Читать книгу Ewige Jugend - Nataly von Eschstruth - Страница 6
Drittes Kapitel
ОглавлениеAls der Vinzenz vom Brunnecker Hof das reizendste Madel, das er je geschaut, auf seinen starken Armen gehalten und ihr erst so erschrecktes Fratzerl ihn nachher beim „Behüats Gott“ so freundlich mit blitzblanken Guckerln angelacht hatte, da wollte ihm so ein Erinnern nimmer aus dem Sinn kommen. Zwar sang er mit schmetternder Stimme ein Rekrutenlied nach dem andern und hakte sich just so fidel wie zuvor bei seinem Jugendgespiel, dem Sepp, in den Arm, aber er wandte doch öfters den Kopf und schaute dem schmucken Madel nach, bis sie in der Ferne dem Blick entschwand.
„In die Masulschlucht wollten die Herrischen!“ guckte der Sepp ein wenig überrascht, „und nun schwenkens zur Seiten in den Waldpfad ein. — Wetten, dös die Stadtleut’ sich noch verlaufen tun?“
„Nix da! Auf den Langen in der Joppen hab’ i mi auskennt!“ rief der Toni, der Knecht beim Seitzerbauer war; „dös is der Aloys Sturmlechner. Derselbe, dess Vater in der Lauben drunten a Bankgeschäft gehalten hat.“
„Just selbiger aus den Wasserlauben. Der is ja uns oan’!“
„Und woass seit Bubenjahren Bescheid dahier.“
„I denk’, sie möchten nach der Senn’ hinauf, nach’m Mirzel oder Anderl schauen.“
Die Burschen schritten rüstig aus.
Sie waren von Schönna heruntergekommen und sahen nun die ersten Häuser von Obermais vor sich.
Seitwärts schlängelt sich ein Fusspfad herab, der nach dem Ifinger und den Schluften abstreckt.
Zwei Tiroler Buben sprangen in wilder Hast, atemlos vom Laufen und Schreien, daher.
Sie fuchtelten wild mit den Armen durch die Luft.
„Hört’s, ihr Mannerleut’! Stillgestanden, hört’s!“
„Ja du mei, — da brennt’s!“
„Mach’s raus! — Gib’s a Auskunft!“
„Is a Malheur passiert?“
Keuchend standen die Flüchtigen.
„Anderl! Bist jo der Anderl!“
„Sell scho! — Und — droben — droben an der Klamm hab’n ma a Bär aufgespürt!“
„A Bar in der Masul?“
„Alle Heiligen soan unsre Zeugen!“ schrie der Anderl und wechselte vor Entsetzen immer noch die Farben — bald weiss wie Schnee, bald wie im Fieber sah er aus.
„Derzählt’s, Bub’n! Derzählt’s!“
„Der Bauer hat uns naufi g’schickt, mal Umschau zu halten. Auf’m Stadel haben wir noch zentnerweis’ das Heu, und hier drunten wird’s knapp.“
„Ja, ja — ganz recht!“
„Und — da habt’s an Bär geschaut?“
„Wie wir so die Senn und den Stadel observiert ham — nachen hörn wir so an narrisches Gebrummel in der Schlucht drunten.“
„Was soll’s denn sein?“ meinte der Hias, „steig’n mer mal hinauf und schauen, was es da gibt. — An an Bär hat keiner nöt denkt von uns.“
„Und kraxelt auf die Felsen? Jesus Maria, sell konnte nöt guat wären!“
„Wie mer oben hinaufkommen, — ma braucht’ sich nit weit vorzurecken, — sehen wir unten am Wasser an Riesenpetz, so an Höllenvieh wie an Ochs, der tratscht da im Geschlürf herum.“
„Der Anderl tat vor Schreck laut aufkreischen, sonst hätt’ er uns nöt derschaut.“
„Nu aber guckt er hoch — und richt’ sich auf und schlagts an Gebrüll auf —!“
„‚An Stutzen hab i nöt, aber aufbrennen tu i dem vermaledeiten Mistvieh doch oans!‘ tobt der Hias, als ob ihn akkurat der Böse plagt, und packt an grossen, damisch schweren Felsblock und schiebt und rollt ihn, und mit an Gekrach, wie wann der Fels z’sammensackt, poltert der Stoan in die Schlucht auf den Bär drauf!“
„Bub’n! Sell soll ma glauben?“
„Weiter! Da ward er aber furig, der Sakra?“
„So an Gebrüll hat’s no kan Seel’ gehört, wie der aber aufgeschlagen hat! Und ob’s ihn nu getroffen hat — —“
„Sell is gewiss! An die Schuft hat’s ihn trefft!“
„I sag’ mir: ‚Wann der jetzt no klettern kann, dann sin ma alle zwo beide hin!‘ — und nehmens die Bein in die Hand, und nun aber nach Meran, alle Schützen und die Kaiserjäger alarmiern!“
„Die Jaga! — sput’s uns!“
„I lauf’ mit!“
„Malefiz! Dös i ka Büchsen hab’! I rennt’ spornstreichs nach der Masul herein!“
„Jesses! Mei unglückseliges Dearndel!“
„Was ficht di an, Vinzenz?“
„Die Herrischen sind ja in die Schlucht!“
„Der Aloys Sturmlechner!“
„Wenn’s der Bär auswittert und in seiner Wut annimmt, soans verloren!“
„Heilige Mutter Gottes, nur dös nit!“
„So an sauberes Madel!“
„Zu Hilf’! Kommts ihr all zu Hilf’!“
„Schreits die Manner z’samm’!“
„Holts an Waffen!“
„Laufts, ihr Leut’! laufts!“
Wie ein Rasender stürmte Vinzenz voran zu Tal.
Die Burschen folgten in wildem Tumult.
Wer ihnen begegnete, hörte nur die eine Schreckensnachricht: „An Bär ist in der Masul aufgespürt! — Drei Fremde soan noch hinunter’gangen!“
Wie ein Lauffeuer gellte die Schreckensnachricht durch Meran.
Aber die Zeit stand nicht still; die Sonne war schon längst hinter die Alpen gesunken, als sich eine Schar beherzter Männer zusammengefunden hatte, um im Verein mit etlichen Kaiserjägern und Kurgästen, die sich freiwillig gemeldet hatten, die Bärenjagd zu bestehen.
Es ist und bleibt ein heldenhaftes Wagnis, solch einem Ungeheuer in unwirtlichem und kaum übersichtlichem Terrain entgegenzutreten, und das Entsetzen, dass zwei unbewaffnete Herren und eine junge Dame der wütenden Bestie in Sicht gekommen sein konnten, erfüllte ganz Meran.
„In der Dunkelheit kann man nicht vordringen.“
„Undenkbar, einen Kampf aufzunehmen, wenn man nicht die Hand vor Augen sieht!“
„Und doch darf man nicht zögern!“
„Es gilt drei Menschenleben!“
„Man muss alsbald hinauf und gleich beim ersten Morgengrauen die Spur suchen!“
„Der Vinzenz meint, die Touristen wären nach der Sennhütte hinauf.“
„Wer sind die Herrschaften?“
„Kennt man Namen?“
„Du liebe Zeit, ja! Der Oberst von Welten mit seiner Nichte, einem so bildhübschen Mädchen, das schon allgemein aufgefallen ist.“
„Herr Sturmlechner macht ihnen den Cicerone!“
„Wo wohnen sie?“
„Im Tiroler Hof.“
„Nein, nein! Im Parkhotel. Die so leidende Gattin vom Oberst ist daheimgeblieben und soll beinah Krämpfe haben vor Angst und Aufregung!“
„Gott erbarm’ sich, so eine arme Dam’.“
„Die Jäger rücken aus!“
„Dös is ka Kinderspiel, wanns dös Revier umstellen wollen.“ —
Die Strasse nach Mais schritten rüstig die beherzten Männer, von Jagdeifer und dem Verlangen beseelt, rechtzeitig den Bedrängten Hilfe zu bringen.
Die Touristen waren nicht heimgekehrt, und bange Sorge erfüllte alle Seelen, ob sich wohl in jener Todeinsamkeit einer herrlich schönen, aber so weltfernen Gegend das grausigste Drama abgespielt habe, das gedacht werden kann.
Schwarz und schweigend lag der Wald.
Kein Laut nah und fern. Nur der Wind sauste daher, und in den Zweigen knackte und raschelte es, wenn Vögel oder kleines Getier, Eichkätzchen oder gar ein Marder von Ast zu Ast huschten.
Das Gewehr im Anschlag, drängten die Beherzten sich mutig Schritt um Schritt voran.
Angestrengtes Lauschen. Jeder Laut war ein Ereignis.
Die Felsen hemmen den Schall so sehr; es ist beinah unmöglich, ein noch so starkes Gebrüll bis hierher zu hören.
Der Himmel färbt sich im Osten mit zartem, flimmerndem Grau, das erst nur matten Schein in die tiefen Schatten wirft.
Welch eine Geduldsprobe! Welch eine nervenmordende Wartezeit!
Die Herren und Männer fiebern vor Aufregung. Jeder einzelne glaubt, den eignen Herzschlag hören zu müssen.
Ein rosiges Aufflammen —!
Droben die Schneezinken des Ifingers beginnen sich zu färben.
Die letzten dunklen Wolken der Nacht stieben über den Himmel davon.
Röter und röter färben sich ringsum die Alphäupter.
Wie mit einem Zauberschlag wird es sehr plötzlich hell und lebendig im Wald.
Hastige Schritte, ein Aufspringen mit derben Nägelschuhen.
Zwei Löselbuben, der Vinzenz vom Brunnecker Hof und der Sepp, die waghalsig in den Felskessel vorangeschlichen sind, kommen atemlos.
„Er brummt! — Man hört ihn deutlich, von der Senne klingt’s herüber!“
„Gott helf’! — dass sie noch leben!“
„Nun Vorsicht! — Dort um die Felsen herum, dann haben wir die Halde mit der Sennhütte vor Augen!“
Vogelschrei hoch in der Luft.
Ein Sperber steigt der Sonne entgegen. Die letzten Schatten verwehen wie Nebel und Rauch.
Scharfe Männeraugen lugen voll heisser Spannung durch das Gezweig.
Da — ein kurzes, grimmes Aufbrüllen, droben vom Stadel herunter klingt es. Die Aufregung der Jäger erreicht den Höhepunkt.
Der Heuschober steht beinah frei auf der Wiese, — ein Heranpirschen ist kaum möglich — —
Welch ein Meisterschuss, von sicherster Hand gegeben, kann das Untier auf diese Entfernung hin niederstrecken?
„Alle müssens schiessen! Je mehr Kugeln, desto besser!“
„Dort hinten! An der Rückwand des Stadels taucht er auf!“
„Er scheint seine Opfer tatsächlich zu bewachen!“
„Ein Bär halt gern gefangen!“
„Jetzt tratscht er nach rechts!“
„Man sieht deutlich, wie er nach dem Heu hinaufwittert —“
„Er will sich an dem Holzpfahl aufrichten!“
„Das unglückliche junge Mädchen! Die Herrschaften sind sicher in das Heu geflüchtet, man merkt es der Bestie ja an!“
„Eine Salve — eine Salve geben!“
„Kommando.“
Ein kurzes, scharfes Aufblitzen aus dem Tannendickicht heraus, dann ein scharfes Knattern — und fast gleichzeitig ein kurzes, bellendes Gebrüll des vielfach getroffenen Raubtiers.
Der Bär bäumt auf — greift mit den Vorderpranken gierig in die Luft — er taumelt, — wendet sich — stiert auf die neuen Feinde und Angreifer in den Tannen —
Noch einmal ein dumpfes, furchtbares Brüllen, — dann sinkt er zur Seite, rollt sich wie ein Knäuel auf dem dicken Moos umeinander ...
„Feuer!“
Wieder knallen die Gewehre.
Weisse Pulverdampfwölkchen kräuseln aus dem dichten Unterholz.
Ein Zucken des zottig schweren Körpers, abermals ein ruckweises Brummen, das in kurzes Röcheln übergeht.
„Gut getroffen!“
In dem grünbuschigen Knirks, noch die rauchende Büchse im Anschlag, stand ein Schütz.
Klein und etwas zur Fülle neigend war seine Gestalt, dabei sehnig gedrungen, von anscheinender Muskelkraft, wie sie den an Sturm, Wetter und Gefahren gewohnten Einwohnern wilder Berggegenden eigen ist.
Hohe Schnürstiefel, ein mehr derb praktisches als elegantes Jagdzivil, die Mütze, die sogar etwas Schäbiges hatte, von fremdartiger Fasson, fest über den ganzen Kopf gezogen, stand er vorgeneigt und schien mit stierem Blick seine Kugel verfolgen zu wollen, ob sie, wie gewohnt, ihr Ziel erreichen werde.
Sein Gesicht war nicht hübsch, ein rüder Zug lag um den Mund, dessen wulstige Lippen von starkem, nicht sonderlich gepflegtem Schnauzbart umstarrt waren.
Die Nase, kurz und stumpf, zeigte breite Nüstern, und etliche Blatternarben verdarben ihre Form und erzählten von einer Zeit, die ihre Schreckensspuren unauslöschlich in die Physiognomien ihrer Opfer schreibt.
Eine gewisse Gutmütigkeit lag auf den breiten, fleischigen Wangen, gepaart mit Sinnlichkeit, die den dunkeln, leicht vortretenden und von starkbuschigen Brauen umsäumten Augen einen Ausdruck von Leidenschaft und tierischem Instinkte gab.
In diesem Moment glühte der Jagdeifer, sein Opfer niedergestreckt zu haben, voll gieriger Gewalttätigkeit darin.
„Basse manelka!“ lachte er mit dröhnender Stimme. „Der hat’s! Die Kugel, die ihms Lebenslicht ausblasen hat, wor meinigte!“
Er hob den Arm und wehrte zwei Kaiserjägern, die an seiner Seite gestanden hatten, energisch ab.
„Laufts no net sogleich hin. — I sprech’ aus Erfahrung! Bin seit Bubenjahren auf a Bärenjäger! — Ma denkt, er liegts im Feuer dabei, und kommt man in die Näh’, rackert sich so an sakrischer Hund auf und gibt’s noch an Treff!“
Wieder fielen etliche Schüsse aus dem Hinterhalt und schienen den Körper der Bestie abermals getroffen zu haben.
Er zuckte empor — ein kurzes, halb ersticktes Röcheln ... dann schüttelten sich die zottigen Glieder, und die Beine zogen sich wie im Krampf an den Leib.
„So wahr i der Gaj Gyurkovics bin! Da brennens no die schöne Schur in Fetzen!“ grollte der kroatische Bärenjäger ärgerlich. „No ein paar Minuten Geduld, und er hätte ausgeschnauft g’hobt, — ohne die Mandel Löcher mehr im Pelz!“
Ein lautes, jubelndes Siegesgeschrei aus kräftigen Männerkehlen.
Die Jäger stürmten über die freie Halde, dem Heustadel zu.
„Sturmlechner! — Heda! Sturmlechner! Seid Ihr dahier innen?“
Hoch hinter dem Dachgespärr tauchte der Kopf des Herrn Alois auf.
Das Entsetzen spiegelte sich noch auf seinem farblosen Gesicht.
„Schiessts net mehr! Dahier sind wir!“
Oberst von Welten trat an die Luke über der Leiter.
Er hob den Hut und winkte dankbar erfreuten Gruss hernieder.
Sein Blick traf den kolossalen Körper des Bären, und ein tiefes Aufatmen hob seine Brust.
„Es ist auch eine Dame droben?“ rief ein Offizier der Kaiserjäger. „Die Herrschaften können ohne Gefahr herniedersteigen!“
„Ist’s nur ein Bär gewesen?“
„Habts ihr mehrere gespürt?“
„Na, na! — Der hat’s allein grad g’schafft, vermein’ i!“
„So a Mordsvieh!“
„Grad g’fangen g’halten hat er sie!“
Gaj Gyurkovics war langsam nähergestapft und schaute unter seiner spitz gebogenen Mützenkrempe nach dem Stadel herauf.
Dort hatte sich der Baron eben zurückgewandt und führte eine zierliche Mädchengestalt der Leiter zu.
Sein Arm stützte die anscheinend halb Ohnmächtige.
Der Blick des Kroaten schärfte sich plötzlich.
„Teremtete!“ stiess er wie mit einem leisen Pfiff durch die Zähne hervor. „Dös ist ja meiner Seel’ das Madel aus dem Theater drunt!“
Eine Glutwelle schoss in sein Gesicht, bis unter die buschigen Haare hinauf.
„Sakra, da find’ i ’s doch wieder! So an Fratzel an goldiges! Aber erbärmlich schaut’s drein ... du mei!“
Mit ein paar gewaltigen Sätzen sprang er zu, und während ein paar Männer eine neue Leiter, die unter dem weit vorspringenden Dach der Sennhütte gehangen hatte, heranschleppten und gegen die Luke des Stadels aufstellten, schob er sie mit kraftvollem Arm beiseite.
Ein paar gewandte Sprünge — er schwang sich empor und stand neben Lobelia.
Die Dam’ ist zu schwach zum Absteigen, i trags scho’!“ — Und ehe der überraschte Oberst oder Sturmlechner nur Zeit zum Denken fanden, hatte er mit gewalttätigem Griff das junge Mädchen gepackt und auf den Arm gehoben.
Sehr geschickt fand er die Leiter mit dem Fuss.
„Festholten! Greifts zu! Gib a Obacht, Bub, dös ma gut nunter komm’!“
Der Vinzenz vom Brunnecker Hof, der als Eifrigster die Leiter herzugeschleppt und grad’ den Fuss auf die unterste Sprosse gestellt hatte, um als erster droben zu sein, fühlte sich unsanft zurückgeschoben und starrte nun mit finsterm Blick empor, wo der Kroate mit seiner reizenden Bürde den Abstieg begann.
„Sell is nöt recht!“ dachte er; „die Leiter hab’ i und der Franzel dahertragt, da stand mir auchs Recht zu, dem Madel beizuspringen.“
Aber er fasste mit beiden Fäusten zu und hielt das Holz so sicher, als sei es gar ein Engerl vom Himmel selber, das da herniederstieg.
„Nur nit so lamentabel, — das verhüt’s Gott und alle Heiligen!“
Er starrte auf das wachsbleiche Antlitz.
„Ja, Fräulein! Du mei Herrgott! So muass i Ihna wiederschaun!“ rief er voll herzlicher Teilnahme, und Lobelia schien ihn tatsächlich wieder zu erkennen. Ein mattes Lächeln huschte um ihre Lippen; sie versuchte ihm freundlich zuzunicken.
Gaj Gyurkovics liess ihre Gestalt aus seinen Armen niedergleiten, beugte sich vor und stierte der Geretteten mit heissem Blick in das Antlitz.
Lobelia sah empor, sah ihn an.
Wie ein jäher Schreck spiegelte es sich in ihren Augen — unwillkürlich wich sie zurück, dicht an des Vinzenz Seite.
„I hob die Gnädige schon gesehn! Im Theater neulich! Wissens noch ... im Apajune?!“
Fräulein von Welten wich noch weiter zurück, und Vinzenz, der sie scharf beobachtete, trat jäh neben sie, als wolle er sich instinktiv schützend zwischen sie und den Fremden schieben.
„Nein ... ich kenne Sie nicht!“ stammelte Lobelia und wich dem Blick des Kroaten aus, ängstlich nach dem Stadel zurückschauend, ob der Oberst noch nicht folge.
„No, no! Bekannt gemacht hab’ i mi den Herrschaften noch nit, so viel Müh’ ich mir an selben Abend und die Tag nachher auch gegeben hab! I hol’s nach, Gnädige. Gaj Gyurkovics bin i genannt — unter den kroatischen Edelleuten findens mi an der Spitzen!“
Die andern Herren drängten näher; Herr von Welten schwang sich die Leiter herab und stand neben der Nichte.
Sein Blick traf nicht allzu erfreut den Bärenjäger aus dem Ivantschitzkagebirge, der ihm derb vertraulich die massive Hand entgegenstreckte.
„Sind’s der Vater dazu?“ fragte er. „Da freut’s mi, dös mei Kugel Ihrem Gefangenwärter grad zur Zeit eins aufbrennt hat!“
Herr von Welten verneigte sich etwas steif und förmlich. Sein Blick traf Vinzenz.
„Ah — unsre fröhlichen Löselbuben!“ lächelte er; „sicherlich haben Sie unsre Wanderung in die Schlucht beobachtet und uns Hilfe gebracht?“
„Sell schon, Euer Gnaden! — I bin zwoar nur a simpler Bauer, der Vinzenz vom Brunnecker Hof, aber der Stutzen, den i mir in der Kasern’ drunten geholt, trefft a sein Ziel. Gell’, Franzel?“
Sein Spezi hatte das Grünhütel gleich dem Sprecher gelüftet; ehe er aber antworten konnte, stiess Vinzenz, dessen Blick eben noch ein wenig aufbegehrerisch über das frischfarbige Gesicht des Kroaten geschweift und dann zu Lobelia zurückgekehrt war, einen leisen Schrei des Schreckens aus.
„Heilige Mutter Gottes! Wie schaut denn das Madel drein?“
Das schwere Wolltuch war von Lobelias Köpfchen zurückgeglitten.
Um Stirn und Schläfen lag das gestern noch so volle nussbraune Haar — es war weiss wie silberner Schnee.
Und abermals ein Aufschrei des Obersten, der voll Entsetzen, wie abwehrend die Hände hob ... und ringsum die Männer im Kreise traten jäh näher und schauten wie gebannt auf das Schreckliche.
Die Haare des jungen Mädchens hatte die furchtbare Aufregung, die grausige Todesangst einer langen, bangen Nacht gebleicht.
Mechanisch hob sie die Hände.
„Was ist mit mir?“
„Nichts allzu Erstaunliches, armes Kind, es war zu kalt für deine zarten Nerven während unsrer Gefangenschaft heute nacht, es hat auf ... dein Köpfchen geschneit!“
Herr von Welten sagte es leise, seine Stimme bebte.
Alois Sturmlechner aber fand zuerst wieder das richtige Wort.
„Da kann sich die Gnädige aber grad bei dem Bär bedanken!“ lachte er mit viel Selbstbeherrschung. „Neulich hab’ i ein Bildel von der Damen bei der Frau Tante geschaut, vom Fasching her! Da sollte wohl ein Rokokofräulein gespielt werden! Die weisse Perücke zu den dunkeln Augen hat so gut gekleidet, wie nix andres!“
„So ist’s! Akkurat so ist’s!“ nickte Gaj Gyurkovics und schien das junge Mädchen mit den Blicken zu verschlingen: „Nur eine Schönheit mehr wird’s!“
„Da helft alles Reden nix!“ grollte Vinzenz und griff mit dem Oberst zugleich nach der wankenden Gestalt der jungen Dame.
„Schwach ist’s dem Fräulein. Schliess die Sennhütten auf, Sepp! Dös ’s a Ruah find’, bis ma an Wagen ’rannschafft.“
„Brav, Bursche, brav!“
Herr von Welten hielt die bebende, von Frost geschüttelte Gestalt im Arm und legte liebevoll das Plaid über das schimmernde Haupt der Nichte.
„Der Gedanke ist gut; wenn es erlaubt ist, bleiben wir in der Sennhütte, das Gehen ist ja jetzt eine Unmöglichkeit für meine Schutzbefohlene.“
Er sagte das letzte Wort mit besonderer Betonung, und sein Blick traf dabei wie zufällig den kroatischen Edelmann.
Dieser wollte wie ganz selbstverständlich den Löselbub zurückweisen.
„Geht’s nur, Bursch! I führ das Fräulein scho sicher, mei Arm schafft’s eher wie jeder andre.“
Lobelia umschloss jählings des Vinzenz Arm mit der Hand, während sie sich fest an den Onkel schmiegte.
Dieser, als alter Kriegsinvalide, nickte dem Tiroler freundlich zu, dass er seiner angeschossenen Schulter zu Hilfe kam und die kaum noch zum Gehen fähige junge Dame auch seinerseits stützte.
„Lasst’s mi aus!“ schüttelte der Brunnecker Sohn energisch den Kopf und mass den fremden Bärenjäger mit festem Blick, „wär’ zum erstenmal, dös mei Kraft versagen tät’!“
Stolz und doch behutsam sorglich schritt er daher und empfand unter dem jähen Druck auf seinem Arm wohl ein ähnliches Glücksgefühl, wie ehemals ein Mann, wenn er von seinem Landesherrn zum Ritter geschlagen ward.
Unverkennlich war’s! Das Madel wollte, dass er dahier an ihrer Seite bleiben sollte, den fremden, schrundigen Kerl mochte sie nöt, das sah er gleich ihrem Gesichterl an, — und die Herren Offiziere von den Kaiserjägern rief sie auch nit heran, dass sie dem Onkel helfen möchten, — just er, der Vinzenz sollte es sein, drum hielt sie ihn so erschreckt am Arm fest!
Die Mehrzahl der Schützen hatte nach ein paar teilnehmenden Worten, die wirr vor den Ohren der Erlösten durcheinanderklangen, den erlegten Bären umringt, in aufgeregter und umständlich er Debatte über den todbringenden Schuss zu sprechen. Das Jägerblut wallte, und das Interesse an dem seltenen Wild drängte momentan alles andre zurück.
Der Kroate war den meisten Meranern bekannt als vorzüglichster Schütze, der schon vor Jahren einmal bei einer Bärenjagd den Meisterschuss getan.
Er schoss aus ganz besonderer, fremdländischer Büchse, deren Kugel durch das Kaliber leicht festgestellt werden konnte.
Er hatte ja auch den besten Schuss gleich für sich in Anspruch genommen.
Man nahm es als selbstverständlich an, dass er alle Rechte geltend machen und nach seiner Kugel suchen werde.
Um so mehr staunte man, als Gaj Gyurkovics seine Büchse auf die Schulter warf, die Hände in den Taschen seines weiten Kittels versenkte und gelassen hinter dem Oberst, Vinzenz und der jungen Dame nach der Sennhütte einherschritt.
Ein Förster und der Kommandeur der Kaiserjäger untersuchten währenddessen den Körper des Bären mit all seinen Kugeleinschlägen.
„Wallberg! Was ist denn das? Die Schulter des Ungetüms scheint gebrochen?
„Die Knochen knirschen zusammen, wenn man ihm die Vorderpranke hochreckt!“
„Eine Kugel kann das doch unmöglich bewerkstelligen.“
„Dös kann i den Herren verdispetieren!“ rief ein Holzhackerknecht. „Die beiden Hauer vom Bauer dahier sind justament am Stadel gewen, um einig’schaun, obs Futter scho z’Tal gehollt wern ka. Da haben ’s den Grantigen in der Schlucht verspürt — und der Sepp hat in seiner Furosität an Felsstoan aufs Untier ’nabgeschmissen. Derentwen hat er die invalide Schulter derwischt. Un woan so an Mordsvieh dalketes so an Schmerz verspürt, stellt’s seim Feind nach; derenthalb is der Bär nöt vom Stadel hier gewichen un hat Posten gesteht bis anitz.“
„Ja, ja, so verhalt sich dös!“
„Oan kapitaler Bengel! Sell muass ma ausbalgen.“
„Wann nur das Fräulein net so arg zu Schaden kimma wär! I vermein’ halt, so a weisses Haar kreagt ma nöt um a Larifari!“
„Ah na! — Dem Madel mögen alle Haardeln oanzeln z’Berg gestanden soan!“
„Woanns nur nöt an Fieber kriegt.“
„Is ja no jung. Sell verwind ma bal.“
Währenddessen stand der Martel, der Sohn vom Schlierseebauer, dem die Senn gehörte, vor der Tür und versuchte mit der ihm eignen Umständlichkeit den rostigen Schlüssel in dem Schloss zum Drehen zu bringen.
„Her damit!“ klang eine gebieterische Stimme hinter ihm, und der Kroate schob den Burschen gelassen zur Seite, griff nach dem Schlüssel und drehte mit aller Kraft den Widerstrebenden herum.
„Seht Ihr nit, dass es der Kranken pressiert, da einzukommen?!“ sagte er kurz, drehte noch einmal mit aller Kraft, — und der Schlüssel brach in der Tür entzwei.
„Na san ma ganz gemeiert!“ schrie der Martel erschreckt.
„No lang nöt!“ schüttelte Gaj Gyurkovics mit grimnem Lächeln den Kopf. „Glaubt’s, mein’ Kraft reicht nit für so an lumpigtes Brettertürl? I bin lang genug im Österreichischen daheimgewest, um mi auf eure Pappschachterln von Häuseln scho’ auszukennen. Da schauts!“ und der Sprecher hob den Fuss ... ein gewaltiger Tritt gegen die Holztür, und krachend flog diese aus den Angeln.
„Du mei Bonifazius! Dös kost aber dem Herrn a Geld!“ schrie der Martel entsetzt.
Ein hochmütiger Blick aus den vorquellenden Augen traf ihn.
„I bin’s nöt gewohnt zu warten. Die Gnädige a nöt! A Geld? — Dös kannst haben, so viel’s willst! — Vermeinst, i genier mi um die Batzen? — Dazu langt’s bei mir.“
Er trat höflich neben die Tür und machte dem langsam nahenden Oberst und seiner Nichte eine so preisherrliche Handbewegung, als lade er, gleich dem Hausherrn, zum Nähertreten ein.
„Kiss die Hond, meine Gnädige! Wochen Sie es sich kommod. Wonn i mir gestatten darf —“, er zog eine Likörflasche aus der tiefen Tasche seines grünleinenen Überziehkittels und bot sie an: „so ein haisser Tropfen dürft’ den Herrschaften genehm sein — s’ ist an echter ... konn in Ehren bestehn.“
Herr von Welten dankte, höflich und zurückhaltend, wie es seine Art war.
„Ein Schluck heisser Kaffee wird meiner Nichte gewiss sympathischer sein!“ fügte er hinzu. „Martel sagte uns, es sei eine kleine Blechbüchse mit ‚Mokka‘ hier oben, da muss man erst mal versuchen, heisses Wasser zu bekommen.“
„Ja du mei!“ seufzte Vinzenz und hatte noch immer etwas recht Feindseliges in seinem Blick, wenn er den Kroaten ansah, dessen Augen voll unverblümten Entzückens unverwandt auf Lobelia starrten. „Alles dahier oben ist vom Winter her so nass, dass man die Holzscheite schwer zum Brennen kriegen wird.“
„Holzscheite?“
Gaj Gyurkovics trat an den Herd, auf dem etliches Holz aufgeschichtet lag. Es roch moderig und war nass wie Schwamm.
„Das nutzt freilich nix.“
„Im Wald drauss’ liegt’s no nasser!“
„Hört’s doch aber, dass die Gnädige a Tassen Kaffee verlangt!“ — Eine Falte legte sich dräuend zwischen die schwarzen Augenbrauen des Sprechers. Er griff nach dem Jagdmesser, das an kurzer Kette am Gürtel hing, zog den blinkenden, bläulichen Stahl, köstlich ziseliert, wie ihn Welten sogleich als Tscherkessendolch erkannte, aus der Scheide und trat an den einen der braungestrichenen Stühle im „Herrenstüble“ heran.
„Die Farbe hat wohl die Feuchtigkeit aufgehalten,“ sagte er gelassen, „innen wird das dicke Holz no trocken sein, die Wurmstich’ zeugen fürs Alter.“ Und mit einem unglaublichen Ruck seiner beiden Fäuste riss er den Stuhl auseinander, um ihn im nächsten Augenblick mit dem Jagdmesser in Spitter zu hauen.
„Jes’ Mari-Josef!“ kreischte der Martel und rang die Hände. „So an Stuhl is nöt um drei Gulden in ganz Meran z’haben!“
Der Kroate griff ironisch in die Tasche.
Ein Papier knisterte.
Im nächsten Augenblick flog dem Martel eine Banknote zu.
„So magst dir auf mei Wohl gleich drei derstehn!“ lächelte er. „Hast nöt Obacht g’habt? Die Gnädige wünscht an Kaffee. Und nun dahier! Könnt’s anzünden?“
Das konnte der Martel, nachdem der Fremde ihm noch eine Zeitung und sein Feuerzeug hingereicht.
Dann stand er breitspurig daneben und schaute zu, wie das Holz geschichtet ward und bald in hellen Flammen aufschlug, während Herr von Welten das junge Mädchen nach dem altmodischen Lehnstuhl neben dem Ofen führte, über dem ein Weihwasserbecken unter dem grellfarbigen Öldruck eines Muttergottesbildes prangte.
„Es ist bitterkalt hier in der Stube. Gott sei Dank, dass der Herr so energisch Feuer schafft. Unsereins hätte das ja gar nicht riskiert. — Hoffentlich kann man nun auch den Ofen heizen!“
Der Oberst hatte es geflüstert, aber Vinzenz, der grad eine Fussbank heranschleppte, sie unter die Füsse der Erschöpften zu schieben, verstand es doch.
„Dös is mei Sach’!“ rief er beinah heftig, „i zünd’ allsoglei a Feuer. Stühl’ verbrenn’ i nöt drum, vermein, dös brennt ma auch an schimmeltem Holz!“
Und nun flog seinerseits das alte Taschenmesser mit dem Hirschhorngriff aus der Lederhose, er sprang nebenan in den Stall, wühlte unter dem Stroh und packte den mächtigen alten Kachelofen hoch voll mit dem trockensten, was er tief unten heraufgewühlt.
Und dann wusste er, wo in der Ofenröhre der Kien lag — und so behend wie ein Gedanke flogen die Späne auf das Stroh.
Das Streichholz leuchtete auf, die Flamme prasselte empor — und noch schneller als auf dem Herd knisterte das Feuer im Ofen.
Hochaufgerichtet stand Vinzenz und schaute triumphierend auf den Kroaten, und Gaj Gyurkovics versenkte die Hände in den Taschen und musterte den Tiroler Bauernbursch mit langem Blick.
„Das Feuerzünden verstehen wir alle beid’!“ lachte er mit wunderlichem Ausdruck im Gesicht, „nun kommt’s nur drauf an, welches der Gnädigen mehr konvertiert!“
Ihm schien’s beinah, als ob der Löselbub, der lumpete, ihm aufbegehren wolle, wer’s besser kann.
Herr von Welten hüllte Lobelia warm in das Plaid, und in der Tür erschien Herr Alois Sturmlechner, vom Sepp gefolgt; die hatten die Rucksäcke aus dem Stadel geholt und brachten sie herein.
Der alte Junggeselle trat neben den Lehnstuhl, gegen dessen Backenlehnen das Köpfchen des jungen Mädchens so bleich und müde gesunken war.
Sorgsam und zärtlich wie eine Mutter schob er das Plaid ein wenig zurück, um sich noch einmal von dem Unfasslichen zu überzeugen.
Wahrlich, — eine weisse Haarwelle fiel auf die Stirn.
„Nit mal ergraut! Gleich weiss geworden!“ jammerte er. „So über Nacht !— Wissens noch, Gnädige, wie wir dahier hergingen? Da sprachen wir von der Urewigen, der Weltallsmutter. Und i dacht’ bei mir selbst: ‚Wann i mir selbige so vorstellen soll mit dem weissen Haar um das ewig junge, herzliebe Angesicht, dann müsste die Göttin ausschauen wie Sie. Und nun? Eh’s gedacht, ist die Wala vom Himmel niedergestiegen und schaut uns mit ein Paar Augen an — wie ... ja ... wie die Liab fein selbst!“