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Sechstes Kapitel
ОглавлениеEs klopfte.
Vroni trat ein.
Während der Tage, an denen Lobelia so viel allein und still auf ihrem Diwan lag, hatte Vroni sie während des Aufräumens und Reinemachens des Zimmers aufs beste unterhalten.
Ihr treuherziges Wesen gefiel der jungen Dame.
Lobelia erfuhr, dass sie beim Sandhof, hinter Tirol, an der Passer gelegen, daheim sei.
Ihr Vater hatte ein kleines, freilich nur sehr kleines Anwesen, droben in einem Alptal gelegen, wo sie gerade ein wenig Vieh für das Nötigste halten konnten.
Ein hübsches Mädel war die Vroni, stark, gerade und schlank gewachsen.
Eben stand sie wieder auf der Schwelle und brachte für die Gnädige fein extra eine Fleischbrühe.
„Hast du auch gute Nachricht von daheim, Vroni? — Hat sich kein Ötztaler bei euch gezeigt?“
„Auf dem Markt in Meran drunten hab’ i freili anfragen lasst, aber ka Seel’ is nöt vom Sarntal da’west. — No, i denk, wann i die Mess nöt versäum’, nimmts der liebe Herrgott scho in sei Schutz. Wir haben ja den heiligen Michael fein selbst zur Fürsprach.“
Sie stand einen Augenblick und wischte erst noch das kleine Tischchen blank, ehe sie das Tablett mit der Tasse niederstellte.
„Aber was Neues gibt’s doch!“ sagte sie gewichtig.
„Ei, so erzähl’! Hoffentlich ist es recht was Gutes!“
„Dös vermein’ i scho! Just der is’ ja, der das Fräulein Baronin von dem Bär hat erlöset!“
„Was meinst du?“
Vroni machte ein sehr gewichtiges Gesicht.
„Da wissen’s die Herrschaft doch, dass der Herr von Gyurkovics dermalen in der Masul den Bär, ders Fräulein belagerte, so fein derschossen hat?“
„Was ist’s mit ihm?“ — Lobelia trat jählings näher, und Tante Adele horchte hoch auf.
„In Numero siebzehn ist er vorhin eingezogen! Gerad hier in unser Hotel. Zuvor — da hat er im Meraner Hof g’wohnt, aber da hat’s ihn nimmer ’halten, nu is er hier heraufkommen!“
Die beiden Damen wechselten einen jähen Blick des Schreckens.
„In Numero siebzehn? — Hier auf unserm Flur?“
„A na! Ein Stiegen tiefer! Am liebsten hätt’ er mögen hier droben sein. Das Annerl hat ihn drunten, die meint, er sei wohl arg ein vermöglicher Mann, er schmeisset so mit dem Geld herum!“
„So kann’s auch ein Verschwender sein!“
„Sell gewiss! Aber die Wirtsleut’ sehens allweil giern. Daheim, — bei Fronleichnam, wenn’s alle von ihre Berg herniedersteigen und a Zech’ im Schankhaus machen, da klagt’s der Vater oft, dös nur der a Ansehn g’niesst, der nöt um a Gulden feilscht!“
„Der Wirt und der Herr Direktor kennen den Herrn wohl schon von früher?“
„Nöt so vom Geschäft, aber vom Anschaun gar wohl! Der Xaverl — a i mein’ unsern Hausknecht — der hat ihn schon vor Jahren als a Lutschhascherl no hier derschaut! Sei Muatter selig liegt jo am Kirchhof drob’n — dessentweg kimmt der Herr von Gyurkovics no all Jahr fast hierher.“
„Das spricht für ihn.“
„Vroni!“
„Bitt’ schön?“
„Wenn der Herr nach mir fragen sollte, dann sag’: „Ich sei allweil noch krank, und Besuche dürfte ich keine annehmen!“
„So a Wehtag!“
„Weisst’s ja, — die Damen aus der Pension Regina, die neulich hier waren und mir Blumen bringen wollten, durfte ich auch nicht zur Visite annehmen!“
„Ja, ja, ’s is a Kreuz — allweil so alloan!“
„Also du lehnst sofort jeden Besuch ab!“
„Dös is g’wiss.“
„Halt ... Vroni!“
„Bitt’ schön?“
„Eine Ausnahme ... eine einzige, muss ich aber machen!“
„Wann vielleicht Seine Kaiserli Hoheit der Herr Erzherzog aus’m G’schlossel Roseneck — i vermein’, so heisst’s — wann der fein selber heraufkäm’?“
Die Damen lachten leise auf.
„Der kennt uns nicht, Vroni! Noch nicht einmal seinen schönen Park drunten konnten wir uns ansehn! — Ein andrer ist es, um dessentwillen eine Ausnahme gemacht wird.“
„Wann’s ihn beschreiben, mirk’ i mi’s scho!“
„Als Löselbub ist er vor kurzer Zeit hier in Meran gewesen!“
Die Vroni sass beinah auf dem Stuhl vor Überraschung.
„Alle guten Geister lob’n Gott den Herrn — a Löselbuab?“
„Ja, Vroni. Just der, der uns die wahre Hilfe in unsrer Bedrängnis in der Masul gebracht hat, denn der Vinzenz ist der erste gewesen, der die Jäger in Meran alarmiert hat!“
„Un hoasst Vinzenz?“
„Ja, Vinzenz — vom Brunneckerhof bei Sankt Leonhard, da ist er daheim.“
„Der Brunnecker Vinzenz? Der von Sankt Leonhard?“ — Die Kleine tat einen hellen Schrei und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
„Nu springet glei ein’ arm’ Seel’ aus dem Fegfeuer! Der Brunnecker Vinzenz soll daherkommen un is der oanzige, der an Anspruch vom Fräulein derhalten soll!“
„Kennst du ihn etwa?“
Vroni machte aufgeregt eine Geste. Sie deutete mit der Hand in Stuhleshöhe.
„So a kloans Lummerl bin i no g’west, da bin i mit dem Vinzenz auf oan un derselben Schulbank g’sessen!“
„Und nachher?“
„Dar sin ma auf die Senn’ nauf ...“
Lobelias freundlicher Blick lag beobachtend auf dem Gesicht des Mädchens. Sehr frisch sah es immer aus, jetzt aber war ihr das Blut glührot in die Wangen geschossen.
„Gut, dass du dich seiner noch entsinnst!“
„Gefirmt soan ma au z’samm’!“ fuhr Vroni leise fort und starrte mit weit offnen Augen auf die sonnebeglänzten Alpen hinaus, just, als stünde der schmucke Bursch droben und nickte ihr so überraschend zu.
„Un grad der hat dem Fräulein a Rettung bringt!“
„Er scheint ein sehr braver, ordentlicher Mensch zu sein!“
Da leuchtete es in den dunklen Augen auf.
„So oan find’ ma nöt oft! — Arg guat is’r.“
„Und dein Freund?“
Vroni schrak zusammen.
„Nie nöt! — Kameraden soan ma g’west. Gunst nix. Er is der Älteste un kriegt’n Hof.“
„Aber er ist ein vermögender Mann?“
Vroni schaute fast angstvoll zur Seite.
„A Geld hat’r scho! Aber dös zieht mi nöx an.“
„Nur gut, dass du ihn kennst! — Wenn er kommt, Vroni, so sagst du es uns an — und dann bringst du ihn herauf.“
„Wann er a Post für die Gnädige hat, so is ja ka Unrecht.“
„Du glaubst, andre Besucher könnten es übelnehmen, wenn sie abgewiesen werden?“
„Hast recht, Vroni. Ich wäre dir dankbar, ebenso die Frau Baronin hier und der Herr Oberst, wenn du gar kein Wort — bei niemand, auch dem Herrn Gyurkovics nicht, — davon erwähntest, dass der Brunneckersohn hier war! — Falls er überhaupt kommt, — vielleicht muss er ja gleich zu den Soldaten!“
„Du mei! — Nach Franzensfeste!“ — Das klang bitter enttäuscht, dann aber hob Vroni wieder fröhlich den Kopf.
„Aufpassen tu i, bei Tag un Nacht. Un die erste bin i, die ihn beim Fräulein meldet.“
„Du bist ein liebes, gutes Mädchen, Vroni!“
„Kiss die Hand!“
Oberst von Welten war in das Lesezimmer hinuntergegangen, um sich über die neusten Tagesereignisse zu informieren. Er hatte sich eine Zigarre angesteckt, sich behaglich in einem der grossen, bequemen Sessel zurückgelehnt und begann gerade den Lokal-Anzeiger zu studieren, als ein Schatten auf die Zeitung fiel und eine Stimme hinter ihm seinen Namen nannte.
Er schaute auf, gerad in das weingerötete, sehr animierte Gesicht des Herrn Gaj Gyurkovics, der neben ihm stand und — im Erinnern an seine Spornstiefel daheim — die Hacken ein paarmal zusammenschlug.
„Ah — Sie sind es, Herr Gyurkovics!“ nickte der deutsche Offizier und erhob sich mehr formell als erfreut. „Sie kommen, mich hier aufzusuchen?“
„Hab’ die Ehre. Nöt grad als Besuch, wohl aber als Hausgenosse. Bis zu diesem Morgen bin ich im Meraner Hof noch gebunden gewesen, jetzt hab’ ich mich freigemacht und bin in das Parthotel übergesiedelt!“
Der Ausdruck in Weltens Gesicht war undefinierbar, beinah so, als wenn ein ahnungsloser Spaziergänger unversehens mit Lackschuhen in eine Pfütze tritt.
„Ah! Sie überraschen mich! — Und doch ist Ihr Geschmack begreiflich. Man wohnt in jeder Beziehung vortrefflich hier oben.“
„Auch selbiges. Es fangt an, recht heiss in Meran zu werden.“ Er nahm ungeniert Platz und präsentierte mit dem obligaten Griff in die Brusttasche sein massives Zigarettenetui.
Abermals dankte der Oberst, und der Kroate fuhr unbeirrt fort: „Von daheim bin ich die warme Luft nöt gewöhnt. Zuerst vermein’ ich immer, sie würgt mich dahier. — Kennens sich vielleicht auf unser schönes Kroatien aus?“
„Nein, nein! So weit habe ich meine Reisen noch nicht ausgedehnt. Aber ich habe gerade hier in Österreich viel Anerkennendes über das Land gehört.“
„Für gewöhnlich stellt man es sich halb wie eine Wildnis vor —“ der Sprecher reckte sich nonchalant aus und bestrebte sich ersichtlich, ein grammatikalisches Deutsch zu sprechen —, „aber es trefft nicht zu. Fruchtbar ist’s bei uns, und Landstriche haben wir, wo es besseres Klima ist, wie hier in Meran — nur nöt so elegant. Besonders an der Küste. — Aber man kennt sich noch nicht aus auf uns.“
„Die Industrie entwickelt sich ja jetzt, wie ich hörte, in sehr beachtenswerter Weise; dadurch hebt sich auch der Verkehr.“
„Danach frag’ ich nöt viel. Ein Kaufmann bin ich nicht.“
„Aber Soldat?“
„Dös i a Frosch wär!“ — Gaj Gyurkovics lachte hell auf und schlug sich mit der derbknochigen Hand klatschend auf das Bein.
„Die Zeiten sind für die Gyurkovics mal gewesen! Ja, früher, da habens meine Voreltern auch zu den Offiziersfamilien gehört, und selles ist für uns Nachkommen gut gewesen. Verstehens, Baron, dös war dazumal, als um achtzehnhundertundfünfzig herum die Militärgrenz’ gegen die Türkei sollt auf alle Fälle gefestigt werden; da ist mein Vater und Grossvater — Gott habs beide selig — mit erblichem Grundbesitz ausgestattet worden — so a Landadel habens schaffen wollen, und ist auch geglückt. Wies beide zum Sterben kommen sind, hab’ ich’s geerbt; war der einzige von vier Geschwistern, der dermalen die schwarzen Blattern überstanden hat.“
Der Sprecher rauchte behaglich noch ein paar dicke Wölkchen und warf die Zigarette in den Aschbecher, nachdem er sich zuvor eine neue daran angesteckt hatte.
„Mit der Landwirtschaft ist’s gut bei uns; die hat einen goldenen Boden. Bis ans Ivantschitzkagebirge zieht sich mein Besitz heran. Der Jagd wegen hat’s mein Vater nach dort gestreckt — vom Grossvater her habe ich auch noch Ländereien an der Unna, die sind fruchtbar, die halt ich um des Geldes willen.“
Der Oberst verneigte sich abermals stumm, mehr höflich zustimmend als interessiert, und dem kroatischen Edelmann schien das gerade recht zu sein, denn er fuhr jovial fort: „Dermalen konnten sich die Offiziere an Land nehmen, wie’s beliebte, da gab es noch kein so strenges Mass — fürnehmlich nicht im Gebirge. — Im Uskoken wohl schon eher, aber bei uns droben, da habens die Behörden noch die Hand küsst, wenn einer hat Ordnung schaffen wollen.“
„Der Unsicherheit wegen? Das Räuberwesen blüht noch immer?“
„Nöt grad’ Diavolos und Rinaldinis, aber Schmuggler, die sich da eingenistet haben. Wanns türkischen Tabak führen, na, da druckt ma schon ein Auge zu! — Aber mein Vater selig war noch zu hitziges Soldatenblut, der wollte ihnen dös Paschen überhaupt legen, — davon hat er den Tod g’habt.“
„Es wird sehr viel aus der Türkei herübergeschmuggelt?“
„Hinüber und herüber, — was da grad’ not tut. I frag’ nöx danach.“
„Sie sind sehr selbständig dort?“
„Selbständiger wie gar mancher König. I frag’ nach keinerlei Erlaubnis. Was i mag, dös tu i, und was i nöt mag, dös lass i. — Da gibt’s nur einen Willen, dös ist der meine.“
„Wie seltsam muss es Ihnen dann hier in geordneten Verhältnissen unter strenger Obrigkeit vorkommen?“
„Nöt zum Schlechten. Ich bin gern hier.“
Der Sprecher ruckte sich ganz manierlich empor und sprach wieder, so gut es anging, ein Salondeutsch: „Dass Ordnung sein muss, weiss ich. Daheim halt ich sie, hier nehmen mir andre die Mühe ab. So ein elegantes Leben gefällt mir. Nach Herkulesbad reis’ ich meistens im Sommer für ein paar Wochen, aber man trifft wenig Deutsche, Engländer und Amerikaner dort, meist nur Balkan, — und grad’ das feinere Europa reizt mich hier im Tirol.“
„Es sind viele Amerikaner, auch Franzosen hier im Hotel, scharmante Leute, ganz besonders die Damen; Sie werden sich gut unterhalten.“
Der Oberst lobte sehr eifrig, aber Gaj Gyurkovics sah ihn nur mit den starren Schwarzaugen gleichgültig an. „Am besten von allen Damen, die ich je geschaut, gefallt mir Ihre Nichte“, sagte er ungeniert. „Schon im Theater habe ich mir gesagt: Sie ist die Schönste, grad’ was du suchst.“
Herr von Welten schien die letzten Worte völlig überhört zu haben; er stäubte sehr umständlich ein wenig Zigarrenasche, die auf seinen Rock gefallen, von dem Ärmel ab. „Meiner armen Nichte geht es nach wie vor wenig gut“, sagte er gelassen. Der Nervenschock war doch einschneidender, als man dachte. Die Ärzte haben vollkommene Ruhe verordnet.“
„Macht nix. I für meine Person kann warten, bis die Gnädige wieder mobil ist. „La donna è mobile“ — er lachte breit und behaglich. „Just auf dem Promenadkonzert habens dös heut gespielt.“
„Wir fürchten, dass die Ärzte sie noch in ein andres Bad schicken werden.“
„Grad’ interessant. Hab’ mir immer schon gewünscht, mal ein bisserl was Neues zu schaun. Gaj Gyurkovics, hab’ ich zu mir gesagt, heuer hat’s eine Ernte gegeben zum Verlieben, und das Kapital ist arg im Säckel hochgewachsen, was sollst du daheimsitzen? Schau dir die Welt an und hol’ dir ein Weib heim, denn du bist ein reicher Mann und kannst Weib und Kind ernähren, wie kein zweiter.“
Der Blick des Sprechers zwinkerte listig forschend unter den buschigen Brauen zu dem Oberst empor, der wie ein Bild aus Stein, mit einer Miene, die nicht das geringste Interesse verriet, dem unliebsamen Hotelzuwachs gegenübersass.
Da eine kleine Pause entstand, musste er anstandshalber etwas erwidern.
„Es ist seltsam,“ sagte er gelassen, „dass heutzutage die Heiratslust bei dem männlichen Geschlecht viel lebhafter ist als bei den Damen. Ein Bekannter von mir sucht schon seit geraumer Zeit eine Lebensgefährtin und kann keine finden, beziehungsweise es zu keiner Verlobung bringen.“
„Schauens, dös begreif’ i nöt!“ Gaj Gyurkovics schlug das Bein über und rückte sich behaglich in seinem Sessel zurecht.
„Hot der Herr denn noch ka Madel gefunden, von der er sich allsogleich sagte: ‚die soll’s sein!‘?“
„Das wohl schon, — aber daran allein, dass der Mann seine Wahl trifft, liegt’s doch nicht! Zum Heiraten gehören bekanntlich zwei.“
„Dös schon!“ Der Kroate sagte es mit ein paar so erstaunten Augen, als begriffe er nicht recht, dass ein so Selbstverständliches überhaupt erwähnt werde. „Der Mann muss halt sein’ Antrag stellen.“
„Und wenn er abgewiesen wird?“
Nun sah der Bergkönig des Ivantschitzka vollends erstaunt aus.
„Ja, hat denn Ihr Bekannter wie an Aff’ ausgeschaut?“
„Durchaus nicht. Er war ein eleganter, recht stattlicher und feingebildeter Herr, vom Scheitel bis zur Sohle Kavalier!“
„Dös is an jeder Edelmann. — Na, so hat der Beklagenswerte koan Geld g’habt?“
„Nicht viel, — aber der Liebe hätte es genügt.“
„Ja, wos fehlte denn sonst?“
Herr von Welten zuckte mit einem undefinierbaren und doch sehr ausdrucksvollen Lächeln die Achseln und schwieg.
„Dann will ich’s Ihnen sagen, Baron, was dem Herrn gemangelt hat, — der Schneid’, die flotte Courag’, die Energie, dös er sei Sach’ net durchgesetzt hat bei den Weibern.“
Der Kroate sass vergnügt und preisherrlich in die Lederpolster zurückgelehnt. Nur durch seine Hände ging unmerklich ein Zucken und Krampfen.
„Man muss halt an schwereres Geschütz anfahren, um so a jungfräuliche Festung zu erobern! — Ma mirkt’s do glei, ob so ein Madel gefügig is ober nöt, — na, un wann sich’s sperrt, so weiss man“ — er verfiel wieder in Hochdeutsch — „doch sogleich, dass man sein Sach’ falsch angefangen hat.“
„Und?“
„Versucht’s noch dringlicher mit seiner Werbung, aber auf eine andere Art.“
„Und wenn diese ‚andere‘ keine bessere ist und ebensowenig Erfolg hat?“
Die wulstigen Lippen des Bärenjägers zitterten, ein Aufblitzen ging durch die dunklen Augen.
Er riss sie weit auf, dass das Weisse des Augapfels sichtbar wurde.
„So eine Möglichkeit gibt’s nöt zum Ausdenken für mich. Dös wär’ zum erstenmal, dös der Gaj seinen Willen nöt durchgesetzt hätt’.“
Er knäulte die Zigarette zwischen den Fingern und warf sie auf den Teppich. Man sah es ihm an, wie er sich gewaltsam beherrschte.
„Der is ka rechter Liebhaber, der ka Beständigkeit kennt! Nöt wanken und nöt weichen, — Manns genug sein, alle Hindernisse aus dem Weg z’ schaffen! Eitel sind’s allzumal die Weiber, und wann sie so a wortgetreue Lieb’ schauen, nachen sans doch gerührt!“
„Ich bin gespannt, ob Sie einen Erfolg dieser Theorien zu verzeichnen haben!“ Der Oberst erhob sich, der Kroate tat desgleichen. Die Erregung schien plötzlich wie weggewischt von seinem fleischigen Gesicht. Er lachte so harmlos jovial wie zuvor.
„Da verrennt ma sich in allerhand Faxen und vergisst auf das Nötigste! I komm’ daher um zu fragen, ob i nöt bald der gnädigen Frau Gemahlin und dem Fräulein von Welten meine Referenz machen dörf —“
„Leider noch gar keine Möglichkeit, Herr von Gyurkovics, — die Ärzte haben ihr noch vollste Zurückgezogenheit verordnet.“
„I wort! Die paar Blumen, die i mir derlaubt hab’ zu senden, bitt’ i huldvoll anzunehmen.“
Eine stumme kurze Verneigung des Obersten.
„Meine Nichte wird die weissen Haare leider zeitlebens behalten. Sie werden erschrecken, wenn Sie das arme Mädchen wiedersehn! Wie ihre eigne Grossmutter sieht sie aus.“
„Ja, schauens, — dös is halt G’schmackssache. Da bin i noch a Schlaeckerl gewest von kaum vierzehn Jahr, da hab’ i im Theater die ‚Herzogin von Gerolstein‘ g’sehn. Ja du mei! Wie a Verruckter bin i in die weisse Perücken gewest, und hob denkt: Wanns die Frauenzimmer a Geschmack hätten und bei den Mannern was ausrichten möchten, so sollten sie so a bildsaubere Moden wieder einführen! Un nu sagens, Baron, dös Ihr Nichten solch an Rokokopupperl geworden is!“
„Eine Perücke ist immer noch etwas andres als das eigene Haar.“ Der alte Offizier machte eine ungeduldig nervöse Bewegung. „Gerade, weil man jetzt gebleichtes Haar nur bei alten Leuten kennt, entstellt es die Jugend. Je nun, Lobelia denkt sehr gleichgültig darüber, — sie lebt ja einzig nur für ihre Kunst und beabsichtigt, sich von der Welt vollkommen zurückzuziehen.“
Der Kroate stiess einen leisen, freudigen Pfiff durch die Zähne aus und trat noch einen Schritt näher an den Sprecher heran.
„Du heiliger Laurenzius! Dös find’ ma selten heutzutag! Da strebens allweil in das vollste, bunteste Leben hinein, die jungen Damen, und langweilen sich auf so am einsamen Bergschloss halb z’ Tode! — Wann i so was hör’, dös die Gnädige nöx mehr nach der grossen Welt fraget, da jauchzet einem ja grad’ das Herz im Leibe! Wanns nur einmal schauen möchte, wie schön die Ivantschitzka in all ihrer unverderbten Wildheit is! Grad a Maleraug staunet unentwegt! — Die Trachten alloan, so bunt und phantastisch, wie geschaffen zum Konterfeien!“
„Soso —“
Herrn von Welten war’s, als glühe der Boden unter seinen Füssen. Er wollte unterbrechen und sich verabschieden, aber der „König der Berge“ stand ihm so geschickt im Wege, dass er ihn hätte beiseiteschieben müssen, um an ihm vorüberzuschreiten.
Herr Aloys Sturmlechner hatte ihm gestern erst gesagt: „Seien Sie vorsichtig mit dem Menschen, — wenn so ein Kerl verliebt ist, gleicht er einem wilden Tier, und Fräulein Lobelia kann noch nicht reisen!“
Er hatte gelacht und den Kopf zurückgehoben. „Das wäre ja noch besser, solch einem Herrn das Feld zu räumen! Wir haben doch keine Angst, dass wir ihm aus dem Wege gehn!“
Jetzt dachte er schon anders.
Solchen Fanatismus noch zu provozieren, wäre Wahnsinn und ein Verbrechen gegen seine Nichte, die er nicht schützen, sondern lediglich dadurch gefährden würde. Also die gute, alte strategische Weisheit: den Feind ermüden!
Er verneigte sich und lächelte höflich.
„Ich bezweifle nicht, dass das Leben in so ungewohnten Verhältnissen eines gewissen Reizes nicht entbehrt!“
„Wissens, Baron, — wann’s gnädige Fräulein wieder reisen darf, dann stillens ihr die Sehnsucht nach Einsamkeit und kommens all miteinand’ zu mir nach Uskodovni!“
„Sehr liebenswürdig, Verehrtester!“
„Photographien führ’ i bei mir —“
„Sehr interessant —“
Gajs Augen glühten vor Leidenschaft.
„An Schloss, dös am jeden gefallt! Früher is’ a Befestigung gegen die Türken gewest, und mei Vater selig hat’s ausgebaut! So recht a trutzige Zwingburg schaut’s von seinem Bergzinken in die Schluchten ’nab!“
„Entzückend! Recht einladend!“ dachte Herr von Welten, aber er nickte nur schweigend mit höflichem Lächeln.
„Ganz ungeheuer interessante Räume! A Kapellen mit unterirdischem Gang, dass man jedes Augenblicks davon kann, wenn mal a Gefahr drohen sollte. —“
„Gewiss so kleine Kerker und Verliese, in denen Unliebsames verschwindet!“ dachte der Oberst.
„Sinds a Reiter, Herr Oberst?“
„Ich war Kavallerist!“
„Haha!“ Der Kroate lachte triumphierend, „dann sinds schnell in Banden von meiner Fatima! Sag’ Ihnen, Baron — Pferde hab’ i im Stall — Pferde — Türken — Araber — so was von edlem Blut schauts ja gar keiner nöt dahier in Österreich, nöt in Deutschland! Um hunderttausend Kronen sinds nöt z’ haben.“
„Sicher der Dank der türkischen Schmuggler“, ging es durch Weltens Sinn.
„Da könnens reiten!“
„Ich werde den Kuckuck tun!“ dachte der Oberst abermals.
„Und malen! Malen kann die Gnädige jede Stund’ a neue Schönheit! Ihr eignes Spiegelbild, wie die Vilma Lwoff! — Aber schauens — für a Fürstin war mir die Dam’ nöt standesgemäss genug gekleidet. A weisses Atlaskleid, aber an Schmuck? — dös Gott erbarm’. Na, da sollens die Damen erst den Nachlass von meiner Mutter selig schauen! Wühlen könnens in Perlen und Edelsteinen, wann’s sich kostümieren wollen, — i frag’ nöx nach so G’flitter!“
„Sicher das Schweigegeld fürs Paschen!“ lautete noch einmal das Selbstgespräch des Obersten, dann zog er jäh die Uhr.
„Das ist sehr verlockend zu hören, bester Herr!“ sagte er so freundlich, dass Gaj Gyurkovics am liebsten auf die Tasche geschlagen hätte und getrotzt: ‚Den hab’ i, und die Weiber krieg’ i a!‘
„Aber meine Zeit ist in Anspruch genommen, ich habe Briefe zu erledigen.“
„Macht nöx! — Macht nöx — ein andermal mehr! Hab’ die Ehr’, Herr Baron — mein’ Gehorsam für die Frau Gemahlin und die gnädigste Nichte!“