Читать книгу Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner - Страница 14
ОглавлениеKapitel 7
Wie bitte? »Was genau funktioniert nicht?«
»Was Kolja uns berichtet hat, dass auch Männer Magie anwenden können. Es klappt einfach nicht! Wir haben auch Désirée dazu geholt. Sie war es, die damals mit Kolja geübt hat. Aber nichts, gar nichts.«
»Wer hat es denn versucht?«, verlange ich zu wissen. »Gero? Corey?«
Adrian seufzt. »Wir haben es alle versucht.«
Das überrascht mich jetzt doch. »Auch du?«
»Auch ich.«
»Wieso klappt es nicht?«
»Wenn ich das wüsste, liebe Helena, dann würde ich längst daran arbeiten, das Problem zu lösen.«
Immer, wenn er mich ›liebe Helena‹ nennt, bin ich versucht, ihm die Zunge herauszustrecken. Darf man das bei einem angehenden Vater überhaupt noch?
»Also nochmal ganz langsam: Du willst mir also erzählen, dass mein Sohn die einzige Nicht-Frau ist, die es geschafft hat, Magie anzuwenden!?«
»Ganz genau.«
»Hast du die Steine überprüft?«
»Was denkst du denn? Désirée und Simone haben das getan, mehrfach sogar. Sie hatten kein Problem damit, die Magie herauszuziehen, die andere Frauen eingespeist hatten. Nein, an den Steinen oder Magiesorten liegt es nicht. Es muss etwas anderes sein. Irgendetwas stimmt da nicht.«
Ich verenge meine Augen zu schmalen Schlitzen, »Du willst doch wohl nicht etwa sagen, dass mein Junge lügt, oder?«
»Ach Quatsch!« Adrian scheint dem Ton nach mehr verblüfft als wütend zu sein. »Mach dich nicht lächerlich! Keine hier zweifelt an dem, was dein Sohn erzählt hat. Im Gegenteil, er hat es uns ja selbst gezeigt. Doch was wir auch versuchen, keinem unserer Männer oder Fräulein ist es bislang gelungen, es ihm gleich zu tun.«
»Hm.« Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe zum Himmel herauf. Die Mondin schimmert als sanfte Sichel, einzelne Sterne scheinen sich in den Vordergrund zu drängen und der Wald um uns herum kommt langsam zur Ruhe. Ebenso die Rebellinnen: Das Lager scheint fertig zu sein, ich erkenne die vielen Zelte als dunkle Schemen; in deren Mitte ein Feuer, auf dem sicher gleich etwas gekocht wird. Hoffentlich etwas mit Fleisch!
Bleibt nur eine Frage: »Warum, zu den Sieben Finsterhexen, hast du mir das nicht gesagt? Wieso erfahre ich das erst jetzt, nachdem ich wochenlang« – ich stiere ihn finster an – »dumm rumgesessen habe. Ich hätte euch helfen können!«
»Jetzt guck nicht so böse«, Adrian lacht. Woher weiß er das? Unmöglich, dass er bei dieser Dunkelheit meinen Gesichtsausdruck sehen kann! »Wir hatten … . Na gut«, er seufzt, »Ich hatte den Eindruck, dass du Zeit für dich brauchst.«
»Zeit für mich?«, echoe ich. »Wofür denn?«
»Um mit der Situation zurechtzukommen?«
Noch während ich »Welche Situation?« frage, dämmert es mir: Marzenas Schwangerschaft.
»Scher dich doch zu den Sieben Finsterhexen«, fauche ich, »Du bist ganz schön aufgeblasen, weißt du das? Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte, als den ganzen Tag über anderer Leute Familienplanung nachzudenken oder mir sonst irgendwelche Gedanken zu machen.«
»Stimmt, du bist immer schon eher eine Frau der Tat gewesen.«
»Jetzt komm mir nicht so! Das ist ja wohl der größte Mist, den ich in den letzten drei Jahren gehört habe. Mindestens. Ihr habt ein Problem und sagt es mir nicht. Ehrlich, das ist ja wohl das Letzte!«
»Du hast recht.«
Adrians Eingeständnis nimmt mir den Wind aus den Segeln. Doch dann kommt mir noch etwas in den Sinn: »Moment mal! Kolja hat mir auch nichts gesagt! Und auch sonst keine.« Ich fasse es nicht. »Soll das etwa bedeuten, dass du allen gesagt hast, sie sollen mir nichts sagen?« Meine Stimme ist immer lauter geworden. Gut so, mir ist nämlich auch nach schreien. »Soll das etwa heißen, dass du meinem Sohn gesagt hast, dass er etwas vor mir verheimlichen soll?«
»Helena, bitte nicht so laut!«
»Du kannst mich mal!«
»Göttin! Ja, du hast recht.« Der Rebellinnenführer atmet laut aus. »Du hast recht«, wiederholt er. Dieses Mal klingt es traurig, resigniert. »Ja, ich habe Kolja und die anderen gebeten, dir nichts zu sagen. Nicht, um dich auszuschließen oder weil du uns keine Hilfe gewesen wärst. Sondern, weil ich alle Sorgen von dir fernhalten wollte.«
»Du wolltest mich beschützen?« Ich fasse es nicht.
»Hast du nicht schon genug durchgemacht?«, erwidert Adrian.
Das ist so dermaßen dämlich, dass ich einen Moment brauche, um Worte zu finden.
»Ehrlich, Adrian, das ist … Und dann auch noch Kolja, den Einzigen, der … Ehrlich, weißt du was? Du kannst mich mal!«
Ich drehe mich um und stapfe zurück zum Lager. Für heute habe ich die Nase voll.
Als Kolja ins Zelt kommt, ist er noch stiller als sonst. Normalerweise weiß ich sein ruhiges Wesen sehr zu schätzen – nicht auszudenken, er wäre eines dieser ewig plappernden Kinder gewesen! – doch heute stört es mich.
»Du denkst, ich bin sauer«, sage ich daher, um das Schweigen zu brechen.
Er sieht mich aus seinen großen, viel zu erwachsenen Augen an.
»Ja, Mama.«
Ach Göttin, was soll ich nur machen? Dies hier ist ein ganz besonderer Zauber; ich kann dem Jungen einfach nicht böse sein! Oder zumindest nicht lange. Wie gern ich mich auch hineinsteigern würde, dass er mir etwas verheimlicht hat, ich kann es einfach nicht: mich wütend auf ihn zu wissen, würde Kolja das Herz brechen.
»Ich bin dir nicht böse, Mojserce.« Um meine Aussage zu unterstreichen, benutze ich meinen alten Kosenamen für ihn. Er ist jetzt 15 Jahre alt – ich bin gespannt, wie lange er sich noch von mir »mein Herz« nennen lässt.
»Wirklich nicht? Adrian meinte … « Er zuckt unglücklich mit den Schultern.
»Ich bin dir nicht böse, weil ich dich verstehe«, erkläre ich. »Auf Adrian bin ich allerdings böse, er hat dich in eine blöde Situation gebracht!«
»Er wollte nur, dass du Ruhe hast.« Koljas Einwand klingt weniger nach Protest, als nach einer Frage. Er liebt Adrian, keine Frage, will ihn aber auch nicht zu meinen Lasten verteidigen. Loyaler, kleiner Mann!
»Und wer sagt, dass ich Ruhe haben wollte?« Ich schüttele den Kopf. »Die einzige Person, die darüber zu bestimmen hat, was ich will oder nicht will oder brauche, bin ich, damit das klar ist!«
»Ja, Mama.«
»Jetzt lass den Kopf nicht hängen. Die Sache ist dumm gelaufen und ich werde den lieben Herrn Anführer dafür noch büßen lassen. Aber zwischen uns ist alles gut.« Koljas Miene erhellt sich. »Außerdem kann ich euch vielleicht sogar helfen … «
»Was? Soll das heißen, du weißt, weswegen ich der einzige Mann bin, der Magie aus den Steinen ziehen kann?«
Ich grinse, wie jedes Mal, wenn sich mein Sohn selbst als Mann bezeichnet. Es ist ein stolzes Grinsen.
»Ja, das wäre durchaus möglich.«
»Mama, das wäre ja großartig!«
»Tja, was soll ich sagen? So bin ich eben.«
Kolja legt den Kopf schief und lächelt mich an. Er grinst nie, sondern lächelt immer, so richtig ehrlich und echt. Er wird einmal ein großartiger Mann werden. Aber noch ist er mein kleiner Sohn, der Flüchtlingsjunge, den ich fast gegen meinen Willen bei mir aufgenommen habe. Der es irgendwie geschafft hat, sich mit seiner ruhigen Art und seinem Löwinnenmut in mein Herz zu schleichen. Ich habe ihn einmal gehen und sein eigenes Abenteuer erleben lassen. Fast wäre er dabei umgekommen. Aber eben nur fast, er ist doch ganz mein Sohn.
Ich hätte nichts dagegen, Adrian noch weiter auf die Folter zu spannen, doch die anderen nutzen gnadenlos meine Schwäche aus, zu etwas nütze sein zu wollen. Den Anfang hatte Simone gemacht, die mich auf betont unschuldige Art gefragt hatte, ob ich mich schon mit Kolja über die männliche Anwendung der Magie unterhalten hätte. Adrian war so klug gewesen, mich erstmal in Ruhe zu lassen, hatte mir aber als nächstes Désirée auf den Hals gehetzt. Als sie ging, hat sie breit gegrinst. Es scheint ab und an wirklich, als befände ich mich in einem Irrenhaus unter Wahnsinnigen, statt unter freiem Himmel und Rebellinnen. Eingeknickt bin ich aber erst bei Marzena. Weiß die Göttin, wieso schwangere Frauen so gefühlsduselig sind! Eine so starke Frau weinen zu sehen, hätte das härteste Herz erweicht. Entsprechend halte ich es für mein gutes Recht, mich bei Adrian zu beschweren.
»Das mit Marzena war ja wohl eine ganz üble Nummer!«, hatte ich ihn zur Rede gestellt. Wie nicht anders zu erwarten, hatte mich der Anführer der Rebellinnen erst freundlich ausgelacht und mich dann irgendwie überredet, ihnen nun doch weiter zu helfen. Ehrlich, ich sollte mich vielleicht doch langsam zur Ruhe setzen.
Ich denke zurück an meine Zeit in Smaleberg. Von der Goldenen Frau meiner Magie beraubt, war ich zurück in meine Heimat gekehrt, um mich um Kolja zu kümmern. Eine Weile hatte das auch gut funktioniert: Der Junge hatte sich bei mir, meinen Eltern, meinen Großeltern und meinen Nichten eingelebt, hatte Deutsch gelernt und sich mit unserer Hilfe ein Leben aufgebaut. Zwei Jahre lang. Mit Sicherheit nicht das spannendste Leben unter der Sonne, aber ehrlich gesagt hatte ich an so einigem zu knapsen. Ich hatte mich so viele Jahre lang an meine Magie gewöhnt, meine wunderschöne, mächtige Eismagie; zudem an meine Basismagie, die es mir ermöglichte, jede Sprache dieser Welt zu verstehen, kleine Dinge zu bewegen und vieles mehr, dass ich sehr lange gebraucht habe, um damit klar zu kommen. Oder zumindest etwas: so ganz werde ich es wohl nie verkraften, mit 28 schon Großmutter geworden zu sein … Kolja zu beschützen, groß zu ziehen und ihm beizustehen hat den Rest meiner Zeit in Anspruch genommen. Wobei auch das etwas beschönigt ist; an vielen Tagen wäre ich ohne ihn nichtmal aufgestanden. Stattdessen habe ich mit ihm zig Spaziergänge gemacht, bin nach langen Abenden mit Apfelwein am Kaminfeuer mit heftigem Kater durch die Botanik spaziert, während sich mein Vater um Koljas eingenässte Bettwäsche gekümmert hat.
Ich hatte irgendwie erwartet, dass es ewig so weitergeht, doch hatte ich meinen Sohn unterschätzt. Die Ungewissheit, was das Schicksal seines Vaters und den Verbleib seiner Gebärerin anbelangt, hatte dazu geführt, dass Kolja einen tollkühnen Plan schmiedete und hinaus in die Welt zog. Ohne mich. Ich durfte ihn darauf vorbereiten, das war alles. Nichts auf der Göttin Erde, keine Prüfung ist mir je so schwer gefallen, wie ihn ziehen zu lassen. Ich wusste, dass die Reise gefährlich wird und er dabei sterben könnte. Ich wusste aber auch, dass Koljas Seele krank war und dies die einzige Möglichkeit, zu genesen. So haben wir beide etwas gewagt, als er loszog, und wenn ich ehrlich sein soll, haben wir beide dabei etwas verloren, aber umso mehr gewonnen.
So auch die Erkenntnis, wie unsagbar öde das Leben in einem Dorf sein kann. Ohne Kolja, der mir Auf- und Antrieb gewesen ist, wurde ich mir erst darüber klar, was ich da eigentlich tat: Ich versteckte mich vor dem Leben.
Das Problem ist nur, dass sich eine Helena Rinasdother von Smaleberg nicht versteckt, niemals!
Also war ich mit Kolja gegangen, als er loszog, sein Versprechen gegenüber den Rebellinnen einzulösen, sie in die Anwendung der Magie durch Nicht-Frauen einzuweihen. Wie sich aber herausstellte, habe ich hier bislang noch keine neue Aufgabe für mich und mein Leben gefunden. Ich könnte also weiter mit Adrian schmollen, oder aber verdammt nochmal froh sein, dass ich mich wieder nützlich machen kann!