Читать книгу Wer zählt die Völker, nennt die Namen - Moritz Liebtreu - Страница 9

Sanfte Berührung

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Besonders montagmorgens hatte er manchmal richtig Heimweh in der Firma, musste sich erst an das geschmacklos eingerichtete, stille Büro gewöhnen, vermisste die Kinder.

Heute hat er den Tag, wo er auf und ab geht. Das Büro ist dazu groß genug, unauffällig bezieht er den Flur, das Sekretariat mit ein. Die Größe seines Büros hat schon viele Neider geweckt und es waren Pläne da, es aufzuteilen oder noch schlimmer, jemanden mit hineinzusetzen, was zeitweise zu einer ständigen Bedrohung für ihn wurde.

Die insgeheime Hoffnung, sie würde vielleicht anrufen, bestätigt sich nicht, hindert ihn daran, den Bewegungskreis zu erweitern, sich in der Produktion sehen zulassen, wo er meist mehrmals täglich Messdaten überprüft. Zum Teil macht das überhaupt keinen Sinn, was ihm aber erst mal jemand nachweisen müsste, kann einfach nicht so lange still sitzen. Bildet sich ernsthaft ein, dass der Mensch dazu nicht geschaffen sein kann, den ganzen Tag stur sitzend in diesen geschlossenen Räumen zu verbringen, wo es vor allem an dem notwendigen Tageslicht fehlt, das für eine ausgewogene Stimmung notwendig ist, weil im Körper sonst wichtige chemische Substanzen fehlen. Jede Gelegenheit nimmt er war, Augenblicke, die wenigen Schritte vom Verwaltungsgebäude zu den Werkhallen im Freien zu verbringen, mal jemanden auf dem Gelände anzusprechen, ein paar Sonnenstrahlen einzufangen. Verliert dabei nie aus dem Auge, nicht wunderlich zu wirken, unauffällig zu bleiben, die wichtigste Anstrengung von vielen hier wahrscheinlich.

Sie wird zur Besinnung gekommen sein, was soll sie sich mit einem verheirateten Mann einlassen. Von sich aus wird er kaum den Mut haben sich zu melden, hat doch die schlechteren Karten, denn was hat er ihr anzubieten? Endlich ertönt das Fabriksignal, obwohl die meisten ja eine Uhr haben, ist es eine der möglichen Todsünden, dieses grauenvolle Heulen abschaffen zu wollen. Nachbarn sollen sich schon gemeinsam dagegen aufgelehnt haben, muss es erst zur Klage kommen? Häufig ist er schon eine Zeitlang vorher ganz unruhig, hat das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, ist völlig unfähig, sich noch auf eine Arbeit zu konzentrieren; alle Beschwerden fallen sofort von ihm ab, wenn er das Tor hinter sich lässt. Schnell und geduckt, den Kragen hochgeschlagen, macht er das, damit ihn niemand mehr aufhält, weil etwa in der Produktion noch was ist, ein Anruf da war oder ähnliches.

Als er auf den Parkplatz zugeht, stockt er, da steht sie ganz verloren, die Mitarbeiter hasten mit eiligen Schritten an ihr vorbei und etwas verlegen sieht sie aus, als sie auf ihn zu- geht. Na, was sollten die anderen schon denken, haben jetzt was Besseres zu tun, außer, die Sekretärin vielleicht, hat doch einen interessierten Blick rüber geworfen.

"Wiedersehen", schnippisches Lächeln von mehreren Seiten oder fällt es ihm sonst nicht so auf, wenn sie ihn grüßen?

Ja, der Pupidu und die Damen, diese Schüchternheit, doch ständig irgendwo ein Techtelmechtel, versetzt das ganze Schreibbüro in helle Aufregung, braucht da nur einmal durchzugehen. "Bleiben sie doch ein bisschen bei uns Herr Pupidu, schön dass sie uns mal wieder besuchen. Wir freuen uns immer, wenn wir sie sehen", tönt es da, Gekicher.

"Kann ich mir gar nicht vorstellen", oder so ähnlich antwortet er, aber dann geht es meist erst richtig los.

"Der glaubt uns nicht", Gekicher. "Es gibt doch nicht so viele nette Leute in diesem Betrieb, Herr Pupidu, möchten sie eine Tasse Kaffee", Gekicher.

"Wenn der nicht so schüchtern wäre, glaubt uns einfach nicht, dass wir uns über ihn freuen. Erzählen sie doch mal aus ihrem Urlaub, tragen sie ihre Haare jetzt kürzer."

"Sie strahlen immer so eine Ruhe aus. Ich bin schon ganz beruhigt, wenn ich Sie sehe." Steht auf, stellt sich neben ihn.

"Du könntest ihn ja mal in seinem Büro besuchen", stärkeres Kichern.

"Ja, sofort morgens, gleich zu Arbeitsbeginn."

"Wenn du noch frisch bist, gehst du zu ihm", sagt eine andere zu der toll aussehenden jungen Dame.

„Abgemacht, okay", endet das Wortspiel.

"Kommen sie bald wieder, lassen sie uns nicht im Stich, ist doch sonst nichts los hier, so trostlos."

Endlich hat er sie erreicht, die ersten Staubwolken umwehen sie, knirschender Schotter reibt sich unter den durchdrehenden eiligen Reifen, gibt ihr lächelnd die Hand: "Das ist aber eine Überraschung, wie lange wartest du denn schon?" "Ich wollte dich einfach sehen. Jeder weiß doch, Schluss macht, kann man doch die Uhr nach stellen, müde aus, war es anstrengend?"

"Nein, langweilig, nervend."

"Aber das ist vielleicht besonders anstrengend. Findest du es blöd, dass ich hergekommen bin?"

"Nein, bestimmt nicht komm wir setzen uns ins Auto. Das wird wohl ein Teil unseres Lebens, irgendwo warten, sich kurz treffen."

"Das klingt so traurig?"

"Nein - ich glaube, noch trauriger sind wir, wenn wir es nicht tun. War gespannt, ob du anrufst."

"Das war mir zu unpersönlich, aber das nächste Mal halte ich mich an die Absprache."

"Na ja", sagte er, "wenn die Handvoll netter Kollegen nicht wäre, hier und da ein Schwätzchen halten, könnte man es gar nicht aushalten, nimmt man das Grau des Büros an, der schäbigen Möbel, das Grau der staubigen Maschinen, der schlecht verputzten Wände."

"Du bekommst schon wieder Farbe", sagt sie, "erzähl ruhig."

"Sie mögen es aber nicht, wenn man mal miteinander redet, außerhalb der Konferenzen."

"Ist ja furchtbar."

"Die Kommunikation läuft fast ausschließlich über Computer und die Arbeitsleistung kann man damit genau überprüfen, muss allmählich über jede Minute Rechenschaft ablegen. Einige Kollegen sind schon verpflichtet worden, genaue Aufzeichnungen darüber anzulegen und demnächst soll eine Beratungsfirma die Verwaltungsarbeit genau überprüfen. Jeder Arbeitsablauf wird geplant und die Zeiten dafür festgelegt. Bestimmt mehr als die Hälfte der Leute werden dann überflüssig", sagte er sarkastisch.

"Meinst du so viele?"

"Eher mehr. Der Leerlauf in der Verwaltung ist gewaltig, wenn die Arbeitsabläufe überschaubarer werden, dann geht es los mit der Einsparung - Ende offen."

"Was machen die Leute dann? Hast du Angst davor, vor dieser

Entwicklung?"

"Möchte da ohnehin nicht alt werden, zu stupide. Im Moment ist die Arbeit noch besser als keine, denken allerdings viele so, heute. Habe aber den richtigen Beruf, es nie bereut, viel Spaß an dem Fach, wären nur die verdammten Arbeitsbedingungen nicht. Diese Form der Arbeit wird sich die Menschheit auf Dauer ohnehin nicht mehr leisten können, nicht mal dieses irrsinnige Hin- und Herfahren der Massen jeden Tag. In der Zukunft muss man viel sorgsamer mit der Energie umgehen, die da verbraucht wird, und man wird gezwungen sein, sich zu fragen, was man überhaupt produzieren kann, um die Umwelt nicht überflüssig zu strapazieren und Rohstoffe zu verschwenden. Vielleicht gibt es für ein bis zwei Tage eine Art Beschäftigung, den Rest übernehmen die Maschinen."

"Dann hältst du Vorträge", sagt sie."

"Genau."

"Und die anderen?"

Allmählich knurrt ihm der Magen: "Hm, sagt er, die verbringen die Zeit mit essen", sagt er nicht ganz ernsthaft, lacht.

"Wieso essen?", geht sie auf den scherzhaften Ton ein.

"Das verbraucht die wenigste Energie, und wenn die Leute dann ein entsprechendes Übergewicht haben, wie sich dies schon in einigen Industrieländern andeutet, sind sie genug damit beschäftigt, sich selbst in der Gegend rumzuschleppen."

"Du hast vielleicht Ideen und weiter, wie geht die Geschichte weiter?"

"Sie gehen nicht mehr aus dem Haus, ist viel zu anstrengend. Die Straßen sind so leer wie am autofreien Sonntag, von ganz alleine. Die Einkäufe werden ins Haus gebracht, das besorgt man über Computer. Das bisschen noch vorhandene Arbeit lässt sich vom Bett erledigen und dann immer hinein."

"Wieso hinein?"

"Hinein mit den leckeren Sachen, vor allem Süßigkeiten, die lassen sich billig herstellen und so viel essen Dicke gar nicht."

"Ist das nicht zu langweilig?"

"Aber sieh mal, alles kommt direkt ins Haus, die Fernsehsendungen, über Telefoncomputer kannst du dich an den Spielen beteiligen, sogar Einsätze an der Börse machen und die neueste Mode, das Sortiment des Kaufhauses, Sonderangebote, direkt per Bildschirm kommen sie zu dir ans Bett, selbst überflüssige Bewegungen in der Wohnung lassen sich so vermeiden. Die Bäume könnten sich von der Umweltbelastung erholen, du wirst es nicht glauben, teilweise würden in Europa wieder riesige Urwälder zurückkehren und nur wegen dem Essen."

"Igitt, hör auf, und die Kinder?"

"Leider haben die heute schon ganz früh mit der falschen Ernährung zu kämpfen, fangen schon in der Grundschule an, Diät zu halten, na ja und die Karies, die ständig kaputten Zähne. Massives Übergewicht führt aber auch zur Unfruchtbarkeit, wo- mit sich das Bevölkerungsproblem dann noch von ganz alleine regelt, auf natürliche Weise."

"Na dir kann da im Moment wenig passieren, schaut ihn etwas provozierend von oben bis unten an, scheinst noch einiges an Energien frei zu haben, aber bei mir und blickt an sich herunter?"

Sie legt ihre Hand vorsichtig auf die seine. Es wundert ihn, dass sie sich das traut - wie nahe man sich dabei kommen kann, lässt sie einfach da, und er rührt sich nicht.

"Energieübertragung", sagt er dann.

"Genau."

"Und du", sagt er, "was war bei dir?"

"Um deine Interessen kann ich dich nur beneiden, glaube ich, du bist so engagiert, in vielen Dingen, bestimmt."

"Warum beneiden?"

"Verbringe zu viel Zeit mit Einkäufen und so was - essen", lacht.

"Du hast eine sehr weibliche Figur, nicht dick, finde ich, sehe dich ja heute nicht zum ersten Mal", sagt er, mustert sie nun ganz ohne Hemmungen.

"Darauf hast du vorher schon geachtet?" und verschluckt gera-de noch, ihn zu fragen, ob er sie schon früher gemocht hat.

"Ja", antwortet er nur.

Sie nimmt die Hand weg: "Findest du, möchte gerne etwas abnehmen, klappt aber nicht, esse zu gerne - willkommen im Land der Fetten", beide lachen.

"Möchtest du wie dieses blonde deutsche Superstar-Mannequin aussehen, wie heißt die noch?"

"Du weißt nicht mal wie die heißt, der Traum aller Männer?"

"Nein, ist mir egal."

"Findest du die nicht reizvoll, attraktiv? Was ist denn dein Typ?"

"Weiß nicht, das wechselt irgendwie, hat wenig mit dem Aussehen zu tun. Wenn ich mal dachte, ich stehe auf hell blond, langhaarig, lange Beine, habe ich mich garantiert in eine kleine schwarzhaarige mit Kurzhaarschnitt äh, verknallt,

ist vielleicht der richtige Ausdruck. Mit der Figur hat es noch weniger zu tun, glaube ich. Außer, dass man sich manchmal danach sehnt, was man gerade nicht hat", flüchtete er sich ins Allgemeine.

"Du meinst nicht, man hat etwas und ist damit zufrieden", geht sie ironisch auf seinen Ton ein, merkt aber, dass sie sich da auf dünnes Eis begeben hat - "entschuldige, war blöd."

Es passiert selten, dass er zu spät nach Hause kommt, zu sehr bestimmt das Heulen der Sirene den Tagesrythmus. Nachdem man früh zu Abend gegessen hat, geht er öfter noch einmal raus, Literatur für einen neuen Aufsatz zu besorgen, ständig Probleme mit dem PC, kommt er mit dem Textprogramm nicht zurecht, Informationen sind einzuholen, Besorgungen zu machen und jetzt begleitet sie ihn ab und zu, hilft bei der frustrierenden Suche in der Fachbibliothek, möglichst geschieht dies so, als wären sie sich zufällig begegnet. Sie kann ihren Tagesablauf freier gestalten, arbeitet hier und da ein paar Stunden, für die Betreuung des Kindes und Versorgung des Haushalts ist ständig jemand da. Sie ist zupackend, fackelt nicht lange, geht viel praktischer an Dinge heran als er. Zielstrebiger und bestimmter tritt sie auf, lässt sich nicht leicht abschütteln und nimmt ihm, ohne ihn zu verletzen, die eine oder andere Sache aus der Hand. Es ist für ihn eine neue Erfahrung, dass er sich dabei wohl fühlt, wenn ein anderer den Ton angibt.

"Gib nicht so schnell auf", sagt sie dann, "vielleicht finden wir es bei den Büchern, die noch nicht wieder einsortiert sind, laut Computer muss es da sein", hat sie noch eine Idee. Dies war aber das Wenigste, festzustellen, ob das Buch ausgeliehen war, denn es reichte, den Titel oder Autorennamen in fest installierte Suchprogramme einzugeben. Dennoch befand sich vieles dann nicht an dem angegebenen Platz, war einfach verschwunden und auch Nachfragen nutzte wenig. Die Suchgeräte waren nicht selten besetzt, wegen Überfüllung geschlossen, die Technik hinkt hinter den Anforderungen her, war ihnen nicht etwa voraus. Er war nicht der Einzige der mit Unterstützung Literatur sammelte, ganze Familienverbände waren abends und am Wochenende damit beschäftigt. Oma und Opa halfen der Enkelin, und er träumte von längst machbaren Datenbanken, die sich von zu Hause per Telefonleitung anzapfen ließen, die einem die Texte direkt auf den Bildschirm des PCs, in die heimische Wohnstube lieferten und vielleicht gegen eine kleine Gebühr, den Ausdruck ermöglichten. Von wenigen zentralen Punkten aus könnte man so alle Disziplinen mit den notwendigen Fachinformationen versorgen. Aber wie es jetzt war, entstanden viele unnötige Wege und meistens landeten sie bei der Fernleihe, mussten umständliche Formulare ausfüllen und langes Warten in Kauf nehmen, bis die Dinge dann von anderen Bibliotheken herbeigeschafft waren und wieder musste man hin zum Abholen. Selbst spät am Abend dann Schlangen vor den Kopiergeräten und das alles nur, obwohl nur einzelne Seiten, manchmal nur kurze Textpassagen, interessant waren, aber es fehlte hier die Zeit, zu sondieren. Dieser unökonomische Zugang zu den wichtigsten Informationen würde ihm bald Grenzen aufzeigen, was seine zukünftige wissenschaftliche Arbeit anging. Im Moment konnte er mehr als zu- frieden sein, ein besseres Alibi, mit ihr zusammen zu sein, gab es nicht und zusätzliche zufriedene Gesichter, wenn die Arme vollgepackt waren, "noch einen Kaffee in der Kantine oder beim Italiener."

"Es gefällt mir hier unter den jungen Leuten, verkalkt man nicht so leicht", sagt er dann.

"Na", sagt sie etwas hintergründig.

"Nicht was du denkst, da interessieren mich jüngere Damen weniger, weiß nicht woher das kommt. Lieber gleichaltrig oder sogar etwas älter. Wir können uns ja mal hier in der Abteilung für Psychologie erkundigen, ob das mit einem Mutterkomplex zu tun hat oder so ähnlich. Irgendwie tun mir die eher Leid hier, die Studenten."

"Warum das denn?"

"Ist doch eine furchtbare Massenveranstaltung hier. Sieh mal in die Vorlesungen, wenn wir eher hier sind. Wie soll man sich da wohl fühlen und wie kann sich da jemand profilieren, der sich wirklich interessiert, was los hat, geht man doch unter."

"Was kann man da denn machen?"

"Viele kleine Universitäten gründen, nur für bestimmte Fächer jeweils - privat - hieße mehr Wettbewerb, andere Bedingungen, egal was es kostet, so ist das auf Dauer eine Katastrophe. Andere Länder werden die Erfindungen machen, uns hoffnungslos abhängen."

"Kann sein. Wusste gar nicht, dass man als Gast so leicht einen Ausweis für die Bibliothek erhält - womit du dich alles auskennst."

"Privatwissenschaftler", sagte er, "ob ich das je lassen kann - geht dir das nicht auf den Wecker?"

"Wenn du Spaß daran hast. Ich glaube, das reicht schon, es gibt weniger interessante Beschäftigungen. Möchtest du vielleicht noch was essen."

"Nein", beide lachen.

"Und wann liest du das alles?"

"Einiges nehme ich mit in die Firma, gibt schon mal eine freie Minute. Muss ja nicht jeder sehen."

"Dann machst du das heimlich, gibt es doch gar nicht?"

"Schwierig zu sagen, was zu meinem Arbeitsbereich gehört und würde ich fragen, lehnen sie es noch ab, wer soll das entscheiden. Besonders die lieben Kollegen haben immer ein wachsames Auge auf mich, fühlen sich leicht benachteiligt. So halte ich meistens die Hand darüber, wenn jemand rein schaut, bin vorsichtig."

"Du bist einer!"

Zu verabredeten Zeiten klingelt nun öfter das Telefon in seinem Büro; manchmal dauern ihre Treffen nur ein paar Minuten, im unauffälligen Stehkaffee und sich da nicht an den Einzeltischchen, sondern an der langen Wandtheke aufhalten, nicht zu lange bleiben, ein paar Schritte gemeinsam gehen, beiläufiges Begrüßen, Verabschieden. Nur ganz behutsam berühren sie sich einmal, streift er ihre glänzenden Haare, treffen sich ihre Hände, erfasst sie seinen Arm. Aber immer mehr Außenstehende registrieren sie trotzdem als zusammengehörig, Verkäuferinnen, die Angestellten in der Bibliothek, stellt er nicht ohne Besorgnis fest.

Äußerlich hat sich an ihrem Leben nicht viel geändert, keiner verlangt von dem anderen mehr, als dieser geben kann oder zeigt sich enttäuscht, wenn andere Verpflichtungen vorgehen, mal eine Verabredung platzt, was sich nicht vermeiden lässt.

Beide empfinden die Zusammenkünfte als große Bereicherung, haben bisher sorgfältig vermieden, tiefergehend über ihre Beziehung zu sprechen, sich Vorstellungen über den Augenblick hinaus zu machen. Die Gesprächsthemen ergeben sich meist aus der Situation, berufliches, die Kinder werden einbezogen, nie würde er etwas Negatives über seine Frau äußern. Allmählich spielen sich feste Gewohnheiten ein, Uhrzeiten, Treffpunkte. Mit wenigen Blicken die Stimmung des anderen abschätzen, sich darauf einstellen. Er mag ihre sehr geschmackvolle, mal elegante, mal burschikose, lässige, aber ohne Zweifel sehr teure äußere Erscheinung. Dabei ärgert er sich über sich selbst, dass dies Eindruck auf ihn macht, er sogar gespannt ist, was sie unter dem eher unscheinbaren braunen Trenchcoat trägt, auch wenn die Zeit kaum reicht, ihn einmal auszuziehen, sie ihn nur leicht öffnen kann. Hautenge Kombinationen, farbig gut mit ihrem dunkelbraunem Haar abgestimmt, so dass sich stark ihre Figur abzeichnet. An irgendeiner Stelle glitzert oder glänzt es: "An deinen Sachen ist immer etwas Gold dran", sagt er. Sie bevorzugt dunkle dezente Farben, keine unruhigen Muster oder starke Kontraste. Eines Abends in der Nähe ihres Hauses, es hat nur für eine kurze Autofahrt gereicht. Es nieselt, dunstig, diesig, die Straße glänzt im Scheinwerferlicht, überall die „Geschwindigkeitsbremsen“ in den Wohngebieten, Halbinseln fast bis zu Mitte der Straße, um die man herumkurven, bei denen man höllisch aufpassen muss, so dass kaum ein Gespräch aufkommt. Da schlägt sie ihren Mantel auf, ihr enger Mini ist ganz hochgerutscht, die Lichter der Straßenlaternen werfen grelle Blitze in das Wageninnere, und er hat den Eindruck, dass sie nichts darunter trägt oder geht jetzt die Phantasie mit ihm durch? Außerdem glitzert und glänzt es zwischen ihren Schenkeln. Ihr Gesicht wirkt im flackernden, schummerigen Licht entrückt, ekstatisch, und sie murmelt irgendetwas wie entschuldige, verzeih mir. Will an der Straßenecke schnell aussteigen, der Verkehr lässt hier kein längeres Anhalten zu.

Flüchtiges Lächeln - "ist völlig in Ordnung", sagt er, muss daran denken, dass sie sich bisher noch nicht einmal geküsst haben - "wir reden darüber, freue mich schon darauf."

Wer zählt die Völker, nennt die Namen

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