Читать книгу Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner - Страница 13
ОглавлениеKapitel 6
»Wir alle haben schon unsere Erfahrung damit gemacht, eine Magieart zu erwischen, die unserer natürlichen Magie zuwider läuft«, fasst es Simone eines Abends zusammen.
Kelly, eine ältere Rebellin, nickt. »Mir war noch nie so dermaßen schlecht!«
Auch ich habe schon Bekanntschaft mit dieser Art der Unverträglichkeit gemacht. Es war Amphibienmagie, die dermaßen heftig auf meine damalige Eismagie reagiert hatte, dass ich sogar in Ohnmacht gefallen war. Doch so krank wie Kolja war nie eine geworden.
»Vielleicht ist der männliche Körper einfach zu schwach für Magie?«, mutmaßt Jana.
»Blödsinn«, mischt sich Désirée ein. »Kolja hat damals in Annaburg mehrere Wochen Magie benutzt und nichts ist passiert!«
Mehrere Wochen – da muss ich nachhaken! »Wie lange war das genau?«, überlege ich laut. »Er ist von Smaleberg aus zu euch und zwei Wochen später zum Ausbildungszug, richtig?«
Die blonde Rebellin nickt. »Leonie und Kolja brauchten zwei Tage, um ihn zu treffen. Der Zug selbst brauchte dann fünf Tage bis Annaburg.«
»Mojserce«, rufe ich nach hinten, »Wie lange bist du in Annaburg gewesen?«
Kurze Stille.
»Drei Wochen und zwei Tage.« Er lacht auf. »Wie seltsam – es kam mir viel länger vor!«
»Hm.« Ich rechne: »Von da aus bist du zu deiner … in den Norden, richtig?«
»Ja.« Koljas Stimme wird mit jedem Tag fester. »Zwei Tage.«
»Und dann … « Wieder stocke ich und beschließe, eine Etappe seiner Reise ungenannt zu lassen. »Zurück nach Smaleberg. Das waren wie viele Tage?«
»Zwei.«
»Das macht insgesamt genau sieben Wochen. Hm.«
»Was denkst du, Mama?«
Ich kann es noch nicht ganz benennen. »Hast du auf dem Rückweg irgendwelche Magie angewandt?«
»Ja«, antwortet er. »Im Bibertal. Du weißt schon, um –«
»Ja«, schneide ich ihm das Wort ab. Falls sich eine darüber wundert, lässt sie es sich nicht anmerken. Gut so, der Schmerz meines Sohnes geht schließlich keine etwas an!
»Und außer dem einen Mal?«
Wieder überlegt Kolja eine Weile.
»Zuletzt so richtig Magie angewandt hatte ich in Annaburg, als ich auf meinem Zimmer einige Experimente gemacht habe. Danach habe ich nur noch ganz wenig Magie benutzt. Ich war zum größten Teil damit beschäftigt, Robert bei seinen Sachen zu helfen. Acht Tage später habe ich mich auf den Weg nach … Norden gemacht. Da habe ich auch Magie angewandt, ich musste mein Pferd ja irgendwie auf die Sandstraße bekommen und abends wieder hinunter. Und noch für ein paar Kleinigkeiten, ihr wisst schon.« Verlegen zuckt er mit den Schultern. Und ja, wir verstehen schon. Eine gewöhnt sich sehr schnell daran, Magie zu haben. »In Ha… im Norden dann einmal mehr«, fährt Kolja fort, »und sicherlich ein paar Mal zwischendurch. Ach Mama, ich weiß es wirklich nicht mehr so genau!«
»Auf jeden Fall über sieben Wochen am Stück. Verdammt!«
»Was ist denn los?« Marzena schaut mich fragend an.
»Nun, ich hatte ehrlich gesagt so eine Idee gehabt. Die sich aber nicht bestätigt hat. Schade.«
»Und was war das für eine Idee?«
»Nun, es dürfte doch wohl kaum ein Zufall sein, dass sich unsere Magie alle drei Wochen erneuern muss, richtig?«
»Woran denkst du?«
»Was, wenn die Göttin uns diese eine Woche Pause im Monat auferlegt hat, damit sich unser Körper davon erholen kann?«
»Ich weiß nicht.« Marzena rümpft die Nase. »Also ich hatte nie das Gefühl, eine Pause zu benötigen, im Gegenteil: Ich empfinde es als extrem nervtötend, so schwach zu sein.« Sie streichelt ihren Bauch. »Vor allem jetzt. Ehrlich, meine Magie fehlt mir!«
Die anderen Frauen haben während ihrer Ausführungen genickt. Ich stimme meiner Freundin ebenfalls zu: In all meinen Jahren unter Magie hatte ich nie das Gefühl, dass sie mir eine Last wäre. Was aber, wenn doch?
»Nun, Kolja hat so lange Magie angewandt, und zwar über sieben Wochen, ohne irgendwelche Nebenwirkungen gespürt zu haben«, ich zucke mit den Schultern, »dass es anscheinend sowieso eine Schnapsidee war.«
»Sag das nicht, Mama!«
»Wieso?« Wir drehen uns zu Kolja um. Der ist aufgestanden, ignoriert meinen besorgten Blick und kommt zu uns herüber, seine Decke fest um die schmalen Schultern geschlungen. Er lässt sich mit einem Seufzer neben mir nieder. Er sieht immer noch krank aus, aber seine Augen funkeln.
»Ich glaube, du könntest recht haben!«
»Ach ja?«
»Ja! Sieh mal, Mama: Ich hatte doch zwischendurch gar keine Magie!« Er erklärt Marzena und den anderen: »Meine Magiereserven waren, als ich in Annaburg ankam, fast aufgebraucht. Wegen der Lügen, die Leonie erzählt hat, war ich dann erstmal ohne Magie, weil kein Nachschub mehr für mich ankam. Erst als Désirée ihre Zwillingsschwester Sabrina geschickt hat, konnte ich wieder an aufgefüllte Speichersteine kommen!« Er tippt sich mit dem Finger gegen die Wange. »Also habe ich … einen Augenblick … Ich hatte an meinem dritten Tag im Refugium, also auch an meinem vierten Tag in Annaburg, meinen Finger geheilt.« Er wirft mir einen um Verzeihung heischenden Blick zu. Ich weiß, wie es zu der Verletzung gekommen ist und wüsste nicht, was es zu verzeihen gäbe. »Danach hatte ich nur noch Magie für den Notfall, die habe ich aber nicht angewandt. Am nächsten Tag kam Sabrina und drei Tage später brachte sie mir neue Steine. Erst dann habe ich wieder Magie benutzt. Ich war eine Woche unter Magie im Refugium. Am nächsten Tag dann der Ritt in den Norden, ins Almetal und zurück nach Smaleberg, macht zusätzlich vier Tage.« Er strahlt mich an. »Das sind gerade einmal elf Tage gewesen! Und vorher… «
»Das waren die zwei Wochen bei den Rebellinnen«, rechne ich jetzt laut vor, »plus die zwei Tage zum Zug und dann fünf Tage bis Annaburg. Vier Tage dort, macht«, dummdidumm, »genau 23 Tage!«
»Das sind mehr als 21 Tage«, stellt Simone trocken fest.
»Eiskalt kombiniert.« Ich nicke. »Ist aber nur wenig drüber. Einige Frauen bekommen ihre Zeit der Magieerneuerung ja auch etwas unregelmäßig. Es wäre also möglich, dass ich recht habe.«
Marzena runzelt die Stirn. »Also womit jetzt genau?«
»Dass sich Kolja eine Magievergiftung eingefangen hat, weil er zu lange am Stück Magie benutzt hat. Ich meine, seit wir hier sind, hat er ja jeden Tag mit Désirée und den anderen geübt. Das sind mittlerweile«, ich muss ja nur daran denken, wie weit Marzena ist, »dreizehn Wochen!«
Die schwangere Frau nickt langsam. »Da könnte tatsächlich etwas dran sein. Ich erinnere mich: als ich noch die Sperre drin hatte, habe ich ja begonnen, Pflanzenmagie aus Steinen zu ziehen und zu benutzen. Als dann meine Zeit der Magieerneuerung kam, habe ich das aber irgendwie nicht getan, es fühlte sich, hm, falsch an irgendwie. Und dann ist ja die Magiesperre gefallen und es war sowieso wieder alles beim Alten.«
»Und hast du denn später mal während deiner Tage Magie von anderen Frauen benutzt? Oder eine von euch anderen?«
Die Frauen sehen sich an und schütteln langsam den Kopf.
»Du hast recht, Mama, das ist es also!« Kolja strahlt mich an. »Du bist echt die Beste!«
»Ich weiß! Das heißt aber noch lange nicht, dass ich damit hundertprozentig richtig liege.«
»Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Sinn ergibt es«, meint Simone. »Drei Wochen Magie, eine Woche Pause. Es macht schon Sinn, dass das dann auch für Nicht-Frauen gelten sollte.«
»Was bedeutet, dass du jetzt erstmal Pause hast, mein Lieber! Und zwar nicht nur eine Woche, sondern so lange, wie ich es für richtig halte!«
Ich hatte mit Protest oder Trotz gerechnet, doch Kolja nickt einfach.
»Das denke ich auch, Mama.«
Wir bleiben zwei Wochen in der Höhle. Immer, wenn mir die Zeit lang zu werden droht, denke ich daran, was ich fast verloren hätte.
Meinem Sohn geht es mit jedem Tag besser, der Göttin sei Dank! Als Adrian es für sicher befindet, wieder aufzubrechen, kann Kolja problemlos Schritt halten. Als ich kommentarlos seinen Teil des Gepäcks nehmen will, protestiert er und beginnt, zu debattieren. Natürlich hat er gegen mich keine Chance, doch mein Herz hüpft vor Freude: Er ist wieder ganz der Alte!
Alle genießen es, endlich wieder draußen zu sein. Tatsächlich waren nicht wenige von einem kleinen Höhlenkoller befallen gewesen. Das bleibt nicht aus, wenn viele Menschen auf so engem Raum zusammen hocken, da ist Streit vorprogrammiert. Das Ganze hat mich ein wenig an einen Winter erinnert, als es tatsächlich so viel geschneit hatte, dass wir trotz unserer Stärke gezwungen gewesen waren, in unseren Zelten zu bleiben und still zu halten. Ausgerechnet wir, die Ostgarde, die Garde mit dem härtesten Ruf überhaupt, war zum Nichtstun verdammt gewesen. In diesen winterdunklen Tagen ist jede Menge Alkohol und Magie geflossen und meine Obere, Frau Helmich, hatte so manche Frau an die frische Luft gesetzt, ihr Mütchen im Schnee zu kühlen …
Auch das kalte, karge Essen – schrumpelige Äpfel, Nüsse, die weiß die Göttin wie alt waren, und löffelweise Mehl, was halt in Notverstecken so herumliegt, weil es sich lange hält – hatte auch nicht unbedingt zu guter Laune beigetragen. Entsprechend fröhlich sind alle, als es endlich wieder nach draußen und weitergeht. Die Rebellinnen reißen sich darum, von Adrian auf einen Botinnengang geschickt zu werden und mein Hunger auf Fleisch ist so gewaltig, dass ich selbst ein Eichhörnchen nur einmal kurz durch die Flamme ziehen würde.
Wir finden schnell in den gewohnten Trott: tagsüber marschieren, abends Lager aufschlagen, schlafen oder Wache halten, aufstehen, Frühstück, Lager wieder abbauen und weiterziehen. Und doch hat sich etwas verändert. Koljas Zusammenbruch hat bei allen ein beklemmendes Gefühl hinterlassen. Adrian treibt seine Leute längst nicht mehr so hart an wie vorher. Muss er auch nicht, denn während unseres Zwangsaufenthaltes in der Höhle wurden zig Gegenstände gefertigt, die zum Tausch oder Verkauf geeignet sind. Außerdem konnte uns kein frischer Nachschub an Magiespeichersteinen und Schmuck erreichen. Kein Wild wurde erlegt, das zerwirkt und weiter verarbeitet hätte werden müssen. Ohne Kolja hatte auch Désirée den Unterricht nicht fortgeführt, es war allgemeiner Stillstand. Nun scheint Adrian bestrebt zu sein, die Dinge seinen Leuten zuliebe etwas langsamer angehen zu lassen.
Der Alltag spielt sich aber auch so wieder ein. Bald verlässt Désirée auch morgens wieder mit ein paar Freiwilligen das Lager, um weiter an der Anwendung der Magie zu forschen. Sie und Marzena haben einen Plan ausgearbeitet, der sicherstellen soll, dass sich so etwas wie bei Kolja nicht wiederholt. Obwohl noch nicht bewiesen, gilt meine Theorie von der Überlastung durch das Überspringen der eigentlich magiefreien Tage als richtig.
»Ihr könntet das eigentlich nach mir benennen«, meine ich eines Tages zu Marzena, während wir auf das Abendessen warten.
»Ach ja?« Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Du meinst sowas wie ›die Helena-Krankheit‹? Klingt aber wenig schmeichelhaft!«
»Pfff, du hast einfach keine Fantasie! Alle guten Krankheiten sind nach ihren Entdeckerinnen benannt.«
»Oder nach deren Heilerinnen!«
»Na bitte: ich bin beides!« Ich grinse sie an. Während der Zeit in der Höhle war schlichtweg kein Platz für irgendwelche Peinlichkeiten. Wir sind wieder so eng miteinander wie vor der ganzen Sache mit Adrian.
»,Morbus Helena‹«, spinne ich das Ganze weiter. »Oder wie wäre es mit dem ,Rinasdother-Syndrom‹?«
»Du bist doof!«
»Bin ich nicht!«
»Helena, hast du mal einen Augenblick!« Göttin, bin ich froh, dass Adrian nicht zu den Männern gehört, die ihren Partnerinnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Kuss auf die Wange hauchen.
»Ja klar, was gibt`s?«
»Komm mit!«, sagt er und geht mit mir ein Stück abseits. Was er mir zu sagen hat, sollen die anderen anscheinend nicht mitbekommen.
»Ich muss mit dir über etwas sprechen«, sagt er, als wir mit den Schatten des Waldes verschmolzen sind. »Wie du weißt, hat uns Kolja ausführlich über seine Erfahrungen mit den Magiespeichersteinen und seiner Anwendung der verschiedenen Magiesorten berichtet und auch gemeinsam mit Désirée versucht, dieses Wissen in seiner praktischen Anwendung an andere zu vermitteln. Das Problem ist nur … «
»Ja?«
»Es funktioniert nicht.«