Читать книгу Augen wie Gras und Meer - M.T.W. Mayer - Страница 3

Kapitel 1

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Ein lauer Windhauch blies durch die saftigen Blätter der Büsche. Es war für die Jahreszeit bereits angenehm mild. Auf den Zweigen zeigten sich zaghaft die ersten farbenprächtigen Blüten, die einen traumhaften Frühling versprachen. Irgendwo zwitscherte ein Vogel, als wollte er die Klänge der Lyra, die im Innenhof der prachtvollen Villa gespielt wurde, mit seinem Gesang übertrumpfen.

„Du spielst ganz zauberhaft Milia.“ Die Angesprochene spielte ungerührt weiter. Jedoch zierte ein Lächeln ihre Lippen.

„Solltest du nicht bei Vater sein?“

„Ich habe ein Geschenk für dich.“ Milia legte ihre Lyra nun beiseite und wandte sich dem jungen Mann zu, der noch immer an einer der gartenumgebenden Säulen gelehnt zu ihr blickte. Die helle Toga betonte vorteilhaft seinen schlanken Körper und die leicht gebräunte Haut. Sanft spielte der Wind mit den dunklen Locken.

„Ein Geschenk“, fragte sie unschuldig, als sie geschmeidig aufstand und auf ihren Bruder zuging.

„Ich entdeckte sie auf dem Markt und musste sofort an dich denken. Komm, sie sind im Atrium.“ Mit diesen Worten reichte er Milia seinen Arm und führte sie durch den Säulengang und das Tablinum, den Raum, in dem er und ihr Vater oft Kunden empfingen. Im Atrium konnte sie durch eine Auslassung im Dach den klaren Himmel sehen, dessen blau sich in den kleinen polierten Steinen, welche überall in den Boden und Wänden eingelassen waren, spiegelte. Den größten Spiegel stellte jedoch das Wasserbecken direkt darunter dar, in welchem sich das Regenwasser sammeln konnte. Dort standen, eingerahmt von zwei stattlichen Sklaven, eine junge Frau und ein Mann. Sie waren in dreckige Lumpen gekleidet und ihre Haut von der Sonne gebräunt. Ihrem Aussehen aus stammten sie aus einem südlicheren Land, womöglich sogar aus der Wüste, durch die Milias Vater seine Karawanen mit kostbaren Gütern trieben ließ.

„Oh Akis, das ist wirklich eine nette Überraschung!“ Sie löste sich vom Arm ihres Bruders und betrachtete den Mann genauer, der wohl zehn Jahre älter was als sie selbst. Trotz seines drahtigen Körpers schien er stark zu sein. Auch seine Zähne ließen auf eine gute Gesundheit schließen. Das gleiche galt für die junge Frau, kaum älter als Milia selbst, aber mit ernsteren Augen.

„Sie kommen aus dem verlassenen Land in Afrika, ein Sklavenhändler griff sie auf seinem Weg hierher auf. Ihr Name ist Fara, und ich dachte mir, sie könnte dir gut zur Hand gehen. Außerdem spricht sie Arabisch, und ich weiß ja, welche Schwäche du für fremde Sprachen hast.“ Akis trat näher an die beiden neuen Sklaven. „Und er ist ihr Bruder. Aret, glaube ich.“ Er hielt kurz inne. Der Sklave nickte kaum merklich. „Jedenfalls kam er mir gelegen, einen kräftigen Sklaven können wir gut gebrauchen, nachdem einer meiner Sänftenträger sich verletzt hat. Und wer weiß, vielleicht ist er auch geschickt im Umgang mit Waffen. Er ist zwar nicht so eindrucksvoll wie die Germanen, aber er wirkt flink.“

Milia nickte nur und hörte kaum zu. Sie interessierte sich nicht für die Sänftenträger oder Wachen, die dunklen Augen der Sklavin – Fara – hatten sie in ihren Bann gezogen. Sie wirkten nicht ängstlich, vielmehr gespannt, als erwarte sie etwas.

„Verstehst du Latein“, fragte sie die Sklavin. Fara blickte kurz zu ihrem Bruder, dann nickte sie und schlug die Augen nieder, sodass sie sich hinter den dickten Wimpern verbargen. Milia lächelte. „Nochmals vielen Dank, es freut mich dass du an mich gedacht hast.“ Dabei gab sie ihrem Bruder einen Kuss auf die Wange.

Schnell Schritte durchbrachen die einträchtige Stille, als ein junges Mädchen vom Obergeschoss die Treppe herunterkam und flink ins Atrium trat. Ihr folgte eine ältere Sklavin, etwas langsamer und bedächtig, jedoch bemüht, ihre junge Herrin nicht aus den Augen zu verlieren.

„Oh Akis, was machst du denn hier? Hast du mir etwa etwas mitgebracht“, fragte das Mädchen ebenso unschuldig wie Milia zuvor, als sie langsam auf die beiden neuen Sklaven zuging.

Milia tadelte sie freundlich: „Nein, die Beiden sind ein Geschenk für mich. Obwohl ich vermute, dass du den Mann lieber selber hättest“, neckte sie Akis. Dieser blickte nur zufrieden auf die beiden Sklaven, wie um sich selbst von seiner guten Wahl zu überzeugen.

„Oh das ist ungerecht! Wieso schenkst du Milia zwei Sklaven und ich bekomme keinen“, beschwerte sich das Mädchen erneut und strich dabei wütend eine braune Locke über ihre Schulter. „Ich möchte auch eine neue Sklavin, meine Leta ist schon so schrecklich alt und langsam und hört kaum noch.“ Damit war die alte Frau gemeint, die bei diesen Worten ihren Kopf weiter senkte. Ihr Name war nicht wirklich Leta, aber die junge Herrin nannte so alle Sklavinnen. Die männlichen Unfreien nannte sie der Einfachheit halber Babis. Sie sah nicht ein, warum sie sich mit jedem neuen Sklaven dessen Namen merken sollte.

„Dora, reiß dich zusammen, so benimmt sich kein Mädchen deiner Abstammung und Herkunft“, tadelte Milia ihre Schwester. „Und wenn du eine neue Sklavin willst, rede mit Vater, aber diese hier ist ein Geschenk an mich gewesen, nicht an dich. Akis, sag doch auch etwas.“ Ihr war klar, dass Dora es auf Fara abgesehen hatte, der Sklave war ihr herzlich egal.

Akis ging auf seine jüngste Schwester zu und streichelte sanft ihren Kopf. „Es tut mir Leid, liebste Dora, dass ich dir kein Geschenk mitgebracht habe. Aber hier, nimm diese Münzen und kauf dir später etwas Schönes davon auf dem Markt.“ Mit diesen Worten drückte er Dora einen kleinen Lederbeutel voller Geldstücke in die Hand. Sie umschloss die Börse sofort und bedankte sich artig bei ihrem Bruder.

„Der Markt ist ein gutes Stichwort, wir sollten uns langsam auf den Weg machen“, bemerkte Milia, die diesen kleinen Ausflug mit ihrer Schwester schon länger geplant hatte. „Ich ziehe mich nur noch schnell um. Leta, kümmere dich doch bitte darum, dass Fara gewaschen und angezogen wird, sie kann mir später zur Hand gehen, wenn wir zurück sind. Ihren Bruder überlasse ich ganz deinen fähigen Händen“, sagte sie zu Akis, während sie an ihm vorbei zur Treppe ging, die zu den oberen Zimmern führte, um sich passend für den Markt ankleiden zu lassen. Dora hatte währenddessen die Lederbörse sicher in ihren Gürtel verstaut.


Das Gedränge auf dem Markt war enorm, doch Milia und Dora kamen dank der Sklaven, die ihnen den Weg bereiteten, gut voran. Es war nun dank der Sonne doch beinahe heiß geworden und das dargebotene Obst und die verschiedenen Essenzen und Öle verströmten ihre Düfte schon beinahe unangenehm stark. Die Schwestern kauften einige Schmuckstücke und Stoff, aus denen neue Gewänder für sie geschneidert werden sollten. Da Dora über das Geld, das Akis ihr geschenkt hatte, frei verfügen konnte – worauf sie bestand – kaufte sie alles, was ihr gefiel, ganz gleich, ob sie eine ähnliche Fibel oder Brosche schon besaß. Milia lies ihr jedoch den Spaß, wenn ihre kleine Schwester dadurch nur die scheinbar ungerechte Geschenkverteilung vergaß. Sie bedachte mit ihren zwölf Jahren nicht, dass Milia, immerhin beinahe vier Jahre älter, andere gesellschaftliche Verpflichtungen hatte und ihr damit auch mehr Unterstützung in Form von Sklaven zustand.

Als sie den Teil des Marktes, der hauptsächlich für schmückende Waren vorgesehen war, durchschritten hatten, gab Milia einem ihrer Sklaven etwas Geld, damit er frisches Obst und Brot für das Abendmahl besorgen konnte. Ein Handelspartner von Akis und ihrem Vater Peris war zu Besuch, folglich hatten nur die besten Speisen auf dem Tisch zu sein.


Als sie zurückkamen, huschte Dora sogleich in ihr Zimmer, um ihre neuesten Errungenschaften genauer zu betrachten und zu entscheiden, zu welchen Kleidern sie am besten passten. Milia blickte ihr nachsichtig lächelnd nach und ging vorsichtig zu ihren Gemächern, da die Vorhänge des Tablinums zugezogen waren und sie Stimmen daraus vernahm. Der Geschäftspartner war schon da und anscheinend verhandelten er, Akis und ihr Vater über neue Verträge.

In ihrem Zimmer warteten bereits ihre Sklavin Sia, eine patente ältere Frau, und Fara auf Milia. Die neue Sklavin war gewaschen, ihr schwarzes Haar schlicht geflochten und ihr Körper von einem leichten Chiton verhüllt. Da er nur aus einem Stofftuch bestand, welches geschickt um den Körper geschlungen und mit einem Gürtel sowie zwei einfachen Nadeln befestigt wurde, war Faras rechte Körperhälfte teilweise sichtbar und hob sich mit seiner dunklen Haut angenehm vom hellen Stoff ab. Ihre Augen hatte sie, ebenso wie Sia, auf den Boden gerichtet und den Kopf demütig gebeugt.

„Lasst uns keine Zeit verlieren, Vaters Gast ist schon im Haus. Fara, ich trage heute meinen grünen Peplos. Lege alles zurecht. Sia, meine Haare sollen heute nicht zu pompös aussehen, Vater sieht das nicht gerne.“ Während dieser Anweisungen begann die ältere Sklavin bereits, Milia beim Auskleiden zu helfen. Nachdem Fara ihre Befehle erhalten hatte, verbeugte sie sich kurz und machte sie dann an die Ausführung, indem sie Stoff, Gürtel, Fibeln und Sandalen herrichtete. Währenddessen war Sia soweit, ihre Herrin zu frisieren.

Milia ließ sich vor dem Frisiertischchen auf den gepolsterten Hocker sinken, während ihr die schwarzen Locken gebürstet wurden. Während Sia ihre Arbeit mit ruhiger Hand verrichtete, wirkte Fara etwas unsicher. Ihr Blick huschte immer wieder zu Milias Spiegelbild, wandte ihn jedoch sofort ab, wenn ihre neue Herrin das bemerkte. Sie fühlte sich jedoch geschmeichelt von dem Verhalten der jungen Sklavin, die anscheinend ein solches Interesse für ihr Aussehen hatte. Besonders Milias Augen schienen sie zu faszinieren, aber das war für sie alltäglich. Denn während eine Iris von kräftigem Grün wie die saftigen Wiesen auf dem Landsitz ihres Vaters waren, leuchtete die andere klar und blau wie das Meer an einem Sonnentag vor den Küsten Atlantis.

Während Milia in ihre Augen vertieft war und lächelnd darüber nachsann, welche Komplimente sie schon dafür erhalten hatte und wie viele Gedichte von übereifrigen Verehrern bereits darüber verfasst wurden, begann Sia mit dem Frisieren. Fara beobachtet sie dabei genau und reichte ihr bei Bedarf einige Haarnadeln. Milia beschloss, das es langsam an der Zeit wäre, ihr Arabisch zu verbessern. Sie zeigte auf eine Nadel in Faras Hand.

„Wie sagt man dazu in deiner Sprache?“

Die junge Sklavin hielt kurz inne. „Arabisch, Herrin?“

„Natürlich, oder beherrscht du sonst noch andere Sprachen?“ Skeptisch blickte Milia Fara im Spiegel an, die ihr überraschend ruhig in die Augen sah. Langsam schüttelte sie den Kopf. Sie reichte Sia die Haarnadel.

„Nein, Herrin.“

Milia atmete ungeduldig ein. „Na dann, wie nennt man Haarnadeln in deiner Sprache?“

Sia wurde unruhig. Sie wollte nicht, dass ihre Herrin die Geduld verlor und das womöglich nicht nur an der jungen Sklavin ausließ, sondern auch an ihr. Jedoch waren ihre vor Furcht zittrigen Hände nicht sonderlich geschickt darin, das schwarze Haar zu frisieren. Noch bevor Fara antworten konnte, stieß Milia einen Schmerzlaut aus. Sia hatte sie mit einer Haarnadel gestochen.

„Bei allen Göttern, was fällt dir eigentlich ein“, fuhr Milia ihre langjährige Sklavin an und schlug ihr die Nadel aus der Hand, die mit leisem Klirren über den Boden flog. „Willst du mich erstechen?! Was für unfähige Sklaven werden mir hier zugemutet! Die eine stellt sich dumm und die andere ist ungeschickter als ein Schwein! Ich bin froh wenn ich in zwei Wochen umziehe, da stehen mir wenigstens fähige Sklaven zur Verfügung und nicht so unnützes Pack!“ Im Zimmer herrschte Stille, die Sklavinnen schienen sogar das Atmen aufgehört zu haben aus Angst, ihre Herrin weiter zu erzürnen. Mit einer abfälligen Handbewegung deutet Milia, dass sie wieder an ihre Arbeit gehen sollten, fügte jedoch kalt hinzu: „Das ihr nie vergesst, wo euer Platz ist. Sonst wird dieses Haus die längste Zeit euer Heim gewesen sein.“

Wortlos begannen Sia und Fara damit, Milia zu frisieren, sie zu schminken und dann anzukleiden. Fara wurde dabei mit kurzen Gesten von Sia eingewiesen und erklärte folgsam alle Begriffe auf Arabisch, die notwendig waren: Kamm, Harnadeln, Puder für die Haut, Kohle für die Wimpern und Augen, Gürtel, Sandale … Milia beruhigte sich mit der Zeit, jedoch war jedes freundliche Leuchten aus ihren Augen verschwunden.


„Bei Poseidon, Aphrodite persönlich scheint sich zu uns zu gesellen“, rief der Handelspartner aus, als Milia in den Garten trat. Sie blickte mit einem gespielt scheuem Lächeln zu Boden.

„Ah, darf ich Euch meine geliebte Tochter Aimilia vorstellen.“ Ihr Vater Peris, wie alle anwesenden Männer in eine prächtige Toga gekleidet, kam zu ihr. Sein einstmals braunes Haar wurde mit jedem Jahr grauer, aber man erkannte in seinem Aussehen noch immer den jungen und schlanken Mann, der er einmal war. „Sie ist mir eine große Hilfe und Unterstützung und noch dazu eine wahre Augenweide.“

„Sie scheint ihrer Mutter immer ähnlicher zu werden, lieber Periandros“, bemerkte der Besucher bewundernd. Er trat etwas näher an Milia heran. Dabei spannte sich seine Toga bei jedem Schritt bedrohlich über seinen mächtigen Bauch. „Obwohl natürlich ihre Augen jeden Vergleich mit irdischen Schönheiten verbieten.“ Dann jedoch kam ihm wieder Dora in den Sinn, die mit Milia gekommen war und bereits eifersüchtig darauf wartete, selbst in ihrem neuen Peplos bewundert zu werden. „Aber all eure Kinder sind eine wahre Augenweide. Besonders eure Töchter, wo doch eine Frau bekanntermaßen mehr Schönheit, Anmut und Liebreiz in sich vereint, als es zehn Männer jemals könnten.“ Dabei sah er bewusst Dora an, die sich sofort alleinig angesprochen fühlte und zufrieden errötete.

Nun mischte sich Akis in die Unterhaltung ein. „Doch alle Schönheit vergeht, wenn sie nicht umsorgt wird.“ Dabei ging er langsam in Richtung des Tricliniums, in dem das Abendessen serviert wurde. Es war reich mit Wandmalereien verziert und besaß eine große Fensterfront zum Garten, über welchen man den Blick müßig schweifen konnte, wenn die Schätze an den Wänden drohten, das Auge zu ermüden.

Bald schon wurde die Aufmerksamkeit auf die sorgfältig ausgewählten Speisen gelenkt, die nach und nach von einigen Sklaven auf dem Tisch in der Mitte gebracht wurden: Eier, frisches Obst, zartes Hähnchenfleisch, Fisch in verschiedensten Variationen, Brote und vieles mehr, das nicht nur den Magen sondern auch die Augen durch seine Köstlichkeit verzückte. Dazu wurde selbstverständlich nur erlesener Wein serviert, importiert von Peris und seinem Sohn.

„Wie ich hörte, geht Eure Familie bald eine lukrative Verbindung ein“, bemerkte der Handelspartner, welchem selbstverständlich der Ehrenplatz zugeteilt wurde, zwischen den Gängen, denen er gerne und stark zusprach.

„In der Tat“, stimmte Peris ihm zu und erhob dann seinen Weinkelch. „Meine geliebte Tochter heiratet Charilaos.“ Er nickte Milia zu und trank etwas Rotwein.

„Eine vortreffliche Wahl, bei Poseidon! Wann wird es soweit sein?“

„In zwei Wochen sollen die Pferde im Tempel geopfert werden“, erklärte Peris weiter. „Und ab diesem Zeitpunkt wird meine geliebte Blume nicht mehr in meinem Garten blühen.“ Wehmütig blickte er zu seiner ältesten Tochter, die ihm zulächelte.

„Ach Vater, Ihr werdet mich noch sehr oft in Eurer Gesellschaft finden, so wahr ich hier mit Euch speise.“

„Da bin ich mir auch sicher, liebster Periandros“, mischte sich wieder sein Handelspartner ein, nachdem er sich die letzten Krümel Kuchen mit einer feinen Serviette vom Mund abwischte. „Und sicherlich wird auch ihr Ehemann häufig bei euch anzutreffen sein. Wenn zwei Händler durch eine Heirat verbunden werden … hach, das klingt nach einer ganz hervorragenden Verbindung.“ Bekräftigend fanden einige süße Trauben den Weg in seinen Mund.

„Gewiss.“ Akis ließ sich von Fara, die mit anderen jungen Sklavinnen bediente, etwas Wein nachschenken. Dabei betrachtete er amüsiert die vom Chiton nicht verdeckten Körperpartien. „Ich bin überzeugt, diese Hochzeit wird sowohl geschäftliche als auch persönliche Vorteile nach sich ziehen.“

„Sag mein liebes Kind“, damit wandte sich der Gast direkt an Milia, „bist du schon gespannt auf das Eheleben?“ Ein anzügliches Lächeln umspielte seine Lippen.

Milia blickte sittsam auf ihre Hände. „Ich freue mich sehr auf meine Hochzeit und mein zukünftiges Leben mit meinem Ehemann.“

Doch bevor Peris‘ Handelspartner dieses Thema vertiefen konnte, zerbrach ein Weinkrug. Anscheinend hatte Akis den Gürtel von Faras Chiton gelockert und bei dem Versuch, das Stück Stoff an seinem Ort zu halten, hatte diese den Krug fallen lassen. Tonscherben und Wein waren auf dem Boden zerstreut, während Akis sich köstlich darüber amüsierte, dass die junge Sklavin sowohl versuchte, Ordnung zu schaffen und sich gleichzeitig nicht aus Unachtsamkeit zu entblößen. Auch der Gast des Hauses lachte herzhaft und betrachtete voller Interesse die gebräunte Haut Faras, während sein beachtlicher Bauch auf und ab wippte. Mit der Hilfe der anderen Sklaven waren die Scherben schnell zusammengetragen und der Wein aufgewischt. Fara zog sich einen Moment zurück, um ihre Kleidung zu richten.

„Eine schöne Sklavin habt ihr da, lieber Akis“, schmeichelte der Gast.

„Eigentlich gehört sie Milia, ich habe sie ihr heute vom Markt mitgebracht.“

„Tatsächlich? Woher stammt sie? Eine derartige Schönheit würde auch mein Haus zieren.“ Der Handelspartner leckte sich über die dicken Lippen.

„Aus der Wüste Afrikas. Vermutlich eine Nomadin, erklärte mir der Händler.“

„Nun dann, mit etwas Glück kann eine meiner Karawanen auch eine Nomadin wie sie fangen.“ Dabei lachte der Handelspartner. „Und ich bin mir sicher, sie hätte nichts dagegen, ein ärmliches Zelt gegen die Pracht meiner Villa zu tauschen.“

„Sicherlich nicht“, stimmte Peris zu.

„Oder gegen ein warmes Bett“, murmelte Akis, als Fara wieder ins Triclinium trat.


Der nächste Tag war von geschäftigem Treiben geprägt. Am Abend würde eine Feier anlässlich Milias Verlobten Charis in seiner Villa veranstaltet. Sein fünfundzwanzigster Namenstag war zu begehen. Aus diesem Grund prüfte Milia nochmals sorgfältig die Kleidung, die sie für den Abend ausgewählt hatte – einen reich verzierten dunkelblauen Peplos. Nochmals sprach sie mit Sia über ihre Frisur, den Schmuck und ihre Schuhe. Danach übte sie erneut das Lied auf der Lyra, das sie heute zur Freude ihres zukünftigen Ehemannes vortragen wollte. Schließlich begab sie sich in die Thermen.

Als sie abends ins Atrium trat, war sie sich ihrer Schönheit bewusst, die bei dem Festmahl sicherlich sowohl Charis als auch alle anderen Männer davon überzeugen würde, welch ein Glück es doch war, sie als seine Gattin bezeichnen zu dürfen. Akis half ihr und Dora – die den ganzen Tag auf Peris eingeredet hatte, bis sie mitdurfte – in die Sänfte, dann begaben sie sich in das Haus, welches in wenigen Wochen ihr neues Zuhause sein würde.

Es lag am Rande von Atlantis, wodurch die Wege auf den Markt, in die Thermen oder das Theater etwas länger waren, dafür jedoch mehr Platz für Gärten oder zusätzliche Räume zur Verfügung stand. Dem Reichtum seines Besitzers angemessen erstrahlte es in vollem Glanze und schon von weitem war zu hören, dass sie ein großes Fest mit vielen Gästen erleben würden. Dora überprüfte immer wieder nervös ihre Frisur oder den Faltenwurf ihres Peplos. Das war das erste große Fest an dem sie teilnahm, das nicht bei ihnen zuhause veranstaltet wurde. Dementsprechend aufgeregt war sie. Milia legte ihre Hand auf die ihrer kleinen Schwester, einerseits, um sie zu beruhigen, aber andererseits auch, um sie davon abzuhalten, durch das ständige nesteln ihr Aussehen zu ruinieren.

Als sie die großzügige Villa betraten, schien es, als würde überall gefeiert werden: an jeder freien Stelle standen auffallen hübsche und junge Sklaven, in so wenig durchsichtigen Stoff wie nur möglich gehüllt, in den Händen Weinamphoren oder kleine Köstlichkeiten haltend, um sowohl das Auge als auch den Gaumen zu entzücken. Musik kam aus dem Garten, überall waren Kerzen und Lampen verteilt, die die Räume wie Traumlandschaften erscheinen ließen und die Malereien an den Wänden lebendig machten. Die Sagen, verewigt auf dem Stein, begannen ihre Geschichten zu erzählen, Helden kämpften tapfer, Seeungeheuer verlangten nach ihrer Beute oder Götter spielten ihre Spiele mit den Sterblichen.

Plötzlich stand Charis in seiner ganzen Pracht vor ihnen. Man sah ihm seine griechischen Vorfahren deutlich an mit seinem markanten Kinn, der stolzen Nase und den dunklen Locken, die sich elegant um sein Gesicht rankten. Seine Gestalt hielt alles, was sich die Dichter von einem wahren und edlen Griechen versprachen. „Oh geliebte Freunde – ach nein! – vielmehr geliebte Familie! Was sind schon zwei Wochen gegen die Ewigkeit, die ich mit euch an meiner Seite verbringen darf!“ Er begrüßte Peris und Akis überschwänglich, bevor er sich Dora und letztendlich seiner Verlobten zuwandte. „Mir scheint, du wirst mit jedem Tag schöner und liebreizender, geliebte Milia.“

Kurz drückte er ihre Hand, bevor sie durch sein Haus geführt wurden. Milia fühlte, wie ihre Brust vor Stolz anschwoll, dass diese Pracht bald ihr Heim sein würde und Charis an ihrer Seite.

Er führte sie in sein großzügiges Triclinium und platzierte sie auf Ehrenplätzen. Sogar Dora durfte, obwohl sie eigentlich zu jung war, auf einer Liege Platz nehmen. Die Speisen und Getränke waren vorzüglich. Peris, Akis und Charis unterhielten sich viel über geschäftliche Angelegenheiten, während Milia entspannt mit den anwesenden Damen plauderte. Dora hörte aufmerksam zu und versuchte, in dieser für sie ungewohnten Körperhaltung so elegant wie möglich zu essen. Regelmäßig wurden Trinksprüche gegeben, meist auf Charis‘ Wohl und sein Glück, mit Milia verlobt zu sein. Je mehr Wein jedoch floss, desto öfter wurden auch anzüglichere Witze gemacht, die Dora die Schamesröte ins Gesicht trieben, worüber sich wiederum die Sprecher köstlich amüsierten.

Zwischen all dem Gelächter, Essen und Gesprächen wandte sich ein guter Freund von Charis an Milia. „Wie ihr hörte, schöne Aimilia, seid Ihr nicht nur begabt im Umgang mit der Lyra, sondern besitzt dazu noch eine liebreizende Stimme, die Eurer Anmut in nichts nachsteht.“ Dies war der Anfang vieler Schmeicheleien und Bitten der Anwesenden, Milia möge doch ihre Lyra holen und für die Gäste und zu Ehren ihres Verlobten etwas vortragen.

„Bitte Geliebte, tu es für mich“, hofierte ihr auch Charis. Da Milia nur auf die Aussprache seines Wunsches gewartet hatte, ließ sie von einer Sklavin ihre Lyra aus der Sänfte holen. Im Triclinium wurde es überraschend still als sie ihre Finger über die Saiten gleiten ließ und ein Lied über eine Frau sang, die von ihrer Sehnsucht verzehrt auf ihren Mann wartete, der über die Meere zog, um Schätze zu finden und sie ihr vor die Füße zu legen. Als sie geendet hatte, gab Charis ihr voller Überschwang einen Kuss auf die Wange und prahlte vor seinen jubelnden Gästen damit, die talentierteste Sängerin und Lyraspielerin zu heiraten. Und obwohl Milia scheinbar bescheiden auf die Lobpreisungen reagierte, die noch den ganzen Abend folgen sollten, führte jede weitere Zustimmung dazu, dass sie sich selbst in einem noch glorreicherem Licht sah als sonst.


Nach vielen vergnüglichen Stunden verabschiedeten sich Milia und Dora. Die jungen Herren wollten sie zwar zum Bleiben bewegen, doch war es nicht angebracht, dass Dora noch länger auf dem Fest blieb. Auch wenn ihre jüngere Schwester heftig protestierte, war sie noch zu jung, um mitzuerleben, wie ausgelassen Wein erwachsene Menschen machte. Obwohl Milia noch hätte bleiben können, bat Peris sie, Dora zu begleiten, damit diese nicht alleine nach Hause müsste. Dabei verwies er auch auf ihre Unschuld und Tugend, die nicht durch das nächtliche Treiben der jungen Herren in Verruf gebracht werden sollte. Lieber verließ sie das Fest, bevor es zu anrüchigen Szenen kam, die sie beschämen mochten.

So rührend Milia diese Sorgen ihres Vaters auch empfand, so sehr schüttelte sie innerlich den Kopf. Sie war schon oft mit Akis auf Festen gewesen, bei denen sich zu später Stunde die Herren und auch einige Damen entweder mit den jungen Sklaven oder miteinander vergnügten, während der Wein in Strömen floss und die Musiker unanständige Verse zum Besten gaben. Milia selbst hatte selbstverständlich nie aktiv an diesen Ausschweifungen teilgenommen, doch das Gelächter und die Geräusche aus den dunklen Räumen waren eindeutig genug gewesen.

Doch um ihren Vater zu beruhigen, lächelte sie nur und stieg mit Dora in die Sänfte. Sobald sie verheiratet war, würde niemand mehr von ihr verlangen können, ein Fest vorzeitig zu verlassen.


Augen wie Gras und Meer

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