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4. Die Polizei

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Natürlich fuhr ich nicht nach Hause, meine Eltern würden auch sagen, ich sie doch schon zuhause.

Besonders in den ersten Jahren fragten mich Freunde, wenn ich sagte, ich hätte an einem Wochenende mal keine Zeit, um welchen Scheiß auch immer zu machen, ob ich nach Hause fahren würde. Ich sagte dann nur „Nein, warum sollte ich dahin fahren? Ich fahre zu meinen Eltern.“ Bestenfalls kam als Antwort „Meinte ich doch.“ Oft wurde aber nur genervt der Mund verzogen. Ich habe ein unbestreitbares Talent, Leuten auf die Nerven zu gehen. Wäre dies ein Kinofilm, würde genau diesen Leuten beim heftigen Nicken das Popcorn aus dem Mund fallen. Und wäre dies eine Fernsehserie, würde eine Hälfte umschalten und die andere Hälfte aufs Klo gehen. Natürlich nur vorausgesetzt, die Sendung hätte eine gerade Anzahl von Zuschauern, sonst... Na ja, ich glaube, ich mache es schon wieder.

Als ich nach unten kam, waren meine Eltern schon wach, vermutlich frisch geduscht und mit allen Dingen durch, die man morgens vor neun an einem Wochentag so machte. Ich kannte mich da nicht aus.

„Guten Morgen!“, sagte ich.

„Morgen!“, kam von beiden zurück. Meine Mutter gab mir einen Kuß, mein Vater blieb im Sessel sitzen. Er las die Zeitung, und ich klopfte ihm nur auf die Schulter. „Gibt’s was Neues?“

„Oh ja, gestern waren auf den Supermarktparkplatz alle Plätze belegt, wodurch es auf der Hauptstraße einen Stau gab und fast ein Verkehrschaos.“

„Und das steht heute schon in der Zeitung?“

„Erstaunlich, oder?“

„In der Tat. Und was gibt es Neues?“

„Gestern waren auf dem Supermarkt...“

„Halt!“

„Hm?“

„Was gibt es wirklich Neues?“

„Ach, wirklich Neues steht immer erst morgen in der Zeitung.“

„Papa?“

„Ja?“

„Du warst schon immer mein Lieblingsphilosoph.“

„Mein Sohn?“

„Ja?“

„Ich weiß!“

„Meinst du, der Stau hat sich inzwischen aufgelöst, und wir können nachher ohne Proviant starten, um Farbe zu kaufen?“

„Hm?“

„War mir klar, daß du das nicht hören möchtest.“

„Was?“

„Daß wir nach dem Frühstück Farbe kaufen.“

„Nach dem Frühstück? Da duscht du erst einmal, rauchst eine, und dann sehen wir weiter. Vielleicht hast du dann ja überhaupt keine Lust mehr.“

„Mehr? Du glaubst doch wohl nicht, daß ich Lust habe, den Zaun zu streichen. Er hat es einfach nötig.“

„Ja, und?“

„Nichts und. Man kann nicht immer nur das tun, was man will.“

„Ja, du hast Recht, mein Sohn. Und wenn du jetzt meinst, daß eigentlich ich das zu dir hätte sagen sollen und nicht du zu mir, dann hast du auch Recht.“ Er schaute mich an, lächelte und sagte noch „Du Spießer!“

„Mama? Ist der Kaffee fertig?“

Meine Eltern aßen selbst zum Frühstück dunkles Brot mit vielen Körnern. Das würde ich so früh am Morgen niemals runter bekommen und deshalb war ich einem Ergebnis der Französischen Revolution sehr dankbar. Weißbrot für alle! Beispielsweise getoastet mit Butter und gutem Honig, wirklich ein Hochgenuß.

Nachdem meine Mutter einen Schluck Kaffee genommen hatte, lächelte sie mich an und nahm mir meine Tasse aus der Hand.

„Entschuldige“, sagte sie.

„Mama! Mein Kaffee!“

„Lieber nicht, der schmeckt fürchterlich.“

„Aber Mama, ich bin der Kaffeeexperte. Laß mich das beurteilen.“

Meine Mutter verdrehte die Augen und gab mir die Tasse. Der Kaffee roch ziemlich schlapp und schmeckte noch viel schlapper. Ich spuckte das Zeug zurück in die Tasse.

„Mama, was ist das? Das schmeckt ja wie schwedischer Kaffee gekocht mit deutschem Wasser. Da ist ja kaum Geschmack dran.“

„Fast richtig, norwegischer Kaffee gekocht mit deutschem Wasser. Wir haben noch Reste aus dem Urlaub.“

„Ja, aber mach das bitte weg. Das kann man doch nicht trinken.“

Mein Vater saß zwar inzwischen am Tisch, schaute aber weiter in die Zeitung. Er führte die Tasse zum Mund, er hielt kurz inne, er neigte die Tasse, setzte sie aber noch einmal ab, um umzublättern. Er nahm die Tasse wieder in die Hand, nahm einen Schluck und sagte – meine Mutter und ich guckten uns an – „Ja, so ein Kaffee am Morgen ist wirklich eine Wohltat. Was haben die Menschen nur früher gemacht, als es noch keinen Kaffee gab?“

Fassungslos schauten meine Mutter und ich uns an. In aller Seelenruhe faltete mein Vater die Zeitung zusammen, nahm seine Tasse und stand auf. Er ging zur Spüle, schüttete den Inhalt der Tasse – Kaffee sollte man das Zeug wirklich nicht nennen – weg und sagte „Schatz? Was war denn das für ein fürchterliches Zeug? Das ist ja ungenießbar!“

Fassungslos schauten meine Mutter und ich uns an, immer noch.

„Was ist? Habt ihr noch nie einen beherrschten alten Mann gesehen, der gut einen Witz spielt?“

„Da bin ich aber beruhigt“, sagte ich. „Ich dachte schon, dir würde der... das da wirklich schmecken.“

„Ja, wieso auch nicht. Ist doch in Ordnung?“

Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Meine Mutter sagte, sie würde neuen kochen. Mein Vater setzte sich wieder an den Tisch und nahm sich wieder die Zeitung vor.

„Was gibt’s Neues?“, fragte meine Mutter.

„Gestern waren auf dem Supermarkt...“, fing ich an, aber mein Vater unterbrach mich.

„Am Supermarkt wollen die jetzt einen Kreisel bauen damit es sich da nicht immer so staut, damit man auch besser vom Parkplatz runter kommt und somit andere besser drauf kommen.“

„Warum hattest du mir den interessanten Teil des Artikels verschwiegen?“, wolle ich wissen.

„Na, ich war noch nicht so weit.“

„Und wie heißt der Artikel? Kreisel durchbricht Teufelskreis? Das wäre dann gleich wieder was für den Hohlspiegel, da ist doch dieses Käseblatt eh Dauergast.“

„Echt?“

„Keine Ahnung, könnte ich mir aber gut vorstellen.“

Wir schwiegen eine Weile, hörten der Kaffeemaschine zu und warteten auf das finale Röcheln. Mein Vater las weiter in der Zeitung.

„Und was steht noch drin.“

„Jedenfalls nichts von irgendwelchen Ermordeten oder so.“

„Na, was schon?“, fragte meine Mutter.

„Also die wollen in den Kreisel so drei bis vier Meter hohe Stelen aus Stahl stellen. Drei Stück mit irgendwelchen ausgestanzten ortspezifischen Motiven. Und der Stahl soll rostig sein, modern halt.“

„Modernd halt“, sagte ich.

„Mein Güte, wer gibt denn Geld dafür aus, daß er so einen Schrott dort aufstellen darf?“, wollte meine Mutter wissen. „Das geht doch bestimmt nur mit Bestechung.“

„Der muß nicht zahlen, der wird sogar bezahlt, von der Stadt. Die geben das extra bei unserem großkotzigen Möchtegernkünstler in Auftrag, Eierkopp oder wie der heißt.“

„Ach, der Typ hat doch keine Ahnung“, sagte meine Mutter. „Da sieht am Ende der Wegweiser zu den Stadtwerken besser aus.“

„Da wirst du Recht haben.“

Ich wollte sie beschwichtigen: „Wenn die Dinger erst einmal im Kreisel stehen, dann wird man merken, daß die die Sicht versperren, eine Gefahr darstellen und wieder entfernt werden müssen. Oder ein übernächtigter LKW-Fahrer hat noch nicht gerafft, daß da ein Kreisel ist und brettert einfach drüber.“

„Dann haben sie das Geld für diesen Mist aber schon ausgegeben.“

„Ja, aber vielleicht zahlt dann die Versicherung und irgend jemand trifft die kluge Entscheidung, die Dinger nicht wieder aufzubauen.“ Kurze Denkpause. „Naja, wohl eher unwahrscheinlich.“

„Trotzdem ist es einen Versuch wert. Hat jemand Kontakt zu einem finanzschwachen Lastwagenfahrer?“

Der Kaffee war endlich fertig.

„Apropos Eierkopp. Was hat eigentlich die Polizei zum Einschußwinkel gesagt? Aus welcher Richtung kam der Schuß?“

„Am Wohnwagen?“

„Ja! Wo sonst?“

„Im Eierkopp.“

„Wurde auf den auch geschossen?“

„Keine Ahnung, keine schlechte Idee.“

„Hey, man schießt doch nicht auf Menschen und wünscht das auch niemanden, auch Eierköppen nicht“, belehrte ich meinen Vater.

„Dann müßten wir nämlich nur noch Omelette essen.“

„Ja, im Knast. Also, was sagt die Polizei zum Einschußwinkel?“

Der Kaffee schmeckte nun so gut, wie Filterkaffee nur schmecken kann.

„Am Wohnwagen?“

„Ja! Wo sonst? Kreisel werden erst noch gebaut, also Ausfahrt finden. Was sagt die Polizei zum Einschußwinkel bei der Einschußstelle im Wohnwagen.“

„Kann man das denn ermitteln?“

„Ja, natürlich, jeder Volltrottel kann das, jedenfalls bei solchen Spuren. Natürlich nicht, wenn jemand in einen Pudding schießt.“

„Welche Sorte?“

„Pudding oder Volltrottel?“

„Ja.“

„Ja, was?“

„Waldmeister?“

„Wachmeister! Ist auch grün.“

„Hm. Wie war noch die Frage?“

„Einschußwinkel“, sagte meine Mutter. „Wie macht man das denn?“

„Meistens ganz primitiv. Man steckt was langes Dünnes in die Einschußstelle, möglichst nur unwesentlich dünner als das Loch und dann guckt man, wohin das lange, dünne Ding zeigt.“

„Wie unanständig“, warf mein Vater ein.

Meine Mutter winkte ab und fragte: „Ein Strohhalm zum Beispiel?“

„Ja, zum Beispiel. Was haben die Polizisten am Wohnwagen denn benutzt?“

„Nichts.“

„Nichts? Die haben das so, per Augenschein gemacht? Geht natürlich auch, einfach durch das Loch gucken. Das ist aber noch ungenauer als der Strohhalm.“

„Nein, die haben gar keinen Einschußwinkel bestimmt.“

„Was haben die denn überhaupt ermittelt?“

„Ermittelt? Warum sollten die etwas ermitteln? Die haben uns eine Vorgangsnummer für die Versicherung gegeben.“

„Und ich wundere mich immer noch, warum Versicherungsprämien so hoch sind. Ich sollte es inzwischen besser wissen. Und die“, ich nickte in irgendeine Richtung, „sollten das Eierkoppgeld lieber in die Weiterbildung der Polizeibeamten stecken.“

„Das würde bestimmt weniger Schaden anrichten“, meinte meine Mutter, die vermutlich schon die drei rostigen Dinger vor Augen hatte. Ich wollte mir den Mist jedoch nicht ausmalen.

„Wo steht denn der Wohnwagen? Könnten wir vielleicht hinfahren und uns das Loch mal genauer angucken?“

„Hm, das ist zugeklebt.“

„Womit?“

„Klebeband.“

„Na, dann ist ja noch nichts verloren.“

„Und von innen haben sie es in der Werkstatt irgendwie wieder zurecht gebogen, um zu sehen, wie das mit der Reparatur des Regals klappen könnte.“

„Also alle Spuren verwischt.“

„Verwischt?“

„Na, du weißt schon.“

„Hm“, machte mein Vater und faltete die Zeitung zusammen. „Wolltest du nicht noch duschen bevor wir Farbe kaufen?“

„Wollte ich das? Weiß ich gar nicht mehr. Vielleicht meintest du nur, ich würde das wollen, ohne, daß ich das wirklich wollen wollte oder so.“

„Mein Junge?“

„Ja?“

„Du redest wirres Zeug.“

Ich fuhr mir durch die Haare. „Keine Dusche. Laß uns aufbrechen. Na, vielleicht rauche ich vorher noch eine.“

„Aber nicht im Auto.“

„Ist in Ordnung.“

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