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Kartons und Container
Оглавление»Natürlich ist das eine Schrottkarre!« Offenbar hat Harald die Blicke, mit denen ich den staubig-dunkelblauen Kombi begutachte, den er eben vom Gebrauchtwagenhändler geholt hat, in den falschen Hals bekommen.
Die Nerven liegen gerade ziemlich blank. Er ist erkennbar angefasst und legt nach: »Was erwartest du? Oder hast du irgendwo noch Geld versteckt?«
Oh nein, das habe ich leider nicht. Schön wär’s. »Entschuldige, Schatz. Ich wollte dich doch nicht kritisieren. Ich glaube, die Phase jetzt ist für uns beide nicht gerade leicht. Aber stell mich bitte nicht als verwöhntes Weibchen hin, okay?«
Harald hat sich schon wieder im Griff. »Schon gut. Das Auto soll uns und die Hunde heil nach Mallorca bringen und da noch ein paar Wochen halten, bis wir Arbeit haben und ein neues anzahlen können. Mehr nicht. Und mehr war für die Kohle eben nicht drin. 200.000 Kilometer hat er runter. Aber er läuft und läuft und läuft … Drück die Daumen, dass die Kupplung bis dahin hält; die ist reichlich ausgelutscht. Aber die Bremsen sind immerhin neu gemacht.«
Ich lege innerlich einen Hebel um und sage: »Gut gemacht, mein Held. Du hast sicher das Beste aus dem bisschen Geld gemacht. Bist eben ein Zauberer.«
Harald grinst, als ich ihn bei seinem Hobby packe, und ist wieder versöhnt. »Sag mal, hat sich der Typ inzwischen gemeldet, wegen der Küchensachen?«
Ich atme tief durch. »Ja, hat er. Er könnte morgen kommen. Aber er will noch mal verhandeln.«
»Was?! Seit wann funktioniert eBay so? Das sind doch erstklassige Geräte! Damit kann er ein Dreisternerestaurant betreiben!«
»Na ja, das meiste übernimmt ja unser Nachfolger. Aber ich bin auch sauer. Hilft aber nichts – die Sachen müssen weg. Wir müssen das Haus Ende nächster Woche räumen.«
Beim Gedanken an den Termin der Hausübergabe wird mir schwummerig. In unserer Wohnung ist inzwischen ein ganzes Zimmer mit Kartons prall gefüllt. Weit mehr als in den Umzugscontainer passen, den wir uns leisten können. 2.500 Euro kostet uns allein dieser Transport. Und wir sind immer noch unschlüssig, was wir auf Mallorca brauchen werden und was nicht.
Nur eins steht fest: Da wir nicht nur dem Münsterland, sondern auch der Gastronomie den Rücken kehren, brauchen wir kein professionelles Equipment. Der Mann, der das Haus ersteigert hat und das Restaurant weiterführen will, nimmt die großen Geräte wie Herd, Spülmaschine und Kühlung. Und ein Kneipenbesitzer aus Holland hat bei eBay unsere Töpfe und Pfannen, die tollen Messer, die Kochgeräte aus Edelstahl und Holz und die Profischneidebretter ersteigert. Dabei waren Letztere ein Weihnachtsgeschenk unserer Töchter. Schnell weg mit dem Gedanken – meine Unterlippe zittert schon wieder.
Was wir mitnehmen, sind fast alle Möbel. Nachdem wir unser neues Haus ausgemessen haben, wissen wir, dass wir beinahe alles brauchen können. Und dafür, uns neu einzurichten, fehlt uns schlichtweg das Geld. Aber wir hängen auch an vielen Sachen.
Wir hatten schon immer einen Blick und ein Händchen für alte Dinge und verborgene Schätze. Für unsere Kneipe haben wir viel aus Sachen hergestellt, die andere als »Trödel« weggegeben haben. Meine Mutter hat mich ganz traditionell erzogen: Ich sollte in der Küche helfen, meine drei Brüder fast nie. Aber ich hasse Sachen wie Abwaschen, Töpfereinigen und Abtrocknen bis heute. Vielleicht bin ich deswegen in die Gastronomie gegangen: weil ich da Leute dafür bezahle, mir das abzunehmen. Am glücklichsten war ich jedenfalls immer bei meinem Vater in der Werkstatt.
Und genau zu diesem Vater zieht es mich jetzt. Dieses über achtzigjährige Wunder an Hilfsbereitschaft werkelt nämlich gerade oben in unserer Wohnung. Er packt Geschirr in Zeitungspapier und füllt weiter Karton um Karton.
»Den angestoßenen Krug hier auch? Wirklich?«, fragt er kopfschüttelnd.
Ich hocke mich neben ihn: »Du weißt doch, Papa: Alles, was wir da brauchen könnten, müssen wir mitnehmen. Ich würde auch zu gern nur mit zwei Koffern auswandern und mich vor Ort neu einrichten. Das wäre ein echter Neuanfang. Aber wir haben nun mal kein Geld.«
Ich sehe, wie es in ihm arbeitet. Und dann ringt er sich durch, die Frage zu stellen, die ihm seit Wochen auf den Lippen brennt – seit wir von der drohenden Zwangsversteigerung des Hauses und unserem Entschluss zur Auswanderung erzählt haben: »Habt ihr wirklich überhaupt kein Einkommen dort? Gibt es keine Sozialversicherung oder so was?«
Ich bin beinahe erleichtert, dass er endlich fragt. Mein Vater ist die Diskretion selbst.
Zerknirscht beichte ich ihm, wie die Sache gelaufen ist. »Es hatte mit meinem Stolz zu tun, Papa. Vor einem Monat war ich beim Arbeitsamt, um zu fragen, wie das mit der Auszahlung des Arbeitslosengeldes funktioniert, wenn man in Spanien wohnt. Ich war ja formal immer angestellt bei Harald und habe immer brav eingezahlt. Mir gegenüber saß so ein mürrischer Typ. Der klassische Beamte. Oh, entschuldige, Papa – du warst ja auch Beamter! Aber eben ein vorbildlicher. Ein Polizist, wie er im Buche steht. Na, dieser Sesselpupser da jedenfalls … ich konnte ihm förmlich ansehen, dass er einfach nur keinen Bock hatte, sich mit meiner Frage zu beschäftigen. War ja was Neues. Bloß nichts Neues! Könnte ja neugierig machen. Jedenfalls meinte er extrem genervt: ›Hach, das weiß ich jetzt auch nicht, ob das geht.‹ Vielleicht war er auch einfach nur neidisch? Dabei hab ich extra ›Spanien‹ gesagt und nicht ›Mallorca‹. Jedenfalls hat er mich direkt auf die Palme gebracht. Wenn man sein Leben lang darauf angewiesen war, Eigenverantwortung und Initiative zu entwickeln, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dann kommen einem solche Paragrafenreiter gerade recht. Vor allem in einer so angespannten Situation wie jetzt. Verstehst du das, Papa?«
Mit all seiner Liebe und der Weisheit seiner achtzig Lebensjahre schaut er mich nur an und nickt aufmunternd.
Ich habe mich richtig schön in Rage geredet und sprudle weiter: »Danach musste ich zur Sachbearbeiterin. Die wollte mich offenbar aus der Statistik rausbekommen und hat mir ein Praktikum in der Gastronomie vorgeschlagen. Ein Praktikum! Nach dreißig Jahren als Gastwirtin! Und sag jetzt nicht, sie habe ja nicht wissen können, wie qualifiziert ich bin. Die Frau ist Stammkundin im Liliom! Erst vor einem halben Jahr war sie mit ihrer ganzen Abteilung hier: Weihnachtsfeier. Und dann schlägt die mir ein Praktikum vor.«
Mir kommen erneut Tränen der Wut, wenn ich an diese Behandlung denke. Mit erstickter Stimme beende ich meinen Bericht: »Aus Frust bin ich da einfach nicht wieder hingegangen. Ich habe auf das Arbeitslosengeld verzichtet. So, Papa, jetzt darfst du mich für bekloppt erklären.«
Mein Vater schmunzelt und schaut zu Harald: »Das ist meine Nanni! Eine stolze Frau. Und stur wie ein Esel kann sie sein! Konnte sie schon immer. Wäre ich dein Steuerberater, liebe Tochter, dann würde ich dich jetzt tatsächlich für bescheuert erklären. Aber als dein Vater sage ich: richtig so! Bevor du dich mit Bürokraten rumärgerst, schau lieber nach vorn, und bau dir was Neues auf. Der Anfang auf Mallorca wird sicher schwer – aber wenn es jemand schafft, dann du und dein Harald.«
Ich sage nichts, sondern umarme ihn nur. Sehr lange und sehr fest. Dass ich ihn zurücklassen muss, ist eine der härtesten Folgen unserer Entscheidung. Und dass er so vorbehaltlos zu mir steht und mich unterstützt, macht es nicht unbedingt leichter.
»So, Papa, für heute ist Feierabend für dich. Ich mach hier noch weiter. Und ab übermorgen machen wir ja die Krankheitsvertretung im Portofino und verdienen noch ein bisschen Geld. Und denk an die Abschiedsfeier im Liliom nächsten Samstag.«
»Muss ich da auch was zu essen mitbringen?«
»Quatsch, Papa! Du doch nicht! Das machen die anderen sicher für dich mit.«
»Au ja! Auf Claudias Quiche freu ich mich jetzt schon.«
An der Tür halte ich ihn kurz fest und sage verlegen: »Grüß Mama. Wie geht es ihr?«
»Ach …« Papa seufzt. »Sie versteht euch weiterhin nicht. Sie fühlt sich verlassen und verraten. Ich kann reden, so viel ich will. Ich sage ihr immer wieder, dass es dein Leben ist und dass du doch glücklich sein sollst. Aber sie macht total dicht.«
»Oh Papa! Das ist nicht leicht für dich, oder?«
Statt zu antworten, dreht er sich weg. Bei Männern dieser Generation ein untrügliches Zeichen. Ein Indianer weint nicht. Nicht vor anderen jedenfalls.
Vier Wochen später steht mein Vater am Straßenrand und winkt. Ganz aufrecht steht er da. Meine Mutter hingegen wirkt geradezu verstört. Sie hat wohl bis zuletzt gehofft, wir würden es nicht so ernst meinen und es uns noch anders überlegen.
Es schmerzt mich, sie so zu sehen – und zu spüren, dass die Verbindung zwischen uns einen Knacks bekommen hat, von dem ich nicht weiß, wann und wie er geheilt werden soll.
Nach einem tränen- und alkoholreichen Abschiedsabend mit den besten Freunden und zu wenig Schlaf verlassen wir Gronau nun endgültig. In der Woche davor war ich noch mal bei der Meldestelle, um die Adresse meiner Eltern als Wohnsitz einzutragen. Wir hatten uns nämlich schon abgemeldet – schließlich meinen wir das mir der Auswanderung ernst –, nur um festzustellen, dass damit auch die Kindergeldzahlung für unsere studierenden Töchter enden würde. Aber darauf wollten wir dann doch nicht verzichten – schließlich haben wir unser Leben lang in Deutschland Steuern bezahlt.
Jetzt liegen die Hunde auf unseren Sofapolstern im Heck, und wir fahren tatsächlich los. Vor uns liegen 1.500 Kilometer. In zwei Tagen fährt die Fähre ab Barcelona. Übernachten werden wir im Heck unseres Autos. Bewacht von den draußen angeleinten Hunden.
Und zweieinhalb Tage später – nach einer extrem ungemütlichen Kofferraum-Nacht in den verregneten Pyrenäen, also mit den Hunden zwischen uns, und nach dem plötzlichen Sturm auf hoher See – nähert sich unsere Fähre jetzt tatsächlich dem Hafen von Palma.
Das Meer hat sich wieder beruhigt, aber wegen des Sturmes hat sie sechs Stunden gebraucht statt drei. Der Aufenthaltsraum für die Passagiere riecht wie die Toilette einer Kölner Kneipe im Karneval. Und sieht auch fast so aus.
Als wir endlich zum Auto können, sind wir auf das Schlimmste gefasst. Aber unsere Hunde haben die sechs Stunden bestens überstanden und das Auto samt Sofapolstern verschont. Das nehmen wir mal als gutes Omen. Mallorca hat uns zwar stürmisch begrüßt – aber die Insel meint es vielleicht doch gut mit uns.