Читать книгу Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner - Страница 17

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Kapitel 10

Adrian schaut uns der Reihe nach an.

»Wir wollten immer nur in Ruhe gelassen werden. Wer mich kennt weiß, dass kämpfen nie meine Absicht war. Ich habe mich nie darum gedrückt, wenn es sein musste, aber es hat mich auch nichts dazu gedrängt.«

Soweit, so klar. Daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Aber auch nicht aus seinem eisernen Willen, die Geschicke dieses Landes auf eine andere Bahn zu lenken.

»Du wolltest nie gegen die Garden kämpfen«, stelle ich daher richtig, »sondern für eine Gesellschaft, in der Männer und Fräulein den Frauen gleichgestellt sind.« Warum und wie auch immer. »Was ist daraus geworden?«

Er schaut zu Boden.

»Das habe ich gesagt und ja, dazu stehe ich auch. Aber Marzena ist nunmal schwanger und du hattest natürlich recht: Tatsache ist, dass es keine Dauerzustand sein kann, mit einem Säugling ein Leben auf der Flucht zu führen. Was also bleibt übrig, was sind die Alternativen?« Ich erkenne den gequälten Ausdruck in seinen Augen. »Soll ich meine Familie verlassen? Marzena irgendwo absetzen und sie das Kind allein aufziehen lassen? Sollen wir es nach der Geburt weggeben?« Marzena legt schützend die Hände auf ihren Leib und presst die Lippen zusammen. »Oder soll ich meinen Traum von einer besseren Welt aufgeben?«

»Eins davon wirst du tun müssen«, sage ich bewusst trocken.

Adrian schmunzelt. »Und wenn sich sonst keine zu sagen traut, was Sache ist, auf dich kann ich mich verlassen!«

»Das kannst du.«

»Ich danke dir. Nun, es ist wie es ist und wir haben lange überlegt. Es hat sich eine weitere Möglichkeit aufgetan: Frieden.«

»Du willst also Frieden mit den Hexen schließen, aha.« Gero verschränkt die Arme vor der kümmerlichen Brust. »Und wie willst du das anstellen? Du weißt, wie es läuft: Entweder nach deren Regeln oder gar nicht. Ganz einfach.«

»Ich fürchte, Gero hat recht«, sagt Désirée. »Und wenn sie dich in die Finger bekommen, hängen sie dich auf.«

»Das«, Adrian lächelt schief, »wäre nun wirklich nicht meine Definition von ›Frieden‹!«

»Und wie willst du das anstellen?«

»Noch ist ja nichts entschieden, Helena, also … «

»Du kannst es nicht aussitzen!« Ganz so heftig wollte ich nicht klingen, aber Adrians ungewohnte Passivität nervt mich. Er war immer schon mehr Denker als ich, doch nie habe ich erlebt, dass er die Dinge einfach so hinnimmt. Doch, einmal, jetzt erinnere ich mich. Als es um Chris ging. Es hat ihm das Herz gebrochen. »Entscheide dich, verdammt nochmal, und dann zieh es durch!« Ich rede mich langsam in Rage. »Du weißt doch ganz genau, was du tun willst und drückst dich nur davor, es umzusetzen! Tief in deinem Inneren hast du dich bereits entschieden. Das macht es ja so schwer: dass du ganz genau weißt, was du tun musst! Weil das die Dinge wahrscheinlich ändern wird. Aber ich sage dir jetzt mal was, Herr Samo: Die Dinge ändern sich, und zwar mit oder ohne dein Zutun! Also wenn du auch nur den geringsten Hauch einer Chance haben willst, diese Veränderungen zu beeinflussen, dann ist verdammt nochmal jetzt der Zeitpunkt gekommen, deinen Hintern hochzubekommen! Verdammt nochmal, oder hast du gedacht, eine andere regelt das für dich? Oder dass ein Baum auf dich drauf fällt und du keine Entscheidungen mehr treffen musst? Du bist der Anführer hier also verhalte dich auch so, bei den Sieben Finsterhexen!«

Die anderen starren abwechselnd Adrian und mich an.

»Du hast recht«, sagt er schließlich leise.

»Das habe ich immer.«

Zufrieden bemerke ich, wie er sich aufrichtet. Der unschlüssige, selbstmitleidige Adrian war mir tierisch auf den Nerv gegangen.

»Ja. Ich werde versuchen, ein Friedensbündnis mit der Goldenen Frau zu schließen. Nicht nur um meinetwillen, sondern für uns alle. Es kann so nicht weitergehen. Du hast recht, Helena, die Dinge ändern sich. Die Situation hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr verschärft. Woran du übrigens nicht ganz unschuldig bist.« Ich rolle mit den Augen. »Annaburg ist immer weniger gesinnt, uns in Ruhe zu lassen, so lange wir die Füße still halten. Die Goldene Frau weiß, dass wir hinter das Geheimnis der Magiespeicherung gekommen sind. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir Männern Magie verschaffen können. Das weiß sie genau so gut wie wir, nur dass sie es vermutlich nicht für nötig hält, all ihre Leute darin einzuweihen. Wir wissen nicht, wie sie reagieren wird, aber dass sie es tun wird, ist gewiss. Es kann sein, dass sie wartet und uns den ersten Zug tun lässt. Doch das glaube ich nicht. Vielmehr habe ich die Befürchtung, dass sie genau wie wir ihre Vorbereitungen trifft. Wenn wir also einen Pakt vorschlagen wollen, ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.« Er schüttelt den Kopf. »Ich werde kämpfen, wenn es sein muss. Für euch, für meine Familie und für das, woran ich glaube. Wir stehen so kurz davor, allen Magie zugänglich zu machen. Doch die Folgen, die das herbeiführt … Viel sinnvoller wäre es, die Dinge langsam angehen zu lassen. Und von offizieller Seite her bestätigt. Keine will einen neuen Bürgerinnenkrieg«, Gero schnaubt, »und wer die Gräuel der Hexenkriege vergessen hat, kann sie in jedem Geschichtsbuch nachschlagen. Wir wollen dieses Reich und die Menschen retten, ihnen ein besseres Leben verschaffen, nicht es zerstören.«

Das Motto »der Zweck heiligt die Mittel« war nie Adrians. In seinen Augen kann nur Ehre Ehrenvolles hervorbringen. Das ist zwar sowas von naiv, aber ich unterstütze ihn darin.

»Soll das heißen«, Gero tritt vor, »dass du zu Gunsten einer Friedenserklärung darauf verzichten würdest, allen Männern Magie zu verschaffen? Obwohl das doch die Grundlage dafür ist, dass wir endlich vor dem Gesetz als gleichwertig anerkannt werden?«

»Nein. Das bedeutet genau das, was ich gesagt habe: Dass ich bereit bin, die Dinge langsamer anzugehen – und dabei mit den Hexen zusammenzuarbeiten.«

»Pfff«, macht Gero höhnisch. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die Hexen dazu bereit sind.«

»Das werden wir sehen. Sieh es mal so: Haben wir erst einmal Steine und Wissen verbreitet, gibt es kein Zurück mehr. Das werden sie einsehen müssen.«

Marzena und ich wechseln einen Blick. Wir sind uns eindeutig darüber einig, dass von »das müssen sie« gar keine Rede sein kann. Ärgerlicherweise haben die meisten Menschen da nämlich so ihre eigenen Ansichten, was sie müssen und was nicht.

»Das bedeutet, dass du eine Delegation nach Annaburg schicken willst«, sagt Simone langsam. Das Adrian nicht selbst reisen kann, steht aus offenkundigen Gründen nicht zur Debatte. »Was wiederum bedeutet, dass du diese Delegation zusammensetzen musst.« Sie strafft die Schultern. »Ich bin dabei!«

»Ich auch!« Désirée grinst. »Dann kann ich auch endlich mal wieder mein liebes Schwesterchen besuchen.«

»Ich bleibe besser hier. Das Lager bewachen und so. Wer weiß, was diese hinterhältigen Hexen so alles vorhaben.« Gero, dieser Feigling!

»Ich komme auch mit!«

Mein Junge! Nicht, dass ich ihn noch einmal in dieses Schlangennest von Hauptstadt lassen würde.

Soll ich? Soll ich nicht? Ach was, wieso warten, für mich ist die Sache klar.

»Ihr Süßen könnt ja machen, was ihr wollt, aber ich werde diese Delegation anführen.«

»Was?«

»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«

»Helena!«

»Halt!«

Wie immer schafft es Adrian, mit leiser Stimme für Ruhe zu sorgen.

»Du willst also vor die Goldene Frau treten und mit ihr verhandeln?«

»Ja.«

»Nach allem, was sie dir angetan hat?«

Ich zucke mit den Schultern. »Sie hat mir meine Magie nehmen lassen, aber die habe ich ja jetzt wieder. Sozusagen.« Nachdem ich erst einmal gespendete Magie benutzt hatte, hatte es für mich kein Halten mehr gegeben. Mittlerweile habe ich mich mit zahlreichen Magiearten vertraut gemacht, um für einen Kampf gerüstet zu sein. Außerdem trage ich immer mindestens drei volle Speichersteine mit mir herum. Keine Ahnung, ob Adrian das weiß, ist mir aber auch egal. Ich muss eine Närrin gewesen sein, so lange freiwillig auf diese Macht zu verzichten!

»Sie hat Freundinnen von mir getötet und ich einige von ihren Gardistinnen, das gleicht sich sicher irgendwie aus.«

Nichts auf der Göttin Erdboden könnte je die Tode meiner Freundinnen und Gardeschwestern ausgleichen, doch ab und an muss eine sagen, was eine andere Person hören möchte.

»Wir alle«, ich deute auf Marzena, Kolja, und Simone; Gero spare ich bewusst aus, um ihn zu ärgern, und bei Désirée weiß ich es ehrlich gesagt gar nicht, »haben ein Hähnchen mit der Goldenen Frau zu rupfen. Also wenn es danach ginge, dürfte keine von uns losziehen.«

»Stimmt.« Simone nickt. »Gutes Argument. Außerdem, hm, wie soll ich sagen … «, sie schaut mich an und ich bin überrascht, als ich so etwas wie Bewunderung in ihrem Blick erkenne, »ist Helena immer so furchtlos. Keine von uns ist eine Anführerin oder würde es hinbekommen, der Goldenen Frau ins Gesicht zu sehen und Forderungen zu stellen.«

»Stimmt«, Marzena lacht, »das kann nur Helena!«

»Na siehste.« Ich grinse, weil ich weiß, dass sie recht hat. Es bleibt keine sonst. Selbst wenn Marzena nicht schwanger wäre, sie ist keine Mirja. Adrian weiß das. Er nickt.

»In Ordnung.«

»Mama?«

»Nein.«

»Aber –«

»Nein!«

»Mama!«

»Kolja!«

»… ich will hier nicht ohne dich sein.«

»Ach Mojserce … «

»Mama?«

»Na schön, von mir aus!«

Verflixt! Der kleine Kerl schafft es immer wieder, mich rumzukriegen! Und er hat gar nicht mal so Unrecht: Allein der Gedanke, ihn hier allein zu lassen, sorgt dafür, dass sich die Angst wieder auf mein Herz legt. Ich will genauso wenig ohne ihn sein. Der Tag mag kommen, da er mich für immer verlässt. Dann allerdings hoffentlich für eine Frau, die sich um ihn kümmert und ihn beschützen kann.

»Dann kommt jetzt das Schlimmste.« Simone bläst ihre Wangen auf. »Wir müssen festhalten, was wir fordern, was wir bereit sind zu geben und wie viel Spielraum wir haben werden.«

»Außerdem«, ergänzt Adrian, »müssen wir eine Botschaft rausschicken und euch ankündigen. Ich habe keine Lust, eure Leichen von irgendeinem Baum abzuschneiden.«

Ich lache. »Ja klar, als ob die Garden so etwas tun würden!«

»Ich meinte das im übertragenen Sinne.«

»Was ist mit uns?«, will Gero wissen. »Haben wir, was die Inhalte der Verhandlung angeht, auch ein Mitspracherecht?«

Der Anführer nickt vage. »Ich werde eine Versammlung einberufen. Dabei wird Gelegenheit sein, zu diskutieren und Ideen zu erörtern. Jede ist dazu herzlich eingeladen.«

Ach du Scheiße!

»Ohne mich«, sage ich und schaudere gespielt. »Ein Abend rund ums Lagerfeuer mit hitzigen Debatten, bei denen jede Hilda und Tilda ihren Senf dazugeben kann? Nein danke! Mich könnt ihr für den Abend schonmal gern als Wache einteilen, herzlichen Dank.«

»Das wird interessant werden! Und als Delegationsführerin solltest du –«

»Danke, liebe Désirée, aber wenn du mich etwas besser kennen würdest, wüsstest du, dass ich mir lieber einen Strick nehmen würde, als mir so ein stundenlanges Geschwätz anzuhören!« Vor allem, wenn Männer wie Gero und Corey mit dabei sind und so tun, als hätten sie dasselbe Recht wie Frauen, mit dabei zu sein. »Sagt mir einfach hinterher, was dabei herausgekommen ist und gut ist.«

»Und wenn dabei etwas herauskommt, das dir nicht gefällt?«

Ich lache. »Ach Désirée, der ganze Mist hier gefällt mir nicht! Im Grunde bin ich nur hier, weil … Na ja, auf jeden Fall nicht, weil ich davon überzeugt wäre, dass Männer Frauen ebenbürtig sind. Nicht mal, wenn sie Magie hätten.«

Die blonde Rebellin schüttelt den Kopf. »Und wieso willst du dann helfen?«

»Weil sie weiß, dass sich die Dinge ändern, ob sie will oder nicht. Mit ihr oder ohne sie«, wiederholt Adrian leise meine eigenen Worte. »Weil Helena weiß, dass sie nur dann eine Chance hat, diese Veränderungen zu beeinflussen, wenn sie an ihnen teilnimmt.«

Ich schaue meinen Sohn an, meinen wunderschönen, klugen, liebenswerten Sohn, der meine Zukunft ist.

»Genau so sieht es aus.«

Hexenherz. Goldener Tod

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