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Erste Woche. 1.

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Der Auftritt war echt beschissen. Nicht im Sinne von desaströs, eher lauwarm, also noch beschissener als beschissen. Ich habe keine Ahnung, wieso das erste Konzert einer Tour immer so ätzend sein muss. Wir waren doch gut eingespielt, wir waren nicht übernervös, und wir hatten alle Bock. Ich habe alles gegeben. Vielleicht ein bisschen zu viel, denn nach drei Liedern war ich schon ziemlich aus der Puste. Und das, obwohl ich in der letzten Zeit viel für meine Kondition getan habe. Ich habe Sport gemacht, bin viel gelaufen, um Kraft und Ausdauer für die kommenden vier Wochen zu haben. Aber irgendwie klappt das mit der Krafteinteilung noch nicht so ganz, und die Luft auf der Bühne war quasi nicht vorhanden. Und dann das viele Rauchen vorher. Na ja, vielleicht waren wir auch ein wenig aufgeregt …

Wir haben nicht wirklich gut gespielt, technisch gesehen. Werner hat sich die ganze Zeit verhauen, und obwohl wir uns geschworen haben, nicht mehr so verkrampft auf Fehler zu reagieren und sie stattdessen mit Humor zu nehmen, habe ich gemerkt, wie es mich nervt, dass wir nicht besser spielen. Aber noch schlimmer, als sich leicht zu verhauen, ist es, wenn das Konzert einfach nicht richtig rockt. Und das gerade hat meiner Meinung nach überhaupt nicht gerockt. Auch wenn die Leute es offenbar gut fanden und wir nach der Zugabe sogar eine zweite spielen mussten.

Es gab mal eine Zeit, da war es uns nicht so wichtig, wie wir gespielt haben. Wir waren sowieso die Geilsten und alles andere war Spießerscheiß. Der Auftritt war nur einer von vielen Bestandteilen des Abends, mindestens genauso wichtig war es, wie die Party war, ob wir auf der Hinfahrt ein geiles Mixtape gehört und nachher möglichst viel gesoffen und gegrölt haben. Nichts gegen Mixtapes und Suff, aber das ist für mich alles nur noch Schmuck am Nachthemd. Der Tag auf Tour definiert sich über die sechzig oder fünfundsiebzig oder auch neunzig Minuten, die wir auf der Bühne stehen. Wenn die gut sind, hat sich alles gelohnt. Wenn sie schlecht sind oder langweilig, dann ist der Tag im Eimer. Dann kann kommen, was will, ich gehe mit einem unguten Gefühl ins Bett.

Ich merke es besonders am Tag danach. Das Konzert gestern war gut – mir gehts blendend, ich bin ausgeglichen und glaube an das, was wir tun. Das Konzert gestern war scheiße – ich habe schlechte Laune, bin leicht reizbar und bekomme Zweifel an allem. Bei den anderen ist das nicht so ausgeprägt, und manchmal verachte ich sie dafür. Wie kann man nur Spaß haben, wenn man schlecht gespielt hat! Dafür sind wir doch schließlich hier, nur dafür sind wir all die Kilometer gefahren!

Zum Glück sehen das nicht alle in der Band so extrem wie ich. Nicht auszudenken, was am Tag nach einem schlecht gelaufenen Auftritt sonst für eine Stimmung an Bord herrschen würde. Dazu kommt, dass wir einen Auftritt grundsätzlich völlig unterschiedlich bewerten. Es gibt nur wenige Konzerte, die alle beschissen fanden. Wenn das passiert, kann man davon ausgehen, dass es wirklich ziemlich mies war. Umgekehrt sind wir selten einhellig der Meinung, dass es ein Eins-a-Ding war, und auch hier gilt: Es war mit Sicherheit spektakulär, wenn alle glücklich und aufgeputscht von der Bühne gehen.

Heute gibt es Backstage keine Dusche und keinen Platz. Der Raum hat ein Klo, ein Waschbecken, einen Tisch, eine Bank und einen Schrank von Kühlschrank. In der Ecke stehen auf zwei Stühlen Computer und Drucker der Tourneeleitung. An einem der Stühle klebt ein ausgedrucktes DIN-A4-Blatt: »Produktionsbüro. Bitte anklopfen.« Wir treten uns beim Umziehen gegenseitig auf die Füße. Überall hängen stinkende nasse Sachen. Werner will zeigen, wie doll er geschwitzt hat und wringt sein T-Shirt aus. Beeindruckend, was da für eine Suppe rauskommt, aber muss er das unbedingt mitten im Raum machen?

Ich hätte gerne ein wenig Ruhe, nur ein kleines bisschen Zeit, um auszuatmen und runterzukommen. Aber wo kein Platz ist, ist auch keine Ruhe. Ich habe noch nicht mal eine trockene Hose angezogen, da kommen schon die ersten Bekannten in den Raum gestürmt, versorgen sich mit Bier und Schnaps aus dem Kühlschrank und erzählen uns irgendwas über das Konzert und was man jetzt noch so machen könne und was wir denn jetzt vorhätten und ob wir nicht langsam mal loswollten, die anderen seien auch schon abgehauen.

Lasse stand schon heute Nachmittag mit leuchtenden Augen vor mir. Er besuchte uns beim Soundcheck und meinte es gut, als er sagte: »Geil, nach dem Konzert machen wir richtig einen drauf, wir gehen noch in diese Bar und dann in jene, und um fünf hat Frauke Thekenschluss und wir treffen uns alle im Da-und-dort …«

Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihm zu sagen, dass ich noch nicht weiß, ob ich mitkomme, und dass ich eigentlich viel lieber hier noch was trinken und dann ins Bett gehen würde. Lasse ist einer der besten Typen, die ich kenne. Ich sehe ihn viel zu selten, er freut sich, dass ich da bin, und ich freue mich, dass er da ist, und außerdem hat er immer diesen Hundeblick drauf, dem man nichts abschlagen kann. Und so werfe ich all die guten Vorsätze von wegen diesmal-nicht-gleicham-ersten-Tag-so-übertreiben und das-Hotelzimmer-ist-super-und-ich-will-auf-keinen-Fall-das-Frühstücksbuffet-verpassen über Bord und stürze mich eine knappe Stunde nach dem Konzert mit einem wilden Mob erlebnishungriger Gestalten hinein in die Nacht, gebe mich dem in dieser Stadt üblichen Exzess hin, bis ich, zweiundzwanzig Stunden, nachdem ich aufgestanden bin, in einem Bett lande, das nicht meins ist, mit einer Person, von der ich den Namen vergessen habe. Um neun Uhr geht der Wecker, um zehn Uhr ist Treffen im Hotel, wo wir noch ein wenig Promo machen müssen. Alle Rock-’n’-Roll-Klischees in der ersten Nacht bedient. Hervorragender Tourstart, herzlichen Glückwunsch.

Wo die wilden Maden graben

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