie uns nie angegriffen.

Das alles ist jetzt vorbei. Adrians einziges Augenmerk gilt der weiteren Erforschung der Magiespeichersteine. Denn sie sind die einzige Chance, die seine Gruppe langfristig hat, um gegen die immer stärker werdenden Garden anzukommen. Sollte er es schaffen, die Fähigkeiten seiner Leute damit zu verbinden, dass er jeder Frau und jedem Mann jede Magie verschaffen kann, käme die Goldene Frau ernsthaft in Bedrängnis. Und das weiß sie. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Goldene Frau seit den Ereignissen vor drei Jahren danach giert, Adrian in die Finger zu bekommen. Keine Ahnung, ob sie weiß, dass ich von Zuhause weg bin. Doch sollte sie je erfahren, dass ich hier bin, ist die Teufelin los, so viel steht fest.

Und in all diesem Trubel hänge ich nur herum und habe Langeweile. Ja, Langeweile. Ich fühle mich seltsam isoliert. Klar, ich gehöre nicht wirklich zu denen hier. Ich bin mit meinem Sohn mitgekommen, weil ich bei ihm sein wollte und weil ich sehen wollte, was passiert. Neugier also, wenn ich ehrlich bin. Doch gerechnet hatte ich mit etwas ganz anderem: Wie ein Lauffeuer, so dachte ich, würde sich die Magie unter den männlichen Rebellen verteilen, so dass nur wenige Wochen vergehen würden, bis Adrian in den Krieg ziehen würde: Gegen die Hauptstadt Annaburg oder für den Anfang erstmal gegen eine Garde!

Doch nichts, Pustekuchen. Stattdessen das übliche Wanderleben und jede Menge Organisationskram. Das habe ich schon damals bei der Ostgarde gehasst, ich bin eine Frau der Tat! Und dummerweise gibt es nichts für mich zu tun.

Ich habe es ja versucht, weiß die Göttin! Habe mich abends an ein Lagerfeuer gesetzt, ein paar Becher Apfelwein getrunken und tiefsinnige Gespräche darüber geführt, wie die Welt wohl aussehen wird, wenn sich Männer von dem ihnen von der Göttin angestammten Platz erheben. Nicht, dass ich das gut finden würde. Aber spannend, immerhin.

Doch auch solche Gedankenspiele verlieren mit der Zeit ihren Reiz, wenn du jeden Abend wunde Füße hast und nicht weißt, wohin mit dir. Ich habe meinen Platz in dieser Welt schon vor Jahren verloren. Eine Zeit lang sah es so aus, als wäre es meine neue Bestimmung, Koljas Mutter zu sein. Das hat mich gerettet, ansonsten hätte ich mich sicher schon auf die ein oder andere Weise zur Großen Göttin befördert.

Aber dann musste ich ihn gehen lassen und zurück kam ein junger Mann, der weiterwachsen und mich irgendwann nicht mehr brauchen wird. Ja, ich habe meinen Platz in der Welt verloren. Und ich weiß nicht, wie ich je wieder einen finden soll.

»Hallo Mama!«

»Du bist spät dran heute!«, schimpfe ich halbherzig. Mit meinem ganzen Selbstmitleid habe ich mich wieder einmal selbst in trübe Stimmung versetzt. »Ich musste alles allein aufbauen und auspacken.«

»Tut mir leid.« Er schnieft. »Es hat heute eben alles ein bisschen länger gedauert.«

»Ist alles in Ordnung bei dir und Désirée?«

»Ja, wieso fragst du?«

»Ach, nur so. Wie kommt ihr denn voran?«

Kolja zuckt mit den Schultern. »Bei mir ging es damals schneller, aber wir sind dran.«

»Natürlich ging das bei dir damals schneller«, sage ich voller Stolz. »Du bist der intelligenteste Junge … junge Mann, den ich kenne!«

»Ach Mama, das sagst du ja nur, weil du –« Er stockt.

Ich weiß, was ihn dazu gebracht hat: Der Gedanke daran, dass ich ja eigentlich gar nicht seine Mutter bin, zumindest nicht im biologischen Sinn, sondern Ada. Und dass sie so etwas Schönes nie über ihn oder zu ihm gesagt hat. Weil sie eine dämliche, egoistische Mistkröte ist, der ich am liebsten mal ganz gehörig ein paar Ohrfeigen verpassen würde. Leider, leider besteht mein Sohn darauf, dass Ada allein seine Angelegenheit ist. Aber ich werde ja wohl noch träumen dürfen.

»Weil ich deine Mutter bin«, vollende ich seinen Satz. Dingen, die weh tun, muss er sich stellen, damit sie aufbrechen und heilen können. Auch wenn er es immer und immer wieder tun muss. Es wird jedes Mal besser, verdrängen bringt nichts außer schwärenden Wunden, die nach innen wachsen. »Ja, ich bin deine Mutter und nein, das sage ich nicht nur deswegen.« Ich schnaufe übertrieben. »Oder kannst du dir vorstellen, dass ich sowas zum Beispiel zu Corey sagen würde, wenn er mein Sohn wäre?«

Ich habe es geschafft, Kolja lächelt. Ganz vorsichtig. Er sieht immer so zerbrechlich aus!

Überhaupt: Jetzt, da das Licht meiner Öllampe über sein Gesicht huscht, sieht er kleiner aus, als er ist. Mehr Kind noch als Mann, und doch sagen seine Augen etwas anderes.

»Sag mal, irre ich mich, oder hast du Ränder unter den Augen?«

»Was?« Kolja kramt einen Spiegel aus seiner Tasche und mustert dann kritisch sein Antlitz. Ich betrachte ihn indessen insgesamt etwas genauer. Dass er das mit den Augenringen nicht sofort abgestritten hat, macht mich stutzig. Normalerweise besteht er immer darauf, dass es ihm gut geht.

Waren seine Schultern nicht mal breiter? Zumindest waren sie mir so vorgekommen, als er aus Annaburg zurückgekommen war. Schlank war er, seit ich ihn kenne, und die Wachstumsschübe, die er in den letzten zwei Jahren gemacht hat, haben ihr Übriges getan. Aber dass er so dünn ist? Ja, die Versorgung ist hier nicht so gut, wie er es von Zuhause in Smaleberg gewöhnt ist, aber dennoch ausreichend. Er hatte viel zu tun in der letzten Zeit: Erst das Abenteuer in Annaburg und der harte Ritt zur Gefängnisburg-über-Almetal. Kaum angekommen, waren wir gemeinsam aufgebrochen und als wir dann auf Adrian gestoßen waren, ging es fast sofort wieder weiter. Von dem etwas längeren Aufenthalt in diesem Kuhkaff mal abgesehen, waren wir ständig auf Reisen. Und kaum, dass wir irgendwo unser Lager aufgeschlagen hatten, war Kolja mit Désirée und ein paar anderen im Wald verschwunden, um sein Wissen weiterzugeben. Mein Sohn sieht schon seit einiger Zeit ständig müde aus, ja, aber ich hielt das für normal, es geht uns ja allen so.

Während Kolja den Spiegel wieder wegpackt und sichtlich verlegen mit den Schultern zuckt, lasse ich meinen Blick wieder über sein Gesicht gleiten. Mag sein, dass es an den Lichtverhältnissen liegt, aber was sind das für dunkle Stellen unter seinen Wangenknochen?

»Mojserce, bist du krank?«

Er weicht meinem Blick aus. »Nein Mama, nur ein bisschen überanstrengt vielleicht. War ein bisschen viel in der letzten Zeit, ich bin auch ein bisschen müde.«

Dreimal »ein bisschen«, das ist mir aber ein bisschen zu viel!

»Schau mich an!«

Gehorsam richtet er seinen Blick auf mich. Darin liegt so knochentiefe Erschöpfung, dass ich mir Mühe geben muss, um nicht zusammen zu zucken.

»Kolja, Mojserce, du bist krank!«

»Ach nein, Mama, mach dir keine Sorgen! Es geht mir … na ja, es ging mir schon besser, aber ehrlich, es ist nichts. Ich bin nur total müde.«

»Dann schlaf jetzt, mein Schatz!«

Muss ich mir Sorgen machen? Nein, sicher nicht, beschließe ich. Kolja ist einfach nur erschöpft, wie wir alle.

Hexenherz. Goldener Tod

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