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Kapitel 3

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Das Blut rauschte in Milias Ohren und ihr Kopf fühlte sich an, als wolle er vor Schmerz zerbersten. Etwas lag schwer auf ihr, sodass es ihr nicht möglich war, aufzustehen. Im nächsten Moment begriff sie, dass es nicht etwa Steine waren, die auf ihren Körper niedergeprasselt waren, sondern Aret sich schützend über sie geworfen hatte, während um sie herum ein schier unbegreifliches Chaos ausbrach.

Überall auf dem Boden lagen Menschen, alle Markstände waren derart erschüttert worden, dass kaum mehr ein Händler unterscheiden konnte, welcher Haufen aus Brettern, Stangen und Tüchern einst sein Verkaufsraum war. Selbst einige Häusermauern wiesen Lücken auf und die Steine waren auf die Unglückseligen geprasselt. Begraben unter Ziegeln, Holz und Schutt schrien sie nach Hilfe oder beteten zu den Göttern – sofern sie dazu noch in der Lage waren.

Keuchend stand Aret auf, wobei Milia sah, dass sein Einsatz dafür gesorgt hatte, dass sie nur ihren Kopf gestoßen hatte und nicht auch unter Gestein verschüttet wurde. Er dagegen schien Schmerzen zu haben. Milia wurde von ihrem Sklaven recht unsanft gepackt und so schnell auf die Beine gezogen, dass ihr kurz schwarz vor Augen wurde. Aret aber griff nach ihrem Arm und wollte sie hinter sich herziehen, als die ganze Stadt erneut von einem schweren Beben ergriffen wurde. Wieder stürzte Milia, kauerte sich auf den Boden und wurde von Aret an dessen Brust gedrückt. Sein Herz pochte stark und kraftvoll. Das Geschrei und Getöse um sie herum war beinahe unerträglich laut.

Als sich die Erde beruhigt hatte, sprang Aret wieder auf und zog seine Herrin unbarmherzig hinter sich her. Geschickt umging er dabei andere Menschen, die um Hilfe riefen oder Schutthaufen, unter denen sich womöglich noch weitere Hilflose befanden.

„Aret warte!“ Milia wollte versuchen zu helfen, sich losreißen und irgendetwas tun, doch ihr Sklave hörte nicht auf sie und zog sie erbarmungslos weiter über den Marktplatz.

Das dritte Beben war stärker und dauerte länger als die beiden vorhergegangen zusammen. Aret konnte Milia gerade noch rechtzeitig in einen sicheren Unterstand ziehen, bevor es Steine auf den Platz zu regnen schien. Milia schrie vor Angst, doch konnte sie es vor lauter Lärm selbst nicht hören. Kaum war das Erdbeben vorbei, zog Aret sie weiter. Die Straßen waren voller Schutt, sodass kaum ein Durchkommen war. Von überall kamen ihnen Menschen entgegen, meist blutüberströmt, die schrien und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Dabei spielte es keine Rolle, welche Position in der Gesellschaft jemand noch vor wenigen Minuten innehatte. Es zählte nur noch, wer stärker, fitter oder durch Zufall unverletzt war. Wer sich nicht selbst helfen konnte, wurde zurückgelassen. Im Kampf um das eigene Überleben war das Leben des Nächsten nichts mehr wert.

Milia war wie erstarrt, als all diese Eindrücke auf sie einströmten. Hätte Aret sie nicht immer weiter hinter sich hergezogen, sie wäre vor Verzweiflung zusammengebrochen. Was war hier passiert? Wie konnte ihr geliebtes Atlantis so zerstört werden, die Bewohner so herzlos sein? Nach einiger Zeit bemerkte sie, dass Aret nach seiner Schwester rief. Sie waren nun kurz vor ihrem Haus. Als Milia es jedoch sah, erkannte sie es im ersten Moment nicht: eine Seitenwand war komplett eingestürzt, das Dach eingebrochen. Nur noch die massive Eingangstür erinnerte an den herrschaftlichen Wohnsitz des Händlers Periandros und seiner Familie.

Dora! Milias Herz schien für einen Moment still zu stehen. Ihre Schwester war zurückgekommen, in dieses Haus, das nun wie ein verwundetes Tier vor ihr lag. Allein die Vorstellung, sie unter diesen Steinbergen zu wissen, ließ ihr Herz zerspringen und sie nach Atem ringen.

Milia wollte sich von Aret losreißen und nach Dora suchen, doch seine Hand hielt ihren Arm unbarmherzig fest. „Aret, lass mich los! Du tust mir weh! Hilf mir Dora zu finden! Aret!“ Doch ihr Sklave hörte nicht auf sie und rief nur weiter nach seiner Schwester Fara.

Auf einmal taumelte Ebo, Milias schwarzer Sklave, den Akis zur Bestrafung in den Keller gesperrt hatte, auf sie zu. Er war schwer verletzt, sein linker Arm hing bewegungslos an seinem Körper herab. Als er Aret sah, lief er sofort auf ihn zu.

„Sie ist hinten. Komm schnell!“

Ohne auf Milias Befehle, ihr zu helfen, zu achten, führte Ebo Aret um das Haus herum, wo die Zerstörung noch deutlicher wurde. Kaum ein Stein lag noch auf dem anderen. Flink kletterten sie über das Geröll, Milia noch immer hinter sich her ziehend. Oben auf dem Haufen aus Steinen angekommen, sahen sie sie.

Fara lag dort, wo früher der Innenhof war. Man sah jedoch nur ihren Oberkörper, die Beine lagen unter dem, was früher ein Seitenflügel des Stadthauses gewesen war. Ihr dunkles Haar verteilte sich fächerartig über das Geröll. Aret ließ Milias Arm los, rief Ebo zu, er solle auf sie aufpassen und rannte sofort zu seiner Schwester. Milia war vor Schreck so erstarrt, dass sie alles vergaß außer dem Geschwisterpaar vor ihr. Faras Anblick war entsetzlich, denn obwohl sie lebte und zu ihrem Bruder sprach, war ihr Schicksal vorherbestimmt: Aus diesem Steinhaufen konnte sie nicht befreit werden, zuvor würde sie sterben, ihre Verletzungen waren gewiss zu stark. Aret hob sanft ihren Oberkörper, legte den Kopf seiner Schwester auf seinen Schoß und strich ihr Sanft einige Haare aus dem schönen Gesicht, das so makellos zwischen der Zerstörung wirkte. Sie flüsterten sich Dinge zu, er, weil er sie beruhigen wollte, sie, weil ihre Kraft nicht für mehr reichte.

Milia erinnerte sich wieder an Dora und riss sich von der Szene los. Unsicher blickte sie um sich. Überall war nur Schutt, kaum ein Mensch war zu sehen. Sollte ihre Schwester sich im Haus befunden haben als das letzte Beben die Insel erschüttert hatte, was wäre dann mit ihr geschehen?

„Ebo, wo ist Dora?“

Der Sklave reagierte nicht.

„Ich habe dir eine Frage gestellt. Wo ist meine Schwester!“ Milias Wut wuchs. Wieso wollte Ebo ihr nicht sagen, was mit Dora geschehen war? Er musste doch etwas wissen, er war im Haus gewesen, offensichtlich hatte er sich aus dem Keller befreien können, sonst wäre auch er wie Fara verschüttet.

Da er nicht antwortete, drehte Milia sich um. Sicher war sie geflohen, entweder zum Hafen, um auf dem Meer Schutz zu suchen oder aufs Land, wo keine Gebäude sie erschlagen könnte. Wenn sie nur wüsste, wohin sie gegangen war!

Ebo packte seine Herrin am Arm und schleuderte sie zu Boden. Alle Luft entwich schlagartig aus ihren Lungen. „Du bleibst hier.“

Als Milia in die schwarzen Augen des Sklaven blickte, bekam sie eine schreckliche Angst. Wieso auch immer er wollte, dass sie blieb, seiner Entschlossenheit und Kälte hatte sie nichts entgegenzusetzen. Er würde ihr nicht helfen.

Ein Schluchzen drang über ihre Lippen. „Bitte … wo ist sie?“ Vor ihren Augen erschien ein Bild ihrer Schwester, wie sie mit zerschlagenen Knochen und verdrehten Gliedern unter den Überresten des Hauses begraben war, das noch vor kurzem ihr sicheres Heim war.

Ebo blickte ungerührt zu Aret und Fara. Seine tiefe Stimme gab keinerlei Emotionen preis. „Sie ist weg. Mit Sia. Nach dem ersten Beben hat sie die kleine Herrin gepackt und weggebracht. In Sicherheit, hat sie gesagt.“ Milia atmete erleichtert auf. Langsam kam sie wieder auf die Füße, stolperte unsicher, klopfte sich etwas Staub von ihren Kleidern und versuchte erneut, auf den Sklaven einzuwirken.

„Ich muss sie finden. Sie ist meine Schwester. Und nun werde ich gehen und sie suchen.“ Milia würde sich doch nicht von einem Sklaven daran hindern lassen, Dora zu finden! Er hatte vielmehr ihren Befehlen zu gehorchen. Gerade als sie wieder dabei war, den Haufen aus Steinen herabzusteigen, packte Ebo sie und drückte sie wieder auf das Geröll. Diesmal jedoch ließ er seine gesunde Hand schwer auf ihrer Schulter liegen.

„Wir warten.“ Mit diesen Worten deutete er auf Aret und Fara, die schmerzhaft voneinander Abschied nahmen. Offensichtlich hatte er versucht, seine Schwester aus dem Geröll zu befreien, doch hatte auch er die Nutzlosigkeit dieses Unterfangens erkannt. Nun ruhten Arets aufgeschürfte Hände wieder in denen seiner Schwester, während sie mit Tränen in den Augen zu ihm sprach. Es schien so, als wolle sie ihn trösten. Langsam streifte sie sich eine Kette über den Kopf und gab sie Aret. Milia konnte nicht genau erkennen, welcher Anhänger an dem dünnen Lederband befestigt war. Sie hatte dem Schuckstück nie Beachtung geschenkt. Aret blickte kurz zu ihr und Ebo, dann wandte er sich wieder seiner Schwester zu und nickte. Fara lächelte ihn an, strich ihm sanft über die Wange – und starb. Ihr Kopf sank leblos zurück, die Hand glitt an der Brust ihres Bruders nach unten. Aret weinte. Verzweifelt zuckten seine Schultern, während er seine Schwester zum Abschied in den Arm nahm und ihr liebevoll Worte zuflüsterte, deren Bedeutung Milia nicht kannte.

Still war es, schrecklich still. Dann kam ein weiteres Beben, lang und stark und todbringend wie alle zuvor. Das Geröll unter Milia rutschte weg, Ebo verlor sein Gleichgewicht und stürzte. Als es endlich vorbei war, schmerzte Milias ganzer Körper. Mit den Steinen war sie nach unten gerutscht und kämpfte sich nun mühsam aus dem Schutt, der sie teilweise begrub. Ebo half ihr so gut es mit seiner Verletzung möglich war. Als Milia endlich befreit war, trat Aret zu ihnen. Offensichtlich war er im Innenhof bei Fara sicher gewesen, er zeigte keine Verletzungen außer leichten Abschürfungen auf der Haut. Sein Gesicht war von Trauer gezeichnet, die Augen kalt auf Milia gerichtet. In seiner Hand hielt er die Kette von Fara, augenscheinlich ein Amulett. Stumm überreichte er es Ebo, der es ehrfurchtsvoll annahm und sich umlegte.

„Wir müssen los“, sagte Aret. Er und Ebo packten Milia und zogen sie durch die zerstörte Stadt. Sie brachten sie zum Hafen.


Milia verstand nicht, was Aret sagte, aber er schien zu fluchen. Er und Ebo hatten sie in die Nähe des Hafens gebracht, an eine schwer einsehbare Stelle. Leise und unwirklich drang Geschrei zu ihnen vor, Hilferufe, Ausdruck von Verzweiflung, Angst. Milia zitterte am ganzen Körper. Ein kleines Boot trieb vor ihnen im Wasser. Es war wohl nahe am Ufer befestigt gewesen, doch die Erdbeben hatten die Verankerung gelöst. Aret entledigte sich seiner schmutzigen Tunika und stieg in die kalten Fluten. Kraftvoll schwamm er zu dem kleinen Boot und hievte sich geschickt hinein. Sein brauner Körper hob sich unwirklich schön vom blau des Meeres ab. Aret nahm ein Paddel, das sich im Boot befand, und manövrierte das Gefährt zu Ebo und Milia, die noch immer am Ufer auf ihn warteten.

Während sie von ihren Sklaven durch Atlantis gezogen wurde, war ihr klar geworden, dass sie ihnen ausgeliefert war. Aus irgendeinem Grund hatten sie beschlossen, sie fort zu bringen. Jedoch lag es nicht in ihrer Macht, wohin sie gelangen würde oder wie.

Sie war ihre Gefangene.

Doch aus welchem Grund?

Milia hätte versuchen können, zu fliehen, aber ihr war klar, dass Ebo sie nicht gehen lassen würde. Trotz seines verletzten linken Armes war er um einiges stärker als die junge Atlanterin.

Kurz bevor Aret das Ufer erreichte, rollte erneut ein heftiges Erdbeben über die Insel. Auf dem Weg zu dieser Stelle hatte der Boden immer wieder bedrohlich geschwankt, jedoch nicht so heftig wie die ersten Male. Dieses Beben jedoch war stärker. Milia ließ sich sofort auf den Boden fallen, wobei sie sich ihre Knie aufschürfte. Ebo kniete neben sie und schützte sie mit seinem großen Körper vor womöglich herabfallenden Dingen ab. Wollten diese Beben denn nie aufhören?

Noch während die Erde sich aufzubäumen schien, packte Aret Milia, zog sie durch das flache Wasser und hob sie in das Boot. Ihre Tunika wurde nass und schwer, ihre Schritte waren unsicher, der Boden schwankte unaufhörlich. Das Meer schien sich seinen Bewegungen angepasst zu haben. Aufgebracht ließ es das Boot auf und ab schaukeln. Nur mit Mühe zogen sich nun auch Ebo und Aret zu ihr. Besonders der schwarze Sklave keuchte. Seine Verletzungen setzten ihm sehr zu. Auch Aret rang erschöpft nach Luft, doch dann packte er schon zwei Paddel und begann, das Boot von der Küste fortzutragen. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, die Sonne brannte ungehindert auf die drei Insassen und das Meer wollte sich nicht beruhigen.

Als sich Milia in dem Holzboot umsah, bemerkte sie, dass es gut ausgestattet war. Es gab einige Behältnisse mit Frischwasser, etwas Nahrung, Decken und Umhänge. Langsam begriff sie, dass ihre Entführung schon länger geplant war. Doch von wem? Aus welchem Grund?

Ein ohrenbetäubendes Krachen und Tosen unterbrach sie in ihren Gedanken. Erschrocken blickten alle drei zur Insel, die sich bis eben majestätisch aus dem Meer erhob. Sie sank! Oder stieg der Meeresspiegel? Erst brachen Teile von ihr, die Ausläufer zum Hafen, ab und wurden von der See in die Tiefe gezogen. Doch nach und nach brach sie ganz auseinander. Häuser wurden zerrissen, Menschen rannten panisch umher um letztendlich doch das Schicksal von Atlantis zu teilen und ins Meer geschleudert zu werden. Die Wellen wurden immer höher, peitschten gegen die verwundete Stadt, griffen nach ihr und trieben das kleine Boot mal hierhin und mal dorthin, vor und zurück, nach oben und unten. Milia versuchte zu schreien – vielleicht schrie sie auch – aber sie hörte nichts. Da war nur Lärm. Unvorstellbarer, unbegreiflich, zerstörerischer Lärm.

Und mit der Stadt versank Milias Glaube an die Götter im Meer.


Trostlos und erschöpft sah Milia aufs Meer hinaus. Trümmer trieben umher, Menschen schrien um Hilfe. Doch niemand half. Aret paddelte unermüdlich weiter von ihnen weg, Richtung Süden. Auch wenn eine starke Strömung von der untergegangenen Stadt ausging, die das Boot immer wieder in eine andere Richtung zog, gab er nicht auf. Milia hatte nicht die Kraft, ihn zu bitten, den Menschen zu helfen. Sie zwang sich zu atmen, zu trinken, wenn Ebo ihr etwas Wasser reichte und sich nicht der Finsternis in ihrem Inneren hinzugeben, die drohte von ihr Besitz zu ergreifen, seit die Erdbeben ihre Heimat zerstört hatten.

Einige der Menschen, die hilflos im Meer trieben, hatten das Boot bemerkt und versucht, sich ihm zu nähern. Sie riefen und wollten auf sich aufmerksam machen. Doch Arets Blick war unbeweglich auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, während er paddelte. Und schon bald gaben die Atlanter auf. Die Schreie wurden leiser und weniger. Milia wollte nicht darüber nachdenken, ob sie sie irgendwann nicht mehr hörte, weil sie zu weit weg waren, oder weil die Menschen nicht mehr um Hilfe flehen konnten.

Dann kam eine dumpfe Stille, die Milia umfing. Sie wirkte unwirklich, womöglich, weil die letzten Stunden nur Lärm, Tosen und Geschrei an ihre Ohren gedrungen waren. Mit der Zeit begann Milia, die Stille zu verfluchen. Nun war sie wieder in der Lage, ihre Gedanken zu hören. Doch diese waren zu schmerzlich, zu sehr voller Zweifel und Angst, als dass sie die junge Atlanterin hätten trösten können.

Ebo hatte währenddessen seinen Arm notdürftig verbunden. Aret hatte ihm dabei geholfen, die Wunden zu säubern und einen Verband umzulegen. Als Ebo das Ruder übernahm, kümmerte sich Aret um seine eigenen Verletzungen. Mit nur einem Arm war Ebo nicht annährend so schnell wie Aret, trotzdem trieb das Boot unablässig weiter weg von dem Ort, wo bis vor kurzem noch eine Handelsmetropole aus dem Wasser ragte.


Offensichtlich dauerte die Reise länger als geplant. Ebo hatte wegen seiner Verletzung große Schwierigkeiten, das Boot zu steuern und auch Arets Kräfte ließen mehr und mehr nach. Das Wasser musste rationiert werden und schon bald konnte Milia nichts anderes mehr tun als starr auf das Meer zu blicken, ihre rissigen Lippen mit ihren Fingern abtasten und sich mit einer Decke gegen die Sonne zu schützen. Nach einiger Zeit hatte ihr Magen aufgehört zu knurren und sie aß abwesend die Reste von Dörrfleisch und trockenem Brot, ohne wirklich Appetit zu spüren.

Vier Tage nach dem schrecklichen Unglück, das Milias Gedanken und Träume beherrschte und sie nicht zur Ruhe kommen ließ, sah sie am Horizont Land. Libyen. Hoffnung keimte in Milia auf. Ihr Vater hatte Handelspartner in vielen Städten an der Küste.

Als sie das erste Mal seit Tagen versuchte, ihre Stimme zu benutzen, entrann ihrer Kehle nur ein trockenes Stöhnen. Nach einem Hustenanfall, der sie daraufhin überkam, waren ihre Worte verständlich, auch wenn Nichts mehr an ihre hoch gelobte Singstimme erinnerte.

„Ihr solltet mich besser freilassen.“

Ebo blickte kurz zu Aret, der aber unbeeindruckt weiterruderte.

„Mein Vater hat hier viele Verbündete.“ Wieder musste Milia husten. „Glaubt ihr wirklich, ihr könnt mit mir unbemerkt durch die Küstenstädte ziehen?“

„Du wirst ruhig sein“, stellte Aret kühl fest.

Milia lachte verzweifelt. „Und wieso sollte ich das sein? Ihr seid nur zwei Sklaven, ihr werdet sterben und ich werde frei sein.“ Sie sah Ebo fest in die Augen. „Sehr qualvoll sterben.“

„Wenn du nicht ruhig bist, werde ich dich töten.“ Dabei sah Aret sie an, als würde er nur darauf hoffen, Milia würde schreien. Seine Augen waren tiefschwarz und aus ihnen sprach die Lust zu morden. Eine unwirkliche Kälte legte sich um Milias Hals und schien ihr Herz zwingen zu wollen, das Schlagen aufzugeben. Schnell sah sie zu Boden und atmete tief ein.

„Ich kann euch zu reichen Männern machen“, setzte sie nach einiger Zeit mit veränderter Taktik an. „Wenn ihr mich frei lasst –unversehrt! – werde ich sagen, ihr hättet mich gerettet. Man wird euch reich dafür belohnen, mir geholfen zu haben.“

Aret lachte nur verächtlich und paddelte weiter. Ihn konnte sie nicht umstimmen.

„Ebo, hast du nicht gehört“, wandte sie sich nun verzweifelt an den dunklen Hünen. „Was auch immer er dir versprochen hat, ich verspreche dir hiermit das Doppelte! Mehr als das Doppelte! Ebo! Was kann er dir schon geben, was ich dir nicht bieten kann?“

Der Sklave blickte stumm auf das Meer hinaus, dann wandte er sich ruhig an Milia.

„Freiheit.“


Augen wie Gras und Meer

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