Читать книгу Mia und der Erbe des Highlanders - Morag McAdams - Страница 7

Kapitel 3

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»Emma. Emma!« Sie wollte sich umdrehen, doch eine Hand an ihrer Schulter hielt sie davon ab. »Emma!«

Seufzend schlug sie die Augen auf. Gerade noch hatte sie Freds Arme um sich gespürt und sich in seinen braunen Augen verloren. Seine Küsse hatten ihre Wangen und Lippen gereizt, weil er wie so oft verschlafen und die Rasur ausgelassen hatte. An ihrem Finger hatte ein schlichter silberner Ring gesteckt. Die Realität bestand aus dem dunkelhaarigen Mädchen, Mary, das an ihrer Schulter rüttelte, damit sie aufwachte. Sich wieder in den Traum und in Freds Umarmung zu flüchten war verlockend, doch Mary ließ nicht locker.

»Emma, du musst aufstehen! Wir müssen gleich hoch ins Schloss! Willst du gar nicht frühstücken? Los jetzt! Emma!«

Von Marys Redeschwall überfordert brummte Mia nur unverständlich, bevor sie schließlich nachgab und sich aufsetzte. Dabei stieß sie beinahe mit dem Kopf an das Bett, das über ihrem lag, und zuckte zurück.

»Ach, du Arme, hast du immer noch Kopfschmerzen?«

»Ein bisschen.« Es war keine ganze Lüge, vergleichbar mit der Aussage, dass es keine Blusen in der passenden Größe mehr im Ausstattungsraum gegeben hätte, wenn der Lehrer mit den lüsternen Blicken und wandernden Händen die Aufsicht führte.

»Komm, ich helfe dir.«

Das mitfühlende Lächeln, das Mary ihr schenkte, hätte sie beinahe einlenken lassen. Doch sie stand gehorsam auf und ließ sich bei den Knöpfen des Kleides helfen, das sie am Vortag nur unwillig angezogen hatte. Marys Hände waren kalt. Mia konnte noch Freds zärtliche Finger an ihrem Rücken spüren. Es schien so lange her zu sein. Nun war sie froh, in passendem Gewand auf dem Stadtfest erschienen zu sein. In Jeans und T-Shirt hätte sie sich im Jahr 1843 sehr unwohl gefühlt.

»Das ist ein tolles Kleid. Tut mir leid, dass es jetzt so zerknittert ist. Ich konnte dich gestern Abend nicht mehr wecken, du hast so tief geschlafen. Eigentlich müsstest du dich auch besser fühlen. Kannst du heute arbeiten? Der Berserker lässt dir sonst bestimmt den Arzt rufen. Aber das wird dir dann vom Lohn abgezogen, und eigentlich siehst du auch nicht mehr so blass aus wie gestern Abend. Aber vielleicht siehst du auch nur in dieser Farbe so blass aus. Das ist nicht dein Kleid, oder? Von wem hast du es bekommen?«

Mia hatte ihren eigenen Gedanken nachgehangen, während Mary auf sie eingeredet hatte. Sie merkte, dass sie nicht wusste, was das Mädchen als Letztes gesagt hatte, als es plötzlich still war.

»Hm?«

»Du hörst mir gar nicht zu, Emma!«, schalt Mary, doch sie schien nicht ernstlich gekränkt. »Wer hat dir dieses Kleid geschenkt?«

»Jane hat es mir gegeben«, log sie. Es wäre nicht ungewöhnlich, dass ihre Schwester das gelbe Kleid verschenkt hatte, denn sie war in anderen Umständen. Doch das würde sie Mary nicht erzählen, weil man darüber nicht sprach.

»Ach so.« Mary lächelte und Mia wusste, dass sie verstanden hatte, was nicht gesagt worden war.

In der Ecke des Schlafraums war ein kleines Becken in einen Waschtisch eingelassen. Mia goss kaltes Wasser aus dem Krug hinein und biss die Zähne zusammen, als sie sich schnell wusch.

»Wo ist denn …«, murmelte sie vor sich hin.

»Zweites von rechts, Emma. Immer das zweite von rechts. Was hast du gestern bloß an den Kopf bekommen?!«

Mia rollte, von Mary unbemerkt, mit den Augen. Sie konnte sich problemlos daran erinnern, dass sie eine jüngere Schwester namens Jane hatte, die ein Kind erwartete, aber nicht daran, wo ihr Handtuch hing. Was passierte mit ihr? Sie hatte den Platz einer völlig Fremden eingenommen, trotzdem war ihr vieles bereits bekannt. Sie musste Sybilla deswegen befragen, vielleicht wusste sie eine Antwort. Sie wollte die fremden Erinnerungen nicht mitnehmen, wenn sie nach Hause ging.

In einem Porzellanbecher stand eine altertümliche Zahnbürste, die Mia kritisch ansah. Die Borsten, die im Holzstiel steckten, waren ausgefranst, und Mia lief ein Schauer über den Rücken. Sie spülte sich den Mund lediglich mit Wasser aus.

Das Frühstück hatte aus einem Kräutertee und einer Scheibe Brot mit Butter und Marmelade bestanden, und Mia hatte sich nach ihrer gemütlichen Küche, einem gekochten Ei und etwas geröstetem Weißbrot gesehnt. Dann hatte sie sich mit Mary auf den Weg in das obere Stockwerk des rechten Schlossflügels gemacht. Der ältere und der neue Teil von Donnahew Castle gingen nahezu unmerkbar ineinander über. Sie versuchte, sich möglichst alles zu merken, was sie sah, um Fred davon erzählen zu können. Mary mahnte jedoch zur Eile. Mia wusste nicht, ob sie jeden Tag gemeinsam arbeiteten oder ob das Mädchen sie nur wegen ihrer angeblichen Gehirnerschütterung unter die Fittiche genommen hatte. Es war angenehm, nicht allein herausfinden zu müssen, was von ihr erwartet wurde. Sie konnte sich Mary anpassen, deren Mund nie stillzustehen schien. Die Arbeit, die sie verrichteten, war einfach, aber anstrengend. Den Vormittag verbrachten sie damit, in den Schlafzimmern der Herrschaften nach dem Rechten zu sehen. Bettlaken wechseln, Federbetten auslüften, schmutzige Wäsche einsammeln, Staub wischen – es war nichts anderes als das, was sie jeden Tag tat. Den Nachttopf zu leeren war wie Toilettenputzen. Man durfte nicht zu sehr darüber nachdenken.

In einem großen Spiegel in einem der Ankleidezimmer besah sie sich ihre Uniform. Wie alle anderen Hausmädchen – Mia vermutete, dass dies die korrekte Bezeichnung war – trug auch sie ein dunkelblaues Kleid mit einer hellen Schürze darüber. Zwar gehörte ein dicker Unterrock dazu, das Kleid fiel jedoch nicht so weit wie die, die sie während des Festivals gesehen hatte. Vermutlich war die Dienstkleidung der Angestellten einfacher gehalten als die der gehobenen Schicht. Feine Damen arbeiteten nicht, das hatte sie gestern an den Kleidern gesehen, die zum Teil überreich verziert und unpraktisch waren.

Das blaue Kleid stand ihr gut, doch Mary scheuchte sie weiter, bevor sie sich für längere Zeit bewundern konnte. Von ihr erfuhr sie auch, dass gerade alle drei Herrschaften am Hof weilten: Alastair William hatte ein Lungenleiden, das ihn immer wieder für längere Zeit ans Haus fesselte. Kendrick, der ihn vermutlich bald ersetzen musste, war deshalb immer in der Nähe. Er lenkte bereits jetzt aus dem Hintergrund die Geschicke des Clans und seines Volkes. Dagegen war Frederick, sein jüngerer Bruder, nur am Hof, weil er einen Beinbruch auskurieren musste und sich deshalb erst vor wenigen Tagen von der Militärakademie hatte freistellen lassen.

Mia lächelte vor sich hin. Tratsch verbreitete sich unter Angestellten also auch im neunzehnten Jahrhundert schnell. Ihr Lächeln gefror, als ihr bewusst wurde, dass sie Frederick bereits gestern gesehen hatte. Sie erinnerte sich an sein weiches Jungengesicht und dass er sie mit unverhohlener Neugier aus der Kutsche heraus gemustert hatte. Sie hatte ihn von weitem für Fred gehalten, nicht wissend, dass sie denselben Namen trugen. Hoffentlich begegnete sie dem finsteren Mann nicht wieder, der bei ihm gewesen war.

Die Arbeit ohne die Hilfsmittel des einundzwanzigsten Jahrhunderts war anstrengend. Mittags ließ Mia sich erschöpft an den Tisch in der großen Küche fallen. Sie sehnte sich nach dem Abend, wenn sie zu Sybilla gehen konnte. Dann würde sie herausfinden, wie sie nach Hause käme. Fred suchte bestimmt schon nach ihr, obwohl er vermutlich befürchtete, sie sei wegen seines Antrags verschwunden. Sie würde sich nie verzeihen, wenn das letzte, was sie mit ihm erlebt hätte, von ihm als Kränkung aufgefasst worden war. Sie musste zurück!

Das Essen war kräftiger gewürzt als Mia es gewohnt war, doch nach der harten Arbeit schmeckte es ihr sehr gut. Ihren ersten und letzten Tag auf Donnahew Castle wollte sie damit verbringen, alle Eindrücke aufzusaugen, die sie davon erhielt. In der Küche ging es gesittet, aber lebhaft zu. Angestellte kamen und gingen, plauderten und ruhten sich für einen Moment von der Arbeit aus. Mia war überrascht, unter dem Tratsch kein schlechtes Wort über den Berserker und seine Söhne zu hören. Er schien als gerechter Landesherr bei seinem Volk beliebt zu sein. Es war fast wie im Märchen. Jetzt fehlte nur noch die holde Maid, die den Prinzen heiraten sollte, und ein Bösewicht. Für diese Rolle schien der fiese Reiter, der Frederick am Vortag begleitet hatte, prädestiniert. Sie wusste, dass sie ihn kennen sollte und dass es irgendwie wichtig war, doch sie konnte die Erinnerung nicht festhalten. Am besten fand sie bald heraus, wer er war, damit sie ihm aus dem Weg gehen konnte.

»Emma, hör auf zu träumen, wir müssen wieder an die Arbeit!«, ermahnte Mary sie. Mias Gefühle über das Ende der Mittagspause waren zwiespältig. Einerseits genoss sie die Atmosphäre in der Küche, die nicht mit dem Hauen und Stechen im HYA-Hotel zu vergleichen war. Dort musste jeder seine Arbeit allein erledigen und man begegnete seinen Kollegen bestenfalls höflich-distanziert. Der morgendliche Aufforderungsruf »Heya!« spottete über den Namen des Gasthauses, der als Akronym für »here you are«, also »bitte sehr, gern geschehen« stand. »Heya«, wie es ein Kutscher seinen Pferden zurief, war für ihren Arbeitstag allerdings deutlich passender ausgedrückt. Mehrfach hatte sie bereits kündigen wollen, doch sie war auf ihr Einkommen angewiesen. Vielleicht konnte sie zu Hause bleiben, wenn sie Fred heiratete. Sie würde ihren Haushalt vorbildlich führen, wie es von einer Frau erwartet wurde.

Mia schüttelte den Kopf über ihre eigenen Gedanken. Was dachte sie da nur? Das war doch nicht das, was sie für richtig hielt. Oder doch? Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Waren das Emmas Gefühle? Schlichen sich ihre Ansichten in ihren Kopf, so wie sie, Mia, ihren Platz eingenommen hatte? Was war überhaupt mit der echten Emma passiert? Wo war sie hingekommen, als Mia an ihrer statt auftauchte? Hatten sie einfach die Plätze getauscht? Dann war Emma nun bei Fred, bei ihrem Freund, der ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte! Er würde gar nicht nach ihr suchen, er hatte ja Emma und würde sie zur Frau nehmen. Was geschah dann mit ihr? Sie liebte ihn, sie gehörte an seine Seite, nicht eine Fremde, die zufällig in seinen Armen gelandet war. Fred! Sie musste zu ihm!

»Hilfe«, flüsterte Mia, als ihr schwindelig wurde. Dann sackte sie auf dem Boden zusammen.

»Verweichlichtes, weinerliches Weibsbild!«, schimpfte Sybilla vor sich hin, während sie verschiedene Kräuter mit dem Stößel zerstampfte. Mia erkannte Baldrian und Kamillenblüten, dann ließ sie den Kopf wieder sinken und schloss die Augen. Sie lag in Sybillas Häuschen auf dem Bett, das sie gestern noch für eine schmale Bank gehalten hatte.

»Vertragen nicht einmal einen Zeitsprung, diese Frauen. Ich sehe schwarz für unsere Zukunft!«

Mia versuchte, ganz still zu liegen. Sie konnte ihr eigenes Herz schlagen hören, wenn sie sich darauf konzentrierte. Das war besser, als darüber nachzudenken, wie sie in das Holzhaus der alten Frau gekommen war. Wieder einmal war sie gegen ihren Willen an einem anderen Ort gelandet. Sie befürchtete, dass ihr Leben nur noch daraus bestand, herumgereicht zu werden. Sie war vollkommen austauschbar geworden.

Sybilla gönnte ihr die Ruhe jedoch nicht.

»Falls du dich wunderst: Mary und Stewarts Charlie haben dich hergebracht. Du warst bewusstlos. Schon wieder. Was ist nur los mit dir, Mädchen? Es war doch bloß ein kleiner Zeitsprung! Ich habe damals mehr als zweihundert Jahre überwunden und bin deshalb trotzdem nicht schwach geworden.«

Mary, die liebe Seele, hatte sich also um sie gekümmert. Sie hatte sich gemerkt, dass Mia keinen Arzt sehen wollte, und sie stattdessen zu der Alten gebracht. Schließlich war sie die Hebamme und kannte sich ebenfalls in der Heilkunde aus. Nun reichte sie Mia eine Schale mit einer Art Suppe darin. Langsam, damit ihr nicht schwindelig wurde, setzte sie sich auf. Sie trank ohne mit der Wimper zu zucken die grünliche Flüssigkeit aus, die etwas streng, aber nicht unangenehm schmeckte. Der Geruch von vielerlei Kräutern belebte und beruhigte sie gleichzeitig. Sie spürte, wie ihre Lebensgeister wieder erwachten.

»So«, sagte sie schließlich. »Wie komme ich jetzt wieder nach Hause?«

»Du meinst nicht das Haus deiner Mutter, schätze ich.« Sybilla schien gesprächiger zu sein als am Vortag. Mia schüttelte den Kopf.

»Natürlich nicht. Ich möchte zurück in meine Zeit – zurück zu Fred.«

Umständlich füllte die Alte Suppe nach und bedeutete ihr, sie zu trinken. Schulterzuckend gehorchte Mia. Sybilla würde sie wohl nicht vergiften. Erst nachdem sie die Schale zum zweiten Mal geleert hatte, stellte sie sie in eine Wanne mit schmutzigem Geschirr.

»Ich fürchte, du hast mir gestern nicht richtig zugehört, Emma. Du kannst nicht zurück. Niemand kann zurück, wenn er durch die Zeit gereist ist.«

Sybilla strich sich eine Strähne aus der Stirn. Sie klang viel zu fröhlich in Mias Ohren. Wie betäubt saß sie auf dem Bett. Sie hatte es befürchtet, geahnt, gewusst, dass es keinen Weg nach Hause gab. Nun wollte sie wenigstens Antworten.

»Wieso bin ich hier? Ich wollte doch gar nicht herkommen. Mein Leben war gut so, wie es war!«

»An was kannst du dich noch erinnern?«

»Ich war nervös, dann furchtbar glücklich. Fred hatte mich zu einem Hufeisen aus Stein geführt und gefragt, ob ich ihn heiraten wolle. Und dann kam das Gewitter und plötzlich war ich hier.«

Sybilla ließ sich umständlich neben Mia nieder. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass es das Bett der Alten war, auf dem sie gelegen hatte. Beschämt senkte sie den Kopf.

»Das war kein Gewitter, sondern ein Magiewetter. Die Leute in dieser Zeit haben sich von der Magie abgewandt und lassen sie keine Rolle mehr spielen. Doch Magie ist nichts, was man an- und ausschalten kann wie eine Gaslaterne. Sie ist immer da. Sie sorgt dafür, dass man sie bemerkt. Für dich bedeutet das, dass du zur falschen Zeit am falschen Ort warst, obwohl ich diese Ansicht nicht teile.«

»Was ist das denn für ein Ort? Lag es an dem Hufeisen?«

»Hufeisen? Das ist das steinerne Tor. Es ist seit Jahrhunderten in Benutzung. Die Magie schickt Menschen durch es hindurch. Alle sieben Jahre erscheint jemand, der nicht in diese Zeit gehört. Die meisten kommen nicht freiwillig, doch sie lernen ihr neues Leben zu schätzen. Ich habe schon viele Männer und auch Frauen in Empfang genommen. Auch dir werde ich helfen, dich zurecht zu finden. Du wirst ein gutes Leben hier haben, Emma.«

Mia holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen. Das war es also. Sie war in dieser fremden Zeit gefangen. Sie dachte an Fred und an die Frau, deren Platz sie eingenommen hatte.

»Was ist in meiner Zeit geschehen? Und wo ist die echte Emma?«

Sybilla zuckte mit den Schultern und sah sie müde an. »Frauen verschwinden, Emma.«

Stumm saßen sie nebeneinander auf dem harten Bett. Der Bezug der Matratze war löchrig, sodass an manchen Stellen das Stroh herausstach. Mia zog an einem Halm, bis ihr bewusst wurde, was sie tat, und sie versuchte, ihn so gut wie möglich wieder zurückzuschieben.

»Du hast gesagt«, begann sie zögerlich, als ihr etwas einfiel, »dass du auch durch die Zeit gereist bist. Bist du freiwillig hier?«

Es wurde langsam dunkel im Haus, doch Sybilla zündete kein Licht an. Die Alte rieb sich über die Arme und starrte stumm vor sich hin. Mia fürchtete schon, keine Antwort zu erhalten, da setzte sie plötzlich zum Sprechen an.

»Ich bin in das steinerne Tor gegangen. Ich wusste ja, was zu tun ist.«

Sybillas Worte klangen traurig, als steckte eine schreckliche Qual hinter ihnen.

»Aber das ist nichts, was du heute erfahren musst. Jetzt musst du los, deine Freundin wartet sicher längst auf dich. Ich habe sie vorhin weggeschickt. Du kannst morgen wiederkommen, wenn du Fragen hast.«

Die Tränen kamen, als sie auf dem Nachhauseweg war. Nachdem Mia in Sybillas Haus vollkommen gefasst reagiert hatte, war nun alle Besonnenheit vergangen. Sie sah den Mond am Himmel stehen, dessen Umrisse deutlich zu erkennen waren, und fragte sich, ob Fred vielleicht auch gerade flehend nach oben sah. Der Gedanke an ihn ließ sie aufschluchzen. Sie würde ihren Freund nie wiedersehen, würde ihn nicht heiraten, würde nicht seine Kinder bekommen. Sie würde ihm nie wieder sagen können, dass sie ihn liebte.

Mia presste die Hand auf den Mund, damit niemand sie hörte. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen und lief durch die Straßen der Stadt auf Donnahew Castle zu. Sie hätte liebend gern alle Schlösser dieser Welt gegen ein Leben mit Fred eingetauscht. Wenn sie ihn doch nur noch einmal sehen könnte! Doch sie konnte nicht zurück. Nicht einmal die benutzte Zahnbürste einer Fremden oder das Toilettenhäuschen auf dem Hinterhof waren so schlimm wie der versperrte Weg nach Hause.

Mit der Schürze wischte sie sich über das Gesicht. Je näher sie dem Hof kam, umso öfter begegnete sie Menschen. Sie sah den Bankier Smith und Counsel Mannel, einen der Berater des Clanchiefs, vorbeigehen. Dass sie die Männer erkannte, löste eine neue Welle der Tränen aus. Der Gendarm mit dem hohen Uniformhut, der seine abendliche Runde ging, sah sie prüfend an, sagte jedoch nichts.

Mia wusste, dass sie sich beruhigen musste, bevor sie das Schloss und die Gesellschaft und neugierigen Blicke der anderen Hausmädchen erreichte, denn sie konnte ihnen keine zufriedenstellende Erklärung für ihre Tränen geben. Doch je mehr sie es versuchte, umso enger wurde ihr Hals, umso lauter waren die Schluchzer, die ihr entkamen. Schließlich lehnte sich Mia an eine Hauswand, als Donnahew Castle in Sichtweite kam. Die Fenster waren hell erleuchtet und vor der großen Eingangstür hingen die Fahnen mit dem Wappen der McLarens. Mia machte der Anblick noch trauriger. Das sollte von nun an ihr Zuhause sein, mit strohgefüllten Matratzen, Gaslampen und Kerzenleuchtern, und ohne Fred.

Die Schürze musste erneut als Taschentuch herhalten. Mia wusste nicht, wie lange sie dastand und auf das Schloss starrte. Schließlich waren die Tränen versiegt. Sie wischte sich ein letztes Mal durch das Gesicht, dann stieß sie sich von der Hauswand ab und ging die letzten hundert Meter des Wegs.

Äußerlich gefasst trat sie durch das eiserne Tor, vor dem die Wache stand. Mia fragte sich, ob der Mann eine Schutzfunktion für den Hof hatte oder nur aus Prestigegründen dort hinbeordert worden war. Immerhin waren die Wachen die einzigen, die den traditionellen Kilt trugen. Die Herrschaft und die Menschen am Ort hatten sich längst der Mode angepasst, die von England herüberkam. Doch diese Überlegung wurde unwichtig, als eine Gruppe junger Männer an ihr vorbeilief. In der lachenden Menge erkannte sie den unheimlichen Reiter wieder. Sie konnte sich ihre Angst vor dem grobschlächtigen Mann nicht erklären, doch sie begann zu zittern. Er wurde auf sie aufmerksam und blieb stehen. Wie gelähmt hielt auch Mia an. Er tat nichts, als sie anzustarren, während seine Freunde sich entfernten. Dann fletschte er die Zähne wie ein Raubtier, das sich über seine tödlich verwundete Beute beugte. Mia stockte der Atem und dann setzten ihre Reflexe endlich ein. Mit einem leisen Schrei rannte sie los und hielt nicht an, bevor sie den sicheren Schlafraum erreicht hatte.

Mary war nicht da, und Mia war auf seltsame Weise erleichtert. Zwar sehnte sie sich nach der Sorge und dem Trost ihrer Freundin, doch sie wollte sich auch verkriechen und niemanden sehen. Es war noch nicht sehr spät, doch die anderen Mädchen waren bereits im Schlafraum. Sie boten das gewohnte Bild: Eine oder zwei von ihnen handarbeiteten, die anderen lagen oder saßen auf ihren Betten. Ein Bett war immer leer. Mary war wahrscheinlich noch mit Charlie unterwegs. Dieser Gedanke ließ Mias Augen erneut feucht werden. Sie begrüßte kurz die anderen, darauf hoffend, dass niemand ihren aufgewühlten Gemütszustand bemerkte, wusch sich schnell an dem kleinen Becken und zog sich dann in ihr Bett zurück. Der Tag, der nicht unbedingt schlecht angefangen hatte, war am Ende voller böser Überraschungen gewesen. Nun musste sie nicht nur in einer Zeit leben, in die sie nicht gehörte, sie hatte auch ihren Liebsten verloren. Doch vor allem hatte Mia Angst, Angst vor der Zukunft, vor dem unheimlichen Mann, Angst um sich. Unter ihrer Decke weinte sie bittere Tränen, bis sie schließlich einschlief.

Mia und der Erbe des Highlanders

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